Hamburg Hafenkrankenhaus - Hurra wir werden besetzt!
Im folgenden findet ihr zunächst das von uns verteilte Flugblatt, dann einen Text, der versucht, die Bewegung rund um das Krankenhaus darzustellen, aber auch zu kritisieren.
Es geht um mehr als um das Hafenkrankenhaus!
Wir begrüßen und unterstützen die Besetzung des Hafenkrankenhauses! Sie ist ein Zeichen, daß wir uns die herrschende Politik nicht gefallen lassen müssen, daß wir selbst die Dinge in die Hand nehmen können.
Wenn die Fragen aber weiter so gestellt werden wie jetzt, halten wir eine Niederlage für vorprogrammiert - und zwar auch, wenn das Hafenkrankenhaus nicht geschlossen wird. Denn es geht nicht nur um die Schließung des Hafenkrankenhauses, sondern um das ganze Gesundheitswesen und um unsere Arbeits- und Lebensbedingungen insgesamt.
Krankheit fällt nicht vom Himmel: Diese Gesellschaft macht krank. Und Krankenhäuser wurden nicht eingerichtet, um die Ursachen fürs Kranksein abzuschaffen, sondern um uns zusammenzuflicken, damit wir auch morgen wieder schön arbeiten gehen können. Bisher hat der Staat das genauso bezahlt wie Militär oder Schulen: kein Unternehmer konnte was dran verdienen, aber es war nötig, damit das System als ganzes funktioniert.
Das hat sich geändert: Inzwischen ist die Medizin eine Großindustrie, die fette Gewinne abwirft: für die Pharmakonzerne und die Gerätehersteller, die privaten Krankenkassen und die neu entstehenden Krankenhauskonzerne. Auch der Hamburger Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), in dem die städtischen Kliniken zusammengeschlossen sind, soll sich im Zuge der Privatisierung in so einen Konzern verwandeln oder in Einzelteilen an andere Konzerne verkauft werden. Die Schließung des Hafenkrankenhauses gehört zu den konzerninternen Umstrukturierungsmaßnahmen.
Begründet werden alle »Gesundheitsreformen« und »Strukturreformen« der letzten Jahre mit der angeblichen »Kostenexplosion« im Gesundheitswesen. Das ist aber aus zwei Gründen Quatsch: Erstens sind die Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt seit 20 Jahren konstant geblieben; zweitens klagt die Autoindustrie ja auch nicht darüber, daß sie heute mehr Geld für ihren Maschinenpark ausgibt als vor 20 Jahren. Sie weiß nämlich, daß sie mit den Maschinen ihre Produktivität erhöhen, ihre Gewinne steigern konnte. Und auch in der »weißen Fabrik« ist die Produktivität gestiegen: Mehr PatientInnen werden schneller durchgeschleust, es stehen teure Maschinen rum, deren Auslastung Gewinne verspricht.
Wenn die Betreiber von zu hohen »Kosten« reden, meinen sie, daß die PatientInnen zu lange rumliegen oder daß sie zu viel Personal bezahlen müssen. Ob als PatientInnen oder als ArbeiterInnen: Wir sind für sie immer bloß Kosten in der Bilanz. Dagegen richten sich alle »Reformen«: gegen uns!
Bei der Besetzung des Hafenkrankenhauses wird bisher nur über die Probleme und Bedürfnisse »des Stadtteils«, d.h. der PatientInnen geredet.
Mal abgesehen davon, daß es auf Probleme wie Armut, Obdachlosigkeit und Schußverletzungen wohl andere Antworten geben müßte als ein Krankenhaus, ist sehr auffällig, daß bisher so gut wie gar nicht von den Problemen der Beschäftigten die Rede war. Das Klischee von der Krankenschwestern mit Helfersyndrom ist so alt wie teilweise wahr, aber reden wir doch mal von den Veränderungen in den letzten Jahren:
Nach den unabhängigen Versammlungen Ende der 80er Jahre und der Massenflucht des Pflegepersonals aus den Krankenhäusern sind die Bedingungen erstmal etwas besser geworden: höhere Löhne und keine Putzarbeiten mehr. Die werden seither von anderen Leuten mit noch schlechteren Löhnen gemacht. Die übriggebliebene reine Pflegearbeit wird mit »Pflegedokumentationssystemen« rationalisiert, das heißt vor allem: verdichtet und anstrengender. Die festen Stellen werden überall zusammengestrichen. Neue Leute werden - wenn überhaupt - nur noch befristet eingestellt; die gröbsten Lücken werden mit PflegerInnen von Zeitarbeitsfirmen abgedeckt. Viele Leute haben sich jahrelang ganz gut mit 8 oder 10 Nachtschichten im Monat finanziert. Das ist immer weniger möglich, weil die Leitung in vielen Krankenhäusern die reinen Nachtschichten auflöst und der Staat die Nachtzuschläge jetzt besteuern will. Zum ersten Mal seit vielen Jahren gibt es sogar wieder arbeitslose KrankenpflegerInnen.
Die Schließung des Hafenkrankenhauses ist ein Angriff auf alle Beschäftigten des LBK! Neben Immobilienspekulation und der Überlegung, daß die SPD in St. Pauli eh keine Wähler mehr verlieren kann, geht es auch um die Schließung aller altmodischen und unrentablen LBK-Bereiche. Das Hafenkrankenhaus wird nicht das letzte Krankenhaus sein, das dichtmacht.
Niemand von den 430 Beschäftigten wird jetzt direkt wegen der Schließung des Hafenkrankenhauses entlassen. Erstmal werden alle nur in andere Betriebsteile des LBK, sprich in andere Krankenhäuser versetzt. Gleichzeitig ist aber jetzt schon klar, daß die Zeitverträge nicht verlängert werden sollen. Und in einem Jahr sollen im LBK mindestens 1.800 Stellen gestrichen werden. Als erstes sind dann die ZeitverträglerInnen dran, deren Verträge nicht verlängert werden. Als nächstes wird sich zeigen, wie sicher die unbefristeten Verträge wirklich sind. Das Management versucht jetzt, die Beschäftigten des Hafenkrankenhaus mit einem Sozialplan zu kaufen: Bei Zustimmung zur Schließung soll ihr Arbeitsplatz zwei Jahre sicher sein. Das würde aber bloß heißen, daß Leute aus den anderen LBK-Häusern als erste fliegen. Lassen wir uns nicht gegeneinander ausspielen!
Für diejenigen, die bleiben, bringen die Entlassungen auch nichts Gutes: Dadurch, daß es weniger PflegerInnen gibt, wird es ja nicht weniger Kranke geben. Selbst wenn noch mehr Leute mit »unrentablen« Krankheiten von den Krankenhäusern nicht mehr aufgenommen werden, ist jetzt schon klar, daß die Arbeitshetze durch die Stellenstreichungen noch zunehmen wird.
Gewerkschaft und Personalrat machen jetzt »konstruktive« Vorschläge. Wie bei jeder Betriebsschließung versuchen sie alles, um zu beweisen, daß der Laden rentabel arbeiten könnte. Man müßte nur alle Rationalisierungsreserven ausnützen, den bürokratischen Wasserkopf loswerden und neue Märkte und neue Investoren finden. In der Bavaria-Brauerei hat der Betriebsrat zur Verhinderung der Schließung sogar gerade freiwillig 8 Prozent Lohnkürzung angeboten. Beim Hafenkrankenhaus heißt die Idee »Gesundheitszentrum«. Um das Krankenhaus herum sollen lauter private, öffentliche und sogar unbezahlte Kleinbetriebe entstehen: Arztpraxen, Apotheken, Drogenberatungsstellen usw., die sich gegenseitig ergänzen und dadurch insgesamt kostengünstiger arbeiten würden.
Das trifft auch unter vielen Beschäftigten auf Zustimmung. Viele sind in den letzten Jahren aus der weißen Fabrik abgehauen und in die ambulanten Dienste gegangen, weil sie dachten, daß es dort menschlicher zugeht (spätestens die neuen Zeitvorgaben durch die Pflegeversicherung bedeuten da allerdings ein böses Erwachen).
Bei aller berechtigten Kritik am Krankenhausbetrieb ist dieser Vorschlag aber im wesentlichen ein alternatives Sparkonzept. Am Ende geht es drum, den Kassen zu beweisen, daß sie günstige Tagessätze anbieten können, und den Eigentümern zu beweisen, daß sie dabei noch Gewinn machen können. Und das wird auch hier nur mit kurzen Liegenzeiten und selektiver Aufnahmepraxis gegen die Patienten und mit schlechtem Stellenschlüssel, flexiblen Arbeitszeiten, schlechten Löhnen (auch durch Auslagerungen) gegen die Beschäftigten gehen. Also die gleiche Scheiße wie überall.
Und hier stellt sich für uns vor allem die Frage nach den Kampfbedingungen: Im Krankenhaus sind schon durch die Arbeitsorganisation viele Leute zusammen und können auch zusammen kämpfen. In den ambulanten Diensten sind wir vereinzelt und sehen uns höchstens mal bei der Dienstbesprechung mit der Leitung. Das soll nicht heißen, daß man hier nicht kämpfen kann, aber es wird schwieriger. Diskutieren wir das Konzept »Gesundheitszentrum« doch mal von unseren eigenen Interessen her: Nicht, ob es sich betriebswirtschaftlich »rechnet«, sondern was es für unsere Kampfbedingungen in den nächsten Jahren bedeuten könnte.
»Gesundheitszentrum« ist eine Art Flucht nach vorn: Statt auf die Privatisierung und Zerschlagung des LBK zu warten, macht sich der Personalrat selbst auf die Suche nach Investoren, die das Hafenkrankenhaus übernehmen könnten - weil auch sie glauben, daß man hier Profit machen kann.
Kein Zufall, daß Kiez-Großgrundbesitzer Bartels zur Zeit die Besetzung unterstützt: Er hat schon in den 80er Jahren das ehemalige Schwesternwohnheim gekauft und dort sein »Hotel Hafen Hamburg« gebaut. Jetzt würde er gern ins Hafenkrankenhaus einsteigen und in einem OP-Nachsorge-Tandem (ähnlich wie die Kombination Reha-Klinik/Steigenberger-Hotel an der Stadthausbrücke) mit seinem Hotel betreiben. Wer von den Beschäftigten soll wohl etwas davon haben?
Darüber wird im großen St.-Pauli-Patriotismus nicht geredet. Im Moment wird so getan, als wären wir alle in unserem wunderschönen Stadtteil eine große Familie: Der Chefarzt, die Schwester und die Putzfrau, der Puffkönig, der Lude und die russische Prostituierte, der Theaterdirektor und der Obdachlose. Am Ende kann sogar die CDU mitmachen. Vorsicht vor falschen Freunden!
Schließlich ist es ein Problem, daß die Besetzung bisher vor allem von außen getragen wird. Wir finden es gut, daß Leute von außen die Initiative ergriffen haben. Wenn die Besetzung nicht bloß in ein alternatives Sparkonzept oder in einen Stadtteilpatriotismus (am Ende vielleicht sogar gegen andere Krankenhäuser) münden soll, muß die Belegschaft selbst die Besetzung übernehmen.
Viele haben Angst, vielleicht ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Aber wenn alle zusammenhalten und mitmachen, dürfte es für die LBK-Leitung (und den dahinterstehenden Senat) ziemlich schwierig werden, Repressalien gegen einzelne Leute zu ergreifen. Erst recht, wenn sich die Bewegung auf andere Krankenhäuser ausweitet. Wie gesagt: der Angriff richtet sich nicht bloß gegen die Leute im Hafenkrankenhaus, sondern gegen alle. Also ist es im Interesse aller, jetzt aktiv zu werden und sich zu wehren.
Die heutige Montagsdemo (am 17.2.97) geht vom Gewerkschaftshaus weg. Das sollte nicht bloß symbolisch sein! Die Gewerkschaft hat an den ganzen Umstrukturierungen aktiv mitgeplant. Die ÖTV hat sich in den letzten Jahren kein einziges Mal eindeutig gegen die Schließung des Hafenkrankenhauses ausgesprochen.
Die einzige Funktion der Gewerkschaften ist, immer dann, wenn wir mal aktiv werden, mit kämpferischen Sprüchen aufzutreten und uns den Kampf aus den Händen zu nehmen. Am Ende passiert dann gar nichts! Ein gutes Beispiel war das Theater um die Lohnfortzahlung. Angeblich hat die Gewerkschaft einen großen Sieg für uns errungen. Im Windschatten wurde aber ein ganzes Paket von Verschlechterungen beim Weihnachtsgeld, der Flexibilisierung der Arbeitszeit usw. durchgesetzt. Und dann hat die Gewerkschaft auch noch versprochen, das Krankfeiern zu bekämpfen. Vielen Dank!
Wir können uns nur selber helfen. Kommen wir zusammen, diskutieren wir, werden wir aktiv!
Ein Treffen für Leute aus dem Pflegebereich (und Interessierte aus anderen Bereichen) findet am Sonntag, 23.2.9 in der Pflegeschule im besetzten Hafenkrankenhaus statt.
Keine Schließung des Hafenkrankenhauses oder anderer Häuser!
Sofortige Rücknahme aller geplanten Stellenstreichungen!
Stattdessen Neueinstellungen!
Umwandlung aller Zeitverträge in unbefristete Verträge!
Initiative Rettet das Faultier
Weniger Arbeit, mehr Leben!!!
Der Konflikt um die Schließung des Hamburger Hafenkrankenhauses hat in den letzten Wochen breite Aufmerksamkeit hervorgerufen. Lange Berichte in den Zeitungen, Fernsehsendungen ... Die verschiedensten Gruppierungen versuchen ihr Süppchen auf der Bewegung zu kochen: Lokalpolitiker von autonom über grün bis schwarz, Gewerkschafter, Geschäftsleute.
Wir haben das ganze zunächst aus Bewohner des Stadtteils betrachtet; erst mit der Besetzung durch AktivistInnen der Stadtteilinitiative haben wir versucht, uns ein paar genauere Gedanken zur Situation zu machen, und schließlich ein Flugblatt geschrieben. Auch ohne spezielle Kenntnis der konkreten Situation war uns schon klar, daß die »Breite« der Bewegung eher eine Schwäche ist: Was soll dabei rauskommen, wenn vom Chefarzt bis hin zu den diversen Lokalpolitikern alle »eigentlich« gegen die Schließung sind und sich »irgendwie« aus den unterschiedlichsten Motiven an den Mobilisierungen beteiligen? Bewegungen dieser Art hat es schon einige gegeben, und es wird nicht die letzte gewesen sein, auch wenn uns Kämpfe mit eindeutigerer Richtung oder klarer gezogenen Grenzen eher vom Hocker reißen würden. Die Probleme, die sich im Artikel und auch im Flugblatt widerspiegeln, zeigen, daß es nicht nur ein Hamburger Thema ist, wie wir mit solchen und ähnlichen Situationen umgehen können.
Wir sahen als Hauptproblem, daß das Krankenhaus von außen, von einer Stadtteilinitiative besetzt wurde, und nicht von der Belegschaft. Diese kam nur vor wie ein Teil des Mobiliars und nicht so, als könnten sie selbst Subjekte eines Kampfs sein. Nicht mal der ziemlich naheliegende Zusammenhang zwischen der Schließung des Hafenkrankenhauses und der geplanten Entlassung von tausenden von Beschäftigten im Gesamt-Krankenhauskonzern wurde öffentlich hergestellt. Trotzdem war immer von »Betriebsbesetzung« die Rede, und auf dieser Schiene hängte sich nach und nach auch fast die ganze linke Szene rein. Deswegen haben wir uns überlegt, ob wir uns einmischen sollen, und nach etlichen Gesprächen mit anderen Unzufriedenen - darunter vielen, die im Gegensatz zu uns selbst im Gesundheitswesen arbeiten - schließlich ein Flugblatt gemacht. Die Idee war, diese ArbeiterInnen zusammenzubringen, die Diskussion von der Beschränkung auf die Standortfrage lösen und zu versuchen, einen »Arbeiterstandpunkt« in die Bewegung reinzubringen. Wir dachten, wir könnten vielleicht von außen einen Anstoß dazu geben, daß die Beschäftigten selbst in eigener Sache aktiv werden, auch damit draußen klarer wird, daß im Krankenhaus überhaupt Leute arbeiten müssen.
Vor allem wollten wir wissen, warum die ArbeiterInnen des Hafenkrankenhauses das Krankenhaus nicht selbst besetzt und stattdessen individuell andere Lösungen gesucht haben. Im Laufe der Zeit wurde immer deutlicher, daß das viel damit zu tun hatte, daß es nicht unmittelbar um einen »Kampf um Arbeitsplätze« ging. Die meisten waren der Linie des Personalrats gefolgt, frühzeitig Versetzungsgesuche an andere Kliniken zu unterschreiben und den Personalrat um Garantien darüber verhandeln zu lassen. Am ehesten bedroht fühlen sich viele Ältere, die bei Vorstellungsgesprächen an ihren neuen Arbeitsplätzen als erstes gesagt bekamen, wenn sie nicht Dreischicht (statt bisher Zweischicht) arbeiten wollten, könnten sie gleich wieder abhauen. Allgemein befürchten viele, woanders schlechter dazustehen. Andererseits sind gerade Leute, die auf »miesen« Stationen (z.B. Innere) gearbeitet haben, froh, wegzukommen. Vielen ist es auch einfach egal, so daß die Belegschaft faktisch abbröckelt.
Für uns wurde ziemlich deutlich, daß es schwer möglich ist, die Interessen der Beschäftigten zu thematisieren, wenn diese das selber kaum tun (auch wenn das nicht für alle stimmt: z.B. wehren sich einige KrankenpflegeschülerInnen gegen ihre Versetzung, s.u.). Dann stellt sich aber auch die Frage, was allein mit einer Besetzungsaktion durch die ArbeiterInnen der Klinik gewonnen gewesen wäre. Es hat wenig Sinn, die ArbeiterInnen der Klinik abstrakt gegen die Arbeiterklasse im Stadtteil zu stellen. Der »Arbeitsplatzbesitz« im konkret betroffenen Betrieb hat schon oft zu rein defensiven Abwehrkämpfen und fürchterlichen Argumentationen geführt. Wir haben im Flugblatt versucht, mit diesem Problem umzugehen, indem wir auf die Folgen der sogenannten Gesundheitsreform für PatientInnen und Beschäftigte hingewiesen und gesagt haben: Arbeitsbedingungen sind Kampfbedingungen, - am Beispiel der ambulanten Dienste, die viele PflegerInnen eine Zeitlang als Alternative zum Krankenhaus gesehen hatten. Am Schluß haben wir aber auch wieder versucht, mit »weitergehenden« reformistischen Forderungen (die in dem Moment niemand aufstellte: z.B. Neueinstellungen) die Bewegung zu »radikalisieren«. In einer anderen Situation könnte genauso gut die Gewerkschaft solche Forderungen aufgreifen, und von einer grundsätzlichen Kritik bliebe wenig übrig.
Die Bewegung ging scheinbar von der anderen Seite, vom »Patientenstandpunkt« an das Problem heran: daß mit der Schließung der Klinik wieder mal die Kosten der sogenannten Gesundheitsreform auf die »sozial Schwachen« abgewälzt werden (und daß sowieso alle gegen St. Pauli sind). Aber auch das stimmt nicht: unterm Strich blieben nur alternative Sparvorschläge, die zudem mit der Arroganz argumentierten, »wirtschaftlicher« und »gesünder« zu sein. Die teilweise durchaus vorhandene Kritik an der herrschenden Medizin wird umgedreht in selbstorganisierte Konzepte für ein effizienteres und billigeres Gesundheitssystem. Das zeigt sich auch an der Zusammensetzung der Initiative: Neben allen möglichen Politikern (bis hin zur Hafenstraße, die jetzt beweisen kann, daß ihre Integrationsstrategie für den ganzen Stadtteil funktioniert) bestand sie vor allem aus SozialarbeiterInnen, HeilpraktikerInnen, linken Ärzten usw. Viele von ihnen hoffen, persönlich im »Gesundheitszentrum« unterzukommen, dadurch ihre ABM-Projekte abzusichern oder sich eine eigene Praxis aufbauen zu können. Die Ursachen für Krankheit tauchen höchstens noch am Rande auf, und der Widerspruch, daß wir subjektiv gesund werden wollen, es aber ein gesellschaftliches Interesse gibt, uns für die Arbeit zusammenzuflicken, schon gar nicht mehr.
Das Flugblatt, bzw. unser Schritt, uns in den Konflikt einzumischen, hat für uns erstmal die Fragen deutlicher werden lassen. Vor allem hat er überhaupt die Möglichkeit eröffnet, die Fragen breiter zu diskutieren, sie mit den praktischen Widersprüchen zu konfrontieren. Auf das Flugblatt gab es ziemlich viel positive Resonanz. So gesehen hatte die Bewegung auf jeden Fall ein paar positive Auswirkungen: Leute aus dem Gesundheitsbereich, die seit Jahren nichts mehr gemacht haben, wollen wieder miteinander diskutieren, es gibt Ideen zu Treffen, Thesenpapieren ... Mal sehen!
Chronik
Im Sommer 1995 beschließen die Leitung des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK), in dem die 10 städtischen Kliniken zusammengefaßt sind, und die Gesundheitsbehörde im Zuge der konzerninternen Umsetzung der Gesundsheitsreform die Schließung des Hafenkrankenhauses für Ende 1997. Es gibt zwar Proteste der Belegschaft auf den ÖTV-Aktionstagen; die mit der regierenden SPD völlig verfilzte ÖTV im Gesamtpersonalrat stimmt der Schließung allerdings zu. Der CDU-nahe Personalratsvorsitzende des Hafenkrankenhauses ist zwar gegen die Schließung ist, unternimmt aber nichts. Ende 1996 wird bekannt, daß schon zum 1. März 1997 Schluß sein soll. Daraufhin geht der Chefarzt an die Presse und wirbt gegen die Schließung. Eine Personalrätin stellt ein alternatives Sanierungskonzept »Gesundheitszentrum 2000« vor, das die Ansiedlung von Arztpraxen, Apotheken und Sozialeinrichtungen um das Krankenhausherum vorsieht. Das hauptsächlich von Stadtteilinitiativen und Sozialeinrichtungen getragene Bündnis »Ein Stadtteil steht auf« organisiert Montagsdemos. Auf den Demos laufen neben PflegerInnen, SozialarbeiterInnen und Autonomen auch andere ArbeiterInnen mit: türkische Stationshilfen aus dem kirchlichen Marienkrankenhaus, die Ende März entlassen werden sollen, tragen ein eigenes Transparent; ab Anfang Februar auch Arbeiter von der Bavaria Brauerei in St. Pauli, die von der Dortmunder Konzernmutter Brau und Brunnen AG geschlossen werden soll. Am 3. Februar besetzt eine Gruppe von Leuten während der Montagsdemo spektakulär vor laufenden Fernsehkameras das Krankenhausportal und richtet sich in der schon leergeräumten Station D ein. In Flugblättern und Presserklärungen fordern sie den Erhalt der Klinik, die Umsetzung des alternativen Sanierungskonzepts und die Einrichtung eines runden Tischs aus Politikern, Beschäftigen und »Bevölkerung des Stadtteils«. Betriebsräte und Vertrauensleute von Hamburger Großbetrieben schicken Solidaritätsadressen, Obdachlose richten sich in dem von den BesetzerInnen aufgestellten Presse- und Versammlungszelt ein. Die angekündigten öffentlichen Plena haben, soweit sie überhaupt stattfinden, reinen Verkündigungscharakter, und Diskutierwillige stehen immer wieder vor den verschlossenen Türen von Station D, weil die BesetzerInnen lieber mit Medien und Politikern reden. Senat und LBK, die ursprünglich die völlige Schließung des Krankenhauses und die Verlegung der Ambulanz gefordert hatten, sagen zunächst den Erhalt der Ambulanz zu. In Verhandlungen hinter den Kulissen schält sich heraus, daß alle Seiten jetzt an einem »Gesundheitszentrum« interessiert sind. Auch die ÖTV schwenkt jetzt um und unterstützt offiziell das »Gesundheitszentrum«. Insofern hatte die Bewegung auf jeden Fall einen praktischen Erfolg, weil sie die völlige Schließung verhindert hat.
Gleichzeitig werden, um die Besetzung auszutrocknen, am 14. Februar die letzten stationären Patienten rausgeschmissen. Die meisten Beschäftigten sollen am 3. März ihre neuen Stellen antreten. Die Besetzer veranstalten einen »Tag der offenen Tür« auf Station D und überlegen gemeinsam mit einigen Personalräten, wie sie das Krankenhaus wieder vollbekommen können, aber die Krankenhausärzte halten sich aus Angst an das Aufnahmeverbot des LBK.
Am 17. Februar ist die letzte Personalversammlung: Auf Drängen des Personalrats, der droht, daß es sonst Kündigungen geben werde, stimmt die große Mehrheit der 200 Anwesenden für die »rein formelle« Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung, nach der alle Beschäftigten woanders im LBK weiterbeschäftigt werden und »innerhalb von zwei Jahren nach erfolgter Arbeitsaufnahme im neuen Betrieb bei der sozialen Auswahl einmal übersprungen«, d.h. bei der für 1998 geplanten Entlassungswelle privilegiert werden. 14 Beschäftigte, die mit Nein gestimmt haben, nehmen sich privat einen Anwalt, um zu sehen, ob sie noch etwas machen können. Am 27. Februar bestellt der LBK die Krankenpflegeschülerinnen zu sich. Im Hafenkrankenhaus sind noch 75 Schülerinnen. Sie sollen in zwei Wochen in das 20 km südlich gelegene AK Harburg versetzt werden und sind dagegen. Der LBK drohte sofort mit fristlosen Entlassungen, falls der Anordnung nicht gefolgt würde. Am 28. Februar tritt erstmals der »Runde Tisch« zusammen: mit Senat, BesetzerInnen, IG St. Pauli (Einzelhändlerverband) und dem zukünftigen Chef der Notfallambulanz des Hafenkrankenhauses.