Wildcat-Zirkular Nr. 33 - Januar 1997 - S. 2-4 [z33edito.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 33] [Ausgaben] [Artikel]

Editorial

Diese Nummer des Wildcat-Zirkulars enthält wieder zwei lange Übersetzungen, diesmal zum Thema »selbständige ArbeiterInnen«. Wie üblich sind wir längst nicht mit allem einverstanden, was darin steht, finden sie aber brauchbar für eine längst überfällige Diskussion und Untersuchung der »selbständigen Arbeit«, zu der wir im Zirkular 18 schon mal einige Thesen veröffentlicht hatten.

Da wir noch in der Diskussion stecken und nach wie vor keinen neuen politischen Vorschlag machen können, bleibt das Zirkular also zunächst weiter vor allem eine Materialsammlung.

Unsere eigene Krise, von der schon einige Male die Rede war, besteht vor allem darin, daß unsere Vorstellung von revolutionärer Praxis nicht mehr funktioniert. Wir sind zuletzt immer weniger über die bloße Behauptung hinausgekommen, daß es eine Arbeiterklasse gibt. So haben wir viel Mühe darauf verwandt, zu zeigen, daß Flüchtlinge in der BRD auch ArbeiterInnen sind. Praktisch-organisatorisch konnten wir immer weniger sagen, inwiefern darin eine revolutionäre Perspektive liegt.

In letzter Zeit wendet sich auch ein Teil der radikalen Linken wieder der »sozialen Frage« zu. Das mag auch daran liegen, daß Streiks und Arbeiterdemos vorsichtig wieder aufflammen. In der Öffentlichkeit und meist auch bei den Beteiligten kann sich dabei immer noch die Gewerkschaft als Initiatorin und Kontrolleurin in Szene setzen. Ironischerweise macht sie dies für Linke wieder interessant. Auf der Suche nach theoretischer Orientierung landen die meisten bei der »Regulationstheorie« von Joachim Hirsch und Co., die einen neuen »radikalen Reformismus« mit jeder Menge staatlicher Interventionen und Regulierungen fordert.

Wir werden den Keynesianismus, den wir selbst zerstört haben, nicht wieder herbeibetteln. Wir wollen nicht mithelfen, alle neu entstehenden Ansätze von Klassensubjektivität gleich wieder in irgendwelche reformistischen Projekte (wie den von Bourdieu vorgeschlagenen »europäischen Sozialstaat«) zu kanalisieren.

Gegen die derzeit grassierenden Mythen sind besonders die beiden Artikel von Holloway im Zirkular 28/29 ganz hilfreich. In Aufstieg und Niedergang des Keynesianismus zeigt er, daß der heute als »Errungenschaft der Arbeiterbewegung« oder »Klassenkompromiß« gefeierte Sozialstaat ein historisches Ausbeutungsmodell war, das erst mithilfe massiver Repressionen und zweier Weltkriege durchgesetzt werden konnte.

Globales Kapital und Nationalstaat richtet sich gegen Vorstellungen, der Staat stehe quasi »über« dem Kapitalismus, gegen den »Markt«, und sei eine Art neutrale Institution. Holloway zeigt, daß der Staat selbst Teil des Kapitalverhältnisses ist.

Bei dieser theoretischen Ableitung aus dem Begriff des Kapitals bleibt Holloway jedoch leider stehen. Weder untersucht er die historische Entwicklung des Staates, noch beschäftigt er sich mit den widersprüchlichen Eigenschaften des Staates als Sozialstaat (der die Gesamtreproduktion des auf seinem Gebiet lebenden Teils der Klasse verwaltet). Daher tritt der Staat im zweiten Teil des Textes (»Staubecken«) recht unvermittelt als Subjekt auf.

Ähnlich widersprüchlich geht er mit »dem Kapital« um. Zunächst führt er aus, daß das Kapitalverhältnis sich in »Ökonomie« und »Politik« verdoppelt. Später aber taucht »das Kapital« im Gegensatz zum Staat auf, das als Subjekt agiert und mit dem ausdrücklich nicht die Kapitalisten gemeint sind. Trotz Lippenbekenntnissen (»der Honig kommt letztenendes nur aus der Produktion«; S. 106) steht eigentlich immer das Geld im Mittelpunkt. Das Geld wird zum Subjekt aller gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.

In dieser Art von Argumentation kann die Arbeiterklasse tatsächlich nur als Problem für das Kapital auftauchen - aber nicht als historisches Subjekt mit einer eigenen Logik und der Möglichkeit eines bewußten revolutionären Projektes.

Den Zusammenhang von objektivem Kapitalverhältnis und Subjektivität hatten in den 60er und 70er Jahren die Operaisten formuliert: Sie stellten fest, daß die »Rebellionsweise« des Massenarbeiters aufs engste mit der Produktionsweise in der Fabrik zusammenhing, daß der Kampf gegen das Fließband unmittelbar identisch mit dem Kampf gegen die Arbeit an sich war. Diese gesellschaftliche Figur »Massenarbeiter« konnte damit zum zentralen, weil alle anderen Arbeiterschichten mit sich ziehenden Subjekt einer revolutionären Klassenkonstitution werden. Das war mit der »politischen Klassenzusammensetzung« gemeint, die sich direkt aus einer bestimmten »technischen Zusammensetzung« der ArbeiterInnen unter dem Kapital ergab.

Der Umstrukturierungsangriff des Kapitals seit Mitte der 70er Jahre (der bei Holloway und Co. hinter den Geldbewegungen verschwindet) richtete sich genau gegen diese technische Zusammensetzung. Damit geriet auch das Konzept der politischen Klassenzusammensetzung in die Krise. Toni Negri u.a. versuchten zwar noch mit dem Schlagwort vom »gesellschaftlichen Arbeiter« die ganze Gesellschaft zum zentralen Subjekt zu erklären, aber das löste nicht das Problem, daß die einzelnen Arbeits- und auch Kampfrealitäten in dieser Gesellschaft immer weiter auseinanderdrifteten.

Tatsächlich ist die Frage, ob es noch ein zentrales Subjekt geben kann, bzw. wer das sein könnte, völlig offen. Es ist nicht mal klar, ob eine universelle antikapitalistische Revolution ohne ein universelles Projekt und ein universelles Projekt ohne ein solches Subjekt möglich ist. Klar ist nur, daß sich diese Fragen einzig praktisch beantworten lassen, und das heißt für uns auch, genau hinzusehen, wer wie arbeitet und wie das Kampfverhalten mit den Widersprüchen zusammenhängt.

Daß diese Untersuchung nur militant (d.h. von innen, mit einem praktischen Interesse) Sinn hat, zeigt der Bericht über die Interventionsversuche im CentrO. Unser Versuch, eine Kampagne gegen Razzien gegen »illegale ArbeiterInnen« loszutreten, machte uns die Probleme beim Herangehen von außen sehr deutlich: Wir haben zwar mit etlichen Leuten Interviews gemacht und intensiv die einschlägige Literatur gewälzt, aber das hat ironischerweise eher dazu geführt, daß wir ziemlich kurzfristig von Rassisten (Wildcat 60) zu Szene-Experten für Arbeitsmigration befördert wurden. Unsere politischen Vorschläge sind dabei untergegangen - vielleicht zu Recht, weil wir sie mehr an die »politische« linke Diskussion gerichtet hatten, als an die KollegInnen auf der Arbeit.

Ähnliche Kriterien sollten wir an die Untersuchung der »selbständigen Arbeit« anlegen. Im Moment haben wir allerdings hauptsächlich Fragen:

Nachdem Selbständige früher üblicherweise als »Kleinbürger« abgetan wurden, wird die »neue Selbständigkeit« inzwischen recht breit als Teil des Denzentralisierungs- und Flexibilisierungsangriffs gegen die Macht der Arbeiter in den großen Fabriken diskutiert.

Wenn es stimmen sollte, daß die Arbeitszeiten der selbständigen ArbeiterInnen länger und ihre Reallöhne niedriger sind als die vergleichbarer (?) abhängig Beschäftigter: Bedeutet das einfach einen Sieg des Kapitals? Hat sich das Kapital mithilfe einer Selbständigkeitsideologie restlos die Kreativität und Kooperation der ArbeiterInnen angeeignet?

Weiterhin fragt sich, ob die ArbeiterInnen nur Opfer der Unternehmerstrategie sind, oder ob viele nicht auf diese Art mit den Füßen gegen die unerträglichen Bedingungen in der »abhängigen Arbeit« gestimmt haben. Wir vermuten, daß viele zwar die »Selfmade«-Ideologie gefressen haben und hoffen, persönlich den Absprung zu schaffen. Wir sehen in dem Versuch, ohne Chef und Hierarchie »selbstbestimmt« zu arbeiten, aber auch eine praktische Kritik am Fabrikkommando. Ebenso wie Tricksen gegenüber dem Finanzamt auch eine Art praktische Kritik am Staat ist. Keine revolutionäre, kollektive Kritik allerdings.

Wie wichtig ist dabei zum Beispiel das Gefühl, viel Geld in der Hand zu haben (auch wenn lieber niemand seinen dürftigen Nettolohn ausrechnet)?

Gibt es Brüche in dieser Entwicklung, bzw. wo könnten diese auftreten?

Ein nicht ganz neuer Punkt ist die Abhängigkeit der modernen Produktion von einem hohen Maß an Mobilität, Transport und Kommunikation. Könnte hier ein neues, zentrales Subjekt entstehen, das sich seiner Macht in diesem Produktionsprozeß bewußt ist?

Ein vielleicht wesentlicherer Punkt ist die hohe Kooperation zwischen den formal individualisierten ArbeiterInnen. Muß diese Kooperation im Sinne des Kapitals funktionieren, oder kann sich der weitgehend selbstorganisierte gesellschaftliche Charakter der eigenen Arbeit auch gegen das Kapital wenden?

Schließlich ist zu fragen, welche Form von Kämpfen möglich ist, wenn diese Arbeiter nicht mehr einem bestimmten Vorarbeiter, Chef usw. unterworfen sind, sondern es auf dem Markt mit »Kunden« zu tun haben, so daß der Zwang oft eher abstrakt greift oder verinnerlicht ist. Was ist mit den selbständigen Bauarbeitern, die Dachstühle zersägen, und den LKW-Fahrern, die mit Handys und LKWs kollektiv Autobahnblockaden organisieren? Was bedeutet es, wenn der Feind eher der Staat, der über die Steuer direkt in den Lohn eingreift, oder die Bank ist, die ihre Zinszahlung haben will und der man ein Schnippchen schlagen möchte.

Ob sich hier etwas Interessantes entwickelt, können wir nur herausfinden, wenn wir über Allgemeinplätze wie »Kleinbürger« oder »Opfer« hinauskommen.

B./P./T.


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 33] [Ausgaben] [Artikel]