Wildcat-Zirkular Nr. 42/43 - März 1998 - S. 30-34 [z42hhsoz.htm]


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Im folgenden zwei Flugblätter aus Hamburg. Das erste wurde Ende 1997 auf dem Sozialamt in St. Pauli verteilt und beschreibt den »kalten Krieg gegen Sozi-Empfänger« auf diesem Amt. Das zweite wurde im Januar 1998 auf der DGB-Arbeitslosendemo verteilt und gibt einen Überblick über die allgemeinen Verschärfungen in Hamburg.

Leider stellen die VerfasserInnen beider Flugblätter (wie so viele) den Angriff »von oben« dar, ohne was zu ihrem eigenem realen Verhalten als Teil der Klasse zu sagen, auf das sich dieser Angriff bezieht. In Hamburg hat es zwar schon seit geraumer Zeit keine kollektiven Aktionen mehr auf dem Sozialamt gegeben, aber die SachbearbeiterInnen haben auch Angst davor, ganz individuell was aufs Maul zu kriegen. Und der verschärfte Arbeitszwang bezieht sich doch darauf, daß es für die Unternehmer aller Propaganda zum Trotz nicht ganz so einfach ist, Leute zu finden, die bereit sind, jeden Job anzunehmen.

Kalter Krieg gegen Sozi-Empfänger

Die Sozialabteilung St. Pauli in der Wohlwillstraße 35:

Im November '97 wurden manche Leute wochenlang hängengelassen: Es wurde kein Geld überwiesen und keine Bescheide zugeschickt. Sie waren auf andere angewiesen, die ihnen Geld privat liehen, um sich ernähren und die Wohnungsmiete bezahlen zu können. Das Sozialamt scheint testen zu wollen, wie weit es gehen kann in der Schikane und Verschreckung mittelloser Menschen, die ihr Recht geltend machen. Wir erinnern uns an die Werbekampagne der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), die wohl kaum mit dem Jahresbezug eine Sozialhilfeempfängers bezahlt werden konnte:

»In Hamburg muß niemand betteln.«

»In Hamburg muß niemand draußen schlafen.«

Bei persönlichen Vorsprachen wurde z.B. mitgeteilt, daß ein Monat Mietverzug nicht so schlimm sei und ein Wohnungsverlust nicht befürchtet werden bräuchte.

Hattest Du nun ohne eine Reaktion des Sozialamtes länger als einen halben Monat auf Knete gewartet, wurde Dir in der Woche vom 17.11. bis zum 21.11.97 dort lapidar mitgeteilt: Die Sozialabteilung hat geschlossen! Falls Du schlagfertig genug warst, Dich als Notfall anzusehen, bekamst Du doch noch eine Wartenummer für die Rezeption. So heißt seit April '97 der 1. Stock, in dem sich die Massen ohne Frischluftzufuhr (Fenster sind verriegelt) stapeln dürfen.

Zum Teil mußten Leute in dieser Woche zweimal auflaufen, weil sie gar nicht als Notfälle akzeptiert worden waren.

Das Sozialamt läßt Leute 20 Tage ohne Knete warten und richtet dann einen Notdienst ein. Anträge auf Heizungshilfe, die eigentlich genauso wie Bekleidungsgeld unbeantragt gezahlt werden könnte, blieben schon im Oktober liegen, obwohl die Heizperiode dann schon begonnen hatte.

Der gnädig gewährte Notdienst war jedoch nicht für uns, sondern für die Sozialabteilung selbst gedacht, was wohl ironisch sein soll. Wir sind mittlerweile datenelektronisch erfaßt und in der Computersachbearbeitung sind nur noch wenig Tastendrücke erforderlich.

Zur Zeit dieses Notdienstes war für die Wartenden in der Rezeption ein komisches Plakat aufgehängt, auf dem zu lesen stand:

»Liebe Besucherinnen, liebe Besucher unserer Dienststelle, wir haben momentan zu wenig Personal und Zeit, Ihre Anträge und die übrige Post zu bearbeiten ... Sie sollen aber nicht zu lange auf Ihre Bewilligungen und Antworten warten müssen. Darum unsere Lösung: Wir schränken in der Woche vom 17. bis 21.11.97 unsere Dienstleistung zu den Sprechzeiten so ein, daß wir Ihr Anliegen nur noch in dringenden Fällen prüfen und bearbeiten können. Ab dem 24.11.97 sind wir dann wieder in gewohntem Umfang für Sie da! Ihre Sozialabteilung St. Pauli.«

Wir sollten also glauben, daß das Sozialamt so überlastet ist, daß es die monatlichen Zahlungen nicht mehr machen kann. Über diese Notdienstwoche hatte jemand erfahren, daß die Belegschaft der Sozialabteilung auf einer Fortbildungsveranstaltung sei. Das läßt nichts Gutes ahnen! Unter dem Deckmantel der Arbeitsüberlastung wird hier eine großartige Fortbildung (was eigentlich lernen die Sachbearbeiter denn neu?) organisiert und zusätzlich der Test gemacht, wie viele Sozialhilfeempfänger sich gar nicht melden und damit auch für November gar nichts kriegen. Diese können dann zukünftig ganz hinausgeworfen werden, weil sie gezwungen waren, sich irgendwie selbst zu helfen. Und wer sich selbst helfen kann, hat nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Es kommt auch schon mal vor, daß versucht wird, Antragstellern in Not die Barauszahlung zu verweigern, mit der Aufforderung, doch das Bankkonto zu überziehen. Hierbei muß dem Sozialamt vorgehalten werden, den Banken Zinsgewinne zu verschaffen und selbst durch wochenlange Zahlungsverzögerung Zinsgewinne zu machen.

In der Sozialabteilung St. Pauli fanden im Laufe des vergangenen und des vorherigen Jahres Veränderungen auffälliger Art statt.

Noch im November '96 hatten wir freien Zugang zu den Büros der Sachbearbeiter, die persönlich unsere Anträge zu bearbeiten hatten. Bereits im Dezember '96 wurde klar, daß hier Verschärfungen in Gang waren: Häufig waren die Türen nun abgeschlossen. Dann wurden die Türen durch Stahlblech und Holzplatten verstärkt. Gleichzeitig konnten die Türen von außen nur noch mit Schlüssel geöffnet werden und schnappten wie geölt wieder zu. Auf Klopfen wurde nur noch manchmal geöffnet. So waren wir gezwungen zu warten, bis die Tür mal aufging. Um sich anzumelden, hieß es aufspringen und den Perso in Bittstellung dem Sachbearbeiter hinzuhalten. Wer zu weit hinten stand, hatte keine Chance, durchzukommen, ohne die Ellbogen zu benutzen. Mittlerweile standen auffällig unauffällige Gestalten im Treppenhaus herum und registrierten jede Bewegung in den kurzen Wartegängen.

Bereits im Januar '97 kamen uniformierte Sicherheitswärter hinzu. Ekelhaft genug war das stressige Anmeldeverfahren: Auf die Bürotür stieren und dann auch noch in eine Konkurrenzhaltung zu den wartenden Mitmenschen gedrängt zu werden. Jetzt war ich durch die zusätzliche Bewachung der Wärter zusätzlich angespannt.

1. Leute, die zum Klo gingen, wurden kontrolliert und beim Zigarettenrauchen behandelt wie Zöglinge (vor allen Anwesenden).

2. Leute, die einen Hund auf dem Zugangsgelände angebunden hatten, wurden von den Wärtern gesucht und 'rausgeschickt. Denn der Hund darf nur noch links und rechts auf dem schmalen Fußweg außerhalb der Sozialamtsfront angebunden werden.

3. Leute, die ihren Hund mit hineinnahmen, wurden mit Brachialgewalt hinausgeworfen.

Bei diesem Schauspiel darf ich mir dann vorsagen: Ich bin ja brav, die Schikane gilt nicht mir, sondern den bösen Anderen. Auch petzen darf ich bei den Schergen, schließlich sind sie dazu da, böse Soziempfänger zu bestrafen, die sich nicht an die Ordnung halten.

Im April '97 wandelte sich das Gebaren dieses Betriebes so sehr, daß manche Besucher, die bei der zuständigen Sachbearbeiterin vorsprechen wollten, bereits im Eingangsbereich an der Begehung des Treppenhauses von mehreren Wärtern gehindert wurde. Sie sagten, es habe sich alles geändert, keiner dürfe mehr zum Sachbearbeiter, ohne sich mit Wartenummer vor der Rezeption einzureihen, um dort mit weiteren Schikanen bedacht zu werden. Lauthalse Empörung, Händeringen und schlichter Unglaube wegen dieser Entwürdigung wurden vom Wachpersonal bestenfalls durch In-den-Weg-Stellen, schlimmstenfalls mit Androhung des Rausschmeißens abgebügelt. Sie bauten sich dicht vor den Besuchern auf, daß ihre Bäuche, Ausdünstungen und Aussprache wie tätliche Drohungen empfunden werden konnten. Zusätzlich fuchtelten sie gern mit dem Mobiltelefon umher, durch das sie vermutlich mit weiteren Schergen (oder Bullen?) verbunden sind (demnächst auch Knüppel?).

Die Sachverarbeiter verbergen sich gern hinter Anonymität. Du mußt Dich vorstellen und den Perso vorlegen. Und das verlangen sie auch von jemandem in Deiner Begleitung. Sie selbst stellen sich ungern vor, freiwillig macht das keiner. Wie indiskret und frech die Schnüffelei über Deine Begleitperson ist, wird deutlich bei der Vorstellung, den Sachbearbeiter nach Namen und Adresse seiner Freunde zu fragen.

Allerdings verbergen sie sich auch gern dahinter, für Deine Nachfragen nicht zuständig zu sein, weil sie nicht Dein Sachbearbeiter, sondern nur Rezeption seien. Wenn sie wollen, geben sie Dir gleich einen Passierschein. Damit kommst Du dann an den Wärtern vorbei in höhere Stockwerke zum zuständigen Sachbearbeiter. Plötzlich bist Du dann recht einsam in leeren Gängen. Dort ist dann nur noch der Wachdienst und die Sachbearbeiter. Sie mögen es dort überhaupt nicht, wenn Du eine Begleitung dabei hast. Dort sollst Du ganz allein ankommen. Es wird Dir gesetzeswidrig verweigert, mit Begleitung ins Büro zu kommen, und der Wachdienst setzt das auch durch. Sie wollen keine Zeugen Deines Vertrauens dabei haben.

Scheinheilig wird Dir ein Angebot auf 'nem Zettel an der Eingangstür gemacht, doch damit stellen sie Dich dann kalt:

»Häufig kommen Sie zu uns, warten an der Rezeption und dann müssen wir feststellen, daß die Vorsprache gar nicht notwendig gewesen wäre! Das können Sie vermeiden! Manches läßt sich viel einfacher per Post oder Telefon erledigen. Per Post (Hausbriefkasten): Vermittlungsnachweise des Arbeitsamtes können zugeschickt werden. Sachanträge können Sie zuschicken (Bearbeitungszeit 4-6 Wochen) ... Per Telefon: Krankenscheine werden auf telefonische Anfrage zugesandt. Fragen bezüglich Zahlungsterminen, dem Verbleib der Sozialhilfeleistungen etc. beantworten wir gern am Telefon ...«

Sachanträge können zwar per Post zugesandt werden, werden aber nicht bearbeitet. Nachfragen beim Besuch der Rezeption werden nicht beantwortet. Nachfragen per Telefon werden abgebügelt mit der Begründung, hier stehen so viele Leute vor der Tür und Du wollest vermutlich mit dem Anruf vordrängeln.

Originalbelege und Bescheinigungen müssen Dir eigentlich sofort zurückgeschickt oder -gegeben werden. Von rechts wegen sowieso und aus Gründen der Verwaltungstechnik erst recht. Wenn den Sachbearbeitern das Sichten Deiner Belege nicht ausreicht, müssen sie sich selbst gleich eine Kopie machen. Außerdem hast Du das Recht, sofort einen Bescheid ausgehändigt zu bekommen, und wenn es ein Ablehnungsbescheid ist. Hiermit kannst Du Dich nämlich auf ein Beweismittel berufen und auch anhand der Rechtsmittelbelehrung, die draufstehen muß, Widerspruch einlegen. Diese Rechte werden oft verweigert und mit Rausschmiß gedroht, wenn Du sie geltend machst. So liegen Deine Originalbelege monatelang dort herum und gehen dann irgendwann in ihrem Chaos verloren, Bescheide werden, wie vorher beschrieben, zurückgehalten oder auch verspätet zugeschickt. Die haben dann ein 5 Wochen altes Datum! Tja, die Widerspruchsfrist beträgt aber nur 4 Wochen.

Bescheide können ganz einfach per Tastendruck erstellt werden. Aber die horrenden Portokosten, die durch die Verschickung der Bescheide anfallen, nimmt das Sozialamt gern in Kauf. Wenn die Mittel knapp werden, werden eben Menschen aus der Sozialhilfe gekickt.

Die Rezeption ist selten bereit, einen Passierschein auszustellen. Es wäre so schön einfach, beim Gang zum Sozialamt das anstehende Problem mit dem Zuständigen zu klären! Du mußt erst wieder nach Hause oder in 'ne Telefonzelle, weil der Gesprächstermin jetzt telefonisch vereinbart werden muß. Damit soll Dir vermutlich das Antragstellen überhaupt verleidet werden. Manchmal ist die Rezeption so gnädig, Dich vorzulassen. Dann kannst Du beim Zuständigen nachfragen, warum nach Mitte des Monats weder Bescheid noch Geld eingetroffen sind. Du hattest nämlich alle nötigen Unterlagen und Bescheinigungen am Monatsanfang in den Hausbriefkasten gesteckt. Die Antwort fällt verblüffend einfach aus: Deine Post kann gar nicht gefunden werden, weil sie möglicherweise durch den Massenanfall der Briefe verloren worden sei. Du darfst also alles nochmal besorgen und erneut hintragen oder darauf warten, daß Dein Brief wiedergefunden wird.

Dieses ganz neue Programm der Sozialabteilung ist eine einzige Mißachtung der Spielregeln. Und von uns wird verlangt, daß wir uns dran halten. Ausgegrenzte sollen kaltgestellt und weichgekocht werden. Es ist möglicherweise mal notwendig, unsererseits neue Spielregeln aufzustellen, um nicht wie andere vor unserer Zeit endgültig ausgemerzt zu werden.


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