Wildcat-Zirkular Nr. 36/37 - April 1997 - S. 115-130 [z36batta.htm]


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Massenarbeiter und gesellschaftlicher Arbeiter - einige Bemerkungen über die »neue Klassenzusammensetzung«

Roberto Battaggia (in: Primo Maggio Nr. 14, Winter 1980/81, S. 71-77; Revidierte übersetzung aus Lesebuch zur Nicht-Arbeit, Karlsruhe 1981, S. 27-45)

Der Begriff »neue Klassenzusammensetzung« stammt begrifflich aus dem Operaismus, er bezieht sich somit auf einen bestimmten methodischen Ansatz der revolutionären Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise. Aber bis zu welchem Punkt sind die analytischen Voraussetzungen des »klassischen« Operaismus dieselben wie die des »Neo-Operaismus«? Inwieweit ist das begriffliche Schema, das zur Feststellung der technischen und politischen Zusammensetzung des Massenarbeiters geführt hat, analog zu dem, auf das sich die neue Klassenzusammensetzung des gesellschaftlichen Arbeiters gründet? Die gegenwärtigen quälenden Diskussionen über dieses Thema erwecken den Eindruck, daß sich etwas geändert haben muß in den aktuellen theoretischen Versuchen im Vergleich zur klaren formalen Struktur des operaistischen Diskurses, daß gewisse Begriffe auf unterschiedliche reale Inhalte hinweisen, daß auch die methodischen Voraussetzungen nicht mehr die von einst sind.

Der tiefere Sinn der operaistischen Untersuchung, die grundlegende Vernunft ihrer Resultate und ihrer politischen Absichten, bestanden, glaube ich, in der Wiederaufnahme einer strengen und Marxschen historisch-logischen kritischen Methode. Ein Ansatz, demzufolge die Kritik der politischen ökonomie und die Kritik der Politik über eine Reihe von Kategorien und begrifflichen Instrumenten entwickelt werden müssen, die in engem Zusammenhang mit der historischen Dynamik des Klassenkampfs definiert werden. Welchen Sinn und heuristischen Wert sie haben, hängt zweifellos vom spezifischen Charakter der Wirklichkeit ab, auf die sie sich beziehen.

Um flexible und prägnante analytische Instrumente zu bekommen, vermeidet man einen allgemeinen und unterschiedslosen Begriff wie »Arbeiterklasse« und führt stattdessen den Begriff »Klassenzusammensetzung« ein. Wir haben also nicht mehr »den Arbeiter«, »den Staat«, »die Partei« usw., sondern »die Arbeiterfigur«, die »Staatsform«, die »Parteiform« und so weiter, also eine Reihe von bestimmten spezifischen Abstraktionen in historisch-logischer Ordnung mit eigenem Sinn(-gehalt) und Implikationen, auch wenn sie sich alle auf die durchschnittliche, allgemeine kapitalistische Realität beziehen. Die Klasse und das Kapital nehmen also ursprüngliche [originali] und unabhängige Formen an, je nach der historisch bestimmten Konfiguration ihres Verhältnisses.

Im operaistischen Denken ist die materialistische Instanz ein entscheidendes Element der ganzen Theorie: man könnte auch sagen, daß gerade das materialistische Interpretationskriterium es erlaubte, historisch-logisch korrekt die Aufeinanderfolge der Arbeiterfiguren in der Geschichte des Kapitalverhältnisses zu rekonstruieren. Indem man als Festpunkt jeder Analyse die Beziehung der Körper zu den Arbeitsinstrumenten nahm, der Denk- und Handlungsweisen zu den Produktionsweisen, der Subjektivität zur Objektivität, wurde klar, daß die politischen Verhaltensweisen, die Formen, die vom Klassenkampf ausgedrückten Bedürfnisse sich bestimmt haben und sich bestimmen auf der Basis der objektiven Beziehung der Arbeit zum Kapital, des Menschen gegenüber der Maschine. So daß der professionelle Arbeiter angesichts einer nur formalen Subsumption seiner Arbeit unters Kapital für die Wiederaneignung der Produktionsmittel kämpfte, für die Selbstverwaltung der Fabrik - und der Massenarbeiter direkt gegen das physische Bestehen des Kapitals, seine technische Seinsweise, Ausdruck einer nun auch realen Subsumption seiner Arbeit. Der revolutionäre Prozeß definierte und definiert sich also in bezug auf die Arbeiterfigur, die in der kapitalistischen Arbeitsorganisation dominiert oder zur Dominanz tendiert. Die technische Zusammensetzung der Klasse bestimmt genau den Ausschnitt der Klasse, auf den das Kapital den Akkumulationsprozeß zu stützen versucht; die politische Zusammensetzung der Klasse definiert den materiell bestimmten Charakter ihres Antagonismus.

Wenn das in den wesentlichen Zügen die begriffliche Matrix des Operaismus ist, wenn die Erfolge des »klassischen« Operaismus abhingen von der methodischen Korrektheit der Analyse, also von der Erkenntnis der revolutionären Effektivität der materialistischen Kritik und der strengen historisch-logischen Verbindung der Kategorien, so glaube ich, daß genau in bezug auf diese methodischen Voraussetzungen jener neue Begriff der Klassenzusammensetzung bewertet werden muß. Insbesondere erscheint es mir zweckdienlich zu verifizieren, ob auch er aus denselben Elementen abgeleitet ist, die den Massenarbeiter definierten: eine bestimmte objektive Beziehung zur Produktionsweise und folgerichtig homogene Verhaltensweisen und politische Ziele. Ich behaupte natürlich nicht, all die spezifischen Positionen zum Thema zu berücksichtigen, ich werde mich darauf beschränken, die meiner Ansicht nach wichtigsten Grundbegriffe herauszuarbeiten, um die herum sich die Thematik des neuen revolutionären Subjekts bewegt. Außer einigen Zitaten werde ich dem »Interview zum Operaismus« [1] von Toni Negri gewisse Aufmerksamkeit widmen; nicht so sehr, weil ich Negri die definitive theoretische Ausarbeitung der neuen Klassenzusammensetzung zuschreiben möchte, sondern weil an diesem Text sehr gut die Komplexität - und die Mühseligkeit der Problematik des gesellschaftlichen Arbeiters deutlich wird.

Die »Geschichte« des gesellschaftlichen Arbeiters

Der gesellschaftliche Arbeiter sei die Frucht der vom Kapital in Gang gesetzten gewaltigen Umstrukturierung, um den von den Kämpfen des Massenarbeiters von 1969 bis 1972 unterbrochenen Akkumulationsprozeß wiederaufzunehmen. Diese Restrukturierung wird verstanden sowohl als eine andere Strategie der Akkumulation selbst als auch als eine umfassende Neudefinition der Rolle des Staates als Garant der kapitalistischen Selbstverwertung. Die konkreten Instrumente der Umstrukturierung seien, extrem zusammengefaßt, die Dezentralisierung der Produktion, der Inflationsmechanismus, die Umstellung der Politik der öffentlichen Ausgaben und das Parteiensystem.

Die Dezentralisierung der Produktion, die sogenannte Untergrundwirtschaft, stellt nicht per se ein qualitativ neues Phänomen der Mehrwertabpressung dar; mit der Hinwendung zu Produktionseinheiten kleiner und mittlerer Größe sei es dem Kapital gelungen, die Ausbeutung der Lohnarbeit in traditionellen Formen wiederaufzunehmen und zugleich die kompakte Front der Klassenzusammensetzung, die sich ihm entgegengestellt hatte, aufzuspalten. Die kleinen Unternehmen können in der Tat sehr viel flexibler als die Großfabrik geführt werden, während gleichzeitig der Einsatz jugendlicher, oft weiblicher, jedenfalls wenig gewerkschaftlich organisierter oder politisierter Arbeitskraft, die Kräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals verschiebt. Ebenso macht die Beschäftigung in Teilzeit, Saison- oder Schwarzarbeit, organisiert mit den neuen Techniken der Vergesellschaftung des Produktionsverhältnisses, hohe Profite möglich. Aber wie jede Operation des Kapitals trägt auch die Dezentralisierung einen Widerspruch in sich: Die Zerstreuung [diffusione] von Teilen der Klasse auf dem Territorium habe auch den in vorhergehenden Kämpfen angehäuften Antagonismus verbreitet. Die Dezentralisierung der Arbeiter gehe nicht wie vorgesehen einher mit einem sinkenden Konfliktpotential, im Gegenteil: Das politische Erbe des Massenarbeiters, gesammelt von diesen neuen Teilen der Klasse, werde sich auch auf Segmente des Proletariats ausbreiten, die nicht direkt in die unmittelbare Produktion einbezogen sind. Eine erste »gesellschaftliche« Wertigkeit [valenza] der gegenwärtigen Arbeiterfigur sei also gebunden an die Zersetzung der Klasse im Territorium, an eine »physische« Vergesellschaftung der Arbeit.

Aber der wirkliche qualitative Sprung in Richtung auf die Vergesellschaftung der produktiven Arbeit, der produktivistischen Angleichung der Fabrikarbeit an die gesellschaftliche Arbeit im allgemeinen sei vollführt worden durch eine gründliche Neuvermischung der verschiedenen Momente der kapitalistischen ökonomie, genauer durch die »Subsumption der Zirkulation unter die Produktion«. Das Inflationsmanöver und die Umstellung der öffentlichen Ausgaben seien die hauptsächlichen Agentien der Operation gewesen. Ich muß vorausschicken, daß die Inflations-Problematik noch nicht hinreichend verstanden ist; trotzdem wurden sicherlich interessante Versuche gemacht, um die neuen Beziehungen zu analysieren, die die Inflation zwischen Geld und Wert hergestellt hat. Man sagte über die von den Kämpfen des Massenarbeiters erzwungene Blockierung der Akkumulation: Der Lohnkampf habe den Preis der Arbeitskraft zu einem Punkt gebracht, wo er dem von ihr produzierten Warenwert gleich wurde. Das bedeutet, daß in diesen Waren kein Mehrwert mehr enthalten war. Um diese vernichtende Situation zu lösen, habe das Kapital also das Moment der Zirkulation unter die Produktion subsumiert, in dem Sinn, daß es daraus das real mehrwertbildende Moment machte. Um den Mechanismus zu verstehen, verfolgen wir für einen Moment das Marxsche Schema der Wertschöpfung: Das Kapital bezahlt die Arbeitskraft zu ihrem Wert, der gleich dem der zu ihrer Reproduktion notwendigen Mittel ist; aber der Wert, den die Arbeitskraft zu schaffen imstande ist, ist größer als ihr eigener Wert: somit bestehen die Waren zu einem Teil aus Wert, der den Wert der Arbeitskraft darstellt, und zu einem Teil aus Mehrwert. Der Markt beschränkt sich darauf, den Mehrwert zu »realisieren«, zu monetarisieren. In der gegenwärtigen Situation jedoch erreichen die Waren den Markt ohne Mehrwert(anteil). Aber die Inflation erlaubt die Schaffung einer künstlichen Spanne zwischen dem wirklichen Wert der Waren und jenem, den sie geldlich auf dem Markt annehmen. Es gelingt ihr also, beständig und im nachhinein den Wert der Arbeitskraft zu senken. Für den guten Ausgang der Operation ist offensichtlich entscheidend, daß die Inflation konstant bleibt, weil sonst die Lohnforderungen das Spiel der Werte wieder auf die Ausgangsposition zurückwerfen würden. »Die Profite, die sich nicht auf Prozesse materieller Verwertung gründen, sondern einfach auf die monetäre Erweiterung des abstrakten Reichtums, können sich nicht ablagern, weil sie periodisch von der Angleichung der Kosten verschluckt werden. Die Spirale Preise-Kosten-Preise, die den Rhythmus der Inflation skandiert - was auch immer ihr Ursprung sei -, ist also in der Lage, ansehnlich monetäre Profitspannen hervorzubringen, um sie im folgenden Moment wieder auszulöschen und auf analoger und ebenso temporärer Grundlage wieder hervorzubringen.« [2]

Kurz und gut: vom Wertgesetz zur Geldmengentheorie. Dies ist ein komplizierter [sofisticato] und effektiver Mechanismus: Er hat sowohl die Wiederaufnahme des Verwertungsprozesses an sich und für sich erlaubt als auch die präventive Anti-Arbeiterpolitik ermöglicht. Die zweistellige Inflation hat in der Tat dem Lohnkampf seinen umstürzlerischen Inhalt geraubt und ihn vom destabilisierenden Agens des ganzen Industriesystems - unabhängige Variable der Arbeitergegenmacht - wieder zum reinen Instrument zur Verteidigung der Kaufkraft gemacht.

Die staatliche Organisation und dieses komplexes Akkumulationsmodell sind mehrfach verflochten. Betreffs der Dezentralisierung der Produktion ist zu vermerken, daß parallel zur Zersetzung der Klasse auf dem Territorium die zentrale Arbeiterklasse durch die normalisierende Intervention von Gewerkschaft und Parteien politisch eingefroren wird, die gerade auf der Zerschlagung der vorhergehenden Klassenzusammensetzung ihr Projekt der Sozialdemokratisierung der italienischen Arbeiterbewegung gründen. Betreffs des inflationären Mechanismus hingegen spielen das Kreditsystem und die Verwaltung der öffentlichen Ausgaben die entscheidende Rolle: Der Kredit ist nunmehr die einzige Quelle der Finanzierung der Unternehmen geworden, während die inflatorischen öffentlichen Ausgaben, ehemals einfaches Instrument zur klientelmäßigen Konsensbeschaffung und keynesianische, exogene Stütze der Nachfrage, heute in steigendem Maße auch als Verteiler des abstrakten Reichtums fungieren, gerichtet auf die »Konstituierung« und nicht mehr bloß auf die »Realisierung« des Mehrwerts. Der inflationäre Prozeß resultiere also sowohl aus der Preispolitik der Unternehmen wie auch aus der ständig wachsenden Geldmenge, um die Akkumulation zu stützen (Kredit) und aus einer »wertschaffenden« Nachfrage (öffentliche Ausgaben).

Der springende und historisch charakteristische Punkt bei all dem besteht in der vollständigen Umkehrung der traditionellen Wirtschaftspolitik gegen die Arbeiter: Während früher die Kampfzyklen mit klassischer Deflationspolitik angegriffen wurden, die dahin zielte, die Beschäftigung einzuschränken, und direkt beim Lohn ansetzte, läuft jetzt die Wiederherstellung von Profitmargen über den fortgesetzten Aufschub der Krise in die Zukunft. Aber auch diese gewagte Strategie brachte zerreißende Widersprüche mit sich: Das Abladen der Verwertungskrise in der Fabrik auf alle Schichten des Proletariats außerhalb der Fabrik habe tatsächlich zur Neuzusammensetzung der Klasse direkt auf gesellschaftlicher Ebene geführt und den radikalen Antagonismus des Massenarbeiters, dem Objekt des kapitalistischen Angriffs, auf das ganze Territorium ausgeweitet. Und in dem Maß, in dem der ganze institutionelle Apparat, in der vordersten Reihe die Parteien, sich darauf richtete, das Manöver zu unterstützen, klärte sich der innere Charakter der Gesellschaft als Gesellschaft des Kapitals, so daß sich der gesellschaftliche Antagonismus gegen alle ihre Ausdrucksformen wende.

An dieser Stelle lohnt es sich, das Denken (die Lehre) Negris zu betrachten. Das Phänomen der »Subsumption der Zirkulation als Moment der Produktion« ist für ihn ein grundlegendes Agens für die Konstituierung einer neuen Klassenzusammensetzung gewesen (aber nicht das einzige, wie wir sehen werden). Dieses Phänomen analysiert er in Begriffen, die nicht präzis an die erklärten angeglichen werden können. Tatsächlich ist etwas vorhanden, das mit Mehrwert und Wertschöpfung (Verwertung) zu tun hat: »Wenn wir gesellschaftlicher Arbeiter sagen, sagen wir zutiefst, mit äußerster Präzision, daß aus diesem Subjekt Mehrwert herausgeholt wird. Wenn wir vom gesellschaftlichen Arbeiter sprechen, sprechen wir von einem Subjekt, das produktiv ist, und wenn wir sagen, daß es produktiv ist, heißt das, daß es Mehrwert produziert, unmittelbar oder mittelbar«; [3] aber seine Aufmerksamkeit scheint mehr auf die Herrschaftsfunktion der öffentlichen Ausgaben gerichtet, mehr auf die politische Funktion der Einkommensverteilung für die gesellschaftliche Reproduktion der Kapitalbeziehungen - als auf eventuelle, neu hergestellte Mechanismen von Mehrwert(produktion). Er sagt in der Tat: »Die Hypothese, die wir konsequenterweise aufstellen, ist die, daß die öffentlichen Ausgaben einerseits die neue Dimension des Kapitalverhältnisses gegenüber der gesellschaftlichen Reproduktion darstellen, andererseits in ihrem Innern die Kriterien umfassender Hierarchisierung und Funktionalisierung der Subjekte für das Reproduktionsprojekt des Kapitals wiederherstellen (reproduzieren), insofern Reproduktion des Kapitals Reproduktion der Gesellschaft des Kapitals und mithin hierarchische Reproduktion der Klassen bedeutet, kurz und gut Reproduktion jener effektiven Ungleichheit, die die öffentlichen Ausgaben für die Herrschaft produzieren müssen.« [4] Aber in dem Maß, wie es »dem Kapital und seiner Staatsform« gelingt, »beständig die übergänge der Zirkulation als grundlegende Elemente ihres Fortdauernds, ihrer Reproduktion vorzuformen«, verwandeln sich »zu diesem Zweck alle Zirkulationskosten in produktive Kosten«, sie setzen sich in außerordentlicher Weise »dem Arbeiter- und Proletarier-Gegenangriff aus.« [5] In dem Moment, in dem also die öffentlichen Ausgaben als eine Lohnform von Kommando eingesetzt wurden, entfesselten sie in der gesellschaftlichen Reproduktion des Proletariats jenen Antagonismus, der vorher schlecht und recht in der Fabrik eingeschlossen war.

Negri gibt noch zwei weitere Elemente als neuzusammensetzende Agentien der Klasse und Fabrikisierung der Gesellschaft an. Flüchtig scheint er auf die Dezentralisierung der Produktion hinzuweisen: »Wir befinden uns einer Masse von Arbeitskräften gegenüber, deren Ausbeutungsrate sehr hoch und deren Lohnrate sehr niedrig ist. Dies bedeutet, daß die Entwertung der Arbeitskraft, ihrer Kosten, die gegen bestimmte fortgeschrittene Sektoren der Arbeiterklasse nicht möglich war, auf andere Sektoren der Arbeiterklasse umgewälzt wird.« [6] Aber er hält ein anderes Element für absolut grundlegend, nämlich den Abstraktionsprozeß der gesamten gesellschaftlichen Arbeit: »Eine der Sachen, die uns seit einigen Jahren auffiel, war die 'Ver-Arbeiterung' der Verhaltensweisen, was weiß ich, des Bankarbeiters, wenn du dir dann angeschaut hast, wie die Sachen ablaufen, hast du entdeckt, daß diese Arbeiterverhaltensweisen vollständig an die Struktur des Arbeitsprozesses dieses Bankarbeiters gebunden waren. Er war ein Operator von Rechnern geworden, genauso wie viele Chemiearbeiter im selben Maß Operatoren innerhalb eines direkt produktiven Zyklus geworden sind.« [7] Und weiter: »Die grundlegende These, auf die, wenn du so willst, die ganze Theorie des Operaismus aufgebaut ist, ist gerade die einer fortschreitenden Abstraktion der Arbeit parallel zu ihrer Vergesellschaftung.« [8] Die neue Klassenzusammensetzung wird also um eine ausdrücklich materialistische Motivation reicher: die Rebellion gegen die Dequalifizierung, gegen die Verwandlung des Menschen in eine Sache (...).

Wir können jetzt rekapitulieren. Die neue Klassenzusammensetzung wird von folgenden Elementen definiert: die verstreute Arbeit in den kleinen Fabriken auf dem Territorium; das Wertverhältnis, das jedes proletarische Einkommen gegenüber der kapitalistischen Akkumulation annimmt; die Lohnform des Kommandos der öffentlichen Ausgaben; der Abstraktionsprozeß der gesellschaftlichen Arbeit. Diesen Analysen fehlt nicht ein gewisser Reiz, aber konfrontieren wir die politisch-historische Entstehung des Massenarbeiters mit der des gesellschaftlichen Arbeiters.

Die Klassenzusammensetzung des Massenarbeiters stellte das dar, was in der Statistik ein »Kollektiv« ist, also die Basiseinheit der wissenschaftlichen Beobachtung: ein Ensemble homogener Einheiten mit einem bestimmten »Merkmal«. In unserem Fall: ein Ausschnitt der Arbeitskraft, der materiell homogenisiert wird durch eine bestimmte Beziehung zur kapitalistischen Technologie (dem Fließband) und einem daraus folgenden politischen Verhalten: Forderung nach Lohn als Einkommen, Verweigerung der Arbeit, Sabotage. Das, was es der Arbeiterklasse des heißen Herbstes ermöglicht hat, »Klassenzusammensetzung zu sein«, ziehendes Subjekt des revolutionären Prozesses, der Gesellschaft ihre Kämpfe aufzuzwingen und den überlieferten Theorieapparat des Klassenkampfs tiefgreifend zu revidieren, ist genau jene innere Homogenität gewesen, diese sehr starke Verbindung zwischen einer objektiven (den materiellen Ausbeutungsbedingungen) und einer subjektiven Gegebenheit (dem politischen Verhalten). Der Massenarbeiter war ein sehr präzis definierbarer und genau quantifizierbarer Ausschnitt der Klasse, von dem relativ unmittelbar die ziehenden politischen Ziele ausgingen.

Umgekehrt ist keine materielle Homogenität zu sehen, die die neue Klassenzusammensetzung, so wie sie formuliert zu sein scheint, von innen her stützt. Ihre physischen Bestandteile scheinen weder an materielle Ausbeutungsbedingungen noch an unmittelbare politische Ziele gebunden. Sie schließt eine Pluralität von Teilen der Klasse ein, die oft sehr weit entfernt voneinander sind: dezentralisierte Arbeiter, junge, arbeitslose Proletarier, Marginalisierte aus den proletarischen Stadtvierteln, Hausfrauen, Frauen, wohnungslose Studenten, unterbeschäftigte Intellektuelle ... kurz und gut: Subjekte mit völlig autonomen unmittelbaren Motivationen. Der Einwand, daß die Homogenität durch die gemeinsame Beziehung zum Verwertungsprozeß gegeben ist, mag auf der formalen Ebene der Kritik der politischen ökonomie vielleicht einwandfrei sein, ist aber ziemlich schwach auf der substantiellen Ebene der Kritik der Politik, also der politischen revolutionären Organisation des Antagonismus. Der Terminus Klassenzusammensetzung dürfte sich tatsächlich nicht darauf beschränken, die Existenzweisen der Klasse zu beschreiben, sondern müßte auch jene entscheidenden Elemente von politischem Kampf herausarbeiten, die ihre Bestandteile vereinigen; um uns recht zu verstehen, jene, die im Fall des Massenarbeiters sich auf das Zusammenfallen von unmittelbaren antagonistischen Motivationen (der Kampf gegen die Maschine) und jenen mehr allgemeinen und historisierenden (die Negation der kapitalistischen Produktionsweise) stützten.

Die Analysen bezüglich des gesellschaftlichen Arbeiters oder jedenfalls der neuen Klassenzusammensetzung, scheint mir, stellen die beschreibende Seite des Begriffs »Klassenzusammensetzung« dar und nicht auch die »inhaltliche« im politischen Sinn. Sie beschreiben eher die Art und Weise, in der das Kapital funktioniert, als den Weg, um es anzugreifen. Die Tatsache, daß die politische Zusammensetzung des Massenarbeiters auf der Basis von materiellen, von Produktionsverhältnissen bestimmt wurde, während sich die des gesellschaftlichen Arbeiters auf wesentlich abstrakte, auf Wertverhältnisse gründet, stellt einen substantiellen Unterschied dar: denn in dieser Hinsicht hat das Einkommen, als zahlende Nachfrage, als Instrument der monetären Verwandlung der Waren, als Geld, immer eine Beziehung zwischen der kapitalistischen Verwertung und der Gesellschaft der Proletarier in ihrer Gesamtheit hergestellt. In diesen Termini hat der gesellschaftliche Arbeiter immer existiert.

Ich weiß nicht, ob Negri diese strukturelle Diskontinuität zwischen dem früheren operaistischen Diskurs und dem heutigen bemerkt hat; aber es ist sehr bezeichnend, daß er zwischen die grundlegenden Elemente der Neuzusammensetzung der Klasse eine rein materialistische Gegebenheit wie Abstraktion der gesellschaftlichen Arbeit eingefügt (oder danebengestellt?) hat. Und in der Tat, wenn man behaupten könnte, daß die heutige gesellschaftliche Konfliktualität wesentlich von der reellen Subsumption nicht nur der Fabrikarbeit unters Kapital, sondern ganz allgemein der Arbeit verursacht ist, würde sich der neokapitalistische Kreis perfekt schließen: Der gesellschaftliche Arbeiter stellte wie der Massenarbeiter eine kompakte Homogenität dar im Verhältnis zu den Ausbeutungsbedingungen und im substantiell auf die überwindung der kapitalistischen Produktionsweise zielenden politischen Inhalt. Die analoge Verwendung des alten operaistischen Schemas wäre so absolut gerechtfertigt. Aber all das ist nicht aufrechtzuerhalten. Dort, wo Negri selbst hervorhebt, daß »bei uns ein Mangel besteht, die persönliche, individuelle Entschlossenheit im Verhalten in die Dimension des politischen Projekts zu übersetzen«, [9] und daß »eine Kritik der Politik« notwendig wäre, »die fähig ist, politische Formen, das heißt, allgemeine Formen des Ausdrucks dieses Antagonismus auszumachen«, [10] entzieht er selbst einer Motivationshypothese des Antagonismus diesen Typs unmittelbar die Grundlage (Konsistenz), indem er indirekt bestätigt, daß die Lebendigkeit, die Ausdehnung, der inhaltliche Reichtum des heutigen Antagonismus gerade in der großen Eigentümlichkeit und Autonomie seiner Protagonisten, in ihrer artikulierten und materiellen Unmittelbarkeit besteht.

Natürlich ist die Tendenz zur Abstraktion der Arbeit ein nicht wegzudiskutierendes Phänomen - gerade weil sie so offensichtlich ist. Das ist ein bißchen so ähnlich wie mit der Proletarisierung der Mittelschichten: In der Tat ist die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft, da sie keine eigenen Produktionsmittel besitzt, gezwungen, die eigene körperliche oder intellektuelle Arbeitskraft auf dem Markt zu verkaufen. Aber beides sind Wahrheiten, die man als historischen Hintergrund implizit berücksichtigen muß, wenn man irgendeine soziologische Analyse macht, die aber sehr wenig für eine unmittelbare politische Hypothese hergeben. Daß es eine verallgemeinerte indifferente Haltung gegenüber den Berufsinhalten der - nehmen wir mal an - Beamten-/Angestelltenarbeit gibt, kann wahr sein, aber die politische »Verarbeiterung« der Dienstleistungsberufe ist allenfalls die Reaktion auf den sozialen und ökonomischen Prestigeverlust der Angestelltenarbeit in diesen Sektoren, und weniger auf die inhumane Einführung der »Technik« (Informatik) in die Arbeitsorganisation. Die Parallele Fließband gleich Verweigerung der Lohnarbeit, ergo Abstraktion der gesellschaftlichen Arbeit gleich Verweigerung der Arbeit überhaupt vorzuschlagen, scheint mir, wenigstens im Moment, eine offensichtliche Verzerrung.

Alles in allem: Welche Gesichtspunkte man auch vorzieht, um der Theorie einer »neuen Klassenzusammensetzung« Gestalt zu geben (die Beziehung Geld-Wert oder die zwischen dem Körper gesellschaftlicher Arbeit und Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, die Dezentralisierung der Produktion, oder die Lohnform der öffentlichen Ausgaben), gerade wegen ihres tendenziell totalisierenden Charakters gelingt es ihr nicht, widersprüchliche und zentrifugale Klassenrealitäten wie die heutigen zusammenzuhalten; obwohl klar ist, daß die verschiedenen angeführten Analysen wichtige Anstöße für eine Untersuchung darstellen, die wissenschaftlich sein will; sie überzeugen jedoch viel weniger, wenn sie vorgeben, sich in einer eindeutigen Theoretisierung der Klassenauseinandersetzungen zu verdichten. Den aktuellen gesellschaftlichen Antagonismus mit einem solchen Begriff überspannen zu wollen, also mit einer Kategorie, die mit linearer Unmittelbarkeit ein definiertes politisches Projekt ausdrücken müßte, bedeutet tatsächlich, eine Klassenrealität abzuflachen, die ihren Daseinsgrund in ihrer Verschiedenheit, in ihrer differenzierten Ausweitung findet. Die Klassenzusammensetzung des Massenarbeiters legte einen äußerst eng umschriebenen Bezugskreis fest: »jener« Ausschnitt der Klasse, an »jenem« Ort, gekennzeichnet in »jener« Weise. Die Klassenzusammensetzung des gesellschaftlichen Arbeiters bedeutet, einer Reihe von gesellschaftlichen Phänomenen von außen einen revolutionären Status zuzuschreiben, den diese höchstens in sehr unbestimmter Form darstellen.

Das typisch operaistische Interpretationsschema (das begrifflich auf die Fabrik bezogen ist) verliert, wenn es ausgeweitet wird, um das »Gesellschaftliche« zu begreifen, unausweichlich sein charakteristischstes Kennzeichen: die enge Verbindung Subjektivität-Objektivität, Produktionsweise-Rebellionsweise. Und der kristallklare Marxsche Zusammenhang Basis-überbau weicht einer erzwungenen subjektiven Begründung des proletarischen Antagonismus, wo zusammen mit der Fabrik die Möglichkeit kleiner wird, aus ihr die »voluntaristische« Seite mit einer vertrauenerweckenden und präzisen materiellen Grundlage dialektisch zu vermitteln: Organisation der Arbeit und Kampf gegen sie.

Im Gegensatz zur Meinung von Costanzo Preve (Dopo l'operaismo, in: Alfabeta 15-16, 1980) ist der Subjektivismus kein ursprüngliches und grundlegendes Element des operaistischen Diskurses, sondern die Konsequenz seiner übertragung in einen historisch-logisch ungeeigneten Bereich. Preve beschreibt den inneren Zusammenhang des ersten Operaismus so: »Das gesellschaftliche Produktionsverhältnis, wie Marx es begrifflich faßte, war wie aufgesaugt durch die un-begründete und gründende Tätigkeit des Subjekts (...), und folglich verlor das Objekt jede Gültigkeit, die ihm von seiner Wertform gegeben war.« Das habe sich in »die Konzentration auf die Tätigkeit des Subjekts und den 'ontologischen' Aspekt der Praxis« übersetzt. Mir scheint, daß Preve das auf gestern bezieht, was er auf heute beziehen müßte. Wenn es je eine Denkrichtung gegeben hat, der die »objektive« Seite des Realen am Herzen lag und die sich darauf konzentrierte, dann war es der frühe Operaismus. Das ging soweit, daß der Begriff der Subjektivität, soziologisch betrachtet, tendenziell als die mechanische übertragung der objektiven Existenzbedingungen auf die Bewußtseinsebene gesetzt wurde; als physische und psychische Energie, die ihrerseits wieder von der Maschine aufgesaugt und gegen sie gewendet wurde. Die »Zusammensetzung der Klasse« war, bevor sie eine politische Kategorie war, eine verhaltensmäßige Gegebenheit, objektiv gebunden an die Produktionstechnik der kapitalistischen Fabrik. Und gerade diese Haftung an der historisch bestimmten Materialität der Ausbeutung schützte die politische Theoretisierung des Antagonismus vor den Risiken der Ideologie, das heißt davor, den Kämpfen von außen und ganz willkürlich einen »Sinn« beizumessen, der von ihren unmittelbaren Inhalten losgelöst wäre. Das ist etwas anderes als »un-begründete Tätigkeit des Subjekts«! Die »subjektivistischen Verdrehungen« sind kein ursprüngliches Phänomen des Operaismus, das sein theoretisches Paradigma mit sich brächte. Ganz im Gegenteil. Wenn überhaupt, so kann allenfalls dies in der »Geschichte« des Operaismus geschehen sein, daß die Erkenntnis eines irreversiblen Wegs hin zu der totalen Des-Integration der Beziehung zwischen gesellschaftlichem Proletariat und kapitalistischer Gesellschaft dazu geführt habe, die überlegung [Abwägung] der spezifischen »Wertform des Objekts« für eine korrekte revolutionäre Theorie für nicht mehr entscheidend zu halten.

Die theoretische Achse hat sich in dem Maße vollständig auf die Seite des Subjekts verlagert, in dem der wirkliche Bezugspunkt des Antagonismus, die Fabrikgesellschaft, als allgemeiner [generica] Zwang zur Lohnarbeit aufgefaßt wurde - egal, in welchen Artikulationen. Es ist deshalb klar, daß die frühere dialektische Einheit zwischen Form des Kapitalverhältnisses und Form des Arbeiterwiderstands zersprang zugunsten einer Autonomisierung der revolutionären Subjektivität von konkreten Inhalten des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Auf dieser Ebene, an diesem Bruch können die Autonomie des Politischen und die Selbstverwertung des gesellschaftlichen Arbeiters in gewisser Weise vereinigt werden, aber die »theoretische Illusion, eine materialistische Theorie der Formen des Politischen, ausgehend von der Zirkulationsebene, aufzubauen«, hängt nicht von einem erbitterten, ursprünglich operaistischen Voluntarismus ab, sondern von der Schwierigkeit, die Ordnung des Diskurses von dem Zusammenhang, in den er gehörte (die Fabrik), in einen anderen Zusammenhang (die Gesellschaft) umzutopfen.

Eine sehr interessante, geradlinige (beinahe pragmatische) Kritik am neo-operaistischen Subjektivismus kommt vom Centro Sabot in Neapel. [11] Dem Centro Sabot zufolge verwechseln die Neo-Operaisten (vor allem Piperno) die gegenwärtige Form der industriellen Reservearmee mit einer »neuen Klassenzusammensetzung«. Das Phänomen der Teilzeit-Arbeit, Heimarbeit, Schwarzarbeit, Gelegenheitsarbeit, prekären Arbeit, Saisonarbeit usw. und die diesbezüglich sehr hohe Mobilität der »nicht garantierten« Arbeitskraft, weit davon entfernt, eine auf die Verweigerung der klassischen kapitalistischen Herrschaftsform (die Fabrik, aber auch die feste Anstellung) gerichtete, neue antikapitalistische Subjektivität zu sein und den revolutionären Willen auszudrücken, die eigene Arbeitszeit selbst zu verwalten, sei der erneuerte Aspekt der Arbeitslosigkeit, so wie er in der gegenwärtigen Phase von der kapitalistischen Herrschaft ausgedrückt werde. Der ganze an die Thematik der Arbeitsverweigerung gebundene Triumphalismus wird drastisch zurechtgestutzt; und der Optimismus Pipernos, das Proletariat könne heute selbst entscheiden, »wie« und »wann« es arbeiten will, wird sogar dahingehend kritisiert, daß er die neoklassischen Theorien (De Meo) über die Freiheit der Individuen, die Form ihrer Beschäftigung (abhängig oder unabhängig) wählen zu können, widerspiegle. Kurz und gut, ein zutiefst ideologischer und objektiv bürgerfreundlicher Diskurs sei. Die Argumentation vom Centro Sabot bezieht sich auf den italienischen Arbeitsmarkt; es geht hier nicht darum, eine so komplexe Thematik zu diskutieren, wenn auch wahr ist, daß der Begriff »industrielle Reservearmee« und die Analyse der Formen des Arbeitsmarkts seltsam außerhalb des analytischen Horizontes des neueren Operaismus bleiben und daß es interessant wäre, hierüber die Diskussion aufzunehmen. Ins Auge springt jedoch, daß es möglich ist, sich solch liquidatorischen (lächerlicherweise liquidatorischen) Angriffen ausgesetzt zu sehen - was zumindest zeigt, wie gebrechlich eine Theorie ist, welche die Kämpfe des Proletariats im Territorium als eindeutig revolutionär verabsolutiert. Natürlich ist die kapitalistische Umstrukturierung keine Erfindung Pipernos, und es steht außer Zweifel, daß sie die ganze Problematik des Klassenkampfs in Italien neu definiert hat und unbekannte Kampfformen [wörtl.: Konfliktualitätsformen] und Arbeiterverhaltensweisen »scharf gemacht« hat: trotzdem besteht die Gefahr immer darin, Teilaspekte und lokale Gesichtspunkte des Klassenkampfes zu verallgemeinern, indem man sie gewaltsam in eine nicht präzisierte neue epochale Dimension der kapitalistischen Produktionsweise projiziert, die noch auf eine zu leistende empirische Verifizierung wartet.

über den Operaismus hinaus?

Daß es große Schwierigkeiten bereitet, das operaistische Schema auf die Kämpfe der letzten Jahre anzuwenden, hat in gewisser Weise Guido De Masi in der Nummer 11 von »Primo Maggio« sehr gut ausgeführt (Dal nuovo modo di fare l'automobile all'autovalorizzazione [Von der neuen Art, ein Auto herzustellen, zur Selbstverwertung]). Er untersuchte den damals noch Negrischen Begriff »Selbstverwertung« und betonte, daß »die Theorie der Selbstverwertung, die tendenziell jene der Neuzusammensetzung der Klasse ersetzt, widersprüchliche Bruchstücke sprachlich ver-eindeutigt (...) Politisch bedeutet dies, daß die verschiedenen Kämpfe und gesellschaftlichen Situationen (die alle sehr interessant sind, gerade weil sie so verschieden voneinander sind), die der Theorie der Selbstverwertung Gestalt und Inhalt gegeben haben, keine Beziehung untereinander haben. Sie stellen keinen qualitativen Sprung in der Klassenzusammensetzung dar, sondern ihre Desintegration, Punkt und basta.« De Masi sah also mit großer Klarheit, daß die Theorie der Selbstverwertung ein sehr elegantes Instrument ist, um eine Pluralität von gesellschaftlichen Verhaltensweisen zu synthetisieren, sie aber diese gerade wegen ihres exzessiv synthetischen Effekts abflachte, weil sie ihre Eigentümlichkeit leugnete. Es ist dann bezeichnend, daß De Masi substantiell mit anderen Analysen übereinstimmt in der Anerkennung der genetischen Verbindung zwischen der »neuen Art, das Geld herzustellen« und der Zerstückelung der Klassenzusammensetzung des Massenarbeiters, sich aber wohl hütet, automatisch voranzuschreiten zum Erkennen einer parallelen Bewegung der Neuzusammensetzung der Klasse. Für ihn bestand »die wahre ideologische Grenze der 77er Bewegung in der Bedeutungslosigkeit und Marginalität des gesellschaftlichen Subjekts, das sich wieder abgeschnitten hat.«

Auch die überlegungen von Lapo Berti über die Inhalte der »proletarischen Macht« in derselben Nummer von Primo Maggio (Al cuore dello stato e ritorno [Ins Herz des Staates und zurück]), bestätigen all die Gefahren einer erzwungenen, äußerlichen Anwendung der Kategorie »Klassenzusammensetzung« auf die heutige Form des gesellschaftlichen Konflikts. Berti fragte sich, ob die politischen Erfahrungen der letzten Jahre nicht wenigstens geklärt hätten, daß der Begriff »proletarische Macht« sich inhaltlich verändert habe im Vergleich zum leninistischen und dritt-internationalistischen Modell, das von den Roten Brigaden wiederaufgenommen und perpetuiert worden ist, und antwortete, indem er den »immanenten politischen Charakter der proletarischen Macht« verficht, in dem Sinn, daß die Politik, die Suche nach der Befriedigung und der Durchsetzung der Bedürfnisse, insgesamt die Suche nach der Macht, sich nicht mehr als zeitlicher und geographischer Weg ausdrücke zum »Ort der Macht«, zur »Schaltzentrale«; es gehe nicht mehr um einen einfachen Vorzeichenwechsel in der Führung des institutionellen Apparats, man neige hingegen zu einer »Vorstellung vom proletarischen Antagonismus als permanentem und kontinuierlichem Konflikt, der gerade in seinem Entstehen das Terrain der Auseinandersetzung, die Machtbeziehungen zwischen den Klassen, neu definiert, die politischen Inhalte der eigenen politischen Präsenz vorantreibt, die gesamte Erscheinung des gesellschaftlichen kapitalistischen Verhältnisses entscheidend beeinflußt und neu formt.« Hier könnte man noch weiter gehen mit der Frage, ob nicht gerade die Kämpfe des Massenarbeiters die konkrete Dimension der Mikrophysik der Macht entdeckt haben.

Aber kehren wir zum Ausgangsproblem zurück: Es geht hier nicht darum, die Gültigkeit der zitierten Analysen zu bestreiten, sondern darum zu klären, ob es möglich ist, mit methodologischer, materialistischer und historisch-logischer Korrektheit bestimmte gesellschaftliche Erscheinungen in bestimmten Kategorien zu erfassen; zu sehen, ob ein Begriff wie »Klassenzusammensetzung« aktuell imstande ist, nicht nur ein komplexes und widersprüchliches Phänomen wie die kapitalistische Umstrukturierung ausführlich zu beschreiben, sondern ob darüberhinaus auf ihn auch ein präzis definiertes politisches Projekt begründet werden kann, das von präzisen Elementen charakterisiert ist, die die ganze Klassenbewegung in einer einstimmigen revolutionären Politik neu vereinigen können. Wenn wir darauf negativ antworten müssen, wenn man die analoge Wiederaufnahme des operaistischen Diskurses für unannehmbar hält, kann man zwei Wege einschlagen: entweder die Realität ignorieren und die Theorie bestätigen; oder die Theorie ignorieren und die Realität bestätigen. Das heißt, entweder wir ziehen den Schluß, daß der Klassenkampf in Italien 1972 angehalten hat; oder wir schärfen die kritischen Instrumente, den Begriffsapparat, die Methode. Daß letzteres ein beschwerlicher und mehr noch, ein schmerzlicher Weg ist, das zeigt leider gerade De Masi mit seinem Beitrag in der letzten Nummer dieser Zeitschrift: Anstatt die glänzenden Beobachtungen des oben zitierten Aufsatzes wiederaufzugreifen und weiterzuentwickeln, wünscht er nicht so sehr eine Neudefinition der Waffen der Kritik herbei, sondern die »Wiederherstellung des Wertgesetzes in streng produktiven Begriffen, die der Arbeiterklasse Kraft und politische Zentralität zurückgibt und es ihr erlaubt, mit größerem Bewußtsein der vergangenen Fehler sich wieder in Bewegung zu setzen.« [12] Kurz gesagt wünscht De Masi, daß die Niederlage dieser Jahre zu einer totalen wird, daß die ökonomie wieder als alles beherrschender Gott funktioniere, daß sich das Wertgesetz wieder gegen die Geldmengentheorie durchsetze, daß Mehrwert ausgepreßt werde, daß die Zirkulation wieder ihrem Beruf nachkomme, den Mehrwert monetär zu realisieren, daß also der Massenarbeiter wieder aus den Fabriken komme und der ganzen Bewegung ein Gesetz gibt. Vielleicht wird all das geschehen (sicherlich nicht demnächst); aber dann ist es nicht mehr die politische Aufgabe »der ganzen revolutionären Linken, die Leere zwischen der technischen Klassenzusammensetzung (...) und den neuen Phänomenen von Selbstverwertung, die die Bewegung ausdrückt, auszufüllen«, [13] sondern geduldig zu warten, daß »die Gesetze der ökonomie ihre Pflicht tun« und die politische Zusammensetzung der Klasse mit der technischen zusammenbringen. So daß nach einem bedenklichen Intermezzo von zehn Jahren der Klassenkampf in all seiner reinen Effizienz wieder anfangen wird...

Ich weiß nicht, aber ich fürchte, daß eine solche Einstellung recht fatalistisch ist und daß man zu solch einem Fatalismus Zuflucht nimmt, um den gegenwärtigen Zustand von theoretischer Verlegenheit zu übertünchen.

Aber wenn sich der Klassenkonflikt in den nächsten Jahren eher in einer mehr »gesellschaftlichen« Form abzuspielen wird, verstreut, polizentrisch, auf unmittelbare autonome Ziele konzentriert, wenn ihn mehr Teile des Proletariats im Kampf führen, dann wird es nützlich sein, zumindest Kategorien einzuführen, die sich von den früheren unterscheiden, um eine Verflechtung (und Konfusion) von linguistischen Bestimmungen, die zu verschiedenen Phasen des Kapitalverhältnisses gehören, zu vermeiden. Diesbezüglich scheinen auch die Einladungen von Lapo Berti, einen »flüssigeren« Begriff als Klassenzusammensetzung zu gebrauchen, basierend auf dem »breiteren Hintergrund der gesellschaftlichen Zusammensetzung« [14] eine doppeldeutige Absicht zu verraten: jene, den semantischen Bereich des Terminus parallel zur Ausdehnung der Konfliktualität, auf die er sich bezieht, zu verbreitern. Dies ist ein Versuch mit ziemlich unsicherem Ausgang, denn während des übergangs von der »Klasse« auf das »Gesellschaftliche« tendiert der Begriff immer weniger dazu, ein präzises politisches Projekt zu definieren, und immer mehr zu einem unbestimmten soziologischen Universum. Das heißt, den Sinn zu wechseln. Die Einladungen von Berti sind sicherlich stimulierend, nur nicht unter der Bedingung, um jeden Preis die »neue« Ordnung der Dinge mit der »alten« Ordnung des Diskurses zusammenfallen lassen zu wollen.

Die beste Art, heute den Operaismus zu verteidigen, ist die, ihn zu überwinden, indem man seine immer noch interpretativ wirksamen Anregungen anerkennt, aber nicht zögert, die zeitlichen und aus dem Zusammenhang herrührenden Grenzen kritisch zu sichten.


Fußnoten:

[1] Antonio Negri: »Dall' operaio massa all' operaio sociale«, Multipla edizione, Mailand 1979, Teile daraus in deutscher übersetzung »Vom Massenarbeiter zum gesellschaftlichen Arbeiter«, in: Lesebuch zur Nichtarbeit, Karlruhe 1981.

[2] Sergio Bologna: La tribù delle talpe (Der Stamm der Maulwürfe) Feltrinelli 1978, in: M. Messori und M. Revelli, Centralità operaia, S. 48.

[3] Negri, a.a.O., S. 10. [Die Zitate aus dem Negribuch sind meist sehr schlampig, Begriffe werden vertauscht, Satzteile fehlen; ich habe das jeweils stillschweigend korrigiert.]

[4] ebenda, S. 157.

[5] ebenda, S. 149.

[6] ebenda, S. 21.

[7] ebenda, S. 10.

[8] ebenda, S. 11.

[9] ebenda, S. 151.

[10] ebenda.

[11] In: Sul mercato di lavoro: Difficoltà della talpa, in: Materiali di studio al cura del centro Sabot, Neapel 1979.

[12] G. De Masi, Composizione di classe e progetto politico [Klassenzusammensetzung und politisches Projekt], in »Primo Maggio« Nr. 13, S. 7.

[13] G. De Masi, Dal nuovo modo di fare l'automobile all'autovalorizzazione [Von der neuen Art, ein Auto herzustellen, zur Selbstverwertung], in: »Primo Maggio«, Nr. 11, S. 37.

[14] L. Berti, Appunti per un dibattito possibile, unveröffentlichtes Manuskript, das innerhalb der Gruppe von »Primo Maggio« herumging.


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