Aus aktuellem Anlaß veröffentlichen wir hier etwas aus dem Rahmen fallende Beiträge zur derzeitigen Streikbewegung der StudentInnen:
Folgendes Flugi wurde auf der Demo in Mannheim am 4.12.97 verteilt:
Kommandoerklärung der Bewegung
»Die Uni muß zur Wiese werden«
(Kommando Schampus Academicus)
Wir haben am 29.November 97 dafür gesorgt, daß der Festakt zum Beginn des Akademischen Jahres und zur Grundsteinlegung für die neuen Gebäude der Fakultät »Technische Informatik« gründlich in die Hose ging. Wir stellen klar: wir waren nicht die Initiatoren der Störung, aber als wir gemerkt haben, hier geht was ab, haben wir uns nach Kräften eingemischt.
Den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten haben wir nur kurz zugehört. Als er den Bildungsetat des Landes BaWü mit dem der Länder USA und Südkorea in Prozentanteilen am Gesamtetat verglich, um die Überlegenheit der Bildungspolitik im Ländle zu demonstrieren, hat es uns gelangt. Man muß sich kein Semester Statistik angetan haben, um einen so dämlichen statistischen Trick als bodenlose Frechheit zu empfinden. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.
Wir haben die ca. 100 Studierenden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dabei unterstützt, die Festrede des Ministerpräsidenten Teufel zu den »Perspektiven der Hochschulpolitik« zu stören. Anschließend sind wir über das kalte Büffet hergefallen, das eigentlich für die unzähligen Honoratioren, Amts- und Würdenträger aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und sonstige Pfeffersäcke, sowie ihre Gattinnen, deren harten Kern namentlich zu begrüßen der Direktor zu Beginn des Festakts 15 Minuten lang nicht müde wurde. (Ein erster Kritikpunkt wäre, daß die Remoulade der Lachs-Kanapees pappig-süß war und daß die Käsehäppchen mit Rinder-Gelatine verunreinigt waren.)
Anschließend haben wir etliche Flaschen Sekt geleert, und uns auch sonst nach Kräften danebenbenommen. Selbstkritisch müssen wir leider gestehen, daß unser Durst nicht ausreichend groß war, um zu verhindern, daß die später dazustoßenden Smokings, Krawatten, Abendkleider und Pelzjäckchen auch noch das eine oder andere Gläschen abbekamen. Wir haben damit eines unserer Aktionsziele verfehlt.
Als der Teufel versuchte, die Arbeitslosen für die Finanzmisere der Uni verantwortlich zu machen, haben wir diesen billigen Spaltungsversuch lautstark und entschieden zurückgewiesen.
Wir haben mit dieser Aktion die Parole »Bildung für alle«, die uns nur ein müdes Gähnen abnötigt, ersetzt durch die prickelnde Kampfparole »Schampus für alle«.
Damit haben wir ein erstes Fanal zur Abschaffung der Universität, zum Ende der Wissenschaft, zur Aufhebung aller Verhältnisse, in denen der Student und alle anderen Menschen geknechtete Wesen sind, gesetzt. Wir fordern alle auf, sich in unsere Front einzureihen und alsbald den Kampf aufzunehmen.
Wir grüßen an dieser Stelle die Bewegung 32. Semester und erklären uns solidarisch. Wir grüßen auch das Kommando »Einstürzende Elfenbeintürme« des RCDS, das mit lustigen Graffitis an den Wänden die Würde der Alma Mater angegriffen hat.
Kämpft mit uns!
Entfaltet Eure Leidenschaften!
Uni bringt nur Depression, Studis auf zur Rebellion!
Wir sind der Gehirntumor im Wasserkopf der Bestie!
4.12.97
Kommando Schampus Academicus
Im folgenden dokumentieren wir das Protokoll eines Interviews des ZDF mit Mitgliedern unserer Organisation, das am Sonntag, dem 8.12. um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird.
Frage: Wer verbirgt sich hinter der Bewegung 'Die Uni muß zur Wiese werden!'?
Antwort: Einer der anwesenden Professoren fragte eines unserer Mitglieder: Wer bezahlt Sie für diese Störungen? Diesem Volltrottel aus der Welt von vorgestern können wir auf diese Frage nur entgegnen: Wir beziehen die Schecks für unsere subversiven Aktivitäten direkt von Erich Honecker aus dem chilenischen Exil. Außerdem sind wir dankbar für die regelmäßigen Zuwendungen von Saddam Hussein, der damit die Stellung der Universität Bagdad im internationalen Konkurrenzkampf der Hochschulen im Zeitalter der Globalisierung stärken möchte.
Unsere Mitgliederzahl schwankt zwischen knapp einer Handvoll bis hin zu mehreren Tausend Aktivisten, je nach Konjunktur der Bewegung. Auf der Demonstration am 2.12.97 haben einige Leute einen Lufthansa-Bus, dessen Fahrer nicht den unserer Demonstration angemessenen Respekt zollte, teilentglast. Diese Leute haben sich mit dieser Aktion kurzerhand zu Mitgliedern unserer Bewegung erklärt. Ebenso diejenige Reihe von DemonstrantInnen, die kurzerhand die gegenüberliegende Fahrbahn und damit den Berufsverkehr blockiert hat. Solche Aktionen und tausende andere kleine Aktionen mutiger und kritischer Art törnen uns an; sie sind ein Beweis dafür, daß die Bewegung lebt.
Ansonsten sind wir radikale GegnerInnen dieser Welt und wehren uns entschieden dagegen, mit der klassischen Linken in einen Topf geworfen zu werden: wir lehnen jeden Versuch die Verhältnisse zu reformieren, zu demokratisieren, zu humanisieren als verlogene Scheinmanöver ab. Diese Strategien dienen nur dazu, das Elend in allen Bereichen der Gesellschaft und in allen Teilen der Welt zu vertuschen und zu verlängern. Wir sind Anhänger der Parole »Das Glück ist immer ein neuer Gedanke«.
Seid Ihr Chaoten, weltfremde Träumer, unrealistische Splittergrüppchen am äußersten Rand, Extremisten?
Ja, hier sagen wir ganz deutlich: ja. Wir sind der Meinung, daß es kaum eine reaktionärere Haltung gibt, als die Angst vor dem Chaos. Nichts zementiert die herrschenden Verhältnisse mehr als die Angst vor dem ungewohnten Neuen, das wie alles Neue chaotisch ist. Wir sind weltfremd, weil uns diese Welt der Arbeit, der Ausbeutung, der Langeweile, der Angst, der Herrschaft - und insbesondere auch die Welt der Wissenschaft - fremd sind. Wir stehen Ihr feindselig und unversöhnlich gegenüber. Die Fähigkeit zu dieser Weltfremdheit beziehen wir zum einen aus der Analyse dessen, was uns umgibt, zum anderen daher, daß wir die Fähigkeit zum Träumen haben. Von daher: weltfremde Träumer. Wir sind bewußt unrealistisch; allen die uns dies vorwerfen entgegnen wir: euer Realismus ist obszön, beispielsweise sind in den paar Minuten, die dieses Interview dauert ca. 300 Kinder verhungert und zwar nicht aufgrund von Dürrekatastrophen, sondern aufgrund Eures Realismus und der dadurch produzierten Realität.
Wie steht Ihr zur Bewegung der Studierenden? Seid Ihr nur da, um Streit zu suchen?
Ja, wir suchen den Konflikt überall und versuchen, ihn zu schüren, zu vertiefen und zu verstärken.
Alle finden die Bewegung gut, selbst der Bundeskanzler. Wir sind die einzigen, die nicht voll des Lobs sind, sondern kritisch:
1. Um die Bewegung unter den derzeitigen schwierigen Bedingungen überhaupt beginnen zu können war vielleicht ein scheinbar radikaler Egoismus, ein Ansetzen an den sogenannten studentischen Interessen notwendig. Dieser war deshalb nötig, um sich von den Vertretern des allgemeinen Interesses, den Politikern abzugrenzen und um sich den vorgeblichen gesellschaftlichen Zwängen, z.B. dem überall behaupteten Sparzwang widersetzen zu können. Und tatsächlich ist die Kritik der unmittelbaren Bedingungen unter denen man lebt, arbeitet, studiert, ißt, wohnt, liebt und fühlt die unbedingte Voraussetzung und der Beginn jeder weitergehenden Kritik.
2. Diese Selbstbezogenheit kippt jetzt teilweise um in einen bornierten Korporatismus. Wer nicht über den eigenen Tellerrand rausschaut, wird auch seinen eigenen Teller nicht gefüllt bekommen. Das Moment der Autonomie, das mit der Selbstbezogenheit der studentischen Aktionen entstehen konnte, wird zur Fessel und zur Grenze der Bewegung. Die Drohung, die in einer autonomen Bewegung der Studierenden liegt, nämlich sich auszuweiten und zu radikalisieren wird entschärft, wird zur »Revolution der Kuscheltiere« (Mannheimer Morgen).
3. Die Ausweitung der Kritik hätte zu Beginnen mit der Infragestellung der eigenen Rolle. Dies ist sozusagen die Eintrittskarte einer sozialen Öffnung der Bewegung. Wenn eine Minderheit der Studierenden z.B. die Thematisierung des allgemeinen »Sozialabbaus« forciert, ist das zwar sympatisch, aber praktisch folgenlos, wenn diese Formel nicht offen in den Kampf gegen den zunehmenden Leistungsdruck, den Zwang zur Arbeit entschlüsselt wird. Erst dann könnte die Bewegung tatsächlich Gemeinsamkeit und Anknüpfungspunkt für den »Rest« der Gesellschaft sein. Erst ein wirklich »radikaler Egoismus«, die Entdeckung und Entfaltung der ganzen Widersprüchlichkeit der eigenen Bedürfnisse hat die Chance, nicht nur mit ein paar Zugeständnissen, die nix ändern, abgespeist zu werden. StudentInnen für bessere Studienbedingungen oder studierende Menschen für ihre Bedürfnisse?
4. Die Formel »gegen den Sozialabbau« geht gnadenlos am Problem vorbei: Es fehlt nicht das Geld, das für den Eurofighter ausgegeben werden soll. Unter dem Vorwand der Globalisierung (»Wir sind zu teuer«) wird alles angegriffen, was bisher den lebenslangen Zwang zur Arbeit vorübergehend ausgesetzt oder ein wenig gemindert hat. Innerhalb und außerhalb der Betriebe.
5. Die Geschlossenheit der Bewegung ist nur Fassade. In Wirklichkeit ist sie bereits jetzt zutiefst gespalten: zum einen in diejenigen, die nur darum kämpfen möglichst schnell als Chefs einen warmen Platz in dieser kälter werdenden Gesellschaft zu kriegen. Mit anderen Worten: diejenigen, denen es nur darum geht, möglichst schnell Karriere zu machen, die uns später kontrollieren, untersuchen, bevormunden, informieren, zur Arbeit antreiben können uns gestohlen bleiben. Und es gibt diejenigen, die studieren, um dem gesellschaftlichen Arbeitszwang und der Repression des Berufslebens noch ein paar Jährchen zu entgehen, die Spaß haben wollen anstelle von Maloche in diesen Fabriken, die Büros genannt werden. Auch wenn letztere Vorstellung immer weniger aufgeht, diese Motivation zu studieren und auch - wie momentan - zu rebellieren ist uns sympathisch. An sie richtet sich unser Flugblatt.
Liebe Mitglieder der Bewegung "Die Uni muß zur Wiese werden", wir danken Euch für das Gespräch.