Frankreich:
Kritik an linken »Humanisten« und Legalisten
Das folgende Flugblatt von GenossInnen aus Frankreich ist eine Kritik der französischen Staatslinken, die bestenfalls »offene Grenzen« fordert, aber keinerlei Vorstellung darüber hat oder haben will, welche Rolle die eingewanderten ArbeiterInnen (die Flüchtlinge sind in der übergroßen Mehrzahl solche) in der aktuellen Klassenzusammensetzung und den Kämpfen spielen.
Die große Kirchenbesetzung, von der die Rede ist, führte nach der Räumung durch die Bullen im August 1996 zu Straßenschlachten von vor allem jungen Leuten gegen die Bullen in Paris. Immerhin.
Das Flugblatt wurde im September auf einer Demonstration in Paris und vor allem in Migrantenkreisen verteilt, z.b. im Sentier, dem Pariser Viertel mit unzähligen Textilklitschen.
Aber auch das Flugblatt selbst geht an einem wichtigen Punkt über die Kritik nicht hinaus: die Proletarier ohne (Aufenthalts)Papiere (die 'sans-papiers') werden als verzweifelte und geduldige Lämmer dargestellt, die sich in ihrer miesen Situation (die wir auch nicht abstreiten wollen) alles gefallen lassen. Die Entwicklung von Ansprüchen, des Lernen von der vorherigen »Generation« von illegalen EinwandererInnen, die kleinen Kämpfe auch in ihren Sektoren bleiben vollkommen ausgeklammert.
Und auch dieser Teil der Klasse wird die Nachrichten über den aktuellen Kampf der LKW-FahrerInnen in Frankreich (und vorübergehend auch in Dänemark) mit Sympathie registrieren.
Aber lest selbst. --- N.Die linken »Humanisten« und Legalisten haben die verzweifelten Aktionen der 'sans-papiers' zum Scheitern gebracht. Währenddessen startet der Staat eine Großoffensive gegen die illegalen ArbeiterInnen; um eine Antwort darauf zu finden, muß man zunächst eine Bilanz dieser Niederlage ziehen.
Die Tatsachen sind folgende:
- von 324 Proletariern 'sans-papiers', die als Besetzer der Kirche Saint-Ambroise erfaßt wurden, sind 121 legalisiert worden, 15 wurden bis heute ausgewiesen, und 188 bekommen keinen Aufenthaltstitel;
- die 188 Proletarier, deren Legalisierung abgelehnt wurde, sind nun in einer noch schlechteren Lage als vorher: die Polizei kennt jetzt ihre Namen, Fotos und Aufenthaltsorte, und alle sind aufgefordert worden, das französische Territorium zu verlassen;
- die Bewegung selbst ist durch die von den falschen Vermittlern vorangetriebene Vorstellung, es gäbe 'sans-papiers', die verteidigt werden können und andere nicht, geschwächt und weiter gespalten worden;
- ungefähr 1 000 Proletarier 'sans-papiers' werden weiterhin jeden Monat aus Frankreich unter immer unmenschlicheren Bedingungen ausgewiesen (Armee-Charterflüge, unter Prügeln und systematischer Anwendung von Beruhigungsmitteln etc);
- die Regierung präzisiert gerade auf repressivste Weise die Pasqua-Gesetze (Harmonisierung der Überprüfung der Fälle auf Präfektebene, Verlängerung der Verwaltungshaftdauer, Einschränkung des Widerspruchsrechts gegen die Begleitung zur Grenze, bessere Handhabung der Bewilligung von Unterbringungsbescheinigungen);
- Ausweitung der allgemeinen Zustimmung aller politischen und gewerkschaftlichen Kräfte aus dem bürgerlichen Lager zur Unterdrückung der Schwarzarbeiter.
Während das schreckliche Scheitern der verzweifelten Aktionen von illegalen ImmigrantInnen noch sehr lange schwer auf der Moral dieser Fraktion der Arbeiterklasse lasten wird, indem die Parole der Legalisierung aller oder eines Teils der 'sans-papiers' verbreitet wird, suchen die guten linken Seelen, die für diese Niederlagen weitgehend verantwortlich sind, nach einer Ausrede für ihre offensichtliche Erfolglosigkeit, indem sie die Schwarzarbeit aufs Schärfste verurteilen. Alle vereinigten und »neuzusammengesetzten« Linken fordern angesichts der kommenden Wahlen einmütig mit den Rechten, dem Zentrum und den Faschisten eine schärfere Gangart vom Staat.
Dieselben Linken, die nach der Räumung der 'sans-papiers' aus der Kirche Saint-Bernard befürchteten, »das Ansehen Frankreichs hätte dauerhaft befleckt werden können« [1], freuen sich darüber, daß sich französische Produkte in fremden Ländern gut verkaufen und daß die nationalen Unternehmen bei der Eroberung neuer Märkte dabei sind, womit sie - mit Ausnahme von PCF und CGT, die immer an einem bornierten Nationalismus leiden - angesichts der Auslagerungen in Länder mit billigerer Arbeitskraft einen großen ökonomischen Realismus zeigen.
Die Linken unterschlagen dreist, daß die Schwarzarbeit hier exakt dieselben unseligen Auswirkungen auf die Löhne der legalen ArbeiterInnen hat wie die »ruhmreiche« Eröffnung französischer Unternehmen im Ausland.
Dennoch ist in den starken kapitalistischen Ländern die produktive Dimension der Auslagerungen mindestens genauso wichtig wie die der illegalen Arbeit im Inland. Zwei Beispiele:
- das Industrieministerium schätzt die Importe der von französischen Unternehmen zwischen April 1994 und Feburar 1995 im Ausland produzierten Waren auf fast 60 Mrd FF.
- im Jahr 1995 haben die deutschen Automobilunternehmen 35 Prozent ihrer Autos in ausländischen Fabriken produzieren lassen.
Wenn Massenentlassungen fällig werden, denunzieren Parteien und Gewerkschaften den »unfairen Wettbewerb« und das »Sozialdumping« und fordern, daß die Produktion nach Frankreich zurückkehrt, daß der Staat die Schwarzarbeit bekämpft, daß die ausländischen Arbeiter entlassen und die Schwarzarbeiter rausgeschmissen werden.
Anstatt für die internationale Einheit der Ausgebeuteten und für die allgemeine Verbesserung ihrer Bedingungen zu kämpfen, fordern die Linken - in voller Übereinstimmung mit ihrer so gut gespielten Rolle als Wachhunde des Kapitals - mehr Konkurrenz und mehr Spaltungen unter den Proletariern.
Wenn sie ihr humanistisches Mäntelchen umlegen und zweitweise ihr offen repressives Gewand im Schrank lassen, wollen die Linken (immer noch) den Glauben verbreiten, eine bestimmte Zahl illegaler eingewanderter Arbeiter sei der Hauptgrund für das Anwachsen der Schwarzarbeit. Sie tun so, als wüßten sie nicht, woran der Soziologe Jean-Francois Laé, Forscher beim CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique - Staatliches nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) und Autor der Studie »Schwarzarbeiten« (Editions Métaille), erinnert: »Genau weil die Ökonomie in der Krise ist, kann die Schwarzarbeit existieren« (La Tribune, 12. April 1996). Ebenfalls unterschlagen sie, daß sich die Schwarzarbeit seit den 70er Jahren stark entwickelt hat wegen
- der Verschärfung der Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalen
- der Globalisierung der Märkte und der Intensivierung des Warenaustauschs
- der allgemeinen Verringerung der Akkumalationsrate
- der allgemeinen Steigerung der Arbeitsproduktivität.
In Perioden von Krise oder ökonomischer Stagnation nach einer massiven Zunahme der Nutzung von Maschinen in der Produktion, sowie unter der Bedingung eines weltweiten zugespitzten Wirtschaftskrieges und den Schwierigkeiten bei der Kapitalakkumulation, greift der Unternehmer im Wettlauf um die Realisierung immer höherer Extraprofite (das wahre und ständige Ziel jedes Kapitals) immer mehr auf die Schwarzarbeit zurück.
Die Senkung der Produktionskosten als eines der Hauptmittel der Unternehmer zur Realisierung von Extraprofiten funktioniert auch durch die Reduzierung der Arbeitskosten, die u.a. durch Einsparungen bei den Arbeitgeberanteilen und Steuern und/oder durch die Senkung der Lohnkosten erzielt werden kann.
Wenn der Arbeiter darüberhinaus noch nicht einmal frei ist, seine Arbeitskraft auf dem 'freien Markt' zu verkaufen, wenn der Arbeiter durch die Angst erdrückt wird, in den Knast zu kommen, ausgewiesen und gewaltsam in sein Herkunftsland abgeschoben zu werden, dann sind alle Bedingungen erfüllt, damit er sich fügsam und hilflos seinem Ausbeuter ausliefert...
Je mehr sich die Schwarzarbeit ausdehnt, desto härter wird die Konkurrenz zwischen legalen und Schwarz-Arbeitern, zunächst in den entsprechenden Branchen, dann zwischen allen Branchen und schließlich werden die Löhne aller Arbeiter stark lädiert.
Schwarzarbeit und informeller Sektor insgesamt sind ökonomisch nicht zu vernachlässigen: Schwarzarbeit macht jährlich schätzungsweise 67 Mrd FF aus, das ist ungefähr 1% des Bruttoinlandsprodukts. Die »Untergrundökonomie« hat ein Volumen von 280 Mrd. FF, das sind ungefähr 4,5% des BIP.
Die Branchen mit dem höchsten Anteil an Schwarzarbeit sind der Tourismus (das Arbeitsministerium schätzt ihren Anteil dort auf 31%) sowie Bau, Textil und Gastronomie (je 26%).
Um gegen diese Geißel eines so großen Teils des Proletariats zu kämpfen, muß man den selbstmörderischen Rezepten, die die Kapital-Linke austüftelt, den Rücken kehren.
Wenn man nicht zuallererst die Unterschiede in der Behandlung von Arbeitern in derselben Kategorie und Branche angreift, wenn man nicht alle Strafen für Schwarzarbeitsdelikte aller Arbeiter (ob illegale oder nicht) abschafft, sondern im Gegenteil mehr Repression fordert, dann würde selbst eine Durchsetzung der weitgehendsten Legalisierung der SchwararbeiterInnen keine Reduzierung der Schwarzarbeit bewirken. 1982 haben massive Legalisierungen die Schwarzarbeit nicht etwa gebremst, sondern sie hat sich weiterentwickelt.
Im Gegenteil, ein bestimmter Grad von Unterdrückung verstärkt die Schwarzarbeit und steigert die Zahl der illegalen ArbeiterInnen, denn durch ihre Kriminalisierung und die Militarisierung ihrer Wohnviertel
- sinkt der Preis der illegalen Arbeit, indem er einer relativ schärferen Konkurrenz unterliegt
- werden noch mehr ausländische Lohnabhängige in die Illegalität gedrückt.
Außerdem will der Staat seine Verluste aufgrund der Schwarzarbeit verringern. Nach einem Parlamentsbericht vom Mai 1996 liegt es angeblich vor allem an den 800 000 illegalen EinwandererInnen (andere Quellen sprechen von »nur« 150 000 bis 350 000), daß der Staat 175 bis 235 Mrd FF an Sozialabgaben und Steuern verliert.
U.a. deshalb können wir aktuell, wo sich die Staatskassen nur schlecht wieder füllen, eine schärfere polizeiliche Unterdrückung der SchwarzarbeiterInnen beobachten.
Aber der Staat wird sich auf keinen Fall eine tödliche Schlacht mit den Einzelkapitalen liefern, die sich teilweise oder vollkommen seiner Verwaltungs- und steuerlichen Kontrolle entziehen. Schwarzarbeit ist bis zu einem bestimmten Punkt kein Widerspruch zur »legalen Arbeit«, man kann sogar sagen, daß diese beiden Facetten der Ausbeutung sich allein auf Kosten der Proletarier gegenseitig ergänzen und verstärken, und zwar unabhängig von deren rechtlicher Position gegenüber der Arbeit.
Der Aufschwung der Schwarzarbeit fällt mit der Explosion der prekären oder Gratis-Arbeit in allen ihren mehr oder weniger legalen Formen zusammen: nicht entlohnte Praktika, Leiharbeit, befristete Verträge, Sonderverträge für Jugendliche zu niedrigen Löhnen bei gleichzeitigen Steuersenkungen für die Unternehmer).
Außerdem entspricht es auch nicht der Tatsache, wenn man so tut, als sei Schwarzarbeit einzig und allein Sache der 'sans-papiers': laut der gerade erschienenen letzten Jahresbilanz ist der Anteil der Franzosen, die wegen »illegaler wirtschaftlicher Aktivitäten« bestraft worden sind, in den Jahren 1992 bis 1994 von 51% auf 57% gestiegen. Im Gegenzug fiel der Anteil der 'sans-papiers' von 17% auf 10%.
Unter diesen Bedingungen und ohne breite proletarische Bewegungen, die sowohl die illegalen Arbeiter an ihren Arbeitsstätten unterstützen als auch gegen die Sklavenhändler der Schwarzarbeit wirken würde, ist es verständlich, daß die 'sans-papiers' gefangen bleiben und trotz allem ihre mageren Löhne verteidigen.
Es wäre vollkommen falsch, nicht zu erkennen, daß die französische Arbeiterklasse aktuell noch weit davon entfernt ist, diesen Kampf zu ihrer eigenen Sache zu machen. [2] Wer die Illusion verbreitet, man könne durch viele verzweifelte Aktionen wie die von Saint Bernard etwas gewinnen - wie es während der letzten Monate die Parteien und Gewerkschaften der humanistischen Linken, die mutigen Ritter der französischen Republik und ihrer (!) Menschenrechte getan haben -, der wirft die geschwächten und entmutigten Proletarier dem Klassengegner zum Fraß vor.
FÜR DEN KOMMUNISMUS, 28. September 1996
Fußnoten:
[1] Förmlicher Appell an Präsident Chirac vom 20. August 1996, u.a. unterschrieben von linken FührerInnen von verschiedenen linken Parteien (wie Robert Jue, Arlette Laguiller, Alain Krivine, Jean-Pièrre Chevénement u.a.).
[2] Laut einer Umfrage von Le Monde vom 27.8.1996 sind 46 Prozent der befragten ArbeiterInnen den Aktionen der 'sans-papier' feindlich gesonnen, während nur 37 Prozent Sympathie bekunden. 19 Prozent der Befragten, aus allen sozialen Klassen, fordern die Lockerung der Pasqua-Gesetze, 4 Prozent deren Beseitigung; die übrigen teilen sich auf in 35 Prozent, die die Beibehaltung bzw. 33 Prozent, die die Verschärfung der Gesetze fordern.