Wildcat-Zirkular Nr. 40/41 - Dezember 1997 - S. 5-33 [z40usups.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 40/41] [Ausgaben] [Artikel]

Der Streik bei UPS und der Klassenkampf in den USA

Henri Simon [1]

»Diese Verhandlungen sind getragen
vom Willen, den amerikanischen Traum zu schützen.«

(der neue Teamster-Vorsitzende Carey kurz vor dem Streik)

War es ein Klassenkampf der Arbeiter oder einer der Gewerkschaften? War der Streik bei UPS Routine oder ging er darüber hinaus?

Am Sonntag, den 3. August 1997 rief die amerikanische Gewerkschaft der Teamsters nach Jahrzehnten von Niederlagen ihre 165 000 Mitglieder bei UPS (United Parcel Service) zum Streik auf; 16 Tage später unterschrieb die Gewerkschaftsführung einen neuen Tarifvertrag mit UPS und rief zur Wiederaufnahme der Arbeit auf. Dieser Streik wurde in den USA als Sieg gefeiert, als Wiedererwachen der Kampfbereitschaft der amerikanischen Arbeiter, als Eintritt in ein neues Zeitalter der Arbeiterbewegung in den USA, als Wiederauferstehung eines kämpferischen Syndikalismus, als Beispiel für die Arbeiter der ganzen Welt. Was davon war er wirklich?

Dieselbe Interpretation wurde uns diesseits des Atlantiks aufgetischt. Nicht nur in linken Veröffentlichungen: »Vollständiger Sieg der UPS-Arbeiter« [2], »Die Macht der Arbeiteraktion ist wieder da«, »Ein entscheidender Streik für die amerikanischen Arbeiter« [3], »Der siegreiche Streik ... bei UPS hat eine Bresche geschlagen, in die die Beschäftigten nun vorrücken«. Und sogar noch lyrischer über den »siegreichen Streik« [4], »Ein gewerkschaftliches Lüftchen, das aus den USA kommt«, »Sie haben den Streik befreit« [5], »Eine neue Ära für die amerikanische Arbeiterbewegung« [6], »Der Konflikt bei UPS hat Amerika das Fürchten gelehrt« [7], »Wenn die Vereinigten Staaten den Streik neu entdecken«. Andere, etwas klügere Leute fragen sich, ob es eine »gewerkschaftliche Erneuerung« gibt oder sprechen von »fremdartigen Erscheinungen« [8]. In einem langen Brief, der über das Internet verbreitet wurde, nimmt Nathan Newman dasselbe Thema wieder auf: »Die Teamsters haben einen Sieg über die amerikanische Unternehmerschaft errungen ... Aktivismus und Entschlossenheit können die Unternehmermacht besiegen«, aber weise fügt er hinzu: »(...) Sowohl in der AFL-CIO als auch bei den Teamsters sind zwar noch Reformen nötig, aber der Sieg bei UPS zeigt, wie weit wir gehen konnten.«

Wir haben etwas andere Fragen als die so überschriebenen Artikel. In einer Antwort auf Nathan Newman rückt Paul Mattick Jr. die Dinge zurecht: [9] »Die Teamster-Gewerkschaft ist Teil des Systems (wie alle AFL-CIO-Gewerkschaften in den USA oder wie ausnahmslos alle Gewerkschaften auf der Welt, Anm. HS) ... Sie dient nicht nur der Verwaltung der Arbeitskraft, sondern sie ist integraler Bestandteil des Systems ... Im Grunde war es ein normaler Streik, der wie einst von der Gewerkschaft kontrolliert wurde. ... Die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Gewerkschaften unter den gegenwärtigen Bedingungen wurde in diesem Konflikt nicht beantwortet ... Vorrangig stellt sich immer noch die Frage, wieviel die Gewerkschaft beim gegebenen niedrigen Niveau der kapitalistischen Akkumulation für ihre Mitglieder erreichen kann. In welchem Ausmaß können die Gewerkschaften angesichts der Notwendigkeit, kämpferisch aufzutreten, ihre finanziellen Interessen aufs Spiel setzen? Welche Möglichkeiten haben die Arbeiter, vom ganzen System einschließlich der Gewerkschaften unbeeinflußte Aktionsformen zu finden?« ... Wenn wir den Streik analysieren, können wir diese Fragen ohne jeden Triumphalismus zu beantworten.

Die Kämpfe in ihrem spezifisch kapitalistischen Kontext

Zu allererst sei erinnert, daß sich das US-Kapital tiefgreifend verändern mußte, um seine Weltherrschaft aufrechtzuerhalten und zu versuchen, sie zu konsolidieren. Das war der Motor der weiter unten angesprochenen Veränderungen in den Strukturen des Kapitalismus selbst, wozu ganz wesentlich die Herrschaft über die Arbeit (einschließlich natürlich der Gewerkschaften) gehört, und insofern der Bedingungen für die Arbeiter und des Widerstands gegen diese Veränderungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das US-Kapital die Umstellung von einer Kriegs- auf eine Friedensökonomie absichern können, indem es über Interventionen wie den Marshall-Plan den Wiederaufbau der europäischen und der japanische Wirtschaft mitfinanzierte (und damit auch eine kapitalistische Durchdringung dieser Länder garantierte); gleichzeitig stellte der Beginn des Kalten Krieges und die Wiederaufnahme des Wettrüstens vor allem in den High-Tech-Sektoren den bewaffneten Arm dieser Herrschaft dar, der ebenso zu diesem gestützten Wirtschaftsaufschwung beitrug.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte damit die Überschußproduktion der USA absorbiert werden, aber der wirtschaftliche Wiederaufschwung in Europa und Japan führte dazu, daß die Kunden nach und nach zu Konkurrenten wurden. Das verschärfte sich noch durch das zunehmende Wettrüsten, das riesige Ausgaben besonders für »modernste« Waffen legitimierte, und dadurch, daß die Durchsetzung der US-Weltherrschaft kostspielige direkte oder indirekte Interventionen vor allem in Asien (Korea- und Indochina-Krieg) und in Afrika und Lateinamerika nötig machte (Unterstützung verschiedener Guerillas oder Sturz von Regierungen, die versuchten, sich aus dem Status von US-Satelliten zu lösen). Das führte zu einer Art Teufelskreis: Je mehr die USA sich in diese ruinöse militärische Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft verstrickten, desto mehr überließen sie ihren ehemaligen »Alliierten« ein ökonomisches Feld und desto notwendiger wurden Interventionen zur Aufrechterhaltung der US-Präsenz mit anderen Mitteln als dem wirtschaftlichen Wettbewerb. Wir können hier nicht im Detail die Auswirkungen dieser Situation auf die Binnenwirtschaft der USA beschreiben, aber die gewaltigen Summen, die so in einem nicht-produktiven Sektor gebunden werden mußten, setzten einerseits eine direkte Entnahme aus der nationalen Produktion voraus, andererseits fehlten diese Gelder für Investitionen in die Transformation des Produktionsapparates, um sicherzustellen, daß dieser im internationalen Wettbewerb bestehen konnte. Um die Herrschaft aufrechtzuerhalten, mußte ein wachsender Teil des produzierten Mehrwerts abgezogen werden: zum einen, wo dies möglich war, durch zunehmende Automatisierung (allerdings weit unter dem Niveau, das Japan, einer der Hauptkonkurrenten der USA erreichte), zum andern durch eine Intensivierung der Arbeit und die Rückkehr zu Ausbeutungsmethoden, die an die zu Anfang des Jahrhunderts erinnerten. Wir werden sehen, daß diese Veränderung wie immer im wesentlichen vom Staat durchgesetzt wurde. Das Ende des Kalten Krieges veränderte die Rahmenbedingungen: Einerseits bedeutete er zweifellos eine Neuorientierung der Investitionen, andererseits machte er eine weltweite Aggressivität im Handel nötig, um Märkte für die durch den Rückgang des Wettrüstens freigesetzte Überschußproduktion und die Expansion des US-Kapitals zurückzuerobern.

Inwieweit war diese Politik des US-Kapitals erfolgreich? In einem neueren Artikel heißt es, daß die Lohnstückkosten im produzierenden Gewerbe in den USA unter denen in Indien oder auf den Philippinen liegen (durch die Verbindung eines hohen Automatisierungsgrades mit der Überausbeutung der Arbeit). [10] Derselbe Artikel unterstreicht, daß das Ende des Kalten Krieges (1991) die Verhältnisse weniger durch die Erschließung von äußeren Märkten, sondern durch die Veränderung des Binnenmarktes verändert habe. Der Anteil der Rüstung am Bruttosozialprodukt ist von 6 Prozent im Jahr 1986 auf 3,2 Prozent im Jahr 1998 gesunken; während der Verteidigungshaushalt zwischen 1989 und 1997 um 15 Prozent geschrumpft ist, haben sich die Sozialausgaben im selben Zeitraum verdoppelt (da diese Zahl die vorangehenden drastischen Kürzungen nicht berücksichtigt, muß sie sicherlich relativiert werden, aber sie markiert auf jeden Fall, daß diese Kürzungen zum Stillstand gekommen sind). Trotz der Auswirkungen der Sparpolitik der öffentlichen Haushalte - vor allem auf die Sozialausgaben - und öffentlicher Investitionen und höherer Steuereinnahmen (wir werden weiter unten sehen, was dieser wirtschaftliche Aufschwung bedeutet, dem man diesen Anstieg der Steuereinkünfte zuschreibt) und trotz aller Beschwörungen des »Wirtschaftsliberalismus« hat der Staat überhaupt nicht aufgehört, finanziell zu intervenieren, um allzu gefährliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen des sogenannten Liberalismus auf die US-Ökonomie als ganze zu vermeiden: hier sind vor allem die Intervention der Resolution Trust Corporation zur Rettung der durch Spekulation geplünderten Sparkassen und die jüngste Intervention der Federal Deposit Insurance Co. zur Verhinderung von Bankenpleiten durch Börsen- und Immobilienspekulationen zu nennen. Die Maßnahmen zur Eindämmung der anwachsenden sozialen Revolte haben in erster Linie repressiven Charakter, aber dabei sollte man nicht vergessen, daß diese sicherlich zaghaften, aber nichtsdestoweniger effektiven Maßnahmen die schreiendsten Auswirkungen des Elends lindern sollten, zu dem die Intensivierung der Arbeit geführt hatte: steuerliche Anreize zu einer vorsichtigen und begrenzten Erhöhung der Niedriglöhne und ein Gesamtpaket von lokalen Maßnahmen, um die allzu auffälligen Aspekte dieses Elends in den Armenghettos der US-Städte oberflächlich zu beseitigen. [11]

Zusammengenommen beweisen diese Maßnahmen, daß die kapitalistische Macht sich darüber bewußt ist, wie brüchig die derzeitige Situation ist, und aus ihr herauszukommen versucht (wir wollen nicht beschwören, wie sich die Situation des Weltkapitals auf die innere Situation der USA auswirkt. Auf der Suche nach Ausgleich für eine zu niedrige Gesamtprofitrate wirft sich das gesamte Kapital in Spekulationsmanöver, die, wie die immer wieder auftretenden Finanz- und Währungskrisen zeigen, äußerst riskant sind). Wie brüchig die Situation in den USA selbst ist, zeigt sich daran, daß amerikanische Aktien zur Zeit nur eine Rendite von 1,7 Prozent abwerfen, aber die Profiterwartungen der Kapitalisten, die zur Zeit in den USA investieren, die Voraussagen für 1997 um das 23fache übertreffen: Das bedeutet, daß das Kapital mindestens auf eine Aufrechterhaltung der Ausbeutung auf dem gegenwärtigen Niveau oder sogar auf eine Verschärfung hofft - und das 23 Jahre lang. Aber diese Profiterwartungen hängen nicht nur von der gesteigerten Ausbeutung der Arbeiter in den USA und eventuell anderswo ab, sondern auch von den Möglichkeiten, Produkte zu verkaufen oder Kapital zu exportieren. Außenministerin Albright erklärte kürzlich: »Für unsere Nation ist es das beste, nicht gegen die Globalisierung zu kämpfen, sondern sie zu formen, damit sie für Amerika arbeitet.« Diese Brüchigkeit tritt auch offen zutage in Clintons Forderung an den Kongreß, ihm Sondervollmachten für den schnellstmöglichen Abschluß von Handelsabkommen zu erteilen: Während des UPS-Streiks sind diese »fast track« [Überholspur] genannten und vorrangig gegen die Europäische Union und Japan gerichteten unglaublichen Vollmachten in den Hintergrund gerücket, denn was sie für die Bedingungen der amerikanischen Arbeiter bedeuten, ist noch nicht abzusehen. Zweifellos waren Manipulationen der ökonomischen Inlandsfaktoren in den USA immer möglich, wie etwa Clintons Wirtschaftsrat-Chef Joe Stiglitz kürzlich erklärte: »Sollte etwa die niedrige Arbeitslosenrate wieder die Inflation in die Höhe treiben, wird es immer möglich sein, die Preissteigerungen zu stoppen, indem man die Wirtschaft abbremst.« Mit anderen Worten: wenn der relative Aufschwung der US-Ökonomie zu Lohnerhöhungen und damit zum Anstieg der Produktionskosten führt, kann über Finanzmanipulationen (v.a. durch eine Erhöhung der Leitzinsen) die Produktion zurückgefahren und die Arbeitslosenquote erhöht und damit schon von im Startfeld Druck auf die Arbeiter ausgeübt werden. Werden der Klassenkampf und die weltweite Situation das zulassen? So gesehen könnte der UPS-Streik tatsächlich Unruhe im US-Kapitalismus ausgelöst haben. [12]

Ein kaum entwickeltes Arbeitsrecht und ein beeindruckendes Arsenal von Anti-Streik-Gesetzen

Bevor ich auf die Einzelheiten des Streiks bei UPS eingehe, möchte ich daran erinnern, welchen Einengungen der Klassenkampf in den USA unterliegt: einerseits gibt es ein Korsett von Gesetzen, die die Kämpfe kanalisieren, das heißt ihnen zuvorkommen oder ihre Entwicklung in radikaleren Formen verhindern sollen; andererseits übt die wirtschaftliche Situation in den USA ungeheuren Druck auf die Arbeiter in ihrem Arbeits- oder Arbeitslosigkeitsalltag aus. Diese beiden Punkte sind sicherlich stark voneinander abhängig: das Kräfteverhältnis, das sowohl von der allgemeinen wirtschaftlichen Situation als auch von der besonderen betrieblichen Situation abhängt, macht die gesetzlichen Rahmenbedingungen obsolet, die der Unternehmer im Gegenteil voll ausspielen kann, wenn ein Kampf auf einen Betrieb beschränkt bleibt möglich ist.

Die Klassenbeziehungen in den USA sind bekanntlich besonders gewalttätig, sowohl in der Art, wie das Kapital seine Bedingungen durchsetzt, als auch in den Gegenaktionen der Arbeiter während der Kämpfe. Auf Kapitalseite sind die Arbeitsbedingungen einerseits kaum geregelt [13]; andererseits geben präzise Gesetzestexte der Regierung die Möglichkeit, direkt in die Konflikte zu intervenieren, um sie schon im Keim abzuwürgen. Der »Railway Labor Act« von 1926 gibt dem US-Präsidenten die Vollmacht, den Abbruch eines Streiks zu verfügen, wenn er meint, daß dieser schwerwiegend das nationale »Interesse« bedrohe: so wurde das Gesetz angewandt, um die Streiks der Eisenbahner im April '91 (nach einer Dringlichkeitsabstimmung des Kongresses war der Streik nach einem Tag beendet) und im Juni '92 [14] zu zerschlagen; im Februar 1997 wurde es gegen die Piloten von American Airlines angewandt, wobei das Vorgehen gegen die Eisenbahner noch eine denkwürdige Steigerung erfuhr (der Streik dauerte ganze 24 Minuten). Daneben kann der US-Präsident unter Berufung auf das Taft-Hartley-Gesetz von 1947 bei jedem Streik eine »Abkühlungszeit«, d.h. eine sofortige Wiederaufnahme der Arbeit erzwingen, wenn er die nationale Sicherheit bedroht sieht. Eine weitere besonders gefährliche Maßnahme für die Arbeiter während eines Kampfes ist eine immer noch gültige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1938, die es Firmen erlaubt, »Ersatzarbeitskräfte«, also Streikbrecher einzustellen, um ihren Laden am Laufen zu halten: diese gelben »Ersatzarbeitskräfte« genießen also, solange kein Tarifvertrag geschlossen ist, den Status von festangestellten Arbeitern, während die Streikenden raus sind und ihre Beschäftigung verlieren. Reagan erlangte traurige Berühmtheit, als er 1981 als erste Amtshandlung seiner ersten Präsidentschaft diesen Richterspruch gegen die Fluglotsen der Berufsgewerkschaft PATCO anwandte: Alle streikenden Fluglotsen wurden entlassen und für immer durch Streikbrecher ersetzt. Über diesen Streik hieß es, daß er der US-Unternehmerschaft den Weg geöffnet habe, massiv diese Taktik anzuwenden, um den Arbeiterwiderstand gegen die Offensive zur Intensivierung der Arbeit zu zerschlagen. Das ist richtig, aber teilweise erklärt man damit die Folgen zu den Ursachen. Wenn Reagan einen so großen Coup landen konnte, dann heißt das, daß er kaum Angst vor den Reaktionen der Arbeiter oder der Gewerkschaften hatte, die in der Tat ausblieben, weil eben das Kräfteverhältnis aufgrund der vorangegangenen Veränderungen schon zugunsten der Unternehmer war.

Man kann also nicht direkt den Politikern oder Kapitalisten vorwerfen, daß sie sich in jüngster Zeit ein repressives Arsenal aufgebaut hätten, denn sie brauchen nur auf Möglichkeiten zurückgreifen, die es schon lange gibt. Daß sie diese Mittel anwenden und daß das funktioniert, liegt daran, daß das Kräfteverhältnis für die Arbeiter praktisch seit dem Ende des letzten Weltkriegs immer ungünstiger wird. [15] Wie in den europäischen Ländern wurzelt die heutige Situation des Klassenkampfes in der Zeit direkt nach dem Krieg. In gewisser Weise kann man die Integration der US-Gewerkschaften in den Verwaltungsapparat des Kapitals während des Kriegs mit der Integration der europäischen Gewerkschaften während des Wiederaufbaus der nationalen Kapitalismen vergleichen, besonders in Frankreich. Damals begann eine lange Periode, in der die Bewegungen des Klassenkampfs durch die gesetzliche Regelung der Intervention der Gewerkschaften unter deren Vormundschaft gestellt wurde, was durch eine lange relative Aufschwungperiode des westlichen Kapitalismus (die berühmten glorreichen 30 Jahre) begünstigt wurde. Die Gewerkschaften hatten in den Betrieben kein gesetzliches verbrieftes Existenzrecht und konnten erst nach Anerkennung durch die Mehrheit der Arbeiter im Betrieb und wenn es ihnen gelang, mit dem Unternehmer einen Kollektivvertrag im Folgejahr abzuschließen, in den Haustarifvertrag intervenieren (wenn nicht, ging alles wieder von vorn los). Der Tarifvertrag wird gewöhnlich für einen begrenzten Zeitraum geschlossen; er legt nicht nur Arbeitsbedingungen, Löhne und Kranken- und Rentenversicherung, sondern auch das gewerkschaftliche Mitspracherecht der Gewerkschaft im Betrieb fest: sowohl in ihren eigenen Aktivitäten als auch in der Verwaltung der Arbeit selbst als auch in der Konfliktregelung unter der nicht besonders strengen Kontrolle einer Art Schiedsgerichtshof, des National Labor Relations Board (NLRB). Solche Kollektivverträge gibt es praktisch nur in Großbetrieben, und der gewerkschaftliche Organisationsgrad (heute sind es weltweit 14 Prozent gegenüber 24 Prozent 1977 und 35 Prozent 1945) [16] zeigt, daß sie in Wirklichkeit nur eine Minderheit von Beschäftigten in den USA betreffen, während die übrigen vollständig von den vom Arbeitgeber gesetzten Bedingungen abhängig sind, denn dieser ist praktisch weder einer gesetzlichen Regelung (einem auf seine einfachste Form reduzierten Arbeitsrecht, vgl. Fußnote 12) noch einem Haustarifvertrag unterworfen.

Das dialektische Verhältnis von Kapital und Arbeit:
Veränderung der Ausbeutungsstrukturen, Veränderung des Widerstandes

In gewisser Weise kann man sagen, daß dieser fehlende gesetzliche Schutz verbunden mit Repressionsmittlen dem Kapitalismus praktisch einen Freibrief gibt, alle zur Aufrechterhaltung seiner Stellung und seiner Profite gegen die Arbeiter nötigen Veränderungen durchzusetzen. Die Situation der Arbeiter und ihre Kampfmöglichkeiten hängen eng zusammen mit dem Kräfteverhältnis, das sich stark von dem in Westeuropa unterscheidet. Zum bisher erwähnten Arsenal zur Unterdrückung von Streiks kommt noch hinzu, daß Solidaritätsstreiks aller Art, Boykottaufrufe usw. praktisch verboten sind. Vergleicht man die längsten Streiks mit der zahlenmäßig größten Beteiligung in den USA zwischen 1948 und 1953 mit denen in Europa im gleichen Zeitraum, stellt man fest, daß es in den USA nur halb so viele Streiktage und ein Viertel so viele Streikende gab. Um die Dinge nicht zu verdrehen: Wenn diese allumfassende Offensive des Kapitals noch auf keinen umfassenden Widerstand gestoßen ist, dann deshalb, weil das Kräfteverhältnis, das in der Zeit davor zum Teil aus Lethargie für diejenigen, die sich kaum verteidigen konnten, schon stark erodiert war und die anderen dachten, der beste Schutz vor den Folgen dieser Offensive bestünde darin, sich nicht zu bewegen. In Westeuropa läßt eine strenge Reglementierung der Arbeit und die instutionalisierte Intervention der Gewerkschaften Raum für ein schrittweises Zurückweichen vor derselben Offensive des Kapitals, die jahrelang andauert, während sie in den USA sehr schnell geht. Wie in vielen Bereichen betreiben die USA Innovation, um ihren Vorgarten vor einer seit den 60er Jahren immer schärfer werdenden weltweiten Konkurrenz zu verteidigen. Alle Übel, die sich gegenwärtig über die europäischen Länder, besonders Frankreich, ergießen, kennen die amerikanischen Arbeiter seit Jahren: Die wichtigste Waffe war die Produktionsverlagerung und Deindustrialisierung. Ergänzt wurde sie durch das Eindringen massiver Investitionen in die modernen Automatisierungstechniken und Computereinsatz. Da die Unternehmenschefs völlig ungehindert agieren konnten, verschärften sich die Bedingungen der amerikanischen Arbeiter ungleich mehr als die der europäischen Arbeiter. Die Massenentlassungen führten zu Unsicherheit und/oder Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, und außer punktuellen Konflikten, die die Arbeiter meist verloren, gab es praktisch keinen Widerstand. Wo es Gewerkschaften gab, konnten sie nur versuchen, den Schlag zu begrenzen, und wie ein Arbeiter sagte: »Ich sehe nicht, warum ich eine Gewerkschaft brauche, um Lohnsenkungen auszuhandeln; das kann ich auch alleine.« Die Begrenzung der Schläge hatte zum Teil auch einen anderen Sinn, nämlich die Erhaltung gewerkschaftlicher Positionen gegen die Versuche der Basis, andere Kampfmethoden anzuwenden: Das bezeichnendste Beispiel war der Streik bei Hormel (Fleischverarbeitung), wo die Gewerkschaftszentrale schließlich autoritär die Ortsverband auflöste, um einen Tarifvertrag gegen allzu kämpferische Arbeiter durchzusetzen; andere Beispiele lassen sich vor allem im derzeitigen Konflikt bei den Tagenszeitungen in Detroit finden. [17]

Der grundsätzliche Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit zwingt das Kapital permanent dazu, die Arbeitskosten zu begrenzen. Es ist interessant zu sehen, worin in den USA die wesentlichen Elemente der Restrukturierung bestehen, um diese Kosten zu senken und das US-Kapital fit für die oben beschriebene globale Situation zu machen. Im Gegensatz zu gängigen Annahmen geht es bei der strukturellen Veränderung des Produktionsapparates weniger um Verlagerungen, sondern vor allem um die technologischen Veränderungen. Der OECD-Bericht Beschäftigungsperspektiven 1997 betont, daß die Importe aus Niedriglohnländern sich nur begrenzt auf die Beschäftigung und den Lohn auswirken und sich die Arbeitsbedingungen vor allem durch den technischen Fortschritt verschlechtert haben.

Diese Behauptung läßt sich durch Beispiele stützen, die zeigen, wie technische Innovationen (direkt oder auch indirekt durch die bewußte Absicht der Leiter, damit den Arbeiterwiderstand zu zerschlagen) von einem Tag auf den anderen radikal das Kräfteverhältnis im Betrieb kippen kann: 1946 gab es einen Streik von 15 000 Dienstleistungsbeschäftigten in den großen Bürogebäuden (besonders die Liftboys hatten New York praktisch lahmgelegt; 1996 hatte der Streik von 30 000 Dienstleistungsbeschäftigten keinerlei Auswirkung, da ein Gutteil der Arbeit vollständig automatisiert worden war. Das Kippen solcher Situationen kam in zwei Wellen. Von 1981 bis 83 waren vor allem die Grundstoffindustrien davon betroffen: Stahlwerke, Fabriken, Bergwerke, Bau. Von 1991 bis 93 traf es die Dienstleistungsbereiche: Telefon, Druckereien. Zu dieser internen Umstrukturierung kommen parallel die Auswirkungen der Globalisierung und Auslagerung (vor allem in den Süden der USA und nach Mexiko) hinzu. Ein Beispiel dafür ist der Streik bei Caterpillar, der nach mehreren Umschwüngen, die sich über 18 Monate hinzogen, scheiterte, weil die Firma nur noch ein Viertel ihres Bestandes in den USA hatte und ihre weltweite Aktivität nur schwach von dem auf die USA beschränkt gebliebenen Streik getroffen war. Trotzdem muß vor allem die Situation in den USA selbst betrachtet werden, und die Zahlen relativieren einmal mehr die angebliche Bedeutung der Globalisierung: der Anteil des Handels zwischen verschiedenen Firmen (66 Prozent davon sind Multis) ist von 30 Prozent im Jahre 1977 auf 29 Prozent im Jahre 1994 gefallen; der Anteil der Halbfertigprodukten an diesem Handel ist gleichzeitig von 12 Prozent auf 13 Prozent gestiegen; zwei Drittel dieses Handels wurden mit Europa, Kanada und Japan getätigt, während der Rest der Welt nicht einmal ein Drittel.

Diese technischen Veränderungen und die Verlagerung der Produktionsstätten hängen mit einer inneren Umstrukturierung des kapitalistischen Systems selbst zusammen, die es möglich machte, die Ausgebeuteten wieder auf Linie zu bringen und damit die Arbeitskraft in einem völlig neuen Rahmen zu benutzen. Dadurch wird es noch schwieriger für die Arbeiter, eine angemessene Antwort zu finden: Es geht darum, die Arbeitskraft völlig zu flexibilisieren, um aus ihr eine je nach den unmittelbaren Bedürfnissen der Firma verfügbare Ware zu machen. Obwohl die Folgen dieser technologischen Veränderungen und geographischen Verlagerungen den Arbeiterwiderstand geschwächt haben (Nichtrespektierung von Streikposten, wenig Solidarität, Differenzierungen sowohl bei der Arbeitsplatzsicherheit als auch bei Löhnen und Arbeitsbedingungen), rüstete sich die Unternehmerschaft mit noch mehr Waffen, um ihre Ziele besser zu erreichen. Die Automatisierung, die die Arbeitsaufgaben vereinfacht und den Unternehmern schon die praktische Möglichkeit gab, die Arbeit im Streikfall von Angestellten und Vorgesetzten oder bei Bedarf von Streikbrechern machen zu lassen, von denen ihnen die steigende Arbeitslosigkeit ein reichliches und wenig beachtetes Reservoir zur Verfügung stellte. [18]

In den USA blühen und gedeihen spezielle Beratungsfirmen, die auf die Dislozierung von potentiellen oder tatsächlich stattfindenden Streiks spezialisiert sind; es gibt eine ganze Literatur zum Thema »Operating during strikes«; die Tätigkeit dieser Anti-Streik-Organisationen war eine Fortentwicklung der berühmten »Pinkerton Agentur« von einst, die bloß Gewalt einsetzte, denn indem sie auf diesem Weg weitermachte, konnte sie ihre Tätigkeit ausdehnen von der juristischen Beratung bis zum Training von Streikbrechern, was sie zu einer noch fürchterlicheren Waffe in den Händen einer aggressiven Unternehmerschaft machte. Ein Beispiel dafür war der Streik bei Phelps Dodge (Lederindustrie) im Jahre 1983, der auf ganzer Linie verloren ging, und wo 39 Betriebsgewerkschaften (»locals«) ihr Vertretungsrecht, d.h. jegliche Möglichkeit, in den Konzernbetrieben aktiv zu werden, verloren.

Der derzeitige angebliche (ganz und gar relative) Aufschwung des amerikanischen Kapitals beruht mehr auf den derzeitige Ausbeutungsbedingungen der Arbeiter in den USA als auf anderen Faktoren. Wenn man von der Auslagerung an Subunternehmer spricht, mit der beliebig viele Arbeiter aus großen Firmen mit Tarifvertrag in tariffreie, d.h. nicht gewerkschaftlich organisierte, Sektoren verschoben werden können, denkt man nur an diesen Aspekt einer Überausbeutung der Arbeit. Aber es geht um mehr, wie wir beim UPS-Streik sehen werden. Die Überausbeutung der Arbeitskraft ist eng verbunden mit einer Auflösung/Neuzusammensetzung der wirtschaftlichen Strukturen in den USA selbst; die Reorganisation des ganzen produktiven Sektors findet nicht mehr nur innerhalb des Unternehmens statt, sondern über die Neuzusammensetzung von identischen Sektoren, die über eine Vielzahl von Subunternehmen eines einzigen Unternehmens verteilt sind: dahinter steht sicherlich eine Suche nach dem Profitoptimum, aber möglich wird diese Neuzusammensetzung durch den Einsatz neuer Technologien. Uns interessieren hier die Folgen für die Arbeitsorganisation, genauer gesagt: die Möglichkeit, die Arbeitskraft nur dann zu benutzen, wenn sie gebraucht wird. Sie kann vielleicht vollzeitbeschäftigt sein mit unterschiedlichen Arbeitsaufgaben, die aber untereinander verbunden sind. UPS ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine solche Situation aber auch für die Widerstände und Anfälligkeiten eines solchen Systems. Die Enwicklung des Systems in der gerade analysierten Richtung entwickelt nämlich Gegentendenzen, die sich aus der Umstrukturierung selbst ergeben und in anderen Sektoren die Kräfteverhältnisse wieder zugunsten der Arbeiter kippen. Verlagerungen, Just-in-time-Produktion und Distribution und Werkverträge machen in ihrer Kombination den derzeitigen Aufbau des Produktionsapparats anfällig für Streiks, genau wie die früheren Strukturen für »Nadelöhrstreiks« anfällig waren. Ein Konflikt in einer Produktionseinheit, in dem nicht sofort Hunderte von Arbeitern ersetzt werden konnten, konnte sich praktisch sofort auf die Gesamtproduktion einer Firma auswirken: Diese Kombination war für die Arbeiter eine Waffe im Kampf. Die Entwicklung von Dienstleistern (Subunternehmern, die unter diesem Etikett bisher in den produktiven industriellen Sektor eingebundene Sektoren aufnehmen), die selber kaum noch oder gar nicht mehr auslagern können, macht das Unternehmen noch anfälliger (der Streik bei UPS ist dafür ein gutes Beispiel). Andere Sektoren, die entweder ein hohes technisches Niveau haben, unter militärischen Schutz stehen oder zwangsläufig in einem bestimmten geographischen Gebiet tätig sein müssen (z.B. wiederum UPS oder Boeing oder die Fluggesellschaften) können nicht die Waffe der Verlagerung oder auch nur Ersatzarbeiter benutzten. Die »Verschlankungen« wirken sich vielleicht sofort auf die Profite aus, aber auf lange Sicht können die Folgen für die Firmen einschließlich der Multis mehr oder weniger zerstörerisch sein; die Finanzleute haben betont, daß ein Unternehmen Mehrwert produzieren und nicht durch den Abbau seiner Tätigkeit reduzieren soll; es wurde oft betont, daß die Entlassungen oder Umstrukturierungspläne den notwendigen Konsens oft dort beseitigen, wo er am notwendigsten ist, damit das kapitalistische Unternehmen ohne allzu große Zusammenstöße funktioniert: beim Führungspersonal. [19] Firmen, die zu stark Personal abgebaut haben, haben im Fall eines wirtschaftlichen Aufschwungs Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt das qualifizierte Personal zu finden, das sie einst mit Freuden losgeworden waren (lehrreich ist hier das derzeitige Beispiel von Boeing: Die Firma muß die Produktion drosseln und die Auslieferung verzögern, weil sie nicht genug Personal einstellen kann.) [20]

Ein brüchiger »Aufschwung« auf der Grundlage der Intensivierung der Arbeit in jeder Form

Die westlichen Medien sind voll von Artikeln über den amerikanischen »Aufschwung« und die niedrige Arbeitslosenrate. Der »Aufschwung« der USA hängt aufs Engste zusammen mit dem US-Imperialismus und seinen Möglichkeiten, wirtschaftlichen Druck auszuüben, begleitet von mehr oder weniger verschleierten militärischen Bedrohungen (man betrachte nur die weltweiten Konfrontationen in den unterschiedlichsten Bereichen wie hormonhaltiges Fleisch, Bananen, afrikanische Kriege, finanzieller Druck auf die japanische Flotte, damit Japan das japanische Hafenarbeiter-Statut verändert, usw.). Die orthodoxen Ökonomen unterstreichen, daß es kein Wirtschaftswunder in den USA gebe und daß die berühmten »Indikatoren« der guten Gesundheit nicht verraten, was sich hinter den zum Beweis vorgelegten Zahlen verbirgt. Die niedrige Arbeitslosenrate beispielsweise ist mehreren Faktoren geschuldet, die nichts mit einem ökonomischen »Aufschwung« zu tun haben: Aus demographischen Gründen gibt es immer weniger junge Leute auf dem Arbeitsmarkt; die Verbindung dieses Faktors mit der Angst vor Arbeitslosigkeit führt dazu, daß diejenigen, die einen Job haben, ihn nicht aufgeben, und daß die Firmenchefs weiterhin die Löhne niedrig halten können. De facto hat sich die Mobilität seit dem angeblichen wirtschaftlichen Aufschwung kaum geändert. Als Clinton sich während seines Wahlkampfes rühmte, in seinen vier Jahren als Präsident zehn Millionen Arbeitsplätze geschaffen zu haben, hieß die ironische Antwort: »Ja, ich weiß, ich habe drei davon.« Entweder die Arbeiter akzeptieren mehrere Beschäftigungen oder (und) sie müssen hochflexible Arbeitsbedingungen akzeptieren. Offiziell sind fast 20 Prozent der Arbeiter teilzeitbeschäftigt, aber das Beispiel UPS wird zeigen, was das wirklich bedeutet.

Ein Beispiel liefert ein Artikel aus der Baltimore Sun vom 6. Juli über eine dortige Fabrik für Landwirtschaftschemie: ein Chemielaborant hat dort 60 Stunden an sieben Tagen in der Woche gearbeitet und hatte dabei von November bis Juni nur vier Ruhetage; er arbeitet in Acht-Stunden-Schichten; zweimal im Vormonat hatte er 16 Stunden durchgearbeitet; so kann ein Arbeiter auf 100 Wochenstunden kommen; der Fabrikdurchschnitt liegt bei 75 Stunden. Die 185 Arbeiter der Fabrik legten die Arbeit nieder, als die Geschäftsleitung sich weigerte, die wöchentliche Arbeitszeit auf 68 Stunden zu begrenzen und einer Ruhepause von 16 Stunden nach drei aufeinanderfolgenden 16-Stunden-Schichten zuzustimmen. Der Artikel fügt hinzu, daß solche Situationen gang und gäbe sind und daß viele Leute mehr arbeiten als zu Anfang des Jahrhunderts. Die Unternehmer können so viele Überstunden verlangen, wie sie wollen, sie sind nur verpflichtet, ab der 41. Stunde 50 Prozent Zuschlag zu bezahlen. Die Weigerung, Überstunden zu machen, führt zur Entlassung: Das Arbeitsverhältnis beinhaltet die Verpflichtung, die von der Geschäftsleitung festgelegten Arbeitszeiten einzuhalten. Im letzten April betrug die durchschnittliche Zahl von Überstunden pro Arbeiter 4,9, während es vor sechs Jahren noch 3,3 waren. Von 1976 bis 1993 ist die jährliche durchschnittliche Arbeitszeit bei Männern um 100 Stunden und bei Frauen um 233 Stunden gestiegen (alles nach offiziellen Statistiken). Die Mehrarbeit kann sich ebenso über verrückte Arbeitszeiten als auch - anders als man meinen sollte - über reduzierte Stunden in der Teilzeitarbeit abspielen. Beide sind nur eine Konsequenz aus dem, was das Kapital in den USA erreicht hat: totale Flexibilität je nach seinen Bedürfnissen, so eng wie möglich an den wechselnden Produktionserfordernissen ausgerichtet. [21]

Andere Zahlen geben eine noch umfassendere Vorstellung von der Kehrseite des US-»Aufschwungs«. Ende 1996 deckte eine Umfrage auf, daß 46 Prozent der aktiven Bevölkerung vom Problem Entlassungen betroffen sind oder waren (zwischen 1990 und 1995 hatten 30 Prozent ihre Arbeit verloren). Im Juni 1995 ergab eine Erhebung, daß 80 Prozent der Befragten eine Lohnsenkung erlitten hatten; die Hälfte von ihnen mußte zwei oder mehr Jobs machen. Zwischen 1972 und 1996 haben die niedrigen Löhne 30 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. Dem Buch »The State of Working America 96-97« zufolge ist das Verhältnis der mittleren Arbeitereinkommen zum Unternehmereinkommen von 1 : 60 im Jahre 1978 auf 1 : 173 im Jahre 1995 gestiegen; 1974 verdiente der Präsident von IBM das 11fache des Grundgehalts einer Sekretärin, 1994 schon das 40fache. Von 1979 bis 1995 fielen den Umstrukturierungen 43 Millionen Arbeitsplätze zum Opfer. Im gleichen Zeitraum wurden 23 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen, aber der Lohn beträgt im Schnitt 85 Dollar die Woche. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze gehen praktisch alle mit Lohnsenkungen einher. Als Beweis für den US-»Aufschwung« wird die niedrige Arbeitslosenrate angeführt, aber sie wäre in Wirklichkeit doppelt so hoch und damit vergleichbar mit den europäischen Zahlen. [22] Andere Zahlen geben eine Vorstellung vom Durchmarsch der kapitalistischen Initiative bei den Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung. Nach einem Bericht des US-Landwirtschaftsministeriums (15.9.97) haben fast 12 Millionen Haushalte Ernährungsprobleme, und 26 Millionen waren schon einmal in einer Suppenküche. [23] Die Zahl der Gefängnisinsassen hat sich innerhalb von 10 Jahren verdoppelt und innerhalb von 20 Jahren verdreifacht. Sie ist mit 1,5 Millionen 1994 bzw. 15 von 100 000 Personen der erwerbstätigen Bevölkerung Weltrekord. Eine andere Folge der Intensivierung der Arbeit ist, daß sich in den (laut Statistiken ständig expandierenden) Dienstleistungen die Zahl der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten innerhalb von zehn Jahren verachtfacht hat, während gleichzeitig immer weniger Arbeiter soziale Garantien genießen, die in den USA immer beim Unternehmen liegen, wobei die Beitragspflicht über Tarifverträge geregelt ist, die in vielen Fällen gar nicht existieren.

Kann man eine Bilanz des Arbeiterwiderstands gegen diese Offensive des Kapitals in den USA ziehen?

Es ist schwierig, sich eine Vorstellung vom Arbeiterwiderstand zu machen. Die offiziellen Streikstatistiken schreien heraus, daß es noch nie so wenige Streiks gab, aber diese Statistiken nehmen nur Streiks zur Kenntnis, an denen mindestens 1000 Arbeiter beteiligt sind, das heißt, es ist nicht errechenbar, wieviele »kleine« Konflikte es womöglich in Unternehmen von relativ geringer Größe (deren Zahl durch die Werkverträge und die Neuzusammensetzung der Aufgaben in den verschiedenen Unternehmen ständig zunimmt) oder in begrenzten Bereichen von Großunternehmen gibt. Diesseits des Atlantiks hört man von diesen Streiks nur - und auch dann nur sehr wenig -, wenn sie weltweite Störungen verursachen (zum Beispiel im Luftverkehr) oder ihre Dimension es schwierig macht, sie zu verschweigen (zum Beispiel der Streik bei Boeing oder ganz aktuell der bei UPS, über den wir im folgenden sprechen). Wenn der direkte Druck jedoch zu stark wird, kommt es an der Basis zu anderen, nicht quantifizierbaren Widerstandshandlungen, die sich nur negativ an den Produktivitätsdaten ablesen ließen. [24]

Der »kleine« Streik in der Chemiefabrik in Baltimore ist bezeichnend, obwohl er nur 185 Arbeiter betrifft. Auch wenn ihre Überstunden ihnen Löhne von bis zu 63 000 Dollar im Jahr verschafften, leisteten sie Widerstand gegen die Intensivierung der Arbeit. Das ist kein isoliertes Phänomen: der UPS-Streik gehört zu einer ganzen Reihe von Konflikten, die sich im Lauf der letzten Jahre insbesondere im Automobilsektor entwickelt haben. Betrachtet man die Konflikte in den USA in den letzten 20 Jahren, wird deutlich, daß sie sich auf folgende Achsen konzentrieren: diejenigen, in denen das Kräfteverhältnis gegen die Arbeiter steht, und diejenigen, in denen es zu ihren Gunsten ausfällt. Diese Teilung überschneidet sich mit der bei den Umstrukturierungen geschilderten Teilung zwischen Unternehmen, die mit allen vorhandenen Faktoren spielen können, und Unternehmen, denen die Folgen der Umstrukturierung Gegentendenzen eingebracht haben, die ihre Manövrierfähigkeit einschränken.

Man könnte eine nichtendenwollende Litanei von Streiks der letzten 15 Jahre beschreiben, in denen die Kampfbereitschaft der gegen das Unternehmerdiktat revoltierenden Arbeiter sich über Monate, mehr noch Jahre erschöpft hat, meistens unter dem Druck gewerkschaftlicher Ortsverbände, und gegen wachsende Anfeindungen der Gewerkschaftsbürokratien, die jedem schwachen Versuch von radikaler Aktion die Stoßkraft nehmen, dabei jegliche Solidarität abbremsen, und schließlich mit Vereinbarungen, die auf die den Bedingungen der Unternehmer eingehen, aber die »Präsenz« der Gewerkschaften im Betrieb schützen, mehr oder weniger spektakuläre Niederlagen einfahren. Die Namen werden sicherlich jeden an eine lange Reihe von Konfrontationen erinnern, die mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind: Hormel (1985/86), Greyhound (1990-93), Caterpillar (1991/92, 163 Tage Streik), Staley (1993, 40 Monate Streik), Wheeling Pittsburg Steel Corp. (1996, 8 Monate Streik), Detroit Newspaper (seit 16 Monaten im Streik). Die Liste ist nicht vollständig. All diese Streik stecken zwischen den ganz legalen Versuchen der Unternehmer, die Auswirkungen des Streiks zu mindern und z.T. sogar außer Kraft zu setzen, und der Weigerung (und Unfähigkeit) der Gewerkschaftsbürokratien, es auf eine Machtprobe mit eben dieser Legalität ankommen zu lassen (und können). Gehen die Umstrukturierungen weiter, wird es immer wieder solche Streiks geben, obwohl es früher mehr davon gab und mehr spektakuläre Niederlagen stattfanden.

Es gab aber auch Konflikte, in denen das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiter stand, da die Firmen mit den gesetzlichen Anti-Streik-Mitteln nicht so leicht hantieren konnten, wenn diese letztlich noch mehr Schaden angerichtet hätte. Das hat in einigen der schon erwähnten Streiks nicht verhindern, daß es eine Intervention von höchster Ebene gab, um brutal das Kräfteverhältnis zugunsten der Unternehmensleitung wiederherzustellen, z.B. bei den Eisenbahnen und bei American Airlines. Der Streik bei Boeing im Dezember 1995 ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die Art der Arbeit und die Stellung der Firma die üblicherweise angewandten Taktiken zur Zerschlagung der Kampfbereitschaft der Arbeiter wirkungslos machten: Obwohl der Streik neun Wochen dauerte, gab es keine Ersatzarbeitskräfte, da eine so große Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte sich nur schwer auf der Stelle ersetzen läßt; die Arbeiter konnten es sich sogar leisten, eine erste Vereinbarung, der die Gewerkschaft zugestimmt hatte, als unzureichend abzulehnen.

Aber parallel dazu haben Streiks in den letzten zwei Jahren und besonders in der Autoindustrie gezeigt, daß andere Probleme als die Erneuerung der Tarifverträge oder die Löhne im Mittelpunkt von Arbeiterreaktionen gegen die Überausbeutung standen. Ein Artikel des Journal of Commerce vom April 1997 trug den Titel: »Die flexible Produktion macht die 'großen Dreiž anfällig für Streiks«. Die großen Drei sind die drei großen Automobilfirmen General Motors, Ford und Chrysler. Der Artikel beschäftigte sich damit, daß in der flexiblen Produktion die Möglichkeit, mit dem geringsten Stopp in einer zweitrangigen Einheit des Produktionsprozesses in einem lokalen Konflikt einen ganzen Fabrikverbund zu blockieren, ein Trumpf in den Kämpfen ist. Aus der Sicht der betroffenen Unternehmen stimmt das, und das Kräfteverhältnis wendet sich zugunsten der Arbeiter. Doch das ist nur eine Folge der jüngsten Streiks in der Autoindustrie: all diese Streiks haben eines gemeinsam, was sie mit dem Streik in Baltimore verbindet, auch wenn sie unendlich viel mehr Resonanz hatten. Sie richteten sich nicht nur gegen die Überausbeutung, sondern gegen die Folgen der Flexibilisierung in allen ihren Formen (Arbeit auf Abruf, Teilzeit, unständige Arbeit usw.). Deshalb gehen in diesen Streik eine Fülle von offensichtlich unzusammenhängenden Forderungen durcheinander, die sich alle gegen die Versuche richten, die Träger der Arbeitskraft, die Menschen, immer mehr auf eine Ware zu reduzieren, die derselben Flexibilität unterworfen ist wie die Versorgung mit Rohstoffen und Ersatzteilen oder die Belieferung des Supermarkts: vollkommene Verfügbarkeit unter den Willen des Kapitals, Abbau nicht nur der toten Zeiten, die variables Kapital kosten, aber gänzlich unproduktiv sind, sondern auch von Flautezeiten, in denen diese Produktivität zurückgeht; der Arbeitskraftvorrat soll auf ein Minimum reduziert werden, um kein variables Kapital zu vergeuden, genauso wie das fixe Kapital nicht in Warenlagern für Produktion und Distribution oder in stillstehenden Maschinen gebunden sein darf. Aus diesem Grund ist das Thema Arbeitszeitverringerung besonders problematisch: Das Kapital kann sie in der für es selbst profitabelsten Form organisieren, und gleichzeitig die Ausbeutungsrate sowohl langfristig als auch kurzfristig erhöhen. Allein seit Anfang 1997 hat es in der US-Autoindustrie eine Reihe von Streiks gegeben, von denen ich einige nennen möchte:

In all diesen Streiks ging es nicht um die Löhne, sondern um die Arbeitsbedingungen und direkt um die kapitalistische Leitung des Unternehmens.

Es ist also recht schwierig, all denen zuzustimmen, die plötzlich den Streik in den USA entdecken und mehr oder weniger unisono verkünden: »Der Streik bei UPS brach am 4.8.97 aus wie ein Sturmgewitter aus dem heiteren Himmel der Ökonomie.«

Welche Rolle spielen heute die Gewerkschaften in den Arbeitsbeziehungen in den USA?

Wie wir zu Beginn des Artikels unterstrichen haben, dient die Gewerkschaft, der Gewerkschaftsbund AFL-CIO ebenso wie die ihm angehörige Teamster-Gewerkschaft, wie überall zur Verwaltung der Arbeitskraft und ist damit ein integraler Bestandteil des Systems. Mit dem Niedergang dieser ihrer unausweichlichen Funktion, ergibt sich für sie nun wie gesagt das Problem, wie sie beim gegenwärtigen schwachen Niveau der Akkumulation irgendetwas für ihre Mitglieder und eventuell für die Arbeiter insgesamt erreichen können. Es ist ganz offensichtlich, daß sie in den letzten knapp 30 Jahren kaum auf die Angriffe des Kapitals antworten konnten, denn dieses machte nicht nur keine Zugeständnisse, sondern nahm auch noch das zurück, was es einst gewährt hatte. Es ist auch ganz offensichtlich, daß keine Gewerkschaft, die zum System gehört, es sich leisten kann, eine radikale Haltung anzunehmen, denn damit riskiert sie, als Institution im System ganz zu verschwinden, sondern daß sie im Gegenteil gegenüber einer radikalen Haltung der Arbeiter in einem Konflikt alles Erdenkliche tun muß (indirekt oder sogar direkt mit allen Mitteln, einschließlich Gewalt oder der Hilfe der Staatsgewalt), um diese Radikalität zu stoppen und sie durch einen Kompromiß zu ersetzen, der den Kampf beendet und, auch wenn er als Sieg präsentiert wird, nichts anderes als eine Niederlage ist.

In solchen Situationen sind immer Strömungen aufgetaucht, die oft aus politischen Gruppen der extremen Linken stammten, die meinen, daß aus der Gewerkschaft ein Kampfverband werden kann und daß es dafür reicht, die Bürokratie entweder abzuschütteln oder zu ersetzen. Sie stellen die soziale Realität auf den Kopf: der Grund dafür, daß die Gewerkschaften nicht dynamisch oder gar »revolutionär« sein können, ist nicht mangelnder »Kampfeswille«; den Klassenkampf machen nicht die »aktiven« oder radikalen Mitglieder. Dieser Klassenkampf, dessen Niveau rein von den sozio-ökonomischen Realitäten der Ausbeutung abhängt, bestimmt die »mögliche« Aktivität dieser Mitglieder. Solche Strömungen gibt es überall; sie tauchen meist dann auf, wenn es wieder zu Kämpfen kommt, die in den Händen der sogenannten Bürokraten liegen. In den letzten 20 Jahren Jahren, als die AFL-CIO die kapitalistische Offensive in den USA nicht eindämmen konnte und wollte, hat sich eine Tendenz für eine »Demokratisierung« der Gewerkschaften entwickelt, hauptsächlich getragen von Leuten, die verschiedenen leninistischen Strömungen angehören oder angehört haben. Erleichtert hat diesen Aufstieg einer »gewerkschaftlichen Erneuerung« eine Mischung von Trägheit der alten Garde und organisatorischer Schwäche, die nicht mehr über die Ressourcen verfügte, um den wirklich skandalösen Lebenswandel dieser Bürokraten, Fusionen und Umgruppierungen aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise wurde im Oktober 1995 Sweeny, der Anführer dieser Reformisten, zum neuen Präsidenten der AFL-CIO gewählt. Labor Notes konnte kürzlich (im März 1997) schreiben, daß »die AFL-CIO ein Programm zur Wiederbelebung der Arbeiterbewegung präsentiert« habe; dies zeigt die voluntaristische Verwirrung einer solchen Position (diese Tendenz versucht sogar derzeit, eine neue »Arbeiterpartei« in den USA aufzubauen). Nicht die Reformen der Gewerkschaft oder von einem erneuerten Aktivismus getragene Rekrutierungskampagnen bringen die Arbeiter zum Kämpfen, sondern die Kapitalbewegung selbst. Wie The People schrieb: »Das ist dieselbe prokapitalistische Arbeitergewerkschaft, die wir hatten, bevor Sweeny das Ruder übernahm.« [25]

Bei den Teamsters ist die Frage der Gewerkschaftsreform noch viel komplezierter. Man hat in Europa viel von ihren Verbindungen zur Mafia gehört: Einer ihrer »großen« Führer, Jimmy Hoffa, endete als Opfer - man weiß nicht genau von wem und warum - begraben im Betonfundament eines Wolkenkratzers. Aber die Herrschaft des »organisierten Verbrechens« hat solche Dimensionen erreicht, daß die Bundesregierung schließlich intervenierte und die Gewerkschaft unter Zwangsverwaltung stellte. Dies erlaubte 1991 die Wahl von Carey zum Chef der Gewerkschaft. Carey war der Führer der Strömung »Teamsters für eine demokratische Gewerkschaft«, die seit 20 Jahren tätig war und die Gewerkschaft vom Einfluß der Mafia befreien und sie »demokratisieren« wollte. Es ist schwierig zu sagen, ob sie dieses Ziel erreicht hat (ein Gutteil der Ortsverwaltungen ist noch in Händen der alten Führer), denn er konnte seine Wiederwahl im Oktober 1996 gegen den Sohn von Jimmy Hoffa nur knapp und nur um den Preis von nicht autorisierten Subventionen erreichen, was einen Miniskandal ausgelöst hat, verbunden mit der Drohung, die Wahl für ungültig zu erklären. Der Streik bei UPS kam genau richtig, um Careys Licht neu zum Strahlen zu bringen (er war selbst früher Auslieferungsfahrer bei UPS und hatte wahrscheinlich noch persönliche Rechnungen zu begleichen). Dies erklärt vielleicht, warum die Teamsters-Gewerkschaft eine Position eingenommen hat, die nicht radikal war, sich aber auf jeden Fall von der Haltung seiner Vorgänger abhebt. Natürlich war nicht das der Grund, warum die UPS-Arbeiter massiv in den Streik getreten sind, aber es hat das begünstigt. Hinter dem Streik und der Haltung der Demokratischen Partei insbesondere von Clinton stehen auch »privilegierte« Beziehungen zwischen den Teamsters (die mit 35 Millionen Dollar, die über die AFL-CIO ausgezahlt wurden, finanziell zu Clintons Wiederwahl beigetragen haben) und dem Weißen Haus; wir werden später auf diesen Punkt zurückkommen. Man könnte sich noch viel mehr über die Saga der Teamsters auslassen, die nicht den Kampf der Reinen gegen die Unreinen oder der Sauberen gegen die Korrupten widerspiegelt, sondern eine Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Interessen in einer Organisation, die immer noch eine der mächtigsten Gewerkschaften der USA ist: Diese Situation führt direkt zum Kern des Kampfs der UPS-Arbeiter.

In jüngster Zeit hat es regionale Konflikte gegeben, die von der Teamsters-Gewerkschaft getragen waren: im September 1995 streikten 5000 LKW-Fahrer, die Wagen der Firma Ryder System in Kalifornien transportierten; im Juli 1996 streikten 6000 LKW-Fahrer in allen Häfen Südkaliforniens. Es gab sogar kürzlich in einem Zentrum einen Konflikt aufgrund einer Konfrontation zwischen der alten und der neuen Bürokratie, der mit einer Niederlage endete und dessen Kosten die UPS-Arbeiter mit einem plumpen Kompromiß trugen. Als nach der Wiederwahl Careys die Erneuerung des Tarifvertrags bei UPS anstand, bereitete die neue Bürokratie etwas vor, was zu einer Konfrontation führen und in den Verhandlungen mit UPS Gewicht haben kann, auch wenn es sich nicht in Fakten übersetzen läßt: Im Frühjahr werden im ganzen Land von den Teamsters Mitglieder-Versammlungen zu den Themen organisiert, die den Kern der Ausbeutung bei UPS bilden. Das war wohl der Sinn der Erklärung, die Carey kurze Zeit vor dem Streik abgegeben hat: »Diese Verhandlungen sind getragen vom Willen, den amerikanischen Traum zu schützen.« Jeder Kommentar überflüssig!

Ein Überblick über die weltweite Organisation von UPS auf der Ebene der Ausbeutung

So vermittelt der Streik bei UPS auch war und obwohl ein Teil der Forderungen die Löhne (oder vielmehr die Lohndiskriminierung) betraf, liegt er auf einer Linie mit früheren Konflikten im Automobilsektor und zwar in der Frage der Arbeitszeit oder genauer der vom Unternehmen aufgezwungenen totalen Flexibilität. Bevor wir auf den Streik kommen, sind noch einige Worte über das Unternehmen selbst und die Arbeitsbedingungen, über die Teamsters-Gewerkschaft, die im Zentrum des Konflikts stand, und die neuen Beziehungen der Gewerkschaft sowohl zum Unternehmen als auch zur demokratischen Regierung nötig.

UPS, ein privates Transportunternehmen für kleine Pakete, hat sich zu einer gewaltigen Organisation entwickelt, die über die Grenzen der USA hinausgeht, aber ihre Basis vor allem in den USA hat. UPS beschäftigt 200 000 Arbeiter (336 000 weltweit); damit sind sie der fünftgrößte Arbeitgeber der USA, der jeden Tag 12 Millionen Pakete zustellt (die US-Post nur 2 Millionen). Alle dort beschäftigten Fahrer, Sortierer, Belader und Verwaltungsleute tragen eine braune Uniform und arbeiten mit braunen LKWs. UPS hat mit 80 Prozent Marktanteil im Paketumschlag quasi das Monopol in den USA (was 6 Prozent des BIP der USA ausmacht) mit einer Flotte von 157 000 Fahrzeugen, 197 eigenen und 300 Charterflugzeugen und 3000 Eisenbahnwaggons. UPS benutzt 400 Flughäfen in den USA und 200 im Ausland und beschäftigt etwa 2800 Piloten. Insgesamt gibt es 2400 Depots in allen Staaten der USA.

Da UPS im wesentlichen von der Ausbeutung der Arbeit innerhalb der USA lebt und Automatisierung und technische Innovationen, außer in den Verteilzentren, nur begrenzte Auswirkungen auf die Produktivität haben, setzen ihre Anstrengungen zur Steigerung der Profite im wesentlichen auf die Flexibilität und Intensität der Arbeit. Die Art der Dienstleistung verbietet Lösungen wie Auslagerung. Das Problem, daß es dabei täglich zwei Spitzenzeiten gibt, nämlich von 16 bis 21 Uhr für die Abholung und von 21 Uhr bis Mitternacht für die Nahzustellung oder Nachtarbeit für die Fernzustellung, hat UPS gelöst, indem es die Zahl der Teilzeitkräfte vervielfacht hat. Da die Produktivität - und die Profite - außer vom Arbeitsrhythmus, vom Paketgewicht abhängt, hat die Geschäftsleitung vorgeschlagen, das Höchstgewicht von 30 kg auf 70 kg zu erhöhen (da diese Frage ungeregelte Sicherheitsprobleme aufwirft, war dies Ursache eines begrenzten Streiks im Jahre 1994). Die Firma gibt beispielsweise für das Laden der Pakete die Norm vor, daß zwei Schritte in drei Sekunden gemacht werden sollen. Folge der Intensivierung der Arbeit ist, daß die Unfallrate bei UPS zweieinhalb mal so hoch ist wie der nationale Durchschnitt im Transportwesen; aufgrund der schlechten Wartung und Ausstattung der LKW-Flotte gibt es jeden Monat einen Todesfall.

Aber die zentrale Frage bei UPS ist die der Teilzeit und zwar in doppelter Hinsicht. Zuerst wegen ihrer Dimension: seit 1993 hat UPS 46 300 neue Arbeitsplätze geschaffen, von denen 38 500 (83 Prozent) Teilzeitstellen sind. Insgesamt beschäftigt UPS 60 Prozent auf Teilzeitbasis (1986 waren es noch 42 Prozent), während der offizielle Anteil der Teilzeitarbeit in den USA insgesamt bei 18 Prozent liegt. Freiwerdende Vollzeitstellen wurden systematisch mit Teilzeitbeschäftigten neu besetzt. In den Verteilzentren ist der Anteil der Teilzeitarbeit noch größer: in einem solchen Zentrum in der Nähe von Chicago sind von 6000 Beschäftigten nur 250 in Vollzeit, und in ganz Illinois beträgt der Anteil der Teilzeitarbeiter 70 Prozent. Was bedeutet Teilzeit bei UPS? Im Prinzip heißt das 35 Stunden und manchmal mehr pro Woche, und nicht selten sieht man UPS-Arbeiter, die zwei aufeinanderfolgende 4-Stunden-Schichten am selben Tag machen, indem sie von 16 bis 21 Uhr sortieren und von 21 Uhr bis Mitternacht ausliefern, während das geforderte Minimum bei 3 Stunden pro Tag liegt. Das Arbeitstempo ist so hoch, daß die Fluktuation an den Teilzeitstellen bei UPS bei 400 Prozent pro Jahr liegt; 1996 hat die Firma 182 000 Teilzeitbeschäftigte rekrutiert, von denen zu Jahresende gerade noch 40 000 übrig waren. Die große Mehrheit der Teilzeitarbeiter hat weniger als ein Dienstjahr. Das gibt eine gewisse Vorstellung von der prekären Beschäftigung in den USA.

Als Folge davon fiel die Produktivität in den Verteilzentren um ein Drittel, was offensichtlich nicht das Ziel der Maßnahme war. Aber vielleicht hat UPS das nicht gekümmert, denn schließlich ist Teilzeitarbeit unterbezahlt. Die Einstell-Löhne sind seit 1982 unverändert. Ein Vollzeitbeschäftigter verdient 18 Dollar die Stunde (nach zwei Jahren 20 Dollar), während ein Teilzeitbeschäftigter - der möglicherweise ebensoviele Stunden arbeitet, nur 8 Dollar die Stunde verdient (da der Teilzeitbeschäftigte höchstwahrscheinlich nach zwei Jahren nicht mehr da ist, stellte sich die Frage nach einer »Beförderung« nicht einmal). Die beiden Kategorien von Beschäftigten haben dieselben Rechte bei den ZUSAtzleistungen (Krankenversicherung, bezahlter Urlaub ...), aber bei den bestehenden Unterschieden in den Löhnen und der Aufenthaltsdauer erscheint das für die Teilzeitbeschäftigten mehr eine stilistische Klausel zu sein.

Tarifvertrag und gewerkschaftlicher Streik

Die UPS-Beschäftigten unterliegen einem Tarifvertrag, den die Teamsters-Gewerkschaft, die 165 000 von ihnen vertritt, unterschrieben hat. Die frühere Gewerkschaftsführung arbeitete offen Hand in Hand mit der Unternehmensleitung von UPS: sie hatte so die Einrichtung einer zweigleisigen Lohnskala (Two tiers system) favorisiert [26], einen der ersten Akte der Unternehmeroffensive zur Veränderung der Arbeitsbedingungen. Auf Umwegen hatte Jimmy Hoffa diesen Tarifvertrag zunächst im Mittelwesten durchgesetzt, und 1982 kam er dann allgemein zur Anwendung. 1987 setzte derselbe Hoffa einen weiteren unheilvollen Tarifvertrag durch, obwohl er von mehr als 50 Prozent der Teamsters abgelehnt wurde. Dieses Two tiers system war nichts UPS-Spezielles; dieses System erlaubte die Einstellung von neuen Arbeitern zu Löhnen, die weitaus niedriger waren, als die der schon im Unternehmen beschäftigten Arbeiter. Diese Ungleichheit ermöglichte die Spaltung der Arbeiter und verhinderte jede Forderung für die Gesamtbelegschaft. Am UPS-Streik ist wichtig, daß diese Lohnungleichheit, zu der noch die ungleiche Arbeitszeit hinzukommt, ihre Spaltungsfunktion in keiner Weise erfüllte: Von den 185 000 Teamsters-Mitgliedern haben nur 7000 den Streik gebrochen (in Washington 10 von 5000). Der Tarifvertrag lief am 31. Juli 1997 aus, und UPS hatte Vorschläge für seine Erneuerung gemacht: eine Laufzeit von sieben statt vier Jahren, keine Erhöhung der Einstellungslöhne, eine weitere Reduzierung der Vollzeitstellen; die Verwaltung der Kranken- und Rentenversicherung sollten der Gewerkschaft entzogen und vom Arbeitgeber übernommen werden; Anti-Streik-Klauseln, die bereits erwähnte Erhöhung der Paketgewichte usw. Die Verhandlungen wurden aufgenommen, brachten aber keine Ergebnisse; sie blieben besonders am Problem der Renten stecken. Am 28. Juni wurde per E-mail eine Abstimmung organisiert; die Abstimmung war am 15. Juli zuende: mehr als 95 Prozent gaben der Gewerkschaft das Mandat, den Streik zu organisieren. Nach Diskussionen in letzter Minute wurde der Streik auf den 2. August verschoben, um eine gütliche Einigung zu versuchen. Vergeblich. Der Streik begann am 4. August.

Der Streik war von Anfang an in den gesamten USA fast total: darüber gibt es einige Zahlen. In Seattle (Washington) gab es ganze 10 Streikbrecher von 5000 Verteilzentrumsarbeitern im Bundesstaat usw. Die Flugzeugbesatzungen (die sich selbst in einem separaten Arbeitskampf mit UPS befanden) weigerten sich, die Streikpostenlinien zu überqueren, was praktisch die gesamte Luftfracht stoppte. Da UPS 80 Prozent des Marktes kontrolliert, ist die Firma bei einem Streik dieses Ausmaßes besonders verwundbar: Ihre Konkurrenten, insbesondere die US-Post, sind nicht in der Lage, den Paketstrom materiell zu bewältigen; überdies gibt eine Klausel im Tarifvertrag der Gewerkschaft APWU das Recht, die Einstellung von Aushilfen zu billigen oder abzulehnen, und die Post weigerte sich, Zeitarbeiter einzustellen, um den Mehranfall an Paketen aufgrund des UPS-Streiks zu absorbieren. Die UPS-Unternehmensleitung versuchte zwar, ihre gewaltige Maschine mit Vorgesetzten und Streikbrechern zum Laufen zu bringen; aber sie versuchte nicht, auf Ersatzpersonal zurückzugreifen, was sie legal gedurft hätte, und zwar zweifellos aus Angst, daß die schon spürbare Spannung, die auf den Streikposten lag, ausarten würde. Ungefähr 10 Prozent des normalen Verkehrs konnten aufrechterhalten werden, und für zahlreiche Sektoren (Krankenhäuser, Versandhandel, Handel per E-mail usw.) waren ernste Probleme absehbar, wenn der Streik sich länger hinzog. Die bei Kämpfen in den USA übliche Gewalt trat überall ein wenig in Erscheinung, zwischen Streikposten und Streikbrechern, mit den Bullen: Es gab Verletzte, und es kam zu Festnahmen. Als die Kassen der Teamsters leer waren, entschieden die AFL-CIO und andere Einzelgewerkschaften, das Geld vorzustrecken (10 Millionen Dollar pro Woche), um die Streikgelder von 55 Dollar wöchentlich bezahlen zu können - fast ein Almosen, wodurch nicht wenige Streikende gezwungen waren, einen anderen Teilzeitjob anzunehmen.

Man weiß wenig darüber, wie der Streik organisiert war, der anscheinend völlig in der Hand der Gewerkschaft geblieben ist: Er war von der Bürokratie sorgfältig vorbereitet worden, um ein Druckmittel in den Verhandlungen mit der Unternehmensleitung von UPS zu haben, aber auch, um zu verhindern, daß eine wilde Organisation aufgebaut wird (was bei denen gegebenen inneren Verhältnissen und den möglichen Manövern der UPS-Unternehmensleitung zUSAmmen mit den Unterstützern der Ex-Mafiosi tatsächlich Risiken bedeutet hätte). Aber viele Tatsachen zeugen von der Kampfbereitschaft der Teamsters und der aktiven Solidarität oder der Sympathie der anderen Arbeiter (eine am 15.8. durchgeführte Umfrage ergab, daß 55 Prozent der befragten Personen den Streik unterstützten). Man kann nur die Liste der Dinge zitieren, die von einer Basis-Aktion und -Solidarität im gesamten Staatsgebiet der USA zeugen:

Unfälle an der Streikpostenkette in Austin (Texas), in Buffalo (ein Streikbrecher fährt zwei Streikposten mit seinem Wagen um), ein Streikbrecher wird von Streikenden in Hialeah angegriffen, dasselbe in Miami (4 Verhaftungen). In Nashville wird das Handgemenge mit den Streikbrechern ernster: Einer wird verletzt und sechs Streikende werden wegen Vandalismus und Einschüchterung entlassen; die Polizei zwingt die Posten auf Geheiß des Gerichts, Abstand zu halten, da diverse Wurfgeschosse gegen das UPS-Depot fliegen. In Norwood (Massachusetts) kommt es zu einer Festnahme, als bei Versuch, die LKWs zu blockieren, ein Bulle gegen ein fahrendes Auto gestoßen wird. In Somerville werden 23 Streikende einer Streikpostenkette verhaftet, weil sie Streikbrecher bedroht und ihre LKWs blockiert haben. In Seattle (Washington) rast ein von einem Vorgesetzten gesteuerter LKW in die Streikposten. In Ontario (Kalifornien) werden 6 Streikende von Streikbrechern verletzt, die versuchen, einen Streikposten aufs Auto zu zwingen.

Über Solidaritätsaktionen haben wir nur ein paar verstreute Meldungen: In Montana stoßen 300 streikende Bauarbeiter zu den UPS-Streikposten. 1000 bis 1500 Streikende demonstrieren im Hafen von New York. In Oakland kommen in einer spontanen Versammelung hunderte von ortsansässigen Arbeitern zusammen, die eine Massen-Streikpostenlinie bilden, obwohl es eine gerichtliche Anordnung gibt, die die Zahl der Streikposten auf acht begrenzt; die Polizei mischt sich nicht ein. Man sieht an verschiedenen Orten Massenstreikposten beim offenen Gesetzesbruch, z.B. in Columbia, wo sich mehr als 200 Leute vor den Toren des UPS-Depots versammeln. Die Postarbeiter lehnen die Einstellung von Zeitarbeitern zum Auffangen der durch den UPS-Streik entstandenen Mehrarbeit ab (dieses Recht steht ihnen tarifvertraglich zu). Arbeiter der konkurrierenden Transportklitsche Federal Express beteiligen sich an den UPS-Streikposten. In New York ignorieren 1000 Mitglieder der CWA (Communication Workers Union) die »Ratschläge zur Mäßigung« der Führer und durchbrechen eine Polizeiabsperrung, um sich 40 UPSlern anzuschließen, die die Zollbüros besetzen. Ein Kommentar unterstreicht dies: »All dies ist zweifellos Ausdruck eines gewaltigen Aktionsschubs von der Basis, die mit Taktiken der direkten Aktion ihren Gewerkschaftsführern scharf widersprechen will. Wenn der Streik weitergeht, könnte es zu noch mehr Konfrontationen kommen.«

Diese stark zerstückelten Informationen müssen im Zusammenhang gesehen werden: Auf der einen Seite steht die Kontrolle der Medien (die Unternehmensleitung von UPS hatte sich ein restriktives Umgehen mit Informationen zum Streik in den nationalen Medien zusichern lassen) und auf der anderen Seite der Appell der UPS-Unternehmensleitung selbst an die Gewerkschaften und speziell die Teamsters, das Spiel zu beruhigen. Damit wollen wir sagen, wie schwierig es ist, die Bedeutung dieser aktiven Basis-Solidarität zu beurteilen, obwohl die Teamsters-Gewerkschaft gegen Ende des Streiks für den 21. August einen »Aktionstag für gute Arbeitsplätze« im gesamten Land ansetzt und für den 15. August in Brüssel ein Treffen plant, wo über die »Entwicklung von Solidarität« beraten werden soll (es scheint, daß die verschiedenen von UPS kontrollierten Zentren oder Gesellschaften in Europa (Holland, Deutschland, Belgien und Frankreich) dafür gesorgt haben, daß diese »Solidarität« nicht über Absichtserklärungen hinausgegangen ist.

Ein sehr klassisches Ende

Obwohl er lebhaft dazu gedrängt wurde, weigerte sich Clinton, direkt in den Streik einzugreifen und insbesondere das Taft-Hartley-Gesetz anzuwenden. War es die Popularität des Streiks bei den US-Arbeitern, ein Verweis auf das gute Verhalten der Gewerkschaften, die ihm seine Wiederwahl gesichert haben, oder eine Konzession für die Unterstützung der AFL-CIO für das »Fast track«-Projekt, das Clinton autorisieren soll, direkt Gesetze zu machen, und das Wellen im politisch-gewerkschaftlichen Milieu ausgelöst hat, oder ganz einfach ein Konsens mit der Regierung, um einen Konflikt nicht zu schüren, der der gewerkschaftlichen Kontrolle zu entweichen gedroht hätte, wenn die vom Weißen Haus ausgesprochene Aufforderung zur Wiederaufnahme der Arbeit für 60 Tage nicht befolgt worden wäre? Jedenfalls beschränkte sich Clinton darauf, die Arbeitsministerin als Schlichterin zu benennen, die alles Nötige tat, um die Führungen von UPS und Teamsters vor den offiziellen »Bundesvermittlungs- und Schlichtungsdienst« zu bringen, der nach 16 Tagen fast totalen Streiks die Verhandlungsführer auf Unternehmer- und Gewerkschaftsseite dazu brachte, eine Absichtserklärung für einen neuen Tarifvertrag zu unterzeichnen: Diese nur von den lokalen Vertretern akzeptierte Absichtserklärung machte es der Teamsters-Führung möglich, bürokratisch die Wiederaufnahme der Arbeit am 20. August zu beschließen. Die 185 000 Mitglieder sollten einen Monat später abstimmen, wenn der Streik schon weit weg war (natürlich hätte der Streik nicht wieder neu anfangen können, auch wenn die Mehrheit den Tarifvertrag abgelehnt hätte - aus vielen Gründen, angefangen bei den gewerkschaftlichen Prozeduren. Was sollten sie anderes tun, als diesen neuen Tarifvertrag zu akzeptieren, der für fünf Jahre (anstatt für vier) abgeschlossen wurde und der ihnen nur sehr beschränkte Fortschritte in der Frage brachte, die im Zentrum des Konflikts stand: der Teilzeitarbeit:

Einige Überlegungen

Markiert der UPS-Streik einen Wendepunkt in den Kämpfen in den USA? Das ist sehr ungewiß. Es stimmt auch nicht, daß die Vereinbarung die »Arbeiterkontrolle« über die Renten gesichert habe - das Rentensystem wird weiterhin (nunmehr teilweise) von der Gewerkschaftsbürokratie kontrolliert, das ist ein anderes Paar Stiefel. Es gibt so wenig Demokratie in der Institution, daß die Arbeiter, als der Apparat die Wiederaufnahme der Arbeit beschloß, noch nicht die Einzelheiten des geheim von einer Handvoll Bürokraten ausgehandelten Vertrags kannten. Natürlich ist es schön, Arbeiter zu sehen, die sich engagieren und aktiv für die Verteidigung ihrer Interessen eintreten, und die Sympathie, die andere Arbeiter für die UPS-Arbeiter bekundet haben, ist ermutigend. Aber im Grunde war es ein normaler Streik, der wie früher von der Gewerkschaft kontrolliert wurde. Seit langer Zeit hat man keinen Streik dieser Art mehr gesehen, so daß man vergessen hat, wie ein siegreicher gewerkschaftlicher Streik wie dieser aussehen kann. Wenn UPS weiterhin Geschäfte macht und viel Geld verdient, wird die Firma möglicherweise mehr Arbeitsplätze in Vollzeitstellen umwandeln (wiewohl fünf Jahre eine lange Zeit sind); wenn sie es nicht macht, könnten die Dinge eine andere Wendung bekommen. Während dieser Zeit hält die Gewerkschaft ihre Hand über einen Teil des Rentenfonds, die Wahlchancen von Ron Carey haben sich verbessert, und die Demokratische Partei wird weiterhin aus den Mitgliedsbeiträgen schöpfen, um ihre Wahlkampffonds zu alimentieren. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Gewerkschaften unter den derzeitigen Bedingungen ist in diesem Konflikt nicht beantwortet worden. In welchem Maß können die Gewerkschaften ihre finanziellen Interessen in die Waagschale werfen, wenn es nötig ist, sich einen militanten Anschein zu geben? In welchen Sektoren können sie Erfolg haben oder scheinen sie ihn zu suchen? Welche Möglichkeiten haben die Arbeiter, Aktionsformen zu finden, die nicht dem Einfluß des ganzen Systems, einschließlich der Gewerkschaften, unterliegen?

Dies sind in Wirklichkeit die Fragen, die man sich stellen sollte, auch ohne sie beantworten zu können. Aber es scheint doch, daß die kapitalistische Offensive, die nichts unversucht läßt, um zu einer primitiven Intensivierung der Arbeit zurückzukehren, an einer Grenze angelangt ist, daß die Basis der Arbeiter, die schon auf dem Boden des Abgrundes angekommen ist, keine andere Lösung sieht, als zu kämpfen, um dort herauszukommen. Die Aktionen des vergangenen Jahres bezeugen dies schon. Vielleicht ist der UPS-Streik, auch wenn er sorgfältig von der Gewerkschaft kontrolliert wurde, tatsächlich Ausdruck dieser Strömung, die die Gewerkschaft zu einer Antwort auf ihren Kampfeswillen zwingt. Die Gewerkschaft versucht dann aber, dieses Interesse auszubeuten, d.h. ihre Macht im Innern des Systems neu zu errichten. Vielleicht entwickelt sich eine solche Strömung des Widerstands gegen die Intensivierung der Arbeit nicht weiter, aber hält zumindest in dem Maß durch, wie das US-Kapital diesen Weg weiter beschreiten muß, besonders wegen der möglichen Auswirkungen der Krise in Asien auf die amerikanische Ökonomie. Solche Entwicklungen könnten im Ergebnis die Kämpfe auf eine andere Konfrontationsebene heben.


Fußnoten:

[1] Der Artikel wird in der Zeitschrift Échanges erscheinen.

[2] Solidaire, Wochenzeitung der belgischen leninistisch-stalinistischen Partei der Arbeit, 27.8.97.

[3] Socialist Worker, britische trotzkistische Wochenzeitung, Organ der Workers Revolutionary Party, 30.8.97.

[4] Überschrift eines Artikels in Carré Rouge (Dissidentenorgan der trotzkistischen Gruppe, die die Parti du Travail kontrolliert) am 6.10.97, dessen Inhalt - wie andere Artikel von diversen französischen trotzkistischen Gruppen offensichtlich abkopiert ist aus den Monatszeitschriften Labor Notes und Monthly Review. Diese werden von ehemals trotzkistischen Aktivisten getragen, die seit Jahren in den gewerkschaftlichen Strömungen für eine »demokratische Reform« der Gewerkschaft arbeiten, wobei einige von ihnen versuchen, eine neue »Arbeiterpartei« in den USA zu gründen. Man kann diese Strömung mit derjenigen vergleichen, die in verschiedener Form in der französischen Gewerkschaftsbewegung insbesondere nach dem Streik Ende 1995 aufgetreten ist, als sichtbar wurde, daß die Nichtanpassung der derzeitigen Strukturen an die grundlegende Funktion der Gewerkschaft Basisorganisationen hervorgebracht haben, die eine Zeitlang das Dilemma maskieren konnten, das sich in Ausübung der Funktion der Gewerkschaft als Vermittler in der Beziehung Arbeit-Kapital, die nur mit einem gewissen Grad an Vertrauen der Arbeiter an der Basis ausgeübt werden kann, auftut. Der derzeitige Teamsters-Vorsitzende Carey, der die Reformströmung »Teamsters for Democratic Union« auf diesen Posten gebracht haben, gibt in all diesen apologetischen Einschätzungen des UPS-Streiks den Ton vor unter dem Motto: »Die amerikanischen Arbeiter sind wieder in Bewegung«.

[5] Rouge, Wochenzeitung der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), französisch, trotzkistisch, 11.9.97.

[6] New York Herald Tribune, 20.8.97.

[7] Libération, 4.8.97.

[8] Le Monde, 24.8.97.

[9] Die Korrespondenz im Internet findet auf einem Diskussionsbrett über die weltweite Arbeiterbewegung statt und ist über folgende Adresse zugänglich: .

[10] Le Monde, 2.11.97.

[11] Wie rein marginal und kosmetisch solche Maßnahmen wirken, sieht man daran, daß ein neues Gesetz des Kongresses vorsieht, praktisch jegliche Arbeitslosenunterstützung und Unterstützungsleistungen allgemein abzuschaffen, um die eventuellen Wohlfahrtsempfänger dazu zu zwingen, nicht existente »kleine Jobs« anzunehmen. Das Gesetz tritt in 18 Monaten in Kraft. Eine kürzlich abgehaltene Konferenz der Bürgermeister der US-Großstädte hat einen Alarmschrei über die sozialen Gefahren einer solchen Maßnahme losgelassen. Sie unterstrich, daß im Laufe des Sommers 1999 »zum ersten Mal seit der großen Depression eine große Zahl von Amerikanern keinerlei Hilfe irgendeiner Art, sei es in Naturalien oder Geldleistungen, erhalten wird«.

[12] Die besonderen Vollmachten, die Clinton unter dem Titel »fast track« gefordert hat, sind ihm vom Kongreß verweigert worden, aber die Folgen der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise in Asien, wohin ein wichtiger Teil der US-Exporte geht, könnten diese Frage zweifellos von neuem aufs Tapet bringen und zwar gleichzeitig mit der Verschärfung der Arbeitsbedingungen.

[13] Ein Arbeiter kann auf der Stelle entlassen werden, ohne daß der Unternehmer ihm irgendeine Begründung angeben muß. Le Monde (28.8.97) zitiert das Beispiel einer Informatikerin, die nacheinander von drei Betrieben entlassen wurde, unter anderem von einer Olivetti-Tochter, wo sie morgens die Kündigung erhielt und am selben Nachmittag den Betrieb verlassen mußte, mit nur zwei Wochenlöhnen in der Tasche - alles völlig legal.

[14] Siehe dazu Echanges Nr. 68, S. 31 bzw. Echanges Nr. 73, S. 70.

[15] Die in diesem Abschnitt skizzierte Entwicklung wird in einem kleinen Buch über den Hormel-Streik 1984/85 dargestellt: Hard-pressend in the Heartland - The Hormel strike and the future of the Labor Movement von Peter Rachleff, South End Press 1993.

[16] Wenn ein Vergleich überhaupt Sinn hat (denn er betrifft sehr unterschiedliche juristische Situationen und gesetzliche Machtstellungen der Gewerkschaften), kann man diese Zahlen in Europa vergleichen: gewerkschaftlicher Organisationsgrad 1995: 91 Prozent in Schweden, 44 Prozent in Italien, 33 Prozent in Großbritannien und 9 Prozent in Frankreich.

[17] Zu diesem Streik siehe Echanges Nr. 81, S. 11.

[18] Man könnte hier die komplexe Beziehung zwischen der Entwicklung von Produktionstechniken entwickeln (teilweise orientiert an einer Taktik, die die Durchschlagskraft des Klassenkampfs reduzieren soll), die nicht nur automatisieren (vgl. das angeführte Beispiel mit den Fahrstühlen in New York), sondern auch die Arbeitsaufgaben vereinfachen und damit die Flexibilisierung der Arbeitsplätze - den sofortigen Einsatz von Streikbrechern im Streikfall - ermöglicht und so eine Zeitlang das Kräfteverhältnis im Betrieb völlig verändert.

[19] Eine Umfrage bei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten kam zu dem Ergebnis, daß diejenigen, die eine Umstrukturierung erlebt haben, den Zukunftsversprechungen der Manager kein Vertrauen mehr schenken und fordern, an den Ergebnissen der Sparmaßnahmen beteiligt zu werden.

[20] Man weiß nicht, ob die amerikanischen Konzerne den Erschütterungen der Krise in Asien vorauseilen oder auf eine schon existierende Situation antworten, aber es scheint eine neue Restrukturierungswelle zu geben, wie die Ankündigungen von Tausenden von Entlassungen bei großen Multis wie GM oder Kodak bezeugen ...

[21] Die Theorien über das »Ende der Arbeit«, die in den USA entwickelt worden sind und sich in jüngster Zeit in Europa verbreiteten (siehe das gleichnamige Buch von Rifkin), kann man getrost vergessen. Ein Kommentator zitierte dazu folgenden Satz von Marx: »Die Maschinen machen die menschliche Arbeit nicht überflüssig; sie setzen im Gegenteil Massen von Arbeitern voraus.«

[22] Le Monde Diplomatique 1/97: Die Arbeitslosenrate gemäß der ILO wird durch eine Haushaltsbefragung festgestellt. Die erste Frage ist, ob der Interessent in der vergangenen Woche mehr als eine Stunde gearbeitet habe. Eine negative Antwort zieht die Frage nach sich, »ob der Interessent eine Stelle sucht«. Eine positive Antwort führt zur nächsten Frage: »ob man sofort abkömmlich ist«. Die positive Antwort klassifiziert Sie definitiv als arbeitslos. Außerdem müßte man in die Statistiken die demographischen Veränderungen einbeziehen, was beispielsweise für Großbritannien eine wichtige Rolle spielt.

[23] Zu den Suppenküchen siehe den Artikel aus Collective Action Notes, den wir für Echanges übersetzt haben.

[24] Trotz der Investitionen in neue Technologien und Lohnsenkungen, mit denen die Produktionskosten mit denen von Südostasien konkurrenzfähig gemacht werden sollen, lag der Produktivitätszuwachs in den letzten Jahren zwischen null und einem Prozent und wird bei null liegen (Financial Times, 12.3.97). Eine andere Studie (Financial Times, 20.6.97) beschäftigt sich mit diesem schwachen Produktivitätswachstum, um das es in einer langen Debatte über den ziemlich vagen Begriff der Produktivität in den Dienstleistungen ging: »Trotz des Einbruchs der Computer verbrauchen die meisten Dienstleistungsbereiche noch große Mengen an intensiver Arbeit. Obwohl die Produktivität - wie auch immer man sie messen will - nur sehr schwach gewachsen ist, hat die Zahl der Arbeitsstunden in den letzten Jahren zugenommen und damit den Produktivitätszuwachs eingeschränkt.«

[25] Es gibt ein neueres Buch, in dem diese Frage der Reform der AFL-CIO diskutiert wird: es gibt einen Beitrag von zwei Autoren, die für ihre Analysen der Arbeitsbeziehungen bekannt sind (J. Brecher und T. Costello: »A new Labor movement in the shell oft the Old?«), eine Antwort von J. Sweeney selbst und einen Beitrag von J. Slaughter für die Labor Notes.

[26] Das Two tiers system bedeutet, daß Neueingestellten einen wesentlich geringerer Tarif bezahlt wird als den schon länger Beschäftigten. Dadurch konnten die Löhne gesenkt werden, indem die Arbeiter eines Unternehmens gespalten wurden, und gleichzeitig ein Konflikt vermieden werden, den die allgemeine Senkung der Löhne sicherlich ausgelöst hätte.


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 40/41] [Ausgaben] [Artikel]