ALBANIEN
Lieber das Chaos der Rebellion,
als die (Welt-) Ordnung der Herrschenden!
Redebeiträge einer Veranstaltung in Mannheim/Ludwigshafen am 4. April '97
Die Albaner sind kriminell, gewalttätig und skrupellos. Sie sind extrem verarmt und deshalb geldgierig; das noch auf eine naive Art, wie ihre massenhafte Beteiligung an dubiosen Pyramiden zeigt. Es sind unzivilisierte Bergstämme, die die Blutrache praktizieren; durch 50 Jahre stalinistische Herrschaft sind sie unfähig zu Demokratie. Sie sitzen in den Häfen von Durrës und Vlorë, auf dem Sprung in den Westen, wo sie alsbald Drogenhändler und Handlanger der Mafia werden.
Wir machen diese Veranstaltung deshalb, weil wir dem rassistischen Vorurteil gegen die albanische Bevölkerung was entgegensetzen wollen. Zumal diese Vorurteile, teilweise etwas diskreter formuliert, durchaus auch in der TAZ verbreitet werden. Oder etwa ein Flugblatt französischer AnarchistInnen, das ich letzte Woche in die Hand bekam: dort wurde der Aufstand in Albanien grad mal so gleichgesetzt mit den Konflikten in Jugoslawien.
Der derzeitige Rassismus dient der Legitimation des Vorgehens gegen Flüchtlinge; wir haben alle die Ereignisse in Italien mitgekriegt. Bei gerade mal 10 000 Flüchtlingen wird der Notstand ausgerufen. Was diesen Rassismus zusätzlich brisant macht: er dient gleichzeitig der ideologischen Vorbereitung der Intervention. Diese ist schon voll im Gange. Sie kommt als humanitär daher. Hilfslieferungen mit militärischer Absicherung. Man gibt vor, verhindern zu wollen, daß die Hilfslieferungen von marodierenden Banden kassiert werden. Bei den Beschlüssen von OSZE und UN-Sicherheitsrat geht es nicht um Hunger. Es geht, wie der Name schon sagt, um die Aufrechterhaltung der Sicherheit in Europa, sprich der Sicherheit des Kapitalismus. Die Hilfslieferungen werden zur Wiederherstellung der staatlichen Autorität in Albanien eingesetzt werden, indem sie dosiert vergeben werden über diejenigen, die die Herrschenden wieder aufpäppeln wollen. Und sie dienen zur Legitimation der militärischen Präsenz. Sie sind ganz unmittelbar Aufstandsbekämpfung. Deshalb ist ein klares Nein auch zu dieser humanitären Intervention sehr wichtig. Umso mehr, als das Internationale Rote Kreuz den militärischen »Schutz« nicht wünscht.
Wir machen die Veranstaltung wegen der politischen und geschichtlichen Dimension, die der albanische Aufstand selbst hat. Wann ist es in Europa zum letzten Mal vorgekommen, daß die Bevölkerung einer ganzen Region den Staat außer Kraft gesetzt hat?
Albanien
Albanien ist nach Slowenien das kleinste Land des Balkans. In Albanien leben ca. 3 Millionen Menschen. In anderen Ländern ungefähr noch mal so viele: die meisten im Kosovo, einer südlichen Region in Jugoslawien. Außerdem in Italien, der Türkei, der Ukraine, Rumänien und in anderen europäischen Ländern, außerdem in Ägypten und den USA. Albanien ist ganz nah. Mit dem Flugzeug nach Korfu, von dort noch 5 Kilometer mit dem Schiff. Nach Italien sind es 80 Kilometer. Albanien hat Landgrenzen mit Montenegro, Kosovo, Makedonien und Griechenland.
Für Ethnologen gilt die albanische Bevölkerung als »ethnisch homogen«. Es gibt zwei Sprachströmungen, die Tosken und die Gegen. Die Tosken leben im Süden, wo das Zentrum des Aufstands ist. Die Zeitungen haben diesen Sachverhalt gleich begierig aufgegriffen, um damit den Aufstand als ethnischen Konflikt zu deuten. Das ist er aber nicht. Auch der Norden und die Hauptstadt Tirana waren im Aufstand, nur konnten sich die Rebellen dort nicht durchsetzen. Also nix ethnischer Konflikt à la Jugoslawien, Norden gegen Süden oder sowas. Mal abgesehen davon, daß auch schon in Jugoslawien die ethnischen Kategorien oft Propaganda waren und die Konfliktlinien quer dazu verlaufen sind. Im Süden lebt eine griechische Minderheit. Albanische Angaben schätzen sie auf 40 000. Die griechische Regierung behauptet, es wären 400 000. Deshalb, weil sie mit der sogenannten Nordepirus-Frage Gebietsansprüche auf Albanien stellt.
Albanien wird oft als Armenhaus Europas beschrieben. Der Lebensstandard ist sehr niedrig. 1991 hatten nur 28 Prozent der städtischen und ein Prozent der ländlichen Haushalte einen Kühlschrank. 1990 wurde das durchschnittliche Monatseinkommen auf $ 50 geschätzt.
Vor einigen Jahren hätten wir Albanien noch als Dritte-Welt-Land bezeichnet. Albanien ist aber ein gutes Beispiel dafür, daß diese Kategorie heute nicht mehr taugt, um die Welt zu verstehen. Es ist wichtig zu verstehen, daß Albanien noch vor kurzem ein Industrieland war. Weil von einem Dienstleistungssektor kaum die Rede sein konnte, war der Anteil der Industrie (nach der Nomenklatura der Weltbank) höher als etwa in den USA.
Es kam in Albanien erst relativ spät, 1912, zur Gründung eines Nationalstaats. Bürgerliche Soziologen leiten daraus die Neigung der Albaner zur Anarchie ab. Durch die langen Phasen der Fremdherrschaft (der Besetzung durch das osmanische Reich und viele andere, später Italien) hätten die AlbanerInnen nie ein positives Verhältnis zum Staat entwickeln können. Diese Antistaatlichkeit wäre noch verstärkt worden, durch die stalinistische Herrschaft nach 1945. Bis zu Mussolinis Sturz 1943 war Albanien faktisch italienisches Protektorat, von 1943-45 war es von der deutschen Wehrmacht besetzt. Wie überall auf dem Balkan entwickelte sich ein Partisanenkampf, an dessen Spitze sich mehr und mehr die Kommunisten unter Enver Hodscha setzten. Die Kollektivierung ist spätestens 1960 abgeschlossen. Das Regime gilt dabei als stalinistischer als Stalin selbst. So ist z.B. bis 1981 selbst die private Tierhaltung für Bauern verboten. Wie in allen sozialistischen Entwicklungsdiktaturen dieser Phase setzten die albanischen Stalinisten auf Schwerindustrialisierung. Albanien ist nach dem Weltkrieg zunächst mit Jugoslawien unter Tito verbündet. Von 1948-61 mit der SU. Von 1961 bis etwa Mitte der 70er Jahre mit China. Anschließend gibt es keine Bündnispartner mehr. Das Regime verstärkt seine Abschottung noch und versucht wirtschaftliche Autarkie zu erreichen. Das funktioniert noch im Bereich der Ernährung (Brotgetreideautarkie). Für die Menschen bedeutet es aber einen weitgehenden Verzicht auf Konsumgüter aller Art. 1990 galt ein Kofferradio noch als extremer Luxus. Auch gegen die 68er Bewegung, die ja auch in Jugoslawien, in Griechenland und im nahen Italien lief, wird das Land abgeschottet.
»Die Imperialisten und Revisionisten raten uns, aus unserem Land ein Wirtshaus mit zwei Türen zu machen, wo das Schwein und die Sau mit Unterhosen oder ohne Unterhosen und mit Haaren bis über die Schultern eintreten können und wo die Hippies ihre Tänze aufführen können, um die schönen Tänze unseres Volkes zu verdrängen.« (Hodscha, 1973, nach Südosteuropa-Handbuch.) Verboten waren lange Haare für Männer, Vollbärte, ausgestellte Hosen. für Frauen Miniröcke, und tiefe Ausschnitte. Diese Abschottung kann in einer Welt des Fernsehens nicht vollständig funktionieren. In den 80er Jahren verfällt die Arbeitsproduktivität zusehends. »... als ein weiterer Faktor, der den Rückgang der Arbeitsproduktivität im vergangenen Jahrzehnt erklärt, kommt hinzu, daß im Zuge der 80er Jahre unter dem Einfluß des ausländischen Fernsehens der albanischen Bevölkerung immer klarer die Diskrepanz zwischen der eigenen, angeblich soviel besseren Lebensweise und dem weitaus höheren Lebensstandard in den Nachbarländern bewußt wurde, wodurch die Arbeitsmoral zunehmend schlechter wurde.« (Dieter Lösch, Ordnungspolitische Standortbedingungen für Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa - Albanien, Hamburg 1991)
Ende der 80er Jahre finden überall im ehemaligen Ostblock Umwälzungen statt. Auch in Albanien versucht sich die Regierung mit kleineren Reformen, allerdings weniger konsequent als Gorbatschows Perestroika. Das stalinistische Wirtschaftssystem war bis dahin absolut zentralisiert. »Immerhin wurden '87 erste vorsichtige Dezentralisierungsmaßnahmen sowie Schritte zur Verbesserung der materiellen Stimulation der Arbeitskräfte eingeleitet. Ferner wurden die Genossenschaftsmärkte wieder eingeführt, und es wurde den Brigaden wieder gestattet, Kleinherden zu halten und für die Selbstversorgung zu nutzen.« (Dieter Lösch, a.a.O., S. 111). Die Unzufriedenheit der Bevölkerung zwingt die Regierung zu mehr als diesen kleinen Reformen. »Ohne daß die Reformen noch etwas am alten System änderten, begann es infolge eines Verfalls der Arbeits- und Planerfüllungsdisziplin bereits noch schlechter zu funktionieren als zuvor. Die daraus resultierende spürbare Verschlechterung der Versorgungslage der Bevölkerung heizte den Widerstand gegen das Regime an. Es kam zu einer vorrevolutionären Situation, mit wilden Streiks und anderen Auflösungserscheinungen, in deren Gefolge sich die Regierung Alia gezwungen sah, Oppositionsparteien zuzulassen und die politische Liberalisierung anzukündigen. Der Druck von unten eskalierte jedoch weiter und führte zur Abberufung der Regierung im Februar '91. Kurz darauf kam es zum Sturz der Hodscha-Statue auf dem Skanderbeg-Platz, einem Ereignis, das für das Bewußtsein der Albaner ähnliche Auswirkungen hatte, wie die Öffnung der Mauer für die DDR-Bürger« (ebd., S. 106). Im Mai 1991 kommt es zum Generalstreik mit der Forderung nach 100 Prozent Lohnerhöhung. Die Wissenschaftler beklagen, daß die Bewegungen teilweise erfolgreich sind, also, daß das Regime zuviele Zugeständnisse macht, und von daher die nötigen Schritte zur Transformation nicht entschieden genug forciert. Z.B. daß die ArbeiterInnen durchgesetzt haben, daß sie 80 Prozent des Lohns weiterbeziehen, wenn sie arbeitslos sind oder wenn der Betrieb nicht oder nur teilweise arbeitet. Oder etwa den Verlauf der Privatisierung. In einigen Staatsbetrieben traut sich die Regierung nicht, weil sie Angst hat vor den wütenden Reaktionen der ArbeiterInnen auf die mit der Privatisierung verbundene Entlassungen. In anderen Fällen kommt es zu »wilden Privatisierungen« auf allen Ebenen bis hin dazu, daß sich die ehemaligen Tractoristas der Genossenschaften die Traktoren unter den Nagel reißen und dann als Traktorfahrer selbständig machen.
Wer ist Berisha?
Berisha kommt - wie viele andere Politiker auch - aus der inneren Machtclique um Enver Hodscha. Er war sein Leibarzt. Nach dem Sturz »des Kommunismus« fand er sich auf der richtigen Seite. Er hatte nämlich, und das war etwas besonderes im stalinistischen Albanien, in Paris studiert und konnte deshalb nach der Wende sehr schnell die richtigen Kontakte ausbauen oder finden. Seine »Demokratische Partei« (PD) wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung gepäppelt und ist Mitglied im europäischen Dachverband der konservativen Parteien. Besondere Beziehungen bestehen zur CSU, wohl noch ein Überbleibsel aus alter Zeit: Strauß war gerngesehener Gast im stalinistischen Albanien. Bei den Wahlen 1992 erhielt die PD die Mehrheit, Berisha wurde Staatschef. Es gelang ihm, nicht nur die Instrumente der Repression (wie z.B. den Geheimdienst) aus dem alten System in die »Demokratie« herüberzuretten, sondern auszubauen. Mit Hilfe vieler Freunde aus seiner Heimat Bajram Curri im Norden baute er seine persönliche Hausmacht auf. Er stützt sich also nicht nur, vielleicht noch nicht einmal so sehr, auf seine Partei, sondern auf die Organe des Staatsapparates, der mit seinen Leuten durchsetzt ist. Nepotismus nennt man das, und es war auch allen bekannt. 1994 verlor er mit 54 Prozent eine Volksabstimmung über die von ihm vorgelegte Verfassung; dieser Fehler sollte sich nicht wiederholen. Die Parlamentswahlen 1996 waren derart schon im Vorfeld manipuliert, daß nicht nur viele Parteien dann gar nicht mehr kandidierten, sondern später auch die Wahlbeobachter der OSZE fast einhellig ein vernichtendes Urteil abgaben. Parteien durften keine Wahlwerbung betreiben; Politiker wurden eingeschüchtert, Stimmen gekauft, Ergebnisse gefälscht. Entsprechend stellt die PD das Parlament fast alleine. Zu den Kommunalwahlen im Herbst ließ Berisha gleich gar keine Beobachter mehr einreisen. Das alles hinderte die EG, den IWF usw. natürlich nicht, sehr gut mit ihm zusammenzuarbeiten. Albanien bekam die höchste Pro-Kopf-Hilfe aller osteuropäischen Länder (man kann sich nach dem Pyramiden-Desaster vorstellen, wo das Geld gelandet ist).
Weil alle Mächte der Welt ihm den Rücken freihielten - und offenbar weiter freihalten - konnte er sich zum Quasi-Diktator aufschwingen. Politiker, Journalisten, Intellektuelle, aber auch die einfachen Leute waren eingeschüchtert - viele fürchteten ganz konkret um ihr Leben. Nicht nur die Opposition, sondern jeder der nicht spurte, wurde zum Objekt des Geheimdienstes; so erklärte z.B. auch der oberste Richter Zef Brozi: »Noch bin ich fit und kerngesund. Sollte ich demnächst plötzlich sterben, dann fragt den Präsidenten Berisha, wie das geschah.« (Spiegel, 38/95). Das erklärt auch zwanglos, warum die aufständische Bevölkerung zuerst mit den Geheimdienstleuten abrechnete (wenn auch auf eine sehr humane Art) und die Gefängnisse öffnete. Und warum ihre zentrale Parole »Weg mit Berisha« ist. Sollte er nämlich im Amt und an der Macht bleiben, dann werden er und sein Geheimdienst sich gnadenlos an seinen Feinden rächen. Wehe dann Vlorë!
Die Pyramiden
Bei den Wirtschaftsdaten immer dran denken: In Albanien ist ein Teil der Wirtschaft Schattenwirtschaft, d.h. informeller und illegaler Bereich. Auch in Bezug auf die Arbeitsemigration kann es keine verläßlichen Zahlen geben, da der größte Teil illegal ist. Und offizielle Wirtschaftsdaten waren schon zu Hodschas Zeiten gnadenlos geschönt. Und die Leute, die die Statistiken erstellen, sind wahrscheinlich immer noch dieselben wie damals. Ein Beispiel: Die offizielle Arbeitslosenqoute ist 14 Prozent. Schätzungen liegen bei 70 Prozent.
Wenn man »Pyramiden« hört, denkt man wahrscheinlich an die Pyramidenspiele, vor denen Eduard Zimmermann in »Nepper, Schlepper, Bauernfänger« immer warnt und die z.Z. auch in Ludwigshafen wieder zugange sind. So sind sie halt, die Albaner: Naiv, dumm, gierig... Aber die Geldanlagefirmen, deren Zusammenbruch die Aufstände auslöste, lassen sich damit nicht vergleichen. Sogar die ZEIT gibt zu, daß die Anleger in der Mehrheit weniger naiv waren, »als die Zahnärzte und Immobilienmakler, die auf sektenartige Investmentclubs in Deutschland hereinfallen.«
Viele der albanischen Investitionsfirmen fingen nach der Wende als ganz normale Firmen an. Bis heute gibt es in Albanien keine Privatbanken und bei staatlichen Sparkassen hapert es bei der Kreditvergabe an private Firmen. Deshalb liehen sich neue Unternehmer Geld für Investitionen privat und boten attraktive Zinsen. Vefa, die größte dieser Firmen, behauptete, mit Tausenden Hektar Grundbesitz, 30 000 Stück Vieh, Fabriken, Bergwerken und Supermärkten im Jahr $ 180-200 Millionen Gewinn zu machen. Andere Firmen konnten Tankstellen und Motels vorweisen. Die Albaner hatten den Eindruck, sie profitierten von den Geschäften wie mit Aktien. Staat und Regierungspartei hofierten die erfolgreichen Unternehmer und nahmen gerne deren Spenden an. Das half mit, den Anschein von Seriosität zu erwecken, und erklärt, warum die Albaner so sauer auf die Regierung sind und von ihr die Verluste erstattet haben wollen.
Einige der Investmentfirmen haben jahrelang funktioniert, wie z.B. die vorhin erwähnte Vefa, die ihren Kunden acht Prozent Zinsen im Monat zahlte. Jeden Monat bekam man seine Zinsen an den Auszahlungsstellen wie ein Gehalt, eine Rente oder wie Arbeitslosengeld.
Die Anzahl der Investoren wird auf 500 000 bis 800 000 geschätzt, das Einlagevolumen auf $ 2-3 Milliarden. Der Chef der albanischen Zentralbank schätzt, daß 65 Prozent des im Lande zirkulierenden Geldes durch eine dieser Firmen ging.
Albanien ist das ärmste Land Europas. Wo haben die Leute das Geld her?
Nach 1991 brach die Industrie fast vollständig zusammen, weil sie so marode und antiquiert war, daß importierte Güter einfach viel billiger waren. (So ähnlich wie bei der DDR, nur gab es keine Sponsoren.) Die EU, der IWF, USA, die BRD und Italien gaben seit 1991 $ 1 Milliarde an Entwicklungshilfe (das ist in etwa soviel, wie dieses Jahr in Deutschland für Osterkram ausgegeben wurde), davon gingen nur ein Viertel in den Aufbau von Industrie und Infrastruktur. Das Engagement des internationalen Kapitals ist eher gering: es gibt etliche Textilklitschen in ausländischem, meist italienischem, Besitz, die von den Niedriglöhnen profitieren. Bodenschätze gibt es, am wichtigsten ist Chrom. 1989 war Albanien der drittgrößte Chromproduzent der Welt, die Fördermenge war in diesem Jahr allerdings achtmal größer als 1993, danach stieg sie wieder und hat seitdem um über 60 Prozent zugelegt. Das ist aber lediglich ein Fünftel des Wertes von 1989.
(Der Anteil der Industrie am BSP betrug 1990 37,2 Prozent, 1994 noch 12,6 Prozent, während der Anteil der Landwirtschaft im selben Zeitraum von 40,2 auf 55,5 Prozent stieg. Der Anteil der Landwirtschaft in Bezug auf die Arbeitskräfte war 1993 64,7 Prozent.)
Die Landwirtschaft ist inzwischen privatisiert und auch dort steigt die Produktion seit 1993 wieder, nachdem Anfang der 90er Jahre der Rückgang der Produktion sogar zu Nahrungsmittelengpässen geführt hatte. Auf diesem extrem niedrigen Niveau kam es dann zu Wirtschaftswachstumsraten von durchschnittlich 8 Prozent im Jahr, die den Anschein des Aufschwungs erweckten. Der Direktor der Weltwährungsfonds lobte das Land 1994 als eine der großen Erfolgsstories. Albanien galt als Musterland für Osteuropa. Und die Albaner haben das geglaubt. Sie haben gedacht, über ihre Einlagen nehmen sie Teil an diesem allgemeinen Aufschwung, der von Regierung und IWF ja ständig behauptet wurde. Dazu kam, daß die Infrastruktur nach der Wende so kaputt war, daß das Auftauchen von neuen Hotels, Autos, Tankstellen dies zu belegen schien.
Die offizielle Arbeitslosenrate hat sich seit 1993 halbiert. Das heißt aber nicht, daß es wieder Jobs in Albanien gibt. Nach Schätzungen arbeiten 500 000 Albaner im Ausland, 90 Prozent davon in Griechenland, zumeist illegal. D.h. jeder siebte Albaner verdient sein Geld im Ausland. 1993 konnte ein Albaner in Griechenland $ 20 am Tag verdienen, in Albanien mußte er für diese Summe einen halben Monat arbeiten. Viele sind nicht ständig, sondern nur saisonal oder als Pendler im Ausland. (1993 weist Griechenland 20 000 illegale Albaner aus, 1994 100 000. Allein im August 1996 werden 7000 Albaner ausgewiesen.)
Da die Zinsen in Albanien sehr attraktiv sind, wird ein großer Teil der Auslandseinnahmen dorthin überwiesen. Diese Überweisungen machten 1993 20 Prozent des BSP aus, 1996 sollen das $ 400 Mio gewesen sein. (Bei 500 000 Arbeitsmigranten sind das im Schnitt pro Nase $ 800.)
Das ist eine einfache Erklärung, warum der Süden reicher, von den Zusammenbrüchen stärker betroffen und daher rebellischer ist: Griechenland ist einfach näher.
Der Verkauf von Subsistenzmitteln - Häusern, Wohnungen, Land, Vieh - scheint verbreitet gewesen zu sein, um an Geld für die Pyramiden zu kommen. Es gibt sehr viele Einzelberichte darüber, quantifizieren läßt sich das allerdings nicht.
Eine weitere Methode des Gelderwerbs: Schmuggel und Menschenschmuggel. Die Bilder von 1991, als Tausende nach Italien flohen, sind noch in Erinnerung. Aber nicht nur Albaner: Als 1995 nach dem Schengener Abkommen die EU die Außengrenze schärfer kontrolliert, verschärfen auch die osteuropäischen Staaten die Einreisebestimmungen. Albanien ist danach das einzige europäische Land, in das Bürger aus asiatischen und afrikanischen Staaten ohne Visa einreisen können. Der SPIEGEL 15/95 berichtet, daß pro Nacht mehrere hundert illegale Einwanderer mit Schnellbooten weiter nach Italien gebracht werden. Im Herbst 1996 ergreift die albanische Regierung unter dem Druck von Italien und Griechenland demonstrative Maßnahmen gegen die Schmuggler: Die Schnellboote werden beschlagnahmt, vor allem in Hafen von Vlora (während der Rebellion werden diese Boote wieder zurückerobert). Eine andere Schmuggelvariante ist das Unterlaufen des Handelsembargos im Bosnienkrieg, v.a. Benzinschmuggel.
1992 war ein Bankengesetz verabschiedet worden, das vorsah, daß die Staatsbank die Hinterlegung von Sicherheitsreserven verlangen konnte. Dies diente der Sicherheit der Guthaben. 1996 fiel dieser Paragraph auf Anraten des IWF bei der Verabschiedung eines neuen Bankengesetzes weg. Daraufhin wurden die Zinsofferten der Anlagefirmen immer wunderbarer. Im Wetteifer der zuletzt ca. 30 Investmentfirmen um das Geld der Albaner stiegen die Zinsen einiger dieser Firmen auf 100 Prozent im Monat, und sogar noch höher. Die mit den ganz abenteuerlichen Zinsen scheinen nur noch auf Abzockerei ausgewesen zu sein.
Für eine dieser Firmen, Gjallica aus Vlora, hat eine Kommission des Parlaments eine Rechnung vorgelegt: Gjallica hat $ 800 Mio eingesammelt und davon fünf Sechstel wieder ausbezahlt. »Verloren« gingen den Anlegern also nur ein Sechstel. Die Albaner rechnen jedoch anders: Das was sie bekamen, waren ja Zinsen. Ihnen ging nicht nur ihr Guthaben verloren, sondern auch die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, vor allem da sie ja einen Teil ihrer Subsistenzmittel verkauft hatten.
Der IWF bezeichnete Albanien als Musterkind und Erfolgsstory, was nichts anderes bedeuten kann, als daß sich die Berisha-Regierung nach Kräften bemüht hat, die Einführung der »freien Marktwirtschaft« zu beschleunigen. Das heißt: Deindustrialisierung ohne Treuhand, Privatisierung ohne Abfederung, usw. Die Pyramiden dienten als Sozialstaatsersatz. Das Pyramidenexperiment, vom IWF gedeckt, war eine Methode, um einerseits Geld und Subsistenzmittel aus der Bevölkerung zu saugen, andererseits um das Nichtentstehen von blühenden Landschaften zu verdecken. Insofern war es erfolgreich: Die alte Industrie ist im wesentlichen weg, das Geld der Leute auch: jetzt hätte man ein Land voller Proletarier, denen man Ausbeutungsbedingungen wie in Südostasien oder Lateinamerika zumuten könnte. Wenn, ja wenn sie sich das hätten gefallen lassen.
Aber bereits nach der Wende haben die Albaner die ihnen in Rahmen der Neuen Weltordnung zugewiesene Rolle nicht übernommen. Eine Studie, die 1996 die sogenannten »Übergangsprobleme« untersucht, bedauert, daß die Beschäftigtenzahl in der Industrie weniger stark zurückgeht als die Produktion. Sie begründet das mit dem sozialen und politischen Druck auf die Regierung, der verhindert, daß in unproduktiven Fabriken noch stärker abgebaut wird. »Die wichtigste Ressource Albaniens ist billige Arbeitskraft«, schreibt das Wall Street Journal im August 1996. Anstatt zu Drittweltlöhnen aus den westlichen Industrieländern »ausgelagerte« Jobs zu machen, sind viele Albaner jedoch lieber ins Ausland gegangen oder haben sich profitableren Einnahmequellen zugewandt. Auch die ausländischen Besitzer der Textilklitschen, die den Frauen $ 2-3 am Tag zahlten, wurden nicht wirklich glücklich, es gab Streiks. [1] Ausländische Helfer klagten, besonders im letzten Jahr, darüber, daß für Gelegenheitsarbeiten niemand mehr zu finden war. Die Arbeitsmoral verhielt sich umgekehrt proportional zu den Zinsen. Der Vertreter der Weltbank in Tirana hebt die positiven Seiten des Zusammenbruchs hervor: Nun würde das Geld endlich in echte wirtschaftliche Entwicklung fließen.
Im Februar sagte der Chef der Vefa, der letzte der Investmentchefs, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Knast oder geflohen war: die wütenden Investoren sollten die Ärmel hochkrempeln und zurück an die Arbeit gehen, anstatt zu protestieren und zu brandschatzen.
Im letzten Jahr warb Berishas demokratische Partei mit dem Wahlkampfslogan: »Mit uns gewinnen alle«. Aber die Pyramiden enthüllen den Albanern das Gesicht des Kapitalismus. Ja, es ist wahr, man kann reich werden, aber eben ganz wenige und die auch nur auf Kosten der anderen. Die Pyramiden enthüllen aber auch die Wahrheit über die Macht der Neuen Weltordnung. Sie endet da, wo die Macht des Proletariats anfängt.
Die Medien im Westen
Auf unserem Veranstaltungsplakat haben wir einige schöne Beispiele für die Berichterstattung zu Albanien:
»Albanien versinkt in Anarchie und Chaos«
»Aufbruch ins Chaos«
»Albanien stürzt in die Anarchie«
»A Case of Alarming Anarchy«
(»Ein Fall von besorgniserregender Anarchie«) Usw. usf.
In den Artikeln setzt sich das fort:
FAZ, 7.3.: »Ethnische Unterschiede zwischen Süd- und Nordalbanern, Tosken und Gegen, Rivalitäten zwischen einzelnen Clans, Konkurrenz zwischen den Städten prägen die Auseinandersetzungen. (...) Die Blutrache, eine vorzivilisatorische Form der Gerechtigkeit, (...) meldet sich in Albanien ebenso wieder zu Wort wie andere Verhaltensmuster, die weit in die Geschichte und Vorgeschichte zurückreichen.«
TAZ, 4.3.: »Volkszorn, Gewaltbereitschaft und politischer Protest ergeben in Vlora eine explosive Mischung. (...) Niemand kann Politik und Kriminalität noch auseinanderhalten. (...) Schlepper, Drogenschmuggler und Frauenhändler treiben ganz unverhohlen ihre Geschäfte ...«
TAZ, 11.3.: »Im Süden Albaniens ist die Lust an der Waffe ungebrochen. In Cowboymanier schert man sich kaum um die politischen Entscheidungen im fernen Tirana. Das Gewaltmonopol des Staates ist aufgehoben, Selbstregulierung und Eigenverantwortung fordern 'männliche' Werte - wie in den Bergen, wo die Blutrache nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes wieder auflebte, und wie in Südalbanien zu osmanischer Zeit.«
TAZ, 8.3.: »Gewiß ist die Rebellion gegen Tirana (...) auch eine Autonomiebewegung lokaler Mafiazirkel.«
Das sind die Erklärungsmuster, die sie verstehen: Kriminelle, Stammesfehden, Blutrache, Mafia, ethnische und religiöse Gegensätze. Dabei wird aus den Forderungen ganz klar, daß der Aufstand allein politische und soziale Gründe hat: 1. Berisha muß weg 2. Rückzahlung der Gelder.
Arme und Unterdrückte, die gegen Armut und Unterdrückung rebellieren, das darf es nicht geben, schließlich hat der Kapitalismus nach 89 weltweit gesiegt, ein für alle mal. Ganz klar, daß die Revolution nur eine »archaische Verhaltensweise« (FAZ, 7.3.) sein kann.
ZEIT, 7.3.: »Es ist Chaos ausgebrochen in Albanien, ein unerbittliches Ringen zwischen dem aufgebrachten Volk, (...) und der Staatsmacht, die nicht weichen möchte.«
TAZ, 7.3.: »In der Hafenstadt Vlora herrscht nach der Einnahme durch die Aufständischen offenbar völliges Chaos. 'Es gibt keine Polizei und keine Behörden. Die Leute überfallen die Geschäfte und die Betriebe, um sich mit Gütern aller Art einzudecken', berichtet eine spanische Reporterin aus der Stadt. Die Atmosphäre sei nicht von Gewalt geprägt. Es herrsche Volksfeststimmung. Bewaffnete Männer feuerten in die Luft und riefen: Es lebe das befreite Albanien!«
Natürlich gab es Wirrwarr (Chaos) und Anarchie (Herrschaftslosigkeit), schließlich löste sich der Staat schlagartig in Wohlgefallen auf, und beim Aufstand gab es keine Führung. (Ich denke, deshalb sind sie auch so weit gekommen, es gab niemanden, der sie zurückhalten konnte.) Aber das hatte nichts zu tun mit Schrecken oder Gewaltexzessen, wie man es uns weismachen will. Für die Herrschenden ist Revolution per se Chaos.
FAZ, 15.3.: »Stellt man in Rechnung, daß inzwischen ganz Albanien mit seinen 3,3 Mill. Einwohnern vom Aufruhr erfaßt ist, darf man die bisherige Zahl der Opfer von vielleicht 50 Toten als gering betrachten.«
Am 21.3. gibt das US-Statedepartment eine Warnung vor Reisen nach Albanien heraus, stellt aber darin fest: Albanien hat eine relativ geringe Rate von Gewaltverbrechen.
Es sind Leute umgekommen. Ein erklecklicher Teil nicht im Chaos des Aufstandes, sondern durch die italienische Marine. 80 auf einen Streich. In den Aufstandsgebieten kamen die meisten als Folge von Unfällen mit Schußwaffen und Querschlägern um. Wenn Leute gezielt umgebracht wurden, dann zumeist von Seiten des Staates, der Geheimpolizei. Die Aufständischen waren oft sehr gnädig mit ihren Feinden, sogar die verhaßten Geheimpolizisten wurden häufig einfach weggejagt.
Manchmal produziert die Berichterstattung das gewünschte Ergebnis. In dem Ort Tepelene kam ein 16jähriger um, als ein 55jähriger Mann auf Bitten ausländischer Kameraleute in die Luft schießt.
Die bürgerlichen Medien verabscheuen die »New World Disorder« (Washington Times, 11.3.) so sehr, daß sie vor groben Fälschungen nicht zurückschrecken. The Militant, eine trotzkistische Zeitung in den USA, schickte Ende März Mitarbeiter nach Albanien. Bei der Überfahrt von Korfu nach Saranda fuhren sie auf einer Fähre mit, die Mehl als Spende von griechischen Institutionen an verschiedene Gemeinden transportierte. Plötzlich kamen drei Motorboote mit Bewaffneten längsseits. Diese kamen aus einem Dorf, das keinen Hafen hat und mußten daher das für sie bestimmte Mehl mit Booten übernehmen. Auf derselben Fähre befand sich auch ein kanadischer Fernsehreporter, der selbstverständlich kein Albanisch konnte. Einer der Militant-Mitarbeiter übersetzte, was sich gerade abspielte. Später bekam er zufällig mit, was der Kanadier seinem Sender berichtete: Bewaffnete Räuber hätten das Mehl auf hoher See geraubt. Weiter bezeichnete er gelegentliche Schüsse in Saranda als »Geschoßhagel«, Jugendliche mit Gewehren als »jugendliche Verbrecher« und den Vorsitzenden des Verteidigungskommittees als »örtlichen Warlord«.
Albanien '97: Geschichte eines Aufstandes
Mitte Januar kollabiert als erste Pyramide die kleine Firma Sude. Daraufhin sperrt die Regierung sofort die Konten von zwei der fünf größten Anlagefirmen Xhaferri und Populli. Gegen beide gibt es schon seit längerem Gerichtsverfahren, aber nur weil sie sich nicht als Firma, sondern als Stiftungen eingetragen hatten.
Daraufhin versammeln sich die Einleger in mehreren Städten und verlangen ihr Geld zurück. Polizei erscheint. Am 19. Januar durchbrechen 3000 Menschen den Polizeikordon und ziehen auf den Skanderbeg-Platz in Tirana. Auseinandersetzungen mit der Polizei gibt es auch anderswo, und es wird schnell klar, daß es den Leuten um ihr Geld geht, aber auch um viel, viel mehr. Anfangs sind sie wütend auf Berisha, weil er sie mit der Sperrung der Konten um einen Teil ihrer Einnahmen bringt; dann aber kapieren sie sehr schnell, was mit ihnen tatsächlich geschieht. Ihre Ersparnisse sind möglicherweise weg, die Wirtschaft funktioniert doch nicht, und sie denken vielleicht an die Löhne, die in den paar italienischen Textilfabriken gezahlt werden - wenn man überhaupt einen Job im Land findet. Und sie denken an die Brutalität von Polizei und dem Geheimdienst SHIK, vor denen, wie früher, jeder Angst hat. Mal wieder hat ihnen der Staat klar gemacht, was sie sind und was sie zu sein haben: Menschen, die nichts haben außer einer fast wertlosen Arbeitskraft, Proletarier eben. Und deshalb wird der noch amtierende Ministerpräsident Meksi kurz vor seinem Rücktritt auch zurecht sagen: »Aber es handelt sich in Ausmaß und Form um einen Bürgerkrieg, um eine proletarische Revolution, um den gewalttätigen Kampf um die Macht.«
Die Versammlungen vor den Auszahlungsstellen werden wütender, die Polizei rabiater. Auseinandersetzungen nehmen zu; vor allem dort, wo die beiden Pyramiden groß vertreten waren, z.B. in Lushnjë. In Berat fliegen Steine gegen alle Monumente des Regimes, gegen die Stadthalle, das Büro des Staatsanwaltes, gegen die Kreisverwaltung, das Polizeigebäude, das Gericht und das Büro der PD.
Koha Jone, die größte unabhängige Zeitung Albaniens, veröffentlicht am 30. Januar ein Manifest von unabhängigen Intellektuellen, das die Stimmung im Land wohl auf den Punkt bringt: »Es ist klar, daß sich die Wut des Volkes gegen einen Staat richtet, der sich zum Richter erklärt, nachdem er die Arbeit des Diebes erledigt hat.«
Alle Welt ruft zur Vermeidung von Gewalt auf - auch die eben erwähnten Intellektuellen. Wen die drei Religionsführer meinen, deren Aufruf jetzt tagelang im TV gezeigt wird, kann man sich vorstellen. Der Geheimdienst jedenfalls fühlt sich nicht angesprochen; ein bekannter unabhängiger Intellektueller und zwei Führer von Oppositionsparteien werden auf offener Straße brutal zusammengeschlagen. Berisha, offenbar doch überrascht, versucht sein altes und bekanntes Spiel weiterzuspielen: die Klein-Klein-Diplomatie im Inneren, das Ränkespiel, einen gegen den anderen ausspielen. Er lädt, zum ersten Mal seit langer Zeit, am 4. Februar die Oppositionsparteien zu einem Runden Tisch ein und erklärt, Alle würden irgendwie entschädigt werden.
Das überzeugt schon allein deshalb Niemanden, weil just am selben Tag die zweitgrößte Pyramide, die in Vlorë ansässige Gjallica, ihre völlige Zahlungsunfähigkeit erklärt. Der nächste Tag, der 5. Februar 1997, wird zum historischen Datum, es ist der erste »Tag des Protestes« in Vlorë. 10 000 laut AP, 30 000 laut Koha Jone, versammeln sich in einer Stadt, die etwas über 60 000 Einwohner hat. Noch sind es die Oppositionsparteien, die die Redner stellen und wie gewöhnlich Aufrufe gegen Gewalt verlesen. Aber die Parole der Menschen ist klar zu hören: »Nieder mit Berisha«. Als sich ungefähr die Hälfte der Versammlung zu einer Demo Richtung Hafen formiert, greift die aufstandsmäßig ausgerüstete Polizei ein und versucht, die Demo mit Wasserwerfern und Knüppel auseinanderzutreiben. Maskierte Leute vom SHIK schlagen einen gerade aus Griechenland zurückgekommenen Arbeiter zusammen und bringen ihn im Polizeiwagen weg.
Am nächsten Tag gehen die Proteste weiter, und ganz Albanien wird ab jetzt die Tage mitzählen, und die Zeitungen werden aufmachen mit Schlagzeilen wie »Der 5. Tag des Protestes« oder »Vlorë, 17. Tag«. Man trifft sich vormittags um 10 Uhr zur Demo und abends um 17 Uhr zur Vorbereitung der Demo des nächsten Tages. Tag für Tag wird die Polizei brutaler, und es treffen Nachrichten aus Tirana ein: dort haben Geheimdienstschläger ein Café überfallen, das als Treffpunkt von Oppositionspolitikern und Journalisten gilt. Vier Leute werden zusammengeschlagen. Überall im Land gibt es Proteste, aber auffallend ist, daß Aufrufe der Parteien kaum befolgt werden. So sollen zu einer Demo des Forums für Demokratie, zu dem sich mittlerweile alle Oppositionsparteien zusammengeschlossen haben, in Tepelene grade mal 60 Leute gekommen sein. In vielen Städten finden Massenverhaftungen statt, allein in Berat sitzen über 200 Demonstranten hinter Gitter. In Tirana mobilisiert die Partei Berishas, natürlich unbehelligt von der Polizei, 1000 Leute für eine Kundgebung für Demokratie und Gewaltlosigkeit.
Am 9. Februar beginnt die Sache weiter zu eskalieren. Die Polizei in Vlorë hat über Nacht Leute festgenommen, die sie für die Rädelsführer hält. Also zieht die Demo vor das Polizeigebäude und verlangt die Freilassung. Die Bullen schießen, es gibt mindestens 26 Verletzte. Am nächsten Tag gibt es nicht nur 81 verletzte Demonstranten, sondern einer davon stirbt kurze Zeit später an einer Schußverletzung.
Am nächsten Tag sind es dann 40 000; das Hauptquartier der PD geht in Flammen auf. Diesmal sind sie auch von weiterher gekommen: 5000 aus Fier, viele Hunderte aus Berat, Tepelene und anderen Städten. In Gjirokaster gibt es die bislang größte Demo. Sogar in Tirana, das sich schon lange im unerklärten Ausnahmezustand befindet, können die Ordnungskräfte das Zusammenrotten nicht ganz verhindern. »Vlorë, Vlorë!« wird zum Schlachtruf im ganzen Land.
Die Regierung Meksi beantragt im Parlament das Kriegsrecht für Vlorë. Die Vertreter der PD aus Vlorë sind aber dagegen, weil sie wissen, daß im Moment militärische Gewalt nichts erreichen kann. So lehnt also das Parlament den Antrag mit der formellen Begründung ab, die Verhängung von Kriegsrecht in nur einer Stadt sei in der Verfassung nicht vorgesehen. Die kleine Republikanische Partei zieht sich aus der Koalition zurück und verlangt den Rücktritt der Regierung.
In den nächsten Tagen, wir sind so in der Woche nach dem 12. Februar, beginnt sich die Bewegung auszubreiten. Demonstriert wird nicht nur in Vlorë, sondern in fast allen Städten im Süden und, etwas weniger, im Norden. Etwas weniger im Norden deshalb, weil die Nationalbank in Skoder angefangen hat, Gelder von Xhaferri und Populli auszuzahlen. Die Demos werden größer, aber immer wieder Auseinandersetzungen mit der Polizei, in Fier kommt ein Demonstrant ums Leben. Am 19. dann auch wieder eine große Demo in Tirana, die die Polizei nicht verhindern kann. Überall rufen sie »Vlorë, Vlorë!«.
Am 20. Februar, dem 15. Tag des Protestes, gehen Studenten der Uni in Vlorë in Hungerstreik. Sie fordern die Entschädigung der Anleger und rufen zur Gewaltlosigkeit auf. Polizei kommt, aber die Uniformierten geben sich friedlich. Ebenso kommen viele Einwohner, vor allem die Verwandten der Studenten, um »die Kinder zu schützen«.
Acht Tage später nimmt die Entwicklung eine weitere Stufe. Berisha hat derweil rege diplomatische Tätigkeit entfaltet, unter anderem ist sein Innenminister in Deutschland und unterschreibt ein Abkommen, nach dem die BRD eine Million DM zur Ausrüstung der albanischen Polizei verspricht. Auch andere Regierungen stärken Berisha den Rücken. Hatte er noch vor ein paar Tagen die Polizei angewiesen, friedliche Demos zuzulassen, scheint er jetzt davon überzeugt zu sein, daß Repression die richtige Politik ist.
Am 28. Februar versucht in Vlorë eine Gruppe von Zivilpolizei und SHIK das Gebäude zu stürmen, in sich die Hungerstreikenden befinden. Es kommt zur Schießerei, drei Leute aus Vlorë und ein Polizist werden getötet. Dieser Angriff des Staates macht den 28. Februar zum letzten Tag des Protestes und zum ersten Tag des Aufstands. Demonstranten ziehen zu den Gebäuden von Polizei und Geheimdienst, räumen sie aus, wobei zum ersten Mal Waffen erbeutet werden und fackeln sie anschließend ab. Leute vom SHIK werden gefangen genommen, ausgezogen und aus der Stadt geworfen.
Am nächsten Tag tritt die Regierung zurück. Am 2. März demonstrieren 6000 in Tirana, es gibt schwere Zusammenstöße, Kameraleute aus Italien und Deutschland werden verprügelt. In Sarandë werden die Gebäude der Polizei, des SHIK und das Gericht abgefackelt, das Gefängnis geöffnet. In Gjirokaster ist Generalstreik. Am 3. März verhängt Berisha den Ausnahmezustand, die Leitungen der Satelliten-TVs werden unterbrochen, ebenso Telefon in den Süden. Die Redaktionsräume der Koha Jone werden - offensichtlich vom Geheimdienst - zerstört, das Gebäude brennt ab.
Tagsdrauf nimmt die Bevölkerung von Sarandë den Militärstützpunkt ein und bildet eine autonome Gemeindeverwaltung. »Die Leute befürchteten, Berisha würde seine Polizei und bewaffnete Einheiten schicken und begannen zu diskutieren, wo sie Waffen herkriegen konnten, um sich zu schützen. Sie entschieden, zur Polizeistation, zur Armee und zum Marinestützpunkt zu gehen, um Waffen zu erhalten. Wirklich die ganze Stadt ging, alte Leute, Kinder, Frauen und Männer, alle gingen.« So erzählt ein Mitglied des Komitees (Interview in The Militant, 7.4.97) Die Polizeistation war verlassen, und im Flottenstützpunkt nur noch wenige Offiziere, die die Soldaten nach hause geschickt hatten.
In Vlorë werden Patrouillen gebildet, die einen Trupp Geheimdienstler erwischen. Bei Sarandë greift die Armee an und wird nach 40 Minuten zurückgeschlagen. Dies wird bis heute der einzige nennenswerte militärische Angriff gegen die Rebellen bleiben. In Fier gelingt es noch einmal, den Ausnahmezustand durchzusetzen, es werden bewaffnete Söldner gesehen.
In den nächsten Tagen ergreift der Aufstand immer mehr Städte und Dörfer. Ein von Berisha und den Oppositionsparteien gemeinsam gestelltes Ultimatum, binnen 48 Stunden die Waffen niederzulegen, verhallt ungehört. Am 9. März Gjirokaster und Tepelene, am 10. März Berat, Gramsh, Corovoda. Auch im Norden nehmen sich die Menschen die Waffen der Armee: in Skoder, Peshkopia, Lezha Kuksi, Laci.
»Das Vordringen der Rebellen erfolgt nicht durch Offensivstöße, die Bevölkerung der Städte im Süden fordert Polizei und Armee einfach auf, zu verschwinden«, so beschreibt DIE WELT vom 12.3. die Ereignisse. Nur in Permet gibt es einen Schußwechsel, dann läuft aber eine ganze Brigade zu den Rebellen über.
Am 12. März verschwindet die Armee auch aus Fier, später dann auch aus Elbasan. [2] In Tirana bricht die öffentliche Ordnung zusammen, wie man das so schön nennt, wenn der Staat seinen Betrieb einstellt. Überall im Land, im Norden wie im Süden, bewaffnet sich das Volk aus den Beständen der Armee.
In den Städten des Aufstandes bilden sich überall Komitees, um das Zusammenleben und das Überleben zu organisieren: Kinder entwaffnen, Lebensmittel organisieren, Verteidigung vorbereiten usw.. In Berat zum Beispiel übernehmen die Ärzte des Spitals die Initiative, trommeln Vertreter verschiedener Parteien und Gruppen zusammen, und wenige Stunden nach Beginn der Revolte trifft sich das »Komitee zur Rettung von Berat« im ehemaligen Rathaus; ein Lehrer wird Vorsitzender. Auch Leute von der PD sind dabei. Die Bevölkerung wird aufgefordert, das Schießen einzustellen. Das Komitee fordert den Rücktritt von Sali Berisha. In Vlorë sind keine Parteien beteiligt, dort ist der Vorsitzende ein junger Arbeiter, der in Griechenland gearbeitet hat. Nach allen Berichten, die uns vorliegen, werden die wichtigen Beschlüsse nicht von den Komitees, sondern von den Versammlungen getroffen. Es ist am Anfang öfter vorgekommen, daß einzelne Mitglieder des Komitees Sachen unterschrieben oder ausgehandelt haben, die dann von den Versammlungen nicht bestätigt worden sind.
Am 12. März konstituieren Vertreter aus acht befreiten Städten das »Nationale Komitee zur Rettung des Volkes«, nachdem zuvor schon das militärische Oberkommando in Tepelene eingerichtet worden war. So ab Mitte März tritt so etwas wie der »Alltag im Aufstand« ein, das Gebiet der Rebellen umfaßt jetzt gut ein Viertel des Landes.
Währenddessen berappelt sich in Tirana und im Norden der Staat. Berisha hat am 11. März eine Regierung aus allen Parteien ernannt mit dem SP-Mann Fino an der Spitze. Der war noch kurz zuvor Bürgermeister von Gjirokaster gewesen. Er rekrutiert Verstärkung für die Polizei, indem er die Gehälter verdreifacht. Es gelingt, den Abfall von Durrës zu verhindern, dabei werden drei Demonstranten erschossen.
Derweil setzt hektische internationale Aktivität ein. So gut wie alle Parteien in Tirana, Griechenland und Italien fordern sofortige militärische Intervention. Aber gegen ein Volk, das bis unter die Stirn bewaffnet ist? Gegen eine Bevölkerung, die jahrzehntelang auf Partisanenkampf vorbereitet worden ist? Vor allem Großbritannien und Deutschland sind dagegen. Als Kompromiß beschließt die EU, eine bewaffnete Sicherungstruppe zu schicken, um humanitäre Maßnahmen und den Wiederaufbau staatlicher Strukturen zu sichern. Am 17. März treffen sich EU-Vertreter mit Berisha, während die USA ihn auffordern, zurückzutreten.
Um die Dramatik der Lage ins rechte Licht zu rücken, erklärt die italienische Regierung am 20. März den Notstand für den italienischen Südosten, der angeblich von 10 000 Flüchtlingen überflutet wird. Gleichzeitig wird angekündigt, ab Montag eine Seeblockade gegen Albanien und die Flüchtlinge zu verhängen. »Warten wir halt darauf, bis die ersten hundert ertrunken sind. Erst dann wird sich was bewegen«, zitiert die TAZ vom 17.3. den Chef der Küstenwache, Oberstleutnant De Paolis. Nun, einer seiner Kapitäne hat am 29. März nachgeholfen und ein Flüchtlingsschiff versenkt - mindestens 80 Tote. Das hat jetzt aber weder die Beliebtheit der zukünftigen italienischen Interventionstruppen noch die von Berisha gestärkt.
Der französische Außenminister hat am 20. März dem albanischen Botschafter versichert, daß Frankreich nur die legalen Institutionen Albaniens anerkennt und bot finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe an. Am 28. März hat der Weltsicherheitsrat der OSZE das Mandat für eine bis zu 3000 Mann starke Sicherheitstruppe erteilt.
Wie ist die Situation bei der aufständischen Bevölkerung im Moment? Wir wissen es natürlich nicht genau. GenossInnen von der anarchistischen Zeitschrift ALPHA aus Athen haben uns vor ein paar Tagen folgende Einschätzung geschickt:
»Es sieht so aus, als würde sich die Situation im revoltierenden Süden Albaniens verschlechtern. Die Leute haben die Hoffnung verloren, sie sehen keinen Ausweg und sie trauen sicherlich auch nicht der Regierung Fino. Sie bestehen auf dem Rücktritt Berishas, aber sie glauben nicht, daß sich dadurch ihr Leben irgendwie verbessern wird. Sie wollen ihn einfach deshalb weghaben, damit er keine Möglichkeit mehr hat, Rache zu nehmen.
Die albanische Revolte war spontan, die Leute waren außer sich vor Wut und revoltierten; aber nach dem ersten Enthusiasmus wußten sie in Wirklichkeit nicht mehr, was zu tun sei. Sie haben den Kapitalismus mit Berisha und den Pyramiden identifiziert und den Kommunismus mit Hodscha und Alia - und das ist keine tolle Auswahl.«
Nun, ich glaube nicht, daß man einen derart breiten und konsequenten Aufstand einfach mit einer spontanen Gefühlsregung erklären kann - dann würde man Anlaß und Ursache gleichsetzen. Bis zu einem gewissen Grad wußten die Leute, auf was sie sich da eingelassen haben. Natürlich wußten sie, daß die Mächte Europas hinter Berisha stehen. Was sie vielleicht falsch eingeschätzt haben - aber das hat mit Unwissen oder Dummheit nichts zu tun - war:
1. daß sich alle Parteien, von den ehemaligen Kommunisten bis hin zu den Monarchisten, gegen eine Erhebung des Volkes sofort ebenfalls um Berisha scharen würden, in dem klaren Bewußtsein, daß sie überflüssig werden und ihre Pöstchen verlieren könnten.
2. daß die kapitalistischen Mächte Europas eine Politik der direkten und militärischen Bereinigung der Situation durchzuziehen bereit sind, oder wenigstens bereit sind, eine solche Lösung in Kauf zu nehmen. Anders kann weder die weiterhin volle Rückendeckung für Berisha, noch die Beibehaltung eines italienischen Oberbefehls über die Truppe verstanden werden. Das ist keine Politik, die sich um Ausgleich in Albanien bemüht, sondern eine Politik, die die Konfrontation geradezu sucht. Dies ist keine Politik, die von den realen Machtverhältnissen ausgeht. Dazu müßten die Interventionstruppen die Existenz der Komitees und die Entscheidungsgewalt der Versammlungen im Süden respektieren. Darauf deutet wenig hin. Es scheint sich eher um eine Politik zu handeln, die die bestehenden Verhältnisse (re-) stabilisieren will. Es geht offensichtlich nicht um die »Wiederherstellung von Recht und Demokratie«, sondern um die Wiederherstellung der Ordnung Berishas. Wobei nicht ausgemacht ist, daß die Person Berisha immer noch erste Wahl der europäischen Mächte ist - es geht um die Installation einer Entwicklungsdemokratur und um die Beseitigung der Macht einer aufständischen Bevölkerung.
Man hat am Fernsehen deutlich gesehen: die Menschen in Albanien haben kapiert, mit welch gnadenlosem antialbanischen Rassismus derzeit in Europa hantiert wird. Sie haben verstanden, daß sie nicht nur von Berisha als kriminelle Mafiosi, Gangster, Schmuggler, Verrückte und terroristische Banden beschimpft werden. Sie haben jetzt wohl kapiert, was da auf sie zukommt. Aber nicht nur, daß Berisha fremde Söldner zur Sicherung seiner Herrschaft ins Land holt - sondern auch, was sie im Falle eines Sieges Berishas zu erwarten haben.
Resigniert haben sie jedenfalls noch nicht; dazu besteht auch kein Anlaß. Noch am Ostersonntag haben die Leute in Gramsh das letzte Waffendepot der Armee, das sich dort befunden hat, ausgeräumt. Am 21. März haben sich Vertreter von 21 Komitees in Tepelene getroffen und die Bildung einer Übergangsregierung mit ihrer Beteiligung gefordert. Die Regierung Fino lehnt jede Zusammenarbeit mit dem Nationalen Komitee zur Rettung des Volkes ab. Sie behauptet, jetzt wieder etwa 15 000 Bewaffnete (Polizei, Geheimdienst, Reste der Armee) zur Verfügung zu haben. Aber damit muß sie erst mal zwei Drittel des Landes unter Kontrolle halten - es wird wohl nicht so sein, daß die Menschen in Tirana, Durrës oder im Norden jetzt vollen Herzens hinter Berisha stehen. Im Gegenteil: es wird berichtet, daß sich die Bullen in Tirana nachts nicht blicken lassen - aus Angst.
Was ist das in Albanien? Aufstand, Revolte, Rebellion, Revolution. Man wird hinterher eine Schublade finden, das ist jetzt nicht wichtig, die Entwicklung ist offen. Hinter dem Aufstand steht nicht nur die Erfahrung der Unterdrückung und des Betrugs. »Albanien muß klein und einfach anfangen, wie es die asiatischen Tiger gemacht haben«, hat der Vertreter der Weltbank in Tirana gesagt. Das haben sie erfahren in der alltäglichen sozialen Situation in Albanien, aber auch auf ihren miesen und prekären Jobs in Griechenland und Italien. Der Aufstand richtet sich gegen die ihnen zugedachte Rolle von europäischen asiatischen Billiglöhnern. Das ist ein Aufstand gegen einen Kapitalismus, der seine Versprechen nicht erfüllt - und in diesem Sinn steht er in einer Reihe mit den Unruhen in Indonesien, mit den Kämpfen in China und Thailand, mit den Streiks in Südkorea, Rußland und anderswo.
Was mich zur Zeit am meisten entsetzt, ist nicht die Vorbereitung der militärischen Niederschlagung eines revolutionären Aufstandes. Das ist nichts Neues. Viel mehr entsetzt mich, daß es den Herrschenden so weitgehend gelingt, die Menschen hier gegen die Aufständischen einzunehmen. Ich glaube nicht, daß es jemals einen - sogar erstmal erfolgreichen - Aufstand der Verdammten dieser Erde gegeben hat, der so allein war.
Mannheim/Ludwigshafen, 2.4.97
Fußnoten:
[1] Siehe auch die Anekdote, die in dem Text »Der globale Instinkt« angeführt wird; in: Wildcat-Zirkular 34/35, S. 32.
[2] Über die derzeitigen Machtverhältnisse in Fier, Lushnjë und Elbasan liegen unterschiedliche Meldungen vor.