Wildcat-Zirkular Nr. 34/35 - März 1997 - S. 8-27 [z34splkw.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 34/35] [Ausgaben] [Artikel]

Der LKW-Fahrerstreik in Spanien im Februar 1997

(Zum Verlauf des Streiks siehe die Berichte eines spanischen Automobilarbeiters)

Vom 6. bis zum 19. Februar 1997 blockierten zigtausende LKW-Fahrer mit ihren Fahrzeugen Autobahnen, Landstraßen, Grenzübergänge, Häfen und Fabrikzufahrten in Spanien. Die europäische Automobilindustrie wurde diesmal noch härter getroffen, als bei dem Streik der französischen LKW-Fahrer im letzten November. Spanien ist mittlerweile nach Deutschland der zweitgrößte Teilelieferant für die Automobilindustrie. Viele der großen Autokonzerne, die in Europa produzieren, haben Montage- oder Zulieferfabriken in Spanien aufgebaut. Zwischen den Fabriken von Volkswagen, Opel-GM oder Ford in Deutschland und Spanien bestehen enge Produktionsbeziehungen, bei denen Teile »just in time« von Spanien an die Fließbänder in Deutschland geliefert werden. Daher gab es schon nach wenigen Tagen Probleme in den Fabriken von Volkswagen und Opel - und die Börse reagierte mit deutlichen Kursrückgängen bei Autowerten. Die Produktion von Vectra, Astra, Corsa und Polo mußte mehrere Tage unterbrochen werden, und insgesamt 25 000 ArbeiterInnen in der deutschen Autoindustrie wurden in Zwangsurlaub geschickt. In Spanien selbst waren fast alle Automobilfabriken und viele Zulieferbetriebe gezwungen, die Produktion zu drosseln oder vorübergehend einzustellen.

Der in ganz Europa vielbeachtete Streik der französischen LKW-Fahrer drei Monate zuvor (siehe die Analyse von Henri Simon, übersetzt in Wildcat-Zirkular Nr. 33) war mit Sicherheit ein wichtiger Auslöser für die Streikbewegung in Spanien. Und auf den ersten Blick ähnelten sich auch die Forderungen - die zentrale Forderung in Spanien war die Senkung des Rentenalters von 65 auf 60 Jahre. Die französichen LKW-Fahrer hatten im November 1996 mit ihren Blockaden die Senkung des Rentenalters von 60 auf 55 erreicht und damit in unmittelbarer Weise an die Bewegung vom Dezember 1995 in Frankreich angeknüpft. Damals hatten die Eisenbahner gegen die Heraufsetzung des Rentenalters von 55 auf 60 gekämpft und damit eine breite gesellschaftliche Bewegung ausgelöst (siehe Wildcat-Zirkulare Nr. 24, 25, 26 und 27). Die offensive Forderung nach einer Senkung des Rentenalters in der Privatwirtschaft auf das vom öffentlichen Dienst verteidigte Niveau lag auf der Hand, wurde aber nur von einigen kleinen Gruppen artikuliert. Die LKW-Fahrer haben nun mit ihrem Erfolg in dieser Frage eine Tür geöffnet, »durch die sich andere hereindrängen können« (Der LKW-Fahrerstreik in Frankreich, in: Wildcat-Zirkular Nr. 33) und es mittlerweile auch tun!

Der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang zwischen den Kämpfen der LKW-Fahrer in Frankreich und Spanien sowie die Bezugnahme von dänischen oder portugiesischen LKW-Fahrern auf diese Bewegungen lassen eine gewisse Zirkulation der Kämpfe erkennen. Auf der anderen Seite existieren große Unterschiede zwischen den verschiedenen Bewegungen. Objektiv befinden sie sich aufgrund der einheitlichen Entwicklung im europäischen Transportsektor in einer ähnlichen Situation und stehen vor denselben Problemen, aber gerade ein Vergleich dieser jüngsten Bewegungen in Frankreich und Spanien zeigt, wie schwierig es für die ArbeiterInnen in dieser Branche ist, sich selber als eine Klasse von Ausgebeuteten zu erkennen - obwohl sie sich in der unmittelbaren Praxis des Kampfs mehr und mehr als Klasse verhalten.

Im folgenden fassen wir Informationen aus Zeitungsartikeln zusammen und versuchen eine vorsichtige Einschätzung der Streikbewegung. Was unter den Fahrern abgelaufen ist, wie sie selber diskutiert haben, was die wesentlichen Motive für ihre Kampfbereitschaft und Entschlossenheit waren, wie sie zu ihren Verbänden stehen, die mit der Regierung verhandeln, über all das wissen wir kaum etwas. In den bürgerlichen Medien wurde darüber nicht berichtet und die gewerkschaftlichen und traditionellen Linken denken immer noch, mit diesen Leuten nichts zu tun zu haben.

Die »autónomos« - Arbeiter in der dezentralen Fabrik

Stärker als in Frankreich, Deutschland oder Italien beruht der Straßengütertransport in Spanien auf der Arbeit von Selbstfahrern, selbständigen Fuhrunternehmern, die nur einen LKW besitzen und hauptsächlich selber fahren. In Spanien werden sie »autónomos« oder »autopatrones« genannt. Aufgrund des hohen Anteils an Kleinunternehmern und Selbständigen, und weil die notwendigen Lizenzen auf einem Schwarzmarkt gehandelt werden, sind alle Zahlenangaben mit Vorsicht zu betrachten. Um mehr statistische Klarheit in dieser Grauzone zu schaffen, war 1993 ein nationales Komitee unter Beteiligung einiger Verbände von Fuhrunternehmern eingerichtet worden. Trotzdem werden von verschiedenen Seiten unterschiedliche Angaben über Umfang und Struktur der Branche gemacht. Nach den in der Presse zitierten »offiziellen« Quellen gibt es in Spanien 160 000 Straßentransportunternehmen mit 240 000 LKWs. Von diesen Firmen verfügen 122 000, also über 75 Prozent, über nur ein Fahrzeug. 31 000 Unternehmen, 20 Prozent, haben zwei bis fünf Fahrzeuge. 525 Firmen haben mehr zwanzig Fahrzeuge. Der größte Verband der Fuhrunternehmer, die CETM, spricht von 140 000 Firmen mit 235 000 Fahrzeugen, von denen 85 Prozent »autónomos« seien. Im Zusammenhang mit der Forderung nach niedrigerem Rentenalter wurde das

relativ hohe Alter der Fahrer betont: nach Angaben der Sozialversicherung gibt es 22 000 selbständige Fahrer, die zwischen 55 und 64 Jahre alt sind. Anderen Angaben zufolge sind 50 Prozent aller Fahrer zwischen 45 und 60, und etwa 22 Prozent über 60 Jahre alt.

Die Verbände der Fuhrunternehmer sehen das Hauptproblem der Branche und die Gründe für die schlechten Arbeitsbedingungen in dem Überangebot und der Konkurrenz unter den vielen Firmen. Sie sprechen von einem »Überangebot« von 25 bis 30 Prozent, das dazu führe, daß selbst die staatlichen Mindesttarife unterboten werden. Die früheren obligatorischen Frachttarife sind längst abgeschafft. Formal wird der Umfang des Straßengütertransport zwar seit zwanzig Jahren vom Staat durch die Vergabe von Lizenzen reguliert. Nach offiziellen Angaben gibt es 137 000 Lizenzen. Da diese Lizenzen aber übertragbar sind, werden sie auf einem Schwarzmarkt für umgerechnet 35.000 bis 50.000 Mark gehandelt (Umrechnung von Peseta in D-Mark hier und im folgenden: 100 Pta = 1,20 DM) und die Beschränkungen bei der Lizenzvergabe werden nicht eingehalten. Die wirkliche Zahl der Lizenzen liege daher um 30 bis 40 Prozent höher. In der Zukunft wird der Konkurrenzdruck noch zunehmen, da ab Januar 1998 Transportunternehmen aus anderen Ländern der EU in Spanien ohne Lizenz arbeiten können.

Über die Arbeitsbedingungen und Einkommen der LKW-Fahrer, insbesondere der Selbständigen, finden sich in der Berichterstattung während des Streiks kaum genaue Hinweise. Die Verbände berichten, daß wegen des starken Konkurrenzdrucks ständig gegen die gesetzlichen Fahrzeitbeschränkungen und Pausenregelungen (neun Stunden pro Tag und 45 Minuten Pause nach jeweils 4,5 Stunden) verstoßen werde, sowohl von den Beschäftigten der größeren Unternehmen wie von den Selbständigen. Seit Ende der 80er Jahre spielt die Frage der Anerkennung von Berufskrankheiten eine große Rolle bei allen Verhandlungen - die Zahl der Todesfälle soll im Straßengütertransport die höchste von allen Wirtschaftszweigen in Spanien sein.

Die Zeitung »El Pais« führt einige Zahlen zu Kosten und Löhnen an. Demnach kostet einen Unternehmer ein schwerer LKW inklusive Tariflohnkosten pro Kilometer etwa 1,56 Mark. Der Tariflohn für Fahrer betrage 32.000 Mark brutto pro Jahr, der in 15 Gehältern ausgezahlt wird. Dazu kommen 13.200 Mark Spesen. Das wären monatlich 2.670 Mark brutto plus 1.100 Mark Spesen (wobei unklar ist, ob die brutto oder netto sind). Voraussetzung für die Arbeit als Fahrer ist ein dreimonatiger Kurs, der 1.200 Mark kostet. Eine Lizenz für den nationalen und internationalen Transport kostet offiziell 24.000 Mark. Viele selbständige Fahrer arbeiten mit Transportagenturen zusammen, die von den Firmen Aufträge reinholen und weitervergeben. Sie zahlen den Fahrern zwischen 0,90 und 1,00 Mark pro Kilometer, was bedeutet, daß sie als Selbständige höchstens durch überlange Arbeitszeiten auf den Tariflohn kommen können.

Obwohl die Forderung nach früherer Rente im Mittelpunkt der Forderungen stand, bietet sie den selbständigen Fahrern keine Lösung ihrer Probleme. Im Durchschnitt haben sie sehr viel weniger in die Rentenkasse eingezahlt als die bei den großen Firmen angestellten Fahrer. Sie würden nur etwa 480 Mark Rente beziehen, angestellte Fahrer etwa 840 Mark.

Auch schon in den früheren Streiks war der Preis für Dieseltreibstoff ein Element der Forderungen, 1992 ging es vor allem um die hohe Steuerbelastung. Diesmal spielte er eine besondere, zumindestens auslösende Rolle für den Streik. Bis zum Juli 1996 wurden die Höchstpreise für Benzin und Diesel staatlich festgelegt. Vor der neoliberalen Privatisierungswelle, die noch von der letzten PSOE-Regierung eingeleitet wurde, befanden sich auch die meisten spanischen Mineralölkonzerne in staatlichem Besitz. Der »freie Wettbewerb« und die Freigabe der Preise führte aber nicht zu der versprochenen Preissenkung für die Verbraucher, sondern zu einem starken Preisanstieg, bei Diesel um 14 Prozent von 1,00 Mark auf 1,14 Mark. Nach Angaben des Arbeitgeberverbands CETM macht das Diesel 30 Prozent der Transportkosten aus.

Für die Verhandlungen über die Umstrukturierung und Regulierung des Transportsektors gibt es einen offiziellen Ausschuß für den Güterverkehr, das CNTC (Comité Nacional de Transportes por Carretera). Es wird von der CETM dominiert, die 70 Prozent der Sitze hat. Außerdem sind FENADISMER, die Transportarbeitergewerkschaft der UGT, und einige andere Verbände vertreten. Die FEDATRANS war zunächst auch im CNTC vertreten gewesen. Mit der Feststellung, daß es bei den grundsätzlichen Forderungen nicht weitergehe, hatte sie im Januar '97 die Verhandlungen verlassen und zum Streik ab dem 6. Februar aufgerufen. Als Forderungen des Streiks präsentierte sie eine Liste, die so auch im nationalen Komitee verhandelt wurde und seit 1986 auf der Tagesordnung steht:

Die korporatistische Grenzeder Forderungen

Es ist sehr schwer, von hier aus die Bedeutung der einzelnen Forderungen für die Beteiligung am Streik einzuschätzen. Wir wissen aus eigenen Erfahrungen, wie weit die offiziell aufgestellten Forderungen und die eigentlichen Beweggründe für einen Kampf auseinanderfallen können. Andererseits sagt das praktische Verhalten der Streikenden zu den Forderungen einiges aus, dies vor allem in einer Branche, wo Stellvertreter-Streiks wie in der BRD undenkbar sind. Kein Gewerkschaftssekretär oder Verbandsfunktionär kann hier mal eben die Errichtung einer Straßenblockade oder das Abfackeln des LKWs eines Streikbrechers anordnen oder sie stellvertretend für die zu Hause vorm Fernseher sitzende Mitglieder organisieren. Die breite Beteiligung am Streik, die weit über den Einfluß von FEDATRANS hinausging und sogar Unterverbände der Arbeitgeberorganisation CETM mitriß, zeigt, welche Wut in dieser Branche vorhanden ist und daß sich die Fahrer von den aufgestellten Forderungen zunächst einmal eine Verbesserung ihrer Situation erhoffen.

Wie in den Streiks von 1990 und 1992 bilden die Forderungen ein widersprüchliches Gemisch von Aspekten, in denen sich die Arbeiter dieser Branche einerseits als Arbeiter und andererseits als Unternehmer betrachten (siehe Wildcat 60, Oktober 1992). Auf der einen Seite gibt es Forderungen, die sofort alle Ausgebeuteten verstehen können (Senkung des Rentenalters, Anerkennung von Berufskrankheiten), auf der anderen Seite Forderungen, die sich auf diese spezielle Branche und die formale Selbständigkeit beziehen (Dieselpreis, Frachttarife, Zahl der Lizenzen). Die Regierung versuchte, an den sektorspezifischen Forderungen anzusetzen, den Streikenden eine staatlich geförderte Umstrukturierung der Branche zu versprechen (die auch von allen, selbst der FEDATRANS gefordert wird!) und sie über das korporatistische Gremium CNTC in diese Umstrukturierung einzubeziehen. Damit soll der allgemeine Klassencharakter dieses Konflikts dahinter verborgen werden, daß es sich um besondere Probleme einer Branche handele, d.h. gleichermaßen der Arbeiter und Kapitalisten in diesem Bereich. Im Verlauf des Streiks war die Regierung aber gezwungen, direkte Verhandlungen mit dem Streikkomitee und FEDATRANS aufzunehmen, was die großen Verbände der Fuhrunternehmer im CNTC sichtlich verärgerte. Obwohl dies zunächst ein Scheitern der bisherigen korporatistischen Strategie darstellte, fügte sich FEDATRANS - dankbar für diesen ungewohnten Achtungserfolg - schnell in die Rolle eines »verantwortungsbewußten« Verhandlungspartners und nahm dem Streik damit seine Dynamik (siehe die nebenstehenden Briefe aus Spanien).

Im Vergleich zur Entwicklung der Kämpfe im französischen Transportsektor fallen wichtige Unterschiede auf (siehe Wildcat-Zirkular Nr. 33). Der französische LKW-Fahrerstreik von 1992 hatte sich in erster Linie gegen die Einführung eines Punktesystems beim Führerschein gerichtet, der die Fahrer zur Beachtung der Verkehrsregeln zwingen sollte. Die Forderung gegen dieses Punktesystems stellte eine »Verbrüderung« von Chefs und Arbeitern in dieser Branche dar, auch wenn die Arbeiter mit ihren Barrikaden in einen praktischen Gegensatz zur kapitalistischen Produktion traten. Gerade die Chefs haben das Interesse, daß die Fahrer unter Mißachtung aller Regeln und bei Mißachtung von Menschenleben das letzte aus sich und dem eingesetzten Kapital herausholen. Die entscheidende Frage ist hier, ob die Fahrer sich nur gegen die Beachtung der Verkehrsregeln wenden, und damit kurzschlüssig die Interessen ihrer Chefs verteidigen, oder ob sie die Verantwortlichkeit der Unternehmer zum Thema machen. Während des Streiks in Spanien berichtete »El Pais« von einem Prozeß in Frankreich gegen einen Fahrer, der drei Kinder überfahren und getötet hatte. Dabei wurde der Fahrer zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und der Unternehmer zu 18 Monaten, weil er dafür verantwortlich sei, daß der Fahrer fast tausend Kilometer ohne Pause gefahren war und halb schlafend den Unfall verursacht hatte. Diese gewandelte Rechtsprechung reflektiert die Kämpfe der LKW-Fahrer, in denen sie die extremen Ausbeutungsbedingungen als wesentliche Ursache für solche Unfälle thematisierten.

Beim Streik im November 1996 gingen die Arbeiter sofort über die von den Chefs vorgeschlagene Forderung nach billigerem Diesel hinaus, die so wie die Ablehnung des Punkteführerscheins die Gemeinsamkeit von Unternehmern, Selbstfahrern und Lohnabhängigen in einer besonderen Branche betont: sie thematisierten die extremen Arbeitszeiten, die geringe Bezahlung, die Nicht-Bezahlung von Wartezeiten und Auswärtsübernachtungen, die zehn Karenztage bei Krankheit und schließlich die seit der breiten Streikbewegung vom Dezember 1995 allgemeinste Klassenforderung: die Senkung des Rentenalters auf 55. Im Unterschied zu Spanien war es für die LKW-Fahrer in Frankreich leichter, zu einem Bezugspunkt des allgemeinen Klassenkampfs zu werden. Zum einen ist der Anteil von Selbstfahrern in Frankreich (12 Prozent) sehr viel geringer als in Spanien, zum anderen standen sie aufgrund der Bewegung im Dezember 1995 von vornherein in einer Klassenfront. Sie bewegten sich in einem Umfeld von allgemeiner Solidarität, von der die spanischen LKW-Fahrer nur träumen konnten.

In Spanien verband sich die Forderung nach einer Senkung des Rentenalters für eine bestimmte Berufsgruppe nicht mit einer allgemeinen Diskussion und Bewegung für eine geringere Lebensarbeitszeit. Stattdessen wurden unweigerlich die sektorspezifischen Argumente in den Vordergrund gestellt. Von Anfang an haben die Verbände mit der notwendigen Umstrukturierung der Branche im Sinne eines Abbaus des Überangebots von Transportkapazität argumentiert. »Nach dem Standpunkt der Streikenden wäre die Frühverrentung eine Möglichkeit, ohne große Traumata zur Selbstregulierung des Sektors zu kommen (72 Prozent der Fahrer sind über 44 Jahre). Damit, meinen sie, könnte man den Umfang des Sektors um 16 bis 18 Prozent verringern. Dafür ist es notwendig, daß das Transportministerium die Transporterlaubnis übernimmt und denen, die den Beruf verlassen, eine würdige Pensionierung garantiert.« (Wildcat 60, zum Streik von 1992) In den letzten Jahren hatte die Regierung »Aussteigerprogramme« für LKW-Fahrer angeboten, die nicht auf Leistungen der Rentenversicherung zurückgriffen, um keinen Präzedenzfall für andere Arbeitergruppen zu schaffen. In diese Richtung orientierte sie daher die Verhandlungen während des Streiks. In dem Abkommen zwischen Regierung und CNTC, das vom Streikkomitee zurückgewiesen wurde, heißt es in Punkt 4: »Die Arbeitsgruppen werden einen Hilfsplan für die Fahrer konkretisieren, die in den nächsten drei Jahren aus ihrem Job aussteigen wollen, als Fortsetzung des Programms, das in den Jahren 1992 bis 1995 auf 2 400 Fahrer angewandt wurde.« Dieses 120 Mio. Mark schwere Programm hatte jedem Fahrer, der seinen Job an den Nagel hängte, 24.000 Mark für eine internationale bzw. 18.000 Mark für eine regionale Lizenz gezahlt, außerdem 6.000 Mark pro Halbjahr, das zur regulären Rente mit 65 Jahren fehlt. Diese Zahlen klingen verlockend, aber unter dem Strich ist es bitter wenig: wer z.B. mit 60 Jahren aufhört, bekommt 24.000 Mark für die Lizenz plus 60.000 Mark als Ausgleich. Das bedeutet für die fünf Jahre ein monatliches Einkommen von 1.400 Mark - zu wenig, um ohne Schwarzarbeit über die Runden zu kommen.

Das Streikkomitee forderte dagegen die Senkung des Rentenalters von 65 auf 60 Jahren ohne Kürzung der Rente, und freiwillige Senkung auf 55 Jahre, wobei die gekürzte Rente durch den Verkauf der Lizenz aufgestockt werden soll. Auch das Streikkomitee knüpfte damit an den besonderen Bedingungen der Branche und der Selbständigkeit der Fahrer an. In dem Maße wie die Regierung an dem Punkt der Rente die kalte Schulter zeigte, verschob sich die Forderung noch weiter. Die Regierung hatte erklärt, es bedürfe längere Untersuchungen und Verhandlungen, um zu klären, ob sich eine solche Rentenregelung exklusiv für den Straßengütertransport schaffen ließe. Logisch, denn so wie in Frankreich nach dem Streik der LKW-Fahrer nun auch andere Gruppen die Senkung des Rentenalters für sich fordern, könnte ein Nachgeben an diesem Punkt eine breitere Dynamik auslösen. Aufgrund dieser unnachgiebigen Haltung verlegte sich das Streikkomitee darauf, lediglich das zwischen CNTC und Regierung ausgehandelte neue Aussteigerprogramm, das eine Dimension von 324 Mio. Mark haben soll (zum Vergleich: die Senkung des Rentenalters auf 60 im Straßengütertransport würde den Staat angeblich 1,8 Mrd. Mark kosten!), zu radikalisieren. Statt wie vorgesehen 1998 solle sofort damit begonnen werden.

Die Entwicklung in den Verhandlungen hat damit den Streik gerade am klassenpolitisch wichtigsten Punkt der Rente wieder in die Ecke einer besonderen »sektoralen Umstrukturierung« gestellt, über die er in der praktischen Machtentfaltung, durch die allgemeine Blockierung der kapitalistischen Produktion, also durch den Bezug auf die Stellung der LKW-Fahrer als Arbeiter im Produktionsprozeß, schon hinausgegangen war.

Streikdynamik und Streikfolgen

Der Streik beginnt nach dem Aufruf von FEDATRANS zunächst in Nordspanien (Baskenland, Kantabrien usw.), breitet sich dann aber schnell über das ganze Land aus. Es werden gezielt Knotenpunkte des Transports wie Autobahnen, Häfen und Grenzübergänge blockiert. FEDATRANS behauptet nach einigen Tagen, daß sich 80 Prozent der Fahrer dem Streik angeschlossen hätten. Angesichts der Tatsache, daß es immer wieder zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen streikenden und nicht-streikenden spanischen Fahrern kommt, scheint diese Angabe übertrieben. Die Medien sind allerdings selber von vornherein ein Instrument in der Mobilisierung gegen den Streik und ihre Berichte über solche Vorfälle mit Vorsicht zu genießen. Anders als beim LKW-Fahrerstreik in Frankreich, wo der Staat aufgrund der breiten Solidarität ein gewaltsames Vorgehen gegen die Streikenden nicht riskieren konnte, geht der spanische Staat sofort mit Polizei und der paramilitärischen Guardia Civil gegen die Blockaden vor. Es kommt zu heftigen Zusammenstößen und jeden Tag werden irgendwo LKW-Fahrer festgenommen. Trotzdem zeigt der Streik schnell Wirkungen: die Versorgungslage bei Lebensmitteln und Treibstoff wird in den Städten eng. Ab dem 12./13.  Februar treten Versorgungsprobleme auf. Durch die Konzentration der Milchproduktion nach dem EU-Beitritt in wenigen Großmolkereien wird die Versorgung mit Milch durch den Streik stark beeinträchtigt.

In der Industrie trifft es vor allem den Automobilbau, in dem sich aufgrund der Just-in-time-Zulieferung schon nach 48 Stunden Probleme zeigen. Am 18. Februar sind 60 000 ArbeiterInnen im Zwangsurlaub, die überwiegende Mehrheit von ihnen ist bei fünf Automultis beschäftigt: 17 650 bei Volkswagen/Seat, 9 300 bei GM-Opel, 17 400 bei Renault, 7 700 bei Citroën und 8 160 bei Ford. Die Gewerkschaft CC OO rechnet vor, daß bei Beantragung von Kurzarbeit (die meisten Firmen halten sich diese Lösung vorerst offen) dieser Ausfall den Staat jeden Tag 2,2 Millionen Mark kosten würde. Faktisch beteiligt sich die Gewerkschaft damit an der breiten Stimmungsmache gegen die Streikenden. Sie spricht zwar davon, daß die Autobetriebe für ihre Probleme durch die Einführung von Just-in-time und den hohen Importanteil selber verantwortlich seien und dafür zahlen müßten, es gibt aber nicht den kleinsten Ansatz, dies in den Autofabriken auch umzusetzen (zum Konflikt um die Bezahlung der Ausfalltage siehe nebenstehende Briefe). Diese Untätigkeit und Mitwirkung am kostenneutralen Ausgleich der Produktionsausfälle ist deswegen entscheidend, weil sich an diesem Punkt die Möglichkeit geboten hätte, den allgemeinen Klassencharakter des Konflikts praktisch zu entwickeln. Statt LKW-Fahrer und Industriearbeiter gegeneinander ausspielen zu lassen und daher auch völlig unbekümmert Streikbrucharbeit zuzulassen, wäre die gemeinsame Gegnerschaft zum Kapital in den Vordergrund getreten, das von den niedrigen Einkommen und langen Arbeitszeiten im Transportsektor profitiert. In der praktischen Streiktaktik ist zu erkennen, daß die streikenden Fahrer die Großindustrie gezielt treffen wollten und als ihren Gegner wissen. Während z.B. FEDATRANS im Baskenland die Versorgung mit Milch zuläßt, verhindern die Streikposten durch genaue Kontrollen die Belieferung mit Teilen für die Autoindustrie. In den Autofabriken unternehmen Gewerkschaften und Betriebsräte aber nach allen vorliegenden Informationen keinerlei Versuche, Verbindungen zwischen den Arbeitern am Band und auf der Straße herzustellen, die sich faktisch in derselben Produktionskette befinden. In Deutschland ist die Situation dieselbe, wo Betriebsräte bei Opel und VW in vorauseilendem Gehorsam und aus Sorge um »ihre« Firma Betriebsvereinbarungen für einen kostenneutralen Ausgleich der Ausfälle aushandeln. Dabei kommen vor allem die neuen Flexibilisierungsmodelle bei der Arbeitszeit zum Tragen, die sich so als notwendige Ergänzung zur Just-in-time-Produktion erweisen.

Die Regierung reagiert auf den Streik mit einer Mischung aus Staatsgewalt und Verhandlungsbereitschaft im bisherigen korporatistischen Rahmen. LKW-Konvois mit Lebensmitteln oder Treibstoff und ausländische LKWs werden von Guardia Civil eskortiert. Die spanische Regierung steht gegenüber den anderen Staaten der EU unter Druck, mit dem Polizeiknüppel die Produktivität des gesamteuropäischen Produktionsverbundes zu verteidigen. Erst als ein französischer Sattelschlepper einen jungen Streikposten überfährt und tötet, appelliert die französische Regierung an die Transportunternehmen des Landes, nicht mehr nach Spanien zu fahren. Als Legitimation für das harte Vorgehen greift die spanische Regierung auf die Verankerung des Streiks im Baskenland und die »Nähe« von FEDATRANS zu ETA und HB zurück. Umfragen wie in Frankreich über Sympathie oder Ablehnung des Streiks in der Bevölkerung werden in Spanien nicht bekannt.

Parallel zum Einsatz der Staatsgewalt macht die Regierung Verhandlungsangebote im Rahmen des CNTC und schließt mit ihm am 14. Februar ein Grundlagenabkommen, das sich vor allem auf die Dieselpreise bezieht. Die Hauptpunkte sind:

  1. Liberalisierung des Dieselverkaufs in der Weise, daß Transportkooperativen direkt mit den großen Dieselfirmen verhandeln und Rabatte von etwa fünf Prozent auf den normalen Preis bekommen können.
  2. Regierungskontrollen des Dieselverkaufs zur Verhinderung von Preiskartellen
  3. Festschreibung der Besteuerung des Diesels auf das durch die EU festgelegte Minimalniveau. Der Präsident des CNTC erinnert daran, daß dieses Niveau in der gesamten EU angehoben werden soll und die spanische Regierung daher besondere Anstrengungen unternehmen müsse, um dies zu verhindern.
  4. Arbeitsgruppen sollen eine Fortführung des Aussteigerprogramms von 1992-1995 ausarbeiten.
  5. CNTC und Regierung verpflichten sich, bis zum 30. Juni ein Dekret zu veröffentlichen, in dem neue Kriterien für Gewicht und Abmessungen der LKWs, für Verträge zwischen Fahrern und Speditionen, für die Anerkennung von Berufskrankheiten und für den Erwerb von Lizenzen festgelegt werden.

Die Regierung versucht mit diesem Abkommen, die Wut der LKW-Fahrer in den korporatistischen Rahmen einzusperren, handelt sich damit aber zugleich zwei neue Probleme ein: die Taxifahrer greifen die Forderung nach verbilligtem Diesel auf und beginnen eine eigene Bewegung. Am Ende des Streiks der LKW-Fahrer haben sie die Zusage erreicht, daß alle Vereinbarungen über Dieselpreisrabatte, Berufskrankheiten und Ausstiegsbeihilfen auch für sie gelten sollen. Deren Umsetzung steht allerdings nach dem Ende des Streiks für beide Gruppen in den Sternen. Die andere Gruppe, die nach diesem Angebot für verbilligtes Diesel sofort protestiert, sind die Tankstellenpächter, die um ihre Einnahmen fürchten. Der Tankstellenpächterverband stellt der Regierung ein Ultimatum bis zum 28. Februar, ihre Entscheidung über die Rabatte beim Diesel für Kooperativen zu überdenken. Danach könne es zu einem Streik ohne Notdienste kommen.

FEDATRANS weist das Abkommen empört zurück und konkretisiert nochmals ihre Forderungen:

  1. Festlegung des Rentenalters für die selbständigen Fahrer auf 60 Jahre bei voller Rente und freiwillig auf 55 Jahre mit der Möglichkeit, die gekürzte Rente durch den Verkauf der Lizenz aufzustocken.
  2. Anerkennung der Berufskrankheiten. Eine der Arbeitsgruppen der CNTC analysiert eine Liste von 33 Krankheiten und ist mit Experten und Medizinern dabei, vor dem 30. Juni eine endgültige Liste zu erarbeiten. Das Streikkomitee will diese Liste haben.
  3. Das Abkommen über den Dieselpreis sei eine große Verarschung: Es sieht keine Rabatte für alle Transporteure vor, sondern nur für die in Kooperativen zusammengeschlossenen. Fahrer mit einer Lizenz sollen an jeder Tankstelle Rabatt bekommen.
  4. Der Zugang zu neuen Lizenzen für den Straßengüterverkehr soll gestoppt werden. Das CNTC hat lediglich erschwerte Zugangsbedingungen mit der Regierung vereinbart.

Zu Beginn des Streiks hatten die anderen Verbände die FEDATRANS aufgefordert, wieder ins CNTC zurückzukehren und sich an den Verhandlungen zu beteiligen. Sie erklären ihre Unterstützung für die Forderungen des Streiks, nicht aber für den Streik selber. An der Kampfform scheiden sich die Geister und klärt sich der Arbeitercharakter des Streiks - viel stärker als am Charakter der Forderungen. Durch die Anerkennung als Verhandlungspartner wird FEDATRANS zögerlicher in bezug auf den Streik und ruft zur Ruhe auf. Damit beginnt das Ende des Kampfs (siehe die Briefe). Die gesellschaftliche Isolierung des Streiks wird an solchen Gesten deutlich, wie dem Appell von FEDATRANS an den spanischen König (!), er möge doch auf den Arbeitsminister einwirken, der den Konflikt als Problem der öffentlichen Ordnung und nicht als Problem des Transportsektors. Ab dem Wochenende 15./16. Februar sprechen die spanischen Medien davon, daß sich die Lage in immer mehr Regionen - außer dem Baskenland und Kantabrien - normalisiere. Also genau zu dem Zeitpunkt, als die europäische Automobilindustrie in ernste Probleme gerät, am Freitag, den 14. Februar, muß als erste Autofabrik in Deutschland Opel in Rüsselsheim die Bänder der Vectra-Produktion stoppen. In der folgenden Woche folgen die Opel-Fabriken in Eisenach und Bochum und bei VW die Polo-Produktion. Ein Sprecher von Ford-Deutschland erklärt nach dem Streik, man sei noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen, aber die Firma habe eine Million Mark für den Lufttransport von Teilen aus Spanien ausgeben müssen, um die Fiesta- und Scorpio-Produktion in Köln aufrechtzuerhalten. Lediglich in Saarlouis gab es eine halbstündige Produktionsunterbrechung.

Am 19. Februar, nach zwei Wochen Streik, ruft FEDATRANS »aus Verantwortung für die spanische Wirtschaft« zum Abbruch des Streiks auf - ohne außer ihrer Anerkennung als Verhandlungspartner irgendetwas Konkretes erreicht zu haben. Die Regierung hat lediglich versprochen, in einen »permanenten Dialog« einzutreten und bis zum 30. Juni verbindliche Regelungen zu treffen (s.o. das Abkommen zwischen CNTC und Regierung). Es gibt eine mündliche Absprache, daß alle Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Streik eingestellt, bzw. schon durchgeführte Maßnahmen rückgängig gemacht werden. FEDATRANS zeigt sich zufrieden. Man habe auf die Probleme der Branche aufmerksam machen können und die Aznar-Regierung habe vorher nie von Dialog gesprochen. Von nun an will sich FEDATRANS wieder an den Arbeitsgruppen des CNTC beteiligen und verlangt, das Komitee solle durch eine allgemeine Abstimmung in der Branche neu zusammengesetzt werden. Der Industrieminister betont, daß im Komitee über alle Punkte mit Ausnahme der fallengelassenen Forderungen nach früherer Rente bereits verhandelt werde.

Arbeiterklasse und die Zerbrechlichkeit des Kapitalismus

In seiner Analyse des LKW-Fahrerstreiks in Frankreich hebt Henri Simon zwei Momente hervor, die die aktuelle Situation an der Klassenfront »fast schulmäßig klarwerden lassen«: 1. »Die Routiers können als Symbol für alle Nöte der aktuellen Ausbeutungssituation und des Drucks des Kapitals zur Profitmaximierung stehen: anstrengende Arbeit, niedrige Löhne, fast unbeschränkte Verlängerung der nichtbezahlten Arbeitszeit, totale Flexibilität, Prekarisierung, Unsicherheit des Arbeitsplatzes. Ihr Kampf wirft gemeinsame Probleme einer Menge ArbeiterInnen besonders aus dem Privatsektor auf.« Und 2. macht er deutlich, »wie verletzlich das moderne kapitalistische System ist, in dem auf der Suche nach Profit alles so eng miteinander verflochten ist, daß der kleinste Aussetzer das Ganze schnell aus dem Gleichgewicht bringt.« Dasselbe gilt für den Streik der LKW-Fahrer in Spanien, auch wenn das zweite Moment hier viel stärker deutlich wurde als das erste. Für viele ArbeiterInnen in Spanien wird es kein Problem sein, die Masse der LKW-Fahrer als Proletarier zu erkennen, als genauso ausgebeutete und geknechtete Menschen wie sie selber. Ob es an den zu spezifischen Forderungen des Streiks oder dem allgemeinen politischen Klima in Spanien lag, daß es keine Solidaritätsaktionen in anderen Betrieben gab, können wir nicht sagen. Der Streik schien eher Kollegen in anderen Ländern zu mobilisieren. So meldete sich nach einigen Streiktagen eine Fahrer-Gewerkschaft aus Portugal zu Wort und kündigte ihrerseits Kampfmaßnahmen an, falls ihre Forderungen nach Rente mit 55 Jahren, höheren Löhnen und Bezahlung der Ruhepausen nicht erfüllt würden. Von einer »Zirkulation der Kämpfe« wie Anfang der 70er Jahre, als länderübergreifend der Streik in einer Fabrik zum Signal für viele andere werden konnte, kann nicht gesprochen werden. Sicherlich gibt es insofern Zusammenhänge zwischen den Streiks in Frankreich und Dänemark, zwischen Spanien (und den Diskussionen in Portugal), als sie ähnliche Rahmenbedingungen für die Arbeiter reflektieren. Aber so wie jetzt in Spanien fallen die Bewegungen bisher immer wieder in ihre korporatistische und nationale Isolierung zurück, ist der Ruf nach nationalstaatlicher Regulierung und Abschottung vor der Konkurrenz der anderen Arbeiter naheliegender als die Perspektive einer allgemeinen Klassenmacht gegen das Kapital.

Stärker als in Frankreich wurde die praktische Verwundbarkeit des modernen kapitalistischen Fabriksystems deutlich, in der sich die Möglichkeit von Machtentfaltung abzeichnet. In den Streiks und in den Meldungen über die Produktionsausfälle in der gesamteuropäischen Automobilproduktion können die Arbeiter selber erkennen, welche Stellung ihnen im modernen Produktionsprozeß zukommt, wie sehr das Funktionieren der gesamten Ausbeutung von ihrer lebendigen Arbeit abhängt. Während sie sich auf dem Markt vielleicht eher als private Anbieter einer Dienstleistung und selbständige Unternehmer betrachten (und aus Statusgründen auch so sehen wollen - wer will heute schon Arbeiter sein?), zeigt ihnen jeder Streik und jede Produktionsunterbrechung, daß sie Teil einer enorm ausgeweiteten gesellschaftlichen Kooperation sind, von der die Profite der ganz Großen abhängen. Durch ihre Arbeit wird Kapital akkumuliert, aber nicht in ihren Händen (siehe dazu Rainbird, Wildcat-Zirkular Nr. 33).

Bisher haben die LKW-Fahrerstreiks der 90er Jahre in Europa die mögliche Macht dieser neuen, prekären und flexiblen Arbeiterklasse nur angetippt. So wie jetzt dauerte bisher kein Streik länger als zwei Wochen, was genau die Grenze zu sein scheint, ab der die Auswirkungen für die industrielle Produktion katastrophal werden. Genau ab dem Punkt war auch stets - wie in Frankreich 1992 - die militärische Eskalation des Konflikts zu befürchten. 1996/97 sind die LKW-Fahrer in Frankreich und Spanien durch eine Mischung aus gewerkschaftlichem Zureden und drohender Staatsgewalt vor dem Überschreiten dieser Grenze abgehalten worden. Als der Streik in Deutschland zu ersten Produktionsunterbrechungen führte, wurde von Betriebsräten deutscher Autofabriken die Forderung laut, das Just-in-time-System der Zulieferung und den hohen Importanteil zu überdenken. Die Firmensprecher wiegelten ab: es gebe keine Alternative zu den Kosteneinsparungen durch die verringerte Lagerhaltung und die Fertigung im Ausland. Ein Sprecher von Opel beruhigte sich mit der Feststellung, der Streik der Fernfahrer in Spanien sei immerhin der erste in zehn Jahren gewesen, der die Automobilproduktion in Deutschland ernsthaft berührt habe - »und hoffentlich auch der letzte«.

Das klingt wie Pfeifen im dunklen Wald, weil sie keine Alternativen haben. Der Kapitalismus kann auf die Widersetzlichkeit und Verweigerung der lebendigen Arbeit immer nur mit Schüben einer weiteren Vergesellschaftung reagieren, die sich unmittelbar als Ausweitung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und damit als Atomisierung und Trennung der ArbeiterInnen darstellt. Aber um so wichtiger wird dabei jedesmal das Band, das die zersplitterten und getrennten Abschnitte der materiellen Produktion wieder zusammenbringt: das ist im weitesten Sinne der Transport. Da er scheinbar nicht selber eine produktive Funktion hat, nichts erzeugt, sondern »nur« bewegt, bleibt er unsichtbar, taucht nur am Rande auf (siehe dazu Bologna zum »Mythos der immateriellen Arbeit«, Wildcat-Zirkular Nr. 33). Zugleich rückt er aber immer weiter ins Zentrum der kapitalistischen Akkumulation, weil auf ihm der gesamte Zusammenhang beruht. Diese widersprüchliche Form von Vergesellschaftung, d.h. einerseits global immer mehr Menschen in einen produktiven Zusammenhang zu bringen, und sie andererseits durch Vereinzelung, Konkurrenz zwischen Gruppen und Betrieben oder nationale Gegensätze voneinander zu trennen, ist ein grundlegendes Dilemma der kapitalistischen Akkumulation. Daher können Leute wie der zitierte Opel-Manager nur darauf hoffen, daß diese neue Macht solange wie möglich verborgen bleibt und in korporatistischen Verhandlungen kanalisiert werden kann. Aber sie können nicht die Entwicklungsrichtung umdrehen, das Niveau der Arbeitsteilung und Kooperation wieder zurückschrauben. Auf die Frage, ob nicht eine Umstellung des Transports auf den Zug in Frage käme, antwortete der Opel-Manager sofort: »Da hätten wir beim wochenlangen Eisenbahnerstreik in Frankreich aber alt ausgesehen.« Auch die mittlerweile überall eingeleitete Umstellung auf fabriknahe Zulieferer ist keine Lösung des Problems, sondern nur ein neuer Versuch der Zersplitterung der ausgeweiteten Arbeitsteilung und Kooperation. Das Konzept eines »Weltautos« wie bei Ford erlaubt die fabriknahe Zulieferproduktion nur für einige Teile. Die wesentlichen Komponenten werden verstärkt kostengünstig in großer Stückzahl an wenigen Orten produziert und in immer mehr Modelle eingebaut. Strategisch wichtige Teile werden also stärker vom Transport abhängig.

Was als strategischer Schritt nach vorne, in die Globalisierung und weltweite Arbeitsteilung, erscheint, erweist sich so als Flucht des Kapitals vor der Macht der lebendigen Arbeit. Die aktuelle politische und theoretische Diskussion um die »Zukunft des Kapitalismus« bleibt im Moment noch hinter dem zurück, was sich in der Praxis von Massenkämpfen wie in Frankreich oder Spanien schon am Horizont abzeichnet.


Nachdem wir hier vom Streik der LKW-Fahrer in Spanien erfahren hatten - zuerst über ausländisches Kabelfernsehen, die Presse berichtete in Deutschland erst, als sich Auswirkungen für die hiesige Industrie abzeichneten -, haben wir einen Bekannten, der in einer Autofabrik in Nordspanien arbeitet, um Berichte über die Situation gebeten. Im folgenden seine Eindrücke und Überlegungen aus diesen Tagen:

Donnerstag, 13.2.: »Deine Anfrage wegen des Streiks in Spanien habe ich heute bekommen. Der Streik der LKW-Fahrer hat am Donnerstag vor einer Woche angefangen, ausgehend von den kleinen Unternehmern, die nur einen oder ein paar LKWs besitzen. Jetzt beteiligen sich auch die Fahrer von größeren Unternehmen. Eine Menge Fabriken stehen still, darunter Renault und Michelin. Auch in unserer Fabrik gibt es Schwierigkeiten. Es werden Teile mit Taxis und privaten PKWs transportiert. Heute sind sogar welche mit dem Hubschrauber gekommen. In einem Informationsblatt der Geschäftsleitung von heute stand, die Lage sei schlimm, aber die Produktion werde momentan noch nicht gestoppt.

Die LKW-Fahrer fordern außer der Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre eine Erhöhung der Transport-Tarife und einen speziellen Preis für Diesel. Aber die ganze Presse stellt sich gegen die Streikenden und wir bekommen keine richtigen und ausführlichen Informationen über die Konflikte.«

Montag, 17.2.: »Übers Wochenende war ich verreist. Als ich am Sonntag abend zurückkam, rief mich jemand aus der Firma an, ich bräuchte nicht zur Arbeit zu kommen. Die Fabrik ist zu. Heute, Montag, sollen wir die lokalen Radiosender hören. Im Laufe des Tages werden wir darüber informiert werden, ob wir morgen arbeiten oder nicht. Der Betriebsrat hat nichts dagegen. Es gibt von ihm keine offizielle Stellungnahme, weder mündlich noch schriftlich, außer daß wir abwarten müssen, da keiner wisse, wie lange dieser Streik dauern werde. Erst danach würde darüber entschieden, ob die Ausfalltage durch Urlaub oder durch Nacharbeiten ausgeglichen werden. Es besteht auch eine andere, gefährlichere Möglichkeit: der Arbeitsvertrag wird unterbrochen und wir bekommen Geld vom Arbeitsamt. Alles hängt in der Luft.

Jetzt zum Hintergrund des Konflikts: Nach den offiziellen Angaben von 1995 gibt es in Spanien 143.217 Straßentransportunternehmer. Über 75 Prozent von ihnen sind Selbständige, die nur einen LKW besitzen. Insgesamt sind es 235.154 Wagen, davon 137.209 große Lastwagen. 50 Prozent der LKW-Fahrer sind im Alter zwischen 45 und 60 Jahren, etwa 22 Prozent sind über 60. Diese extreme Atomisierung ist der Hintergrund für die Entstehung einer Unzahl von lokalen Organisationen und Bündnissen. Geführt wird der Streik von FEDATRANS, die seit ihrer Gründung 1990 die aktivste Organisation ist. Ihre Mitglieder sind selbständige Fahrer, vorwiegend aus Nordspanien: Asturien, Kantabrien und dem Baskenland.

Sämtliche Medien und die Regierung sagen, es handle sich bei den Streikenden um eine radikalisierte Minderheit, die mit gewalttätigen Streikposten die Mehrheit der LKW-Fahrer, die arbeiten wollten, unter Druck setzen. Nachdem sich der Konflikt Mitte der vorigen Woche ausgeweitet hatte und sich auch andere Organisationen in Andalusien, Galizien usw. engagiert haben, wurde die Kampagne gegen die Streikenden noch aggressiver: sie seien nicht anderes als Handlanger der ETA...

Die FEDATRANS vertritt nach eigenen Angaben 47 Prozent der Fahrer von großen LKWs und 45 Prozent der von kleinen. Insgesamt vertritt sie nach Zeitungsangaben etwa 50 000 Fahrer. Tatsache ist, daß die FEDATRANS alleine zum Streik am 6. Februar aufgerufen hat und sich weigerte, an der bevorstehenden Verhandlungsrunde zwischen anderen Verbänden (vor allem der CETM, die die großen und mittleren Firmen in diesem Sektor vertritt) mit Vertretern der Regierung teilzunehmen. Nicht ohne Gründe: Seit 1986 liegen die Forderungen der LKW-Fahrer (in erster Linie Rente mit 60 Jahren, Anerkennung der Berufskrankheiten, Erhöhung der Transportpreise) der Regierung vor, die bisher - auch nach dem Streik von 1990 - nichts anderes gemacht hat, als auf Zeit zu spielen.

Nachdem der Versuch gescheitert ist, die Bewegung mit gewissen Zugeständnissen an die anderen Verbände (Sonderpreis für Dieseltreibstoff - was jetzt die Taxifahrer in Bewegung gebracht hat, die heute in allen größeren Städten demonstrieren) zu brechen, sitzen seit Donnerstag Regierungsvertreter mit dem Streikkomitee, den »Terroristen« von FEDATRANS, am Verhandlungstisch, bisher ohne Erfolg. Mittlerweile sind fast alle Automobil-Fabriken geschlossen. Auch die Just-in-time-Zulieferer können nicht mehr produzieren - nicht weil es ihnen an Material fehlt, sondern weil der Produktionstakt unterbrochen ist. Sie sind nicht darauf eingestellt, die Zulieferteile zwischenzulagern.«

Dienstag, 18.2., nachmittags: »Seit gestern führt die FEDATRANS alleine die Verhandlungen mit den Regierungsvertretern. Insgesamt 42 Organisationen (eine Mischung aus Selbständigen und kleinen Unternehmern) aus ganz Spanien lassen sich von FEDATRANS vertreten. Im Mittelpunkt steht das Rentenalter von 60 Jahren, die Anerkennung der Berufskrankheiten und die Begrenzung von neuen Lizenzen. Nach FEDATRANS gibt es zuviele Unternehmer und deshalb liegen die wirklichen Transportpreise in der Regel weit unter den offiziellen Mindestpreisen.

Abgesehen von einigen kleinen Zwischenfällen, besonders in Katalonien und Nordspanien, herrscht mittlerweile auf allen Autobahnen und Landstraßen Ruhe. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist in allen großen Städten fast wieder normal, es fehlen nur frischer Fisch und Import-Artikel, und das auch nicht überall.

Im Fernsehen war zu sehen, wie die Frauen der Streikenden bei den Streikposten demonstrierten. Es war jede Menge Polizei da, von der »Guardia Civil«, vielleicht mehr als Demonstrantinnen. Die Polizei begleitet auch alle nichtstreikenden Fahrer. Heute erschien endlich eine Stellungnahme von UGT und CC OO in der Presse, aber sie meckern nur, daß »in diesen Verhandlungen die Interessen der Lohnempfänger der Speditionen nicht berücksichtigt werden.«

Der Zahl der Betriebe, die ihre Produktion einstellen müssen, wächst ständig. Außer Citroen in Vigo (Galizien), die ihre Komponenten per Hubschrauber bekommen, stehen alle anderen Autofabriken still. Über 60 000 Arbeiter sind betroffen.

Außerdem sind jetzt die Taxi-Fahrer und Tankstellenbesitzer in Bewegung gekommen. Die Taxifahrer demonstrierten gestern in allen Städten in Spanien und blockierten die Stadtmitte. Die Dauer der Aktionen war von Stadt zu Stadt verschieden. Zwischen einer Stunde, wie in Zaragoza und anderen Städten, bis zu den Aktionen in Andalusien und im Baskenland, die den ganzen Tag dauerten. Sie wollen auch verbilligtes Diesel wie die LKW-Fahrer bekommen. Die Tankstellenbesitzer befanden sich heute Mittag auf einer Versammlung am Rande des Streikaufrufs. Zum Schluß haben sie in einer angespannten Atmosphäre beschlossen, es solle sofort zu einem unbefristeten Streik der Tankstellen kommen, falls die Regierung ihr Zugeständnis an die Transportunternehmer (verbilligtes Diesel) wahr machen sollte.

Meine Einschätzung: All dies, die Ruhe auf den Autobahnen und Landstraßen, die im Fernsehen und Radio ständig betont wird, die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, weist auf eine Art Waffenstillstand hin, der für die weitere Entwicklung des Konflikts sehr gefährlich werden kann. Wenn weiter verhandelt wird, ohne daß es zu irgendwelchen positiven Lösungen kommt, kann das zur Demoralisierung der Streikenden führen. Meiner Meinung nach arbeitet die Zeit jetzt gegen die Streikenden.«

Dienstag, 18.2., nachts: »Die Streikführer zeigten heute deutlich ihre Schwäche bezüglich der Verhandlungen. Die Anerkennung ihrer Macht erst durch die Regierung und dann durch die anderen Organisationen der LKW-Besitzer war nichts anderes als der Anfang ihres Niedergangs.

Gestern waren sie gleich nach der Verhandlungsrunde vor die Fernsehkameras getreten (in Anzug und Krawatte), sprachen sich für die Aufrechterhaltung des Streiks aus, verlangten aber gleichzeitig nach Ruhe unter den Streikenden, denn »wir sind jetzt auf dem richtigen Weg zu einer guten Lösung, die kurz bevorsteht«. Heute waren sie um 18 Uhr wieder im Ministerium und haben von den Regierungsvertretern einen neuen Entwurf bekommen. Danach zogen sie sich bis 21 Uhr zurück, um den Entwurf zu studieren. Sie weigerten sich, mit Journalisten zu reden. Inzwischen trat Regierungspräsident Aznar in der besten Sendezeit vor die Fernseh-Kameras und wandte sich scharf gegen die Streikenden. Also: die Regierung verewigt die Verhandlungen, die Streikführung macht mit, und die Streikenden setzen sich nach und nach wieder hinters Lenkrad.

Morgen wird die Produktion in vielen Industriebetrieben schon wieder anlaufen, darunter bei OPEL, SEAT und RENAULT. Der Streik stirbt von alleine.«

Donnerstag, 20.2.: »Bitteres Ende. Es gibt nicht mehr viel zu erzählen über das Ende des Streiks. Während die Streikführer ewig in den Ministerien »verhandelten«, entfernten sich die lokalen Organisationen der selbständigen LKW-Fahrer tropfenweise von ihnen und setzten sich wieder hinter das Lenkrad, ohne länger auf eine nicht absehbare Lösung zu warten. Nur der ursprüngliche Kern der Bewegung (Kantabrien, Baskenland und Teile von Katalonien, sowie kleine, harte Gruppen in Kastilien und einigen anderen Regionen) blieb standhaft. Mittwoch war der heißeste Tag in diesem Konflikt, als eine Mischung von Enttäuschung und Wut auf verschiedenen Landstraßen des Landes zu heftigen Angriffen der Streikenden auf Streikbrecher und Polizisten führte. Es gab Verletzte und Festnahmen. Dienstag abend hatte Aznar im Fernsehen gesagt, hinter den Streikenden stehe die ETA. Dies war ein Signal dafür, daß die Regierung die Schwäche der Bewegung nach drei Tagen unfruchtbarer Verhandlungen schon abgeschätzt hatte.

Nach der Verhandlungsrunde am Mittwoch hatten die Streikführer offiziell den Rückzug vom Streik bekanntgegeben. Ihre Worte: »Wir haben keine Einigung erreicht. Wir werden weiterkämpfen, aber mit anderen Mitteln. Der Streik muß ein Ende haben.« »Wir sind damit zufrieden, daß die spanische Gesellschaft die schwierige Lage unseres Wirtschaftssektors anerkannt hat.«

Damit ist klar, daß sie Opfer ihrer eigenen Strategie geworden sind, während der Verhandlungen Ruhe unter den Streikenden zu verlangen. Gerade in einem solchen Sektor ist es unmöglich, einen Streik über Verhandlungen hinweg aufrechtzuerhalten. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Regionen ist hier schlecht und es gibt keine genauen Informationen von den Verhandlungen. Wenn dann die Medien berichten, es wird verhandelt und in dem oder dem Gebiet wird die Arbeit wieder aufgenommen, dann bricht der Streik zusammen.

Seit Mittwoch, Frühschicht, arbeiten wir hier wieder. Insgesamt sind drei Nachtschichten und je zwei Früh- und Spätschichten ausgefallen. Morgen, am Freitag, werden Geschäftsleitung und Betriebsrat darüber verhandeln, wie mit den ausgefallenen Arbeitstagen umgegangen wird.

Heute morgen im Bus, auf dem Weg zur Arbeit, habe ich großen Streit wegen der Streikbrecher bei uns bekommen. Direkt nach dem Beginn des Streiks sind Arbeiter nach ihrer regulären Arbeit mit PKWs der Firma zu Zulieferfirmen gefahren, um Teile zu holen. Die Zeit haben sie als Überstunden bezahlt bekommen. Das ist wohl bei allen großen Autofabriken passiert. Diese Zulieferfirmen sind 300 bis 400 Kilometer von der Fabrik entfernt, manche sogar 800 Kilometer. Einige dieser Arbeiter sind von den Streikposten der LKW-Fahrer erwischt worden - und kamen dann mit leeren Händen und rotem Kopf mit dem Zug zurück. Die Streikposten haben in der Nähe solcher Zulieferfirmen Kontrollen gemacht, und wenn sie in einem PKW Teile für die Produktion fanden, haben sie die Wagen nicht durchgelassen und den Fahrern gesagt, sie sollten zu Fuß nach Hause gehen. Ich habe einen Betriebsrat, der auch im Bus auf dem Weg zur Arbeit war, gefragt, ob es Listen dieser Streikbrecher gäbe und was mit ihnen passieren sollte. Er hat sich aufgeregt, was denn für Listen, diesen Leuten hätten wir es schließlich zu verdanken, daß wir noch einen Tag länger arbeiten konnten. Hinten im Bus saßen drei Arbeiter, von denen ich wußte, daß sie auch diese Streikbrecherarbeit gemacht hatten. Sie saßen betreten da und sagten kein Wort zu dem Streit.

Wirkliche Solidarität mit den Streikenden hat es von unserer Fabrik aus nicht gegeben. Das Klima ist hier: »Rette sich, wer kann«. Das Schlimmste von allem ist, daß die Gewerkschaftsvertreter im Betrieb, auch die von der CC OO, den Leuten erzählen, die Streikenden seien doch gar keine Arbeiter, sondern Unternehmer. Aber ich habe auch einige hitzige Diskussionen unter Arbeitern mitbekommen, für und gegen den Streik. Eine Reihe Kollegen haben LKW-Fahrer in der Familie und wissen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten müssen.

Du hast gefragt, ob ich eine Zusammenhang zwischen dem Streik in Frankreich im letzten November und dem in Spanien sehe. Ich glaube, ja. Der Konflikt schwelt hier seit Jahren, es gibt ständig eine Motivation zum Kampf. Ein Streik wie in Frankreich oder woanders rührt da an eine offene Wunde.«

Freitag, 21.2.97: »Heute hat der Betriebsrat angekündigt, daß sie am Montag unter den Arbeitern darüber abstimmen lassen werden, ob die ausgefallenen Schichten als Kurzarbeit beim Arbeitsamt genommen werden, was 70 Prozent des Lohns für uns bedeuten würde, ohne die Firma etwas zu kosten, oder ob wir die Zeit durch Sonderschichten nachholen. In beiden Fällen wird den Arbeitern die Schuld für die Streikausfälle gegeben - aber der Betriebsrat tanzt nach der Pfeife des Unternehmers und die Vertrauensleute empfehlen, wir sollten für die Sonderschichten stimmen.«

Samstag, 1.3.97: »Noch nie in der Geschichte der Fabrik hat es bei uns eine so breite Welle der Wut gegen den Betriebsrat (und die Gewerkschaften im allgemeinen) gegeben, wie in den zwei Tagen der Abstimmung. Allein in meiner Abteilung sind mindestens 45 Arbeiter aus den Gewerkschaften ausgetreten, egal ob CC OO, UGT oder andere.

Die Geschäftsleitung hatte den Betriebsrat vor die Alternative gestellt: entweder wird für die zwei Ausfalltage Kurzarbeit angemeldet (d.h. nur 75 Prozent des Lohns), oder sie werden in Samstagsschichten nachgearbeitet, wobei nur die Hälfte der üblichen Zulagen gezahlt wird. Gerüchteweise war zu hören, einige aus dem Betriebsrat hätten die volle Zulage verlangt, aber es gab keinerlei Information des Betriebsrats über die Verhandlungen. Am Freitag brachten sie ein Blatt heraus, worauf nur noch diese Alternative zu finden war, mit der Empfehlung, für die Sonderschichten zu stimmen. Dieses Blatt führte zu vielen Fragen und Überlegungen unter den Arbeitern. Eines war klar: Der Betriebsrat hatte überhaupt nichts erreicht und er hatte auch keine kritische Stellung gegenüber den Vorschlägen des Unternehmens eingenommen (er hätte fordern müssen, daß die ausgefallen Tage ganz normal bezahlt werden). Beide Möglichkeiten - Kurzarbeit oder Samstagsschichten - dienen nur einem: dem Unternehmen. Die logische Schlußfolgerung daraus war für viele: für eine solche Wahlmöglichkeit brauchen wir keinen Betriebsrat.

An der Wahl haben sich dann von 9126 Wahlberechtigten nur 5396 beteiligt, davon waren 3981 für Nacharbeit und 1180 für Kurzarbeit. Schon am nächsten Tag erschien ein Blatt der Personalabteilung, in dem steht, an welchen Tagen die einzelnen Schichten nacharbeiten müssen und zu welchen Bedingungen. Eine davon ist: Wenn ein Arbeiter am Tag des Nacharbeitens krankgeschrieben ist, wird für ihn die Nacharbeit vertagt und er muß sie zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Vom Betriebsrat kam dazu nichts mehr außer einem Papier, auf dem das Abstimmungsergebnis mitgeteilt wurde.«


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 34/35] [Ausgaben] [Artikel]