Ende der Arbeit oder Wiederkehr der Sklaverei?
Eine Kritik an Rifkin und Negri
Beitrag von George Caffentzis auf der Konferenz »Globalisierung von unten« an der Duke University am 6. Februar 1998
Einleitung
In den letzten Jahren hat sich in den USA eine neue Diskussion über die Arbeit entwickelt. Sie erinnert an die schon Mitte der 70er Jahre geführte Diskussion, weicht allerdings in einigen Punkten von dieser ab. Damals hatten Bücher wie Where Have All the Robots Gone? (Sheppard 1972), False Promises (Aronowitz 1972) und Work in America (Special Task Force 1973), und Ausdrücke wie »blue collar blues,« »zerowork« und »Verweigerung der Arbeit« auf die Krise der Fließbandarbeiter aufmerksam gemacht, die durch die wilden Streiks in den Autofabriken der USA von 1973 und 1974 (Linebaugh / Ramirez 1988/1975) in zugespitzter Form zum Ausdruck gekommen war. Diese Streiks stellten den Zusammenhang zwischen Löhnen und Produktivität in Frage, auf dem der in den 40er Jahren zwischen Autokapital und Gewerkschaften geschlossene »Deal« beruht hatte. So berichten Linebaugh und Ramirez von einem wilden Streik in der Lastwagenfabrik von Dodge in Warren/Michigan vom 10. bis zum 14. Juni 1974, an dem sich 6000 Arbeiter beteiligten:
»Forderungen wurden erst am dritten Streiktag aufgestellt. Man wollte 'Alles'. Ein Arbeiter erklärte: 'Ich will einfach nicht arbeiten.' Die Aufspaltung zwischen Einkommen und Produktivität, die der Kampf verschärft hatte, ließ sich gar nicht eindeutiger ausdrücken.« (Linebaugh / Ramirez 1988/1975, S. 85)
Noch eindeutiger war allerdings die jahrzehntelange Kampagne der Auto-Kapitalisten zur Wiederdurchsetzung der Kontrolle über den Arbeitsprozeß in ihren Fabriken und an den Fließbändern. Diese Kapitalisten zögerten nicht, eben diese Fabriken und Fließbänder zu zerstören, um sich selber zu retten. Wenn die Wirtschaftspresse in den 80er Jahren über die Autoproduktion und andere Industriezweige schrieb, benutzte sie Schlagworte wie »rust belt« und »run away plant«. [1] Dem folgten in den 90er Jahren fast nahtlos die Schlagworte »Globalisierung« und »Roboterisierung«. Das beispiellose Resultat dieser Kampagne bestand darin, daß die »realen« Löhne für Vollzeitarbeit in der Industrie um fast zwanzig Prozent gefallen waren, während die wirklich Arbeitszeit ausgeweitet worden war.
Mitte der 90er Jahren wurden die mit der Krise der Arbeit verbundenen Fragen durch Bücher wie Das Ende der Arbeit (Rifkin 1995), Die Arbeit des Dionysos (Negri / Hardt 1997/1994) und The Jobless Future (Aronowitz / De Fazio 1994), und durch Schlagwörter wie »downsizing« (New York Times 1996) und »worker displacement« [2] (Moore 1996) wiederbelebt. Das Kräfteverhältnis zwischen ArbeiterInnen und Kapital hat sich heute allerdings im Vergleich zu den 70er Jahren völlig umgekehrt. Hatten in den 70er Jahren die ArbeiterInnen die Arbeit verweigert, so scheinen in den 90er Jahren die Kapitalisten die Arbeiter zu verweigern!
In diesem Papier will ich zeigen, daß diese Bücher und Schlagwörter in die Irre führen, wenn sie behaupten, daß »der auf Wissenschaft beruhende technologische Wandel inmitten einer verschärften Internationalisierung der Produktion zuwenige Jobs für zuviele Arbeiter bedeutet, von denen noch weniger gut bezahlt werden« (Aronowitz und De Fazio, 1994: xii), oder daß wir aufgrund von technologischen Erneuerungen und von Marktkräften »schon bald in einer Welt ohne Arbeit leben« werden (Rifkin 1995: 11), oder - abstrakter gefaßt - daß »das Wertgesetz der Arbeit, das sich als Sinngebung der Geschichte im Namen des Vorrangs der proletarischen Arbeit versuchte und deren oberstes Gesetz das quantitative Verschwinden dieser Arbeit im Gleichschritt mit der kapitalistischen Entwicklung erwartete, ihren [seinen!] Bankrott offenbarte (...)« (Hardt / Negri 1997/1994: 15).
Jobs und die Vielfalt der Arbeit
»Zukunft ohne Jobs« und »Welt ohne Arbeiter« sind die zentralen Schlagwörter dieser Schriften, aber bevor wir ihre Stichhaltigkeit für die Gegenwart und die nähere Zukunft untersuchen können, lohnt es sich, einen Moment über die Bedeutung der Ausdrücke »Arbeit« und »Job« nachzudenken.
Dabei ist der »Job« der einfachere von beiden. Er hat eine ziemlich unappetitliche etymologische Vergangenheit. Er hatte im England des 17. und 18. Jahrhunderts (und sogar noch heute) als Verb die Bedeutung von »betrügen« oder »täuschen«, und als Substantiv war er mit der Welt der Kleinkriminalität und Glücksspiele verbunden. So gesehen wäre eine »Zukunft ohne Jobs« eine Wohltat für die Menschheit.
Aber seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist »Job« im amerikanischen Englisch das am meisten benutzte Wort geworden, um auf eine Einheit von vertraglich entlohnter Beschäftigung und vertraglich festgelegter Dauer zu verweisen. Einen Job im Hafen zu haben ist etwas ganz anderes, als dort zu arbeiten - denn du kannst irgendwo arbeiten, ohne da einen Job zu haben. Der Job entsteigt also den Niederungen der politischen Ökonomie und wird zu ihrem heiligen Gral.
Die mystische Kraft des Wortes »Job« entspringt jedoch nicht seiner Verbindung mit Arbeit. »Einen Job machen« oder »jobben« sind vielmehr Redewendungen, die eine »krumme« Art und Weise beschreiben, die Arbeit zu verweigern und ein Einkommen zu bekommen. »Jobs, Jobs, Jobs« wurde zum Codewort der US-amerikanischen Politiker des späten 20. Jahrhunderts, weil der »Job« den Lohn und andere vertragliche Aspekte der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft betonte, die für das körperliche und geistige Überleben der Wählerschaft entscheidend waren. Daher wäre eine »Zukunft ohne Jobs« für eine kapitalistische Menschheit die Hölle, da sie eine Zukunft ohne Löhne und ohne Verträge zwischen ArbeiterInnen und Kapitalisten bedeuten würde.
Obwohl sich der Ausdruck »Job« unmißverständlich auf diese Aspekte der Arbeit bezieht, verweist er auch in traditioneller oder versteckter Weise auf einen Teil des Arbeitsprozesses. Aber der Job und die Arbeit stehen in keinem direkten Verhältnis zueinander. Derselbe Arbeitsprozeß kann in ein, zwei oder viele Jobs zerstückelt sein. Daher scheinen die Ausdrücke »Arbeit« [work] und sein sprachlicher Verwandter »Arbeit« [labor] mehr über die Wirklichkeit auszusagen als der »Job«.
Das »Ende der Arbeit« verweist daher auf eine radikalere Transformation als eine »Zukunft ohne Jobs«, denn es hat in der Geschichte der Menschheit viele Gesellschaften »ohne Jobs« gegeben - z.B. Sklavengesellschaften oder auf Subsistenz ausgerichtete bäuerliche Gemeinschaften -, aber es hat noch keine ohne Arbeit gegeben, das Paradies mal ausgenommen. Bevor wir jedoch vom Ende der Arbeit sprechen, müssen wir uns klarmachen, daß es bezüglich der Bedeutung des Worts Arbeit in der letzten politischen Generation eine begriffliche Revolution gegeben hat. Für eine lange Zeit - in etwa die seit der Entwicklung kollektiver Lohnverhandlungen in den 30er Jahren [in den USA] bis zu deren Zusammenbruch in den 70er Jahren - bedeutete »Arbeit« dasselbe wie »Job«, d.h. eine vertraglich entlohnte Arbeit. Aber seitdem ist eine ungeheure Vielfalt der Arbeit entdeckt worden (Caffentzis 1989/1992; Caffentzis 1998).
Diese Vielfalt umfaßt informelle Arbeit und Schwarzarbeit, die bezahlt wird, aber offiziell nicht vertraglich abgesichert werden konnte, weil sie rechtliche oder steuerliche Richtlinien verletzt. Die Dimension dieser Vielfalt spitzt sich in dem großen Bereich der puren kriminellen Aktivität zu, die es in vielen Ländern und Stadtteilen mit den vertraglich festgelegten Jobs aufnehmen kann. Noch wichtiger war die feministische »Entdeckung« der Hausarbeit in all ihren Formen, die für die gesellschaftliche Reproduktion entscheidend sind (z.B. Sexualität, biologische Reproduktion, Kindererziehung, Akkulturation, therapeutische Energie, Subsistenzlandwirtschaft, Jagen und Sammeln, und anti-entropische Produktion). Die Hausarbeit ist das große Andere in der kapitalistischen Gesellschaft, da sie hartnäckig unentlohnt und in den nationalen Statistiken weitgehend unentdeckt bleibt, auch wenn ihre entscheidende Bedeutung für die kapitalistische Entwicklung zunehmend erkannt wird. Schließlich ist da noch die Urebene der kapitalistischen Hölle, die die gesamten Formen von Zwangsarbeit in dieser sogenannten »nach-Sklavenära« umfaßt: Gefängnisarbeit, Militärdienste, »Sex-Sklaverei«, die Knechtschaft der Ausbildungsverträge, Kinderarbeit.
Wenn wir alle diese Formen von Arbeit zusammenfassen, dann kommen wir zwangsläufig zu einem Bild einer sich überschneidenden und aufeinander beziehenden Vielfalt von Energieverausgabungen, die die »formale Welt der Arbeit« in Bezug auf ihre raum-zeitliche und wertmäßige Bedeutung weit überragt. Diese aufgetauchte ungeheure Vielfalt an Arbeit und die spiegelbildliche Vielfalt ihrer Verweigerung hat die Auffassung von Arbeit grundlegend verändert - auch wenn das viele nicht bemerkt zu haben scheinen. Damit werden auf jeden Fall die armseligen Unterscheidungen zwischen Arbeit und Herstellen (Arendt), zwischen Herrschaft und Kapitalismus (Foucault) oder zwischen Arbeit und kommunikativem Handeln (Habermas) in Frage gestellt. Zugleich zwingt uns dies zu einer deutlichen Erweiterung der Klassenanalyse und zu einer Bereicherung der revolutionären Theorie, die darüber hinausgehen muß, das Fabriksystem der Zukunft planen zu wollen. Das wichtigste für die hier behandelten Theorien ist aber, daß diese Vielfalt der Arbeit die Diskussion über Arbeit und ihr vermutetes Ende im Zuge des technologischen Wandels problematisiert.
Das Ende der Arbeit
Dummerweise ist der Arbeitsbegriff, der in der Literatur über »das Ende der Arbeit« benutzt wird, meistens altertümlich und läßt die kapitalistische Bedeutung der Arbeit vergessen. Am deutlichsten wird das am zentralen Argument von Rifkin in Das Ende der Arbeit. Er müht sich daran ab, diejenigen zu widerlegen, die behaupten, die neue technologische Revolution - wozu die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft, der Einsatz von Robotern in der Produktion und von Computern in den Dienstleistungssektoren gehört - führe zu neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, wenn eine den Herausforderungen des »Informationszeitalters« entsprechende, gut ausgebildete Arbeitskraft zur Verfügung steht. Seine Widerlegung ist recht einfach.
»Wenn in der Vergangenheit in einem Wirtschaftssektor durch eine technologische Revolution die Mehrzahl der Arbeitsplätze verlorenzugehen drohte, entstand immer rechtzeitig ein neuer Sektor, der die überschüssigen Arbeitskräfte aufnahm. Viele Millionen Menschen, die durch die schnelle Mechanisierung der Landwirtschaft arbeitslos geworden waren, fanden Unterschlupf in der aufblühenden Industrie. Als diese von der Automatisierung erfaßt wurde, wanderten die Arbeiter in den schnell wachsenden Dienstleistungsbereich ab. Heute aber, da alle diese Sektoren neuerlichen Umstrukturierungen und einer weiteren Automation ausgesetzt sind, gibt es keinen Bereich mehr, der die Abermillionen Arbeitslosen aufnehmen könnte« (Rifkin 1995: 41).
Wenn der letzte Dienstleistungsarbeiter durch den neuesten Kassenautomaten, die neueste virtuelle Büromaschine oder eine bisher noch nicht vorstellbare Anwendung der Computertechnologie arbeitslos geworden ist, wird es daher zu einem enormen Problem von Arbeitslosigkeit kommen. Wo soll sie oder er dann noch einen Job finden? Zurück in die Landwirtschaft oder in die Industrie können sie nicht, und einen neuen Sektor jenseits des Dienstleistungsbereichs gibt es auch nicht. Dieses Szenario überträgt Rifkin auf den weltweiten Zusammenhang und prophezeit für die unmittelbare Zukunft nicht Millionen, sondern Milliarden von arbeitslosen Menschen auf diesem Planeten.
Formal logisch scheint seine Argumentation einwandfrei zu sein, aber stimmen auch ihre empirischen Grundlagen und theoretischen Annahmen? Ich denke nicht, denn im technologischen Determinismus von Rifkin wird die Dynamik von Beschäftigung und technologischen Veränderungen im kapitalistischen Zeitalter nicht berücksichtigt.
Da wäre zunächst einmal das Problem der Kategorien in Rifkins Stufenmodell der Beschäftigung. In unkritischer Weise bedient er sich der Ausdrücke »Landwirtschaft«, »Industrie« und insbesondere »Dienstleistungen«, um zwischen den drei Entwicklungsstufen einer kapitalistischen Ökonomie zu unterscheiden, von denen er an der oben zitierten und an vielen anderen Stellen von Das Ende der Arbeit spricht. Es läßt sich Rifkin nicht vorwerfen, daß er damit eigenwillige Definitionen geschaffen habe; die wichtigsten statistischen Institutionen wie das U.S. Bureau of Labor Statistics bedienen sich dieser Kategorien, um Beschäftigung, Produktion und Produktivität in den letzten Jahrzehnten aufzuschlüsseln. Die grundlegenden Metaphern, die zu dieser Dreifaltigkeit geführt haben, sind die Unterscheidung zwischen materiellen Gütern (in der Landwirtschaft oder außerhalb produziert) und immateriellen Diensten, sowie die räumliche Trennung zwischen Farm, Fabrik und anderswo (Büro, Schule, Laden, Kaufhaus, Straße usw.). Diese Dreiteilung ermöglicht eine grobe und leicht anwendbare ökonomische Einteilung, wobei »Dienstleistung« meistens als eine Art ungenaue Verlegenheitskategorie benutzt wird. Es ist aber etwas ganz anderes, ob ich eine Kategorie im Nachhinein anwende, oder ob ich sie für Projektionen (entweder in die Vergangenheit oder in die Zukunft) benutze. In Rifkins fast Hegelschem Schema erscheint der technologische Wandel als der sich selbständig bewegende Geist, der den Übergang von einer Stufe zur nächsten bewirkt, bis es in der aktuellen »Dienstleistungs«-Phase der Geschichte zu einem katastrophalen Stillstand kommt. Aber wenn wir uns kapitalistische Gesellschaften in der Vergangenheit anschauen, dann trifft dieses ordentliche Reihenfolge nicht zu. War z.B. England im 17. und 18. Jahrhundert »agrarisch«? Damals spielte der »Dienstleistungssektor« in Form von Hausbediensteten auf den größeren landwirtschaftlichen Gütern eine bedeutsame Rolle, aber diese Bediensteten arbeiteten wiederum oft als Handwerker (Industrie) und als Landarbeiter (Landwirtschaft). Und als sich die ländliche Heimindustrie herausbildete, verdoppelten oder verdreifachten sich die Landarbeiter oder Kleinbauern zu bäuerlichen Industriearbeitern. In der gesamten Geschichte des Kapitalismus stoßen wir auf vielfältige Wechsel der ArbeiterInnen zwischen diesen drei Kategorien. Statt einem einfachen Wechsel von der Landwirtschaft zur Industrie und von der Industrie zu den Dienstleistungen fanden alle der sechs möglichen Wechsel zwischen diesen drei Kategorien statt.
Die umfangreiche Literatur zur »Entwicklung der Unterentwicklung« und zu den vielen Phasen kapitalistischer »Deindustrialisierung« liefert Beispiele für diese Verschiebungen zur Genüge. Sie wurden offensichtlich nicht durch irgendeinen selbständigen technischen Geist verursacht, sondern durch historisch konkrete und jeweils unterschiedliche Klassenkämpfe und Machtverhältnisse. Wenn die Kapitalisten Maschinen einführen, um die Macht der IndustriearbeiterInnen zu untergraben, kann dies dazu führen, daß diese ArbeiterInnen ihre Beschäftigung verlieren und »DienstleistungsarbeiterInnen« oder »LandarbeiterInnen« werden, was von dem jeweiligen Gesamtzusammenhang der Kräfte und Möglichkeiten abhängt. Aus der gesamten Geschichte des Kapitalismus läßt sich keineswegs beweisen, daß es nur eine gradlinige Weiterentwicklung gibt, die mit dem letzten Dienstleistungsarbeiter zu ihrem Ende kommt. Rifkins Schema wird noch problematischer, wenn wir uns seine Zukunftsprojektionen anschauen. Nachdem Rifkin eine Vielzahl von Computeranwendungen im Dienstleistungsbereich behandelt hat (von Spracherkennung über Expertensysteme bis zu digitalen Synthesizern), verkündet er unheilvoll: »Hochentwickelte Parallelrechner, High-Tech-Roboter und integrierte elektronische Netzwerke, die die ganze Welt umspannen, werden die Wirtschaft immer mehr beherrschen und in der Produktion, im Transportwesen, im Verkauf und bei den Dienstleistungen den Menschen immer weiter verdrängen« (Rifkin 1995: 123). Aber diese Zukunftsprojektion von Rifkin ist problematisch, weil Dienstleistung nur eine Verlegenheits- oder Restkategorie ist. Daher kann sie nicht an einem bestimmten logischen Ort festgehalten werden, um dann durch den technologischen Wandel auf Null reduziert zu werden.
Nehmen wir einmal eine der Standarddefinitionen für das, was Dienstleistungsarbeit ausmacht: die Veränderung an einem Menschen (Haareschneiden oder Massage) oder an einem Gegenstand (Reparatur eines Autos oder eines Computers). Wie ließe sich eine solche Kategorie in die Zukunft projizieren? Denn es gibt keine Grenzen für die Art der Veränderungen, um die es hier geht. Wie können wir dann heute sagen, daß »hochentwickelte Parallelrechner, High-Tech-Roboter und integrierte elektronische Netzwerke, die die ganze Welt umspannen«, diese Veränderungen simulieren und ersetzen werden? Die Dienstleistungsarbeit der Zukunft könnte genausogut umgekehrt (bezüglich der Erbauer dieser Maschinen) als diejenige Veränderung an Menschen oder Gegenständen definiert werden, die sich nicht durch Maschinen simulieren oder ersetzen läßt! [3] So wie es heute einen wachsenden Verkauf von »organischen«, nicht genmanipulierten, landwirtschaftlichen Produkten und »handgearbeiteter« Bekleidung aus Naturfasern gibt, so könnte es in der Zukunft ein Interesse daran geben, daß Menschen Bach spielen (auch wenn die Version aus dem Synthesizer technisch korrekter ist) oder tanzen (auch wenn ein digitalisiertes Hologramm den Kritikern zufolge eine bessere Leistung bietet). Ich fände es überraschend, wenn solche Dienstleistungsbereiche nicht entstehen würden. Ob sie viele der ArbeiterInnen, die aus landwirtschaftlicher oder industrieller Arbeit herausgeflogen sind, »absorbieren« können, weiß ich nicht - aber das kann auch Rifkin nicht wissen.
Hinter der Unfähigkeit von Rifkin, sein Kategoriengerüst auf die Vergangenheit oder die Zukunft zu projizieren, steckt ein grundlegenderes Problem: seine Unfähigkeit zu erklären, warum es überhaupt zu technologischen Veränderungen kommt. Am Anfang von Das Ende der Arbeit wendet sich Rifkin gegen das Argument, daß technologische Veränderungen in einem Wirtschaftszweig zwar mit Entlassungen verbunden sein können, aber letztlich zu einem Beschäftigungsanstieg in der gesamten übrigen Wirtschaft führen. Zur Widerlegung bezieht sich Rifkin auf Das Kapital und die Grundrisse von Marx:
»Karl Marx vertritt (...) die These, daß die Unternehmer immer bestrebt seien, die Lohnkosten zu senken und die Produktionsmittel soweit als möglich in ihre Verfügungsgewalt zu bekommen. Sie ersetzen daher, wo immer möglich, Menschen durch Maschinen (...). Marx sagte voraus, daß die wachsende Automatisierung schließlich alle Arbeiter überflüssig machen würde: 'In den Produktionsprozeß des Kapitals aufgenommen, durchläuft das Arbeitsmittel [...] verschiedene Metamorphosen, deren letzte die Maschine ist oder vielmehr ein automatisches System der Maschinerie [...].' (...) Nach Marx' Theorie graben sich die Unternehmer aber ihr eigenes Grab, wenn sie fortdauernd menschliche durch maschinelle Arbeitskraft ersetzen, [da auf diese Weise die Arbeiter] bald nicht mehr genug Kaufkraft hätten, um sich noch irgendwelche Produkte leisten zu können« (Rifkin 1995: 27f.).
Diese Art, sich auf Marx zu beziehen, gehört zu einem neuen und vielbeachteten Trend unter linken Gesellschaftstheoretikern in den USA. Aber dieses Revival der Gedanken von Marx ist oftmals genauso selektiv wie der Rückgriff auf Smith und Ricardo bei den Rechten. [4] Was Rifkin angeht, so erfaßt er zwar richtig die allgemeine Tendenz der Marxschen Auffassung von Technologie, allerdings mit einigen bemerkenswerten Auslassungen.
Die erste Auslassung betrifft den Kampf der ArbeiterInnen für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, bessere Arbeitsbedingungen und für ein Leben, das dem Zwang zur Arbeit als solchem entgegensteht. Diese Kämpfe sind die Hauptursache dafür, daß die Kapitalisten ein derartiges Interesse an der Einführung von Maschinen als Waffen im Klassenkrieg haben. Wären die ArbeiterInnen duldsame »Produktionsfaktoren«, gäbe es kaum diese Dringlichkeit von technologischen Veränderungen.
Die zweite Auslassung ist die Zustimmung von Marx zu Ricardos Entdeckung, daß durch jede dauerhafte Ersetzung eines Arbeiters durch eine Maschine die Gesamtsumme des Mehrwerts (und damit des Profits), die der Kapitalistenklasse als ganzer zur Verfügung steht, gesenkt wird. Daher kann der technologische Wandel für die Kapitalistenklasse, die vom Profit abhängig ist, genauso gefährlich sein wie für die ArbeiterInnen. Die Kapitalistenklasse steht damit vor einem ständigen Widerspruch, den sie bewältigen muß: auf der einen Seite möchte sie die aufsässigen und Forderungen stellenden ArbeiterInnen aus der Produktion eliminieren, auf der anderen Seite will sie die größtmögliche Zahl von ArbeiterInnen ausbeuten. In den Theorien über den Mehrwert sagt Marx zu dieser unaufhebbaren Spannung:
»Die eine Tendenz schmeißt die Arbeiter aufs Pflaster und macht population redundant [Bevölkerung überzählig], die andere absorbiert sie wieder und erweitert die wages-slavery [Lohnsklaverei] absolut, so daß der Arbeiter stets schwankt in seinem Los und doch nie davon loskommt. Daher der Arbeiter die Entwicklung der Produktivkräfte seiner eigenen Arbeit als ihm feindlich, und mit Recht, betrachtet; anderseits der Kapitalist ihn als ein beständig aus der Produktion zu entfernendes Element behandelt.« (Marx, MEW 26.2: 575f.)
Für das Kapital liegt das Problem des technologischen Wandels nicht im Verlust an Konsumenten, sondern im Verlust an Profiten. Am ausführlichsten behandelt Marx dieses Problem im dritten Abschnitt des dritten Bands des Kapital: Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Er zeigt dort, daß es ständig »entgegenwirkende Ursachen« zur Tendenz einer völligen Ersetzung der Menschen durch ein »automatisches System der Maschinerie« geben muß, weil sonst die Durchschnittsprofitrate tatsächlich fallen würde. Diese entgegenwirkenden Ursachen vergrößern entweder die Masse des Mehrwerts (z.B. durch die Intensivierung und Verlängerung der täglichen Arbeitszeit), oder sie verringern die Masse des variablen Kapitals (z.B. durch die Absenkung der Löhne unter ihren Wert oder die Ausweitung des Außenhandels) oder des konstanten Kapitals (z.B. durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität in den Kapitalgüterindustrien oder die Ausweitung des Außenhandels), oder es handelt sich um eine Kombination aus diesen verschiedenen Möglichkeiten (Marx, MEW 25: 242-250). In den USA scheint der gegenwärtige Kapitalismus eine maximale Synthese dieser entgegenwirkenden Ursachen anzuwenden, während das Kapital in Europa sie in selektiverer Weise einsetzt. Es gibt nicht zwangsläufig eine kapitalistische Strategie, die mit den Arbeiterkämpfen fertig wird und einen dramatischen Fall der Profitrate verhindern kann. Diese Kämpfe können zu ganz verschiedenen zukünftigen Entwicklungen führen - zur Wiedereinführung der Sklaverei, zu einer dramatischen Verlängerung des Arbeitstags, zu Verhandlungen über eine bezahlte Arbeitszeitverkürzung, oder auch zum Ende des Kapitalismus. Das hängt von den vorhandenen Klassenkräften ab.
Aber eine Entwicklungsmöglichkeit ist definitiv ausgeschlossen, solange es Kapitalismus gibt: Rifkins Vision einer »High-Tech-Revolution, die zur Verwirklichung des uralten utopischen Traums von der Ersetzung menschlicher Arbeit durch Maschinen führt und damit die Menschheit endlich für die Reise in eine Zeit jenseits des Markts freimacht«. Denn der Kapitalismus braucht ein Ausmaß an Profiten, Zinsen und Bodenrenten, die nur durch eine riesige Summe von Mehrarbeit geschaffen werden können. Die vollständige Ersetzung der menschlichen Arbeit durch Maschinen würde jedoch das Ende von Profit, Zins und Bodenrente bedeuten. Auch wenn Rifkin anscheinend mit vielen Punkten von Marx bezüglich der Entwicklungsrichtung des Kapitalismus übereinstimmt, so klammert er die fatalen Schlußfolgerungen von Marx bewußt aus seiner optimistischen Vision aus, die er im letzten Teil seines Buchs präsentiert. Rifkin entwirft eine Zukunft, in der eine drastische Reduzierung der täglichen Arbeitszeit mit einem »neuen Gesellschaftsvertrag« kombiniert wird, der finanzielle Anreize (von »Sozial«- oder »Schatten«-Löhnen bis zu Steuererleichterungen) für die Arbeit im »Dritten Sektor« schafft, d.h. einem Sektor der unabhängigen, »nicht-profitorientierten« oder ehrenamtlichen Arbeit, der zwischen den »öffentlichen und privaten« Sektoren angesiedelt ist. Dieser Sektor könnte zum »Dienstleistungsbereich« des 21. Jahrhunderts werden, da »nur ein ausgebauter Dritter Sektor die auf dem Weltmarkt überflüssig gewordenen Arbeitskräfte aufnehmen kann« (Rifkin 1995: 219). Das heißt, er absorbiert ArbeiterInnen, die keinen Mehrwert produzieren, und gewährt ihnen einen Lohn für eine Arbeit, die keinen Mehrwert schafft.
Rifkins Vision eines »sicheren Hafens« für die Menschheit ist also ein Kapitalismus, in dem die meisten ArbeiterInnen weder Profite, noch Zinsen, noch Bodenrenten produzieren. Dieser Vision stellt er die düstere Perspektive gegenüber: »Wenn es uns nicht gelingt, die Fähigkeiten und Energien jener Hunderte Millionen arbeitsloser Frauen und Männer in die richtigen Bahnen zu lenken und ihnen eine sinnvolle Aufgabe zu geben, dann werden Verelendung und Gesetzlosigkeit unsere Gesellschaften erfassen, sie werden zerfallen, und niemand wird sie retten können« (Rifkin 1995: 217f.). Aber wie realistisch ist Rifkins Chimäre [5] von Gesellschaft mit ihrem techno-kapitalistischen Kopf, ihrem geräumigen, kuscheligen Körper des Dritten Sektors und einem dünnen Mehrwert produzierenden Schwanz? Selbst wenn wir es mit gesellschaftlichen Chimären zu tun haben, müssen die Proportionen einigermaßen stimmen. Die von Rifkin hat schon deswegen keine Überlebenschance, weil der Kopf - egal wie technologisch entwickelt er ist - von so einem kleinen Schwanz nicht durchgefüttert werden kann. Der Kapitalismus, der sich aus dem »neuen Gesellschaftsvertrag« von Rifkin ergibt, ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil er seiner Definition zufolge ein Kapitalismus ohne Profite, Zinsen oder Bodenrenten sein soll. Warum sollten sich die Kapitalisten auf so einen Vertrag einlassen, nachdem sie während des gesamten Kalten Krieges verkündet haben, sie würden eher den halben Planeten in die Luft jagen, als auf ein Zehntel ihres Einkommens zu verzichten?
Dieser »Beweis der Unmöglichkeit« ist so offensichtlich, daß sich unweigerlich die Frage stellt, warum Rifkin sich am Anfang von Das Ende der Arbeit so direkt auf Marx beruft, um ihn dann am Ende völlig auszuklammern. Versucht er, den Bezug auf so unschöne Dinge wie Weltkrieg, Revolution und nukleare Vernichtung zu vermeiden, um die seine Überlegungen früher kreisten? Oder will er mit verkappten marxistischen Drohungen die techno-kapitalistische Klasse zu einer Art von Selbstmord überreden, den er ihnen als neuen Aufschwung verkauft?
Um solche Fragen beantworten zu können, müßten wir eine politische Untersuchung der von Rifkin und seinem Zirkel benutzten Rhetorik durchführen. Ich erspare mir diese Mühe. Es sollte aber darauf hingewiesen werden, daß Rifkins chimärenhafte Strategie einen realistischen Kern hat. Im Endeffekt sucht er nach einem neuen Sektor für die Ausweitung von kapitalistischen Verhältnissen. Irrtümlicherweise wählt er dafür den »non-profit« und ehrenamtlichen Bereich, denn wenn dieser Bereich tatsächlich freiwillig und nicht am Profit orientiert ist, kann er keine ernstzunehmende Grundlage für einen neuen Sektor von Beschäftigung in einer kapitalistischen Gesellschaft sein. (Und wir können nicht durch massenhaften Betrug aus dem Kapitalismus herauskommen, auch wenn dies sehr verlockend ist.)
Aber Rifkin hat den richtigen Riecher. Die Vielfalt der Arbeit geht weit über den Bereich der formal entlohnten Arbeit hinaus, und diese nichtentlohnte Arbeit produziert Mehrwert im Überfluß. Wenn diese Arbeit unmittelbarer und effektiver ausgebeutet würde, könnte sie zur Grundlage für ein neues Zeitalter Mehrwert produzierender Beschäftigung werden: durch die Ausweitung von Zwangsarbeit, die Einführung von unmittelbar kapitalistischen Verhältnissen im Bereich der Reproduktion von Arbeitskraft und schließlich die Vervielfältigung von Kleinstunternehmen und kriminellen Betrieben. Daher sind »Neoliberalismus«, »Neo-Sklaverei«, »Grameenismus« [6] und »Drogenkrieg« angemessenere Parolen für die Dritte Industrielle Revolution als der nicht profitorientierte Dritte Sektor, den uns Rifkin aufschwatzt. Denn mit ihnen lassen sich die »entgegenwirkenden Ursachen« gegen einen dramatischen Abfall der Profitrate mobilisieren, der durch Computerisierung, Roboterisierung und Gentechnik hervorgerufen wird.
Negri und das Ende des Wertgesetzes
Rifkin kann man seinen halbgaren Gebrauch des Marxschen Denkens vielleicht noch nachsehen. Schließlich kommt er nicht aus der marxistischen Tradition und hat sich bisher nur selten und beiläufig auf die Schriften von Marx bezogen. Aber dieselben Themen, die Rifkin in Das Ende der Arbeit so klar präsentiert, finden sich auch bei etlichen marxistischen, postmarxistischen und postmodernen marxistischen AutorInnen, und zwar oft in viel obskureren und prophetischeren Versionen. Hervorzuheben ist hier vor allem Antonio Negri, der schon in den 70er Jahren Argumente entwickelte, die zu sehr ähnlichen Schlußfolgerungen wie Rifkins führen, ohne allerdings dem Marxismus so naiv gegenüberzustehen wie dieser. Negris 1994 (zusammen mit Michael Hardt) veröffentlichtes Buch Die Arbeit des Dionysos (Negri / Hardt 1997/1994) setzt einen Diskurs fort, den er eindeutig schon in Marx Oltre Marx (1979) begonnen und in Communists Like Us (Guattari / Negri 1990 [1985]) fortgesetzt hatte. [7]
In diesem Abschnitt zeige ich, daß Negri den heutigen Kapitalismus zwar raffinierter und marxistischer analysiert als Rifkin, seine Analyse aber genauso problematisch ist. Die Ähnlichkeit zwischen Negri und Rifkin ist zunächst schwer erkennbar; Negri geht nämlich streng anti-empirisch vor - fast nie treibt ein Fakt oder Faktoid durch seine Prosa -, während Rifkins Ende der Arbeit von Statistiken und journalistisch geschriebenen Texten über High-Tech nur so wimmelt. Negri läßt sich nicht dazu herab, einfach vom »Ende der Arbeit« zu schreiben. Stattdessen verabschiedet er sich mit substantivierten Verben von der klassischen Arbeitstheorie oder dem Wertgesetz, und das läuft auf das Gleiche hinaus. Laut Negri ist das Wertgesetz am Ende des 20. Jahrhundert »bankrott« (Negri / Hardt 1997/1994: 15), es »funktioniert nicht mehr« (Negri / Guattari 1990: 21) oder »das Wertgesetz stirbt« (Negri 1979: 179).
Das läuft auf das Gleiche hinaus wie Rifkins empirischere Behauptungen. Um das zu sehen, müssen die theoretisch komplizierten Überlegungen von Negri aber zunächst auf ihren grundlegenden Gehalt zurückgeführt werden. Bei Negri ist es die »Grundaufgabe« der klassischen Arbeitswertlehre, »die sozialen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, die der Verteilung der Arbeitskraft auf die verschiedenen Sektoren gesellschaftlicher Produktion zugrundeliegen, und dadurch den kapitalistischen Verwertungsprozeß zu erhellen« (Negri / Hardt 1997/1994: 12f.); das Wertgesetz ist »ein Ausdruck des Verhältnisses zwischen konkreter Arbeit und Geldmengen, die nötig sind, um eine Existenz zu sichern« (Negri / Guattari 1990: 21), oder ein Maß »der bestimmten Proportionalität zwischen notwendiger Arbeit und Mehrarbeit« (Negri 1979: 179). Im 19. Jahrhundert war das Wertgesetz lebendig, aber dann begann es genau wie Nietzsches Gott zu sterben. Beim Wertgesetz dauerte es allerdings ein bißchen länger, bis der Totenschein ausgestellt wurde.
Der Bankrott, die Funktionsunfähigkeit und der Tod des Wertgesetzes bedeutet einfach, daß die grundlegenden Variablen des kapitalistischen Lebens - Profite, Zinsen, Renten, Löhne und Preise - nicht mehr von der Arbeitszeit bestimmt sind. Wie Rifkin behauptet Negri, der Kapitalismus sei in eine Phase eingetreten, die Marx am visionärsten im »Fragment über die Maschinen« in den Grundrissen beschrieben hat (Negri 1979: 148ff.; Rifkin 1995: 27f.). Nehmen wir nur mal eine der vielen oft zitierten Passagen aus dieser Vision: »Wie mit der Entwicklung der großen Industrie die Basis, auf der sie ruht, Aneignung fremder Arbeitszeit, aufhört den Reichtum auszumachen oder zu schaffen, so hört mit ihr die unmittelbare Arbeit auf als solche Basis der Produktion zu sein, indem sie nach der einen Seite hin in mehr überwachende und regulierende Tätigkeit verwandelt wird; dann aber auch, weil das Produkt aufhört Produkt der vereinzelten unmittelbaren Arbeit zu sein und vielmehr die Kombination der gesellschaftlichen Tätigkeit als der Produzent erscheint (...) wie einerseits in der Produktivkraft des zum automatischen Prozeß entwickelten Arbeitsmittels die Unterwerfung der Naturkräfte unter den gesellschaftlichen Verstand Voraussetzung ist, so andrerseits die Arbeit des Einzelnen in ihrem unmittelbaren Dasein gesetzt als aufgehobne einzelne, d.h. als gesellschaftliche Arbeit. So fällt die andere Basis dieser Produktionsweise weg.« (Marx, MEW 42: 604f.)
Die Entwicklung von »automatischen Prozessen« in Gentechnologie, Computerprogrammierung und Robotisierung seit den 60er Jahren haben Negri wie Rifkin überzeugt, daß der heutige Kapitalismus in seinen wesentlichen Zügen Punkt für Punkt der Marxschen Vision von 1857/58 entspricht. Der Hauptunterschied zwischen Negris Texten und Rifkins Ende der Arbeit besteht darin, daß Rifkin herausstellt, wie sich dieser »automatische Prozeß« auf die Arbeitslosigkeit von Massen von ArbeiterInnen auswirkt, während Negri betont, daß die neuen ArbeiterInnen zentral an der »Intelligenz der Gesellschaft« und der »gesellschaftlichen Arbeit« beteiligt sind. Während Rifkin behauptet, daß diese neuen »WissensarbeiterInnen« (z.B. Forscher, Ingenieure, Softwareanalytiker, Finanz- und Steuerberater, Architekten, Marketingfachleute, Filmproduzenten und Redakteure, Rechtsanwälte und Investmentbanker) niemals einen zahlenmäßig großen Sektor darstellen und daher auch die Probleme nicht lösen können, die diese Phase der kapitalistischen Entwicklung schafft, stellt Negri sie als Schlüssel für den Übergang zum Kommunismus jenseits des »realen Sozialismus« dar.
Es gibt allerdings einen terminologischen Unterschied zwischen Negri und Rifkin, denn Negri hat Rifkins »Wissensarbeiter« im Laufe der Zeit zuerst in den 70er Jahren »gesellschaftliche Arbeiter« und dann in den 90er Jahren »Cyborgs« à la Donna Haraway (Haraway 1991) getauft. Der Begriff »gesellschaftlicher Arbeiter« stammt direkt aus den Grundrissen. Negri hat sich auf der Suche nach einem beschreibenden Ausdruck, der die neuen ArbeiterInnen im »Informations- und Wissenssektor« mit den »Massenarbeitern« der Fließbandära vergleicht, stark von Marx-Sätzen wie dem folgenden beeinflussen lassen: »In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint.« (Marx, MEW 42: 601) Der gesellschaftliche Arbeiter ist das Subjekt der »technisch-wissenschaftlichen Arbeit« und tritt aus den Seiten der Grundrisse als Cyborg des späten 20. Jahrhunderts heraus, d.h. als »eine hybride Verbindung von Maschine und Organismus, die fortwährend die Grenzen zwischen materieller und immaterieller Arbeit überschreitet« (Negri / Hardt 1997/1994: 143). [8] Bei der alten MassenarbeiterIn am Fließband hing die Produktivität (von Tauschwert und Gebrauchswert) von der Arbeitszeit ab, und er/sie war dem Fabriksystem entfremdet; zwischen der Produktivität des gesellschaftlichen Cyborg und ihrer Arbeitszeit besteht keinerlei Zusammenhang mehr, aber sie ist durch und durch in die Produktion integriert.
Für Rifkin ist die »Wissensklasse« der »Symbolanalytiker« im Grunde identisch mit dem Kapital, und das neuerwachte Interesse an intellektuellen Eigentumsrechten zeigt seiner Meinung nach, daß die Elitekapitalisten die Bedeutung der Wissensklasse erkannt haben und bereit sind, ihren Reichtum mit dieser zu teilen. WissensarbeiterInnen werden »bald (...) zu einer neuen Aristokratie werden« (Rifkin 1995: 141). Negri interpretiert Gegenwart und Zukunft dieser Klasse ganz anders. Die Existenz von gesellschaftlichen Cyborgs beweise nicht nur, daß »die Dialektik der kapitalistischen Entwicklung (...) gebrochen« sei, sondern daß das Kapital sie ganz einfach nicht »auskaufen« könne, denn »[d]er gesellschaftliche Arbeiter begann eine Subjektivität zu produzieren, die nicht mehr in den Kategorien kapitalistischer Entwicklung, als eine vollständig ausgebildete dialektische Bewegung, zu fassen war« (Negri / Hardt 1997/1994: 145). Das Kapital könne die technisch-wissenschaftliche Arbeit mit anderen Worten nicht mehr über sein Lohn- und Arbeitsdisziplinsystem, abgerundet mit dem Versprechen an die »Besten«, in die obersten Etagen der Management-, Finanz- und politischen Macht hineinzukommen, kontrollieren. Der gesellschaftlich arbeitende Cyborg sei nicht nur außer Reichweite der altbewährten Kontrolltechniken des Kapitals, sondern stelle auch die Avantgarde der kommunistischen Revolution dar. Warum? Hören wir zunächst Negris Worte und interpretieren wir sie dann: »Kooperation oder die Assoziation der [Cyborg-] Produzenten ergibt sich unabhängig von der organisierenden Fähigkeit des Kapitals; Kooperation und Subjektivität der Produzenten haben einen Berührungspunkt außerhalb der Machenschaften des Kapitals gefunden. Das Kapital verwandelt sich in eine bloße Maschinerie des Raubs, ein Phantasma, einen Fetisch. Um es herum bewegen sich radikal autonome Prozesse der Selbstverwertung, Grundlagen einer möglichen alternativen Entwicklung und einer neuen Konstitution.« (Negri / Hardt 1997: 145f.) Negri behauptet, die Cyborg-ArbeiterInnen seien dem Gravitationsfeld des Kapitals in eine Region entkommen, wo ihre Arbeit und ihr Leben tatsächlich die dem Kommunismus angemessenen grundlegenden Gesellschafts- und Produktionsverhältnisse produzieren. Diese Verhältnisse seien von »Selbstverwertung« charakterisiert - d.h. statt den Wert der Arbeitskraft und der Arbeit auf der Grundlage ihres Tauschwertes für den Kapitalisten zu bestimmen, bewerteten die ArbeiterInnen ihre Arbeitskraft danach, ob sie ihre eigene autonome Entwicklung bestimmen können - und dies werde möglich, wenn die technisch-wissenschaftliche Arbeit paradigmatisch werde (Negri 1979: 171; Caffentzis 1987). Letztlich ähnelt Negris Begriff der »Selbstverwertung« der »Klasse für sich« oder dem »Klassenbewußtsein« des traditionelleren Marxismus. Die Selbstverwertung macht allerdings einen Unterschied zwischen dem Cyborg und der Politik des Massenarbeiters und behauptet, daß die wahre kommunistische Revolution nicht an den (alten und neuen) Stätten der MassenarbeiterInnen, BäuerInnen und GhettobewohnerInnen des Planeten zu finden sei, sondern durch das World Wide Net tröpfle.
Der Gegensatz zwischen Negris Bild vom antikapitalistischen Cyborg und Rifkins Bild vom prokapitalistischen Wissensarbeiter wäre ein dankbares Thema. Aber Negris Cyborg beruht ebenso auf einer falschen Auffassung von kapitalistischer Entwicklung wie Rifkins Wissensarbeiter (als letzter profitmachender Beschäftigter). Daher ist es sinnvoller, zu sehen, was diese beiden Sichtweisen gemeinsam haben, und das zu kritisieren. Negri gründet seinen »gesellschaftlichen Arbeiter« ebenso wie Rifkin seinen Wissensarbeiter auf die Marxschen Grundrisse, aber wir sollten uns daran erinnern, daß das »Fragment über die Maschinen« nicht Marx' letztes Wort über die Maschinen in der kapitalistischen Gesellschaft war. Marx arbeitete noch zehn Jahre weiter und füllte die drei Bände des Kapital mit neuen Beobachtungen. Ich will an dieser Stelle nicht tiefer auf diese Entwicklungen eingehen, daher nur soviel: Im ersten Band des Kapital erkannte Marx nicht nur, welche großen Kräfte die Maschinerie in den Produktionsprozeß warf, sondern er betonte auch, daß - analog zu den thermodynamischen Grenzen der Verfügbarkeit von Arbeit in einem gegebenen Energiefeld - Maschinen keinen Wert schaffen können (Caffentzis 1997); noch wichtiger für uns ist hier aber der Teil im dritten Band des Kapital, wo Marx sich nochmal mit der Thematik des »Fragments über die Maschinen« beschäftigte. In diesen Passagen erkannte er, daß in einer Zeit, wo der Kapitalismus sich der Stufe der »automatischen Prozesse« nähert, das System als ganzes mit einer dramatischen Beschleunigung des tendenziellen Falls der Profitrate konfrontiert sein muß. Er fragte, »warum dieser Fall nicht größer oder rascher ist« (Marx, MEW 25: 242). Seine Antwort lautete, daß ins kapitalistische Handeln Prozesse eingebaut sind, die dieser Tendenz und somit dem technologischen Finale des Systems entgegenwirken.
Diese Prozesse werden direkt im 14. Kapitel über die »entgegenwirkenden Ursachen« und indirekt im zweiten Abschnitt über die Bildung der Durchschnittsprofitrate beschrieben. Die entscheidenden Auswirkungen der »entgegenwirkenden Ursachen« habe ich schon oben in der Kritik an Rifkin erwähnt, und sie gelten ebenso für Negri. Negri bestreitet gebieterisch »die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gesetze, die die Verteilung der Arbeitskraft unter den verschiedenen Sektoren der gesellschaftlichen Produktion beherrschen«, und lehnt es ab, die Arbeitszeit als wesentlich für »den kapitalistischen Verwertungsprozeß« zu sehen. Aber das Kapital und die Kapitalisten sind an beidem immer noch brennend interessiert. Aus diesem Grund wird Kapital in Niedriglohngebiete geschickt und widersetzen sich die Kapitalisten dermaßen hartnäckig einer Verkürzung der täglichen Dauer von Lohnarbeit. Die Computerisierung und Robotisierung der Fabriken und Büros in Westeuropa, Nordamerika und Japan wird nämlich von einem Prozeß der »Globalisierung« und der »neuen Einhegungen« begleitet.
Genauso verbissen wie um das Recht, Lebensformen zu patentieren, kämpfen die Kapitalisten um das Recht, Produktionszonen und Bordelle in den am wenigsten mechanisierten Teilen der Welt hochzuziehen. In vielen Regionen des Planeten gibt es keinen Niedergang, sondern eine starke Ausweitung der Fabrikproduktion. Tatsächlich wird ein Großteil der Profite der globalen Konzerne und der Zinsen, die die internationalen Banken kassieren, von dieser Low-Tech-Fabrik- und Sexarbeit produziert (Federici 1998). Zur Rekrutierung von ArbeiterInnen für diese Fabriken und Bordelle findet eine breite neue ursprüngliche Akkumulation in ganz Afrika, Asien und den Amerikas statt. Dasselbe Kapital, das »die ätherischen Informationsmaschinen, die die industrielle Produktion ersetzen«, besitzt, ist zugleich überall auf diesem Planeten an der Einhegung von Land beteiligt, was Hungersnöte, Krankheiten, Low-Intensity-Kriege und kollektives Elend bedeutet (Caffentzis 1990; Caffentzis 1995).
Warum stört sich das Kapital an kommunalem Grundbesitz z.B. in Afrika, wenn die wahre Quelle der Produktivität die Cyborgs des Planeten sind? Eine Antwort ist ganz einfach, daß diese Fabriken, Ländereien und Bordelle in der Dritten Welt Orte der »entgegenwirkenden Ursachen« gegenüber dem tendenziellen Fall der Profitrate sind. Sie steigern die Gesamtmenge an Mehrarbeit, helfen Löhne zu senken, verbilligen die Bestandteile des konstanten Kapitals, sie weiten den Arbeitsmarkt ungeheuer aus und machen die Entwicklung von High-Tech-Industrien möglich, die nur wenige Wissensarbeiter oder Cyborgs direkt beschäftigen. Eine weitere, ergänzende Antwort kann dem zweiten Abschnitt des dritten Bandes des Kapital - »Die Verwandlung des Profits in Durchschnittsprofit« - entnommen werden, wo eine Art von kapitalistischer Selbstverwertung nachgewiesen wird. Damit es eine durchschnittliche Profitrate im gesamten kapitalistischen System geben kann, müssen Industriebranchen, die sehr wenige Arbeiter aber viel Maschinerie einsetzen, das Recht haben, sich aus der Wertmenge zu versorgen, die die Branchen mit hohem Arbeitsanteil und niedriger Technologie schaffen. Gäbe es solche Branchen nicht oder ein solches Recht, dann wäre die durchschnittliche Profitrate in den High-Tech-Industrien mit wenig ArbeiterInnen so niedrig, daß es keine Investitionen mehr gäbe und das System zu einem Ende käme. Folglich müssen »neue Einhegungen« auf dem Land den Aufstieg der »automatischen Prozesse« in der Industrie begleiten. Der Computer erfordert die Schwitzbude, und die Existenz des Cyborgs setzt den Sklaven voraus.
Negri hat recht, wenn er den Aufstieg der neuen ArbeiterInnen in den High-Tech-Bereichen mit Selbstverwertung in Verbindung bringt, aber das hat mehr mit kapitalistischer Selbstverwertung zu tun - d.h. mit dem Recht der »toten Arbeit«, einen angemessenen Anteil der »lebendigen Arbeit« zu fordern - als mit der Selbstverwertung der ArbeiterInnen. Tatsächlich beruht die Selbstverwertung des Kapitals auf der Erniedrigung des planetarischen Proletariats.
Man kann Negris Analyse leicht als zutiefst eurozentrisch abtun, da sie die wertschaffende Arbeit von Milliarden Menschen auf diesem Planeten vernachlässigt. Und er ist in der Tat auf eine ziemlich archaische Weise eurozentrisch. Es täte ihm gut, sich zumindest mal den neuen globalen kapitalistischen Multikulturalismus anzusehen und die Ideologien, die dieser hervorgebracht hat (Federici 1995), statt sich auf den eher kleinen Kreises postmoderner Denker zu beschränken. Dann könnte er - selbst aus einer kapitalistischen Perspektive - anfangen, die Klassenkämpfe der heutigen Zeit richtig einzuschätzen.
Doch der Vorwurf des Eurozentrismus ist etwas zu pauschal. Was Negris methodologisches Vergessen des planetarischen Proletariats besser erklären kann, ist sein Festhalten an einem der Axiome des Marxismus-Leninismus: in jeder Epoche bildet sich das revolutionäre Subjekt aus den »produktivsten« Elementen der Klasse. Es ist wahr, Negri hat für die Metaphysik des Dialektischen Materialismus und für die Geschichte des »realen Sozialismus« nur Verachtung übrig, aber bei der Auswahl des revolutionären Subjekts ist er durch und durch Leninist. Negri hält so viel von Computerprogrammierern und ihresgleichen wegen deren angeblicher Produktivität. Da die Allgemeine Intelligenz produktiv ist, sind diese intellektuellen ArbeiterInnen ihre idealen (und daher revolutionären) Repräsentanten, auch wenn sie bis jetzt in ihrer Eigenschaft als »gesellschaftliche Arbeiter« oder »Cyborgs« keinen konkreten Kampf gegen die kapitalistische Akkumulation geführt haben.
Aber diese methodologische Gleichsetzung von Revolution und Produktion hat sich in der Geschichte immer wieder als falsch erwiesen. Leninisten und leninistische Parteien haben diesen Fehler in der Vergangenheit oft mit ihrem Leben bezahlt. Maos politische Entwicklung zeigt deutlich, daß das Massaker an kommunistischen Arbeitern in den Städten und viele tödliche Erfahrungen auf dem Land erforderlich waren, bevor er erkannte, daß das taoistische Prinzip - die scheinbar Schwächsten und am wenigsten Produktiven können in einem Kampf die Mächtigsten sein - zutreffender war als das leninistische. Negris Auswahl des revolutionären Subjekts für die jetzige Zeit - die Meister der ätherischen Maschinen - ist so fragwürdig wie die Vorliebe der Leninisten für die IndustriearbeiterInnen in der Vergangenheit. In der Tat scheitert das 1994 in den USA erschienene Buch The Labor of Dionysius dabei, sich an die revolutionären Kämpfe der indigenen Völker des Planeten zu wenden, besonders an die Zapatisten in Mexiko, und das ist ein klares Zeichen dafür, daß Negris revolutionäre Geographie einer Erweiterung bedarf.
Schluß
Negri und Rifkin sind wichtige Teilnehmer an dem Diskurs über das »Ende der Arbeit« in den 90er Jahren. Rifkin ist empirisch und pessimistisch in seiner Bewertung des »Endes der Arbeit«, Negri dagegen ist apriorisch und optimistisch. Beide scheinen sich jedoch auf einen technologischen Determinismus zu berufen, indem sie behaupten, der Kapitalismus könne sich nur auf eine bestimmte Weise entwickeln. Sie vergessen, und das tun die meisten anderen auch, die diesen Diskurs tragen, daß der Kapitalismus durch Proportionalitäten und einander widersprechende Tendenzen eingeengt (und geschützt) wird. Das System wird nicht einfach so an der schlichten Addition von mehr High-Tech-Maschinen, Technologien und Arbeitern scheitern, denn Marxens ironischer Satz: »Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst« (Marx, MEW 25: 260) gilt heute mehr denn je. Dies mag eine alte und armselige Wahrheit sein, aber bis zum heutigen Tage sind Profit, Zinsen, Löhne und Arbeit in bestimmten Proportionen unvollständige, aber notwendige Bedingungen für die Existenz des Kapitalismus. Das Kapital kann sich nicht selber wegwünschen, aber genausowenig kann es durch Tricks oder Verwünschungen vernichtet werden.
Rifkin will das System trickreich davon überzeugen, daß die Abschaffung profitschaffender Wirtschaftssektoren ein möglicher Ausweg aus den von ihm prophezeiten Arbeitslosigkeitskrisen sei. Alles wird gut, sagt er beruhigend, wenn die Kapitalisten die automatisierten Sektoren Landwirtschaft, Produktion und Dienstleistung unter Kontrolle haben und fast alle anderen in einem nicht von der Profitlogik geprägten dritten Sektor arbeiten, der keine Vorherrschaft beansprucht. Aber dieses Szenario kann kaum vor den Adleraugen der kapitalistischen Presse bestehen, ohne sich lächerlich zu machen, geschweige denn vor denen der Aufsichtsräte. Also kann es sich nicht durchsetzen.
Negri versucht es stattdessen mit philosophischen Verwünschungen. Der Kapitalismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts sei ontologisch gesehen »lediglich ein Apparat der Vereinnahmung, ein Hirngespinst, ein Götzenbild« (Negri / Hardt 1994: 282). Ich begrüße Negris Bestreben, dieses System der Vernichtung, Erniedrigung und des Elends zu verwünschen, aber ich stelle sein »lediglich« in Frage. Wie die höchsten Organe der kapitalistischen Aufklärung (z.B. die Ford Foundation) gezeigt haben, ist das Kapital gegenüber diesen ontologischen Verwünschungen so unempfindlich wie es die Konquistadoren gegenüber den theologischen Verwünschungen der Aztekenpriester waren. Tatsächlich ergötzt sich das Kapital an seinem gespensterhaften Charakter. Seine Hauptsorge gilt dem Fortbestehen des Hirngespinstes, nicht seinem ontologischen Status.
Die Literatur der 90er Jahre zum »Ende der Arbeit« ist daher nicht nur theoretisch und empirisch unhaltbar. Sie führt auch zu politischen Fehlschlägen, denn sie versucht letztlich, Freund und Feind davon zu überzeugen, der Kapitalismus habe hinter unser aller Rücken sein Ende gefunden. Ihr Motto ist nicht das der Dritten Internationale: »Keine Sorge, das Kapital wird früher oder später von selbst zusammenbrechen«; es lautet eher: »Der Kapitalismus ist auf seiner höchsten technologischen Stufe bereits zu seinem Ende gekommen, wacht nur auf und seht her.« Aber solch eine antikapitalistische Version von Nietzsches Motto »Gott ist tot« wirkt schwerlich inspirierend, wenn immer noch Millionen in den vielerlei Namen Gottes und des Kapitals hingeschlachtet werden.
Literatur:
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Special Task Force to the Secretary of Health, Education, and Welfare 1993, work in America, Cambridge, Mass.: The MIT Press.
Fußnoten:
[1] rust belt, wörtl. Rostgürtel, meint die alten (schwer) industriellen Zentren im Nordosten der USA; run away plant, wörtl. Fluchtbetrieb, gemeint ist die Auslagerung in den gewerkschaftsfreien Süden der USA oder nach Mexiko.
[2] downsizing, wörtl. Verkleinerung; worker displacement, wörtl. Verdrängung von Arbeitern, Ersatz von Arbeitern (z.B. durch Maschinerie).
[3] Diese »umgekehrte« Definition ist eine Anspielung auf Cantors diagonale Methode, die sich in der mathematischen Forschung dieses Jahrhunderts als sehr ergiebig erwiesen hat. Der Trick dieser Methode besteht darin, von der Annahme auszugehen, daß es eine Liste gibt, in der alle Objekte einer bestimmten Menge K enthalten sind, um dann ein Mitglied von K zu definieren, das in der Liste nicht enthalten ist, aber durch bestimmte Eigenschaften eben dieser Liste definiert ist.
[4] In der gegenwärtigen Debatte über Freihandel werden zum Beispiel niedrige Löhne von vielen als ein »komparativer Kostenvorteil« im Sinne Ricardos betrachtet. Aber das ist eine verzerrte Lesart der Ansichten von Ricardo und ermöglicht es, die Unterdrückung von Arbeiterkämpfen zu legitimieren. Die Grundlagen komparativer Kostenvorteile sind für Ricardo nahezu feststehende Eigenschaften der physischen und kulturellen Umwelt eines Landes, nicht jedoch ökonomische Variablen wie Löhne, Profite oder Bodenrenten.
[5] Chimäre: Ungeheuer der griechischen Sage; Löwe, Ziege und Schlange in einem. Anm.d.Ü.
[6] Konzepte der privaten Armutslinderung, benannt nach den Aktivitäten der Grameen-Bank in Bangladesh. Anm.d.Ü.
[7] Ich will an dieser Stelle nicht auf das politische und juristische Leben von Negri seit den 70er Jahren eingehen. Siehe dazu Yann Mouliers Einleitung zu The Politics of Subversion (Negri 1989). Im Juli 1997 ist er freiwillig aus dem Exil in Frankreich zurückgekehrt und sitzt jetzt im Knast von Rebibbia (Rom). Es gibt eine internationale Kampagne für seine Freilassung.
[8] Negri beschreibt die Arbeit des gesellschaftlichen Arbeiters oft als »immateriell«. Eine Analyse der Turingmaschinentheorie zeigt aber, daß es keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem, was gewöhnlich materielle Arbeit genannt wird (z.B. weben oder graben), und immaterieller Arbeit (z.B. ein Softwareprogramm schreiben) gibt. Folglich müssen sich die wertschaffenden Eigenschaften an anderen Aspekten der Arbeit festmachen lassen.