Wildcat-Zirkular Nr. 45 - Juni 1998 - S. 36-40 [z45indon.htm]


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Beiträge einer Indonesienveranstaltung

von Welt in Umwälzung in Mannheim am 3. Juni 1998

Indonesien 1998

Auch vor der Krise gab es in Indonesien jede Menge Riots, Demonstrationen, Bewegungen, Kämpfe. 1992 waren es nach offiziellen Angaben 177 Streiks, 1994 schon über Tausend. 1995 gab es in Jakarta zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder eine 1. Mai-Kundgebung. 1996 wurde der 1. Mai mit Streiks gefeiert. Diese drehten sich meist um die Zahlung der Mindestlöhne. Einige Streiks in Surabaya gingen weiter, dort wurden auch politische Forderungen gestellt, z.B. die Abschaffung von bestimmten repressiven Gesetzen und daß sich das Militär aus Streiks raushalten soll.

Die militärische Niederschlagung der Demokratiebewegung in Jakarta im Juli 1996 und die anschließende Repression bringen dem Regime nur eine kurze Atempause. Im April veranstalten Studenten - sie sind Mitglieder eines Demokratiekomitees - in Yogyakarta einen Hungerstreik. 24 werden dabei verhaftet. Während des Wahlkampfs zum Repräsentantenhaus, bei dem in Indonesien immer die Hölle los ist, ungeachtet der Tatsache, daß man nicht wirklich die Wahl hat, fordern im Mai 1,4 Millionen Menschen in Jakarta Einigkeit zwischen der Oppositionsführerin Megawati Sukarnoputri und der Islamischen Partei. Die Menge ruft Parolen gegen Regierung und Militär.

Im letzten Jahr traten auch 16 000 Arbeiter der von Habibie geleiteten Flugzeugwerke in den Streik. Nachdem Habibie bei seinem Lieblingsprojekt schon am ersten Tag Zugeständnisse macht, streiken trotzdem einige hundert Arbeiter einen zweiten Tag. Bei einer Nike-Schuhfabrik streiken 5000. In einer Textilfabrik streiken 4500 gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen.

Es gibt auch viele Streiks in kleineren Betrieben. Die Militanz nimmt zu, immer öfter werden Manager verprügelt. In vielen Städten gibt es Streiks im Transportsektor, z.B. wegen der Bestechungssummen, die die Fahrer für ihre Lizenzen zahlen müssen, oder in Ujung Pandang im Oktober wegen der chaotischen Verkehrssituation.

Am 23. September versammeln sich studentische Demokratie-Aktivisten und Arbeiter im Foyer des Parlaments, um gegen neue Arbeitsgesetze zu protestieren. Mindestens neun werden verhaftet.

Im Oktober greifen Bewohner eines Stadtteils von Jakarta ein Verwaltungsgebäude an, wegen der schlechten Wasserversorgung. Es gibt außerdem Lohnstreiks in Tabakplantagen, Angriffe auf Polizeistationen wegen Polizeiwillkür, einen Streik von hunderten Studenten in Surabaya wegen Gebührenerhöhung. Im November streiken 40 000 Arbeiter einer Zigarettenfabrik.

Man sieht, die Proteste von 1998 sind nicht plötzlich ausgebrochen, die Scheiße war schon vorher am Dampfen. Aber damit sie zu einer Drohung für das Regime werden konnten, mußte dieses erst die Rechtfertigung verlieren, nämlich die Hoffnung der Leute, daß der Lebensstandard weiter steigt.

Im Oktober 1997 wird das erste Abkommen mir dem IWF geschlossen. Im Dezember werden als ersten Maßnahme einige marode Banken geschlossen, wobei die Regierung für die Spareinlagen garantiert. Trotzdem bricht Bankpanik aus, die Zentralbank muß mehr Rupiah drucken, das heizt die Inflation an. Anfang Januar stellt Soeharto seinen Haushaltsplan vor - und der ist ein klarer Bruch mit dem IWF-Abkommen. Kein Abbau von Subventionen und Preiskontrollen, die Staatsausgaben sollen steigen. Im März steht die Wiederernennung Soehartos zum Präsidenten an, unpopuläre Maßnahmen sollen wohl auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Schon die Möglichkeit, daß der IWF infolge des Vertragsbruchs die Auszahlung weiterer Kreditraten aussetzt, schickt die Rupiah in den freien Fall. Panikkäufe in den nächsten Tagen verschärfen die Situation noch. Außerdem ist wegen Trockenheit im letzten Jahr eine Ernte fast komplett ausgefallen. Die Folge sind enorme Preisteigerungen, vor allem bei Grundnahrungsmitteln.

Diese Preissteigerungen führen zu Unruhen und Plünderungen im Januar und Februar. Sie brechen in Dutzenden von kleineren Städten aus, zunächst auf Java, dann auf anderen Inseln. Die wichtigsten Großstädte und die Ferieninsel Bali werden vom Militär zu Gebieten erklärt, in denen Krawalle auf jeden Fall verhindert werden sollen.

Bei vielen dieser Riots, wenn auch nicht bei allen, gibt es anti-chinesische Aspekte. Der Handel wird vielerorts von Leuten chinesischer Abstammung dominiert Das ist ein Grund, warum deren Geschäfte oft Ziel von Plünderungen und Zerstörung sind. Es gibt auch anti-chinesischen Rassismus. Händler versuchen ihre Läden mit Schildern auf denen »Moslem« oder »Einheimischer« steht, zu schützen. Oder sie hängen Gebetsteppiche auf. Mindestens fünf Leute, Rioter wohlgemerkt, keine Ladenbesitzer, kommen in dieser Zeit ums Leben, zwei davon von Sicherheitskräften erschossen, einige hundert werden verhaftet.

Es läßt sich schwer entscheiden, ob Regierung oder Militär die Unruhen direkt angestiftet und dann in eine anti-chinesische Richtung gelenkt haben. Ganz sicher haben sie aber das anti-chinesisches Klima geschürt. Chinesische Geschäftsleute wurden beschuldigt, Waren zu horten, ihr Geld ins Ausland zu bringen, oder ganz allgemein für die Krise verantwortlich zu sein.

Mitte Februar bekommen die Sicherheitskräfte Anweisung, schärfer durchzugreifen, daraufhin flauen die Riots ab.

Zur selben Zeit werden die Studenten aktiv. Es gibt 2,3 Millionen Studenten in Indonesien, die meisten aus der Mittelschicht. Der droht durch die Krise der soziale Abstieg. Viele Studenten müssen damit rechnen, ihr Studium aus finanziellen Gründen nicht abschließen zu können. Oder danach keinen Job zu finden.

Es gibt zunächst kleinere Demonstrationen mit einigen hundert Teilnehmern. Die Forderungen sind niedrigere Preise, Reformen, Ende der Korruption, Rücktritt Soehartos. Die Proteste weiten sich auf immer mehr Städte aus, die Teilnehmerzahlen steigen. Im März protestieren an über 30 Universitäten Studenten gegen Soehartos Wiederernennung.

Solange sich die Demos auf das Universitätsgelände beschränken, werden sie toleriert, vom Verteidigungsminister sogar als konstruktive Kritik bezeichnet. Wenn die Studenten allerdings versuchen, den Campus zu verlassen, um die Bevölkerung in die Demos miteinzubeziehen, schlagen die Sicherheitskräfte zu. Trotzdem schließen sich auch Nichtstudenten an. Am Geburtstag einer Pionierin des indonesischen Feminismus, finden in einigen Städten reine Frauendemos statt. In Surabaya nehmen tausend Frauen teil: Studentinnen, Dozentinnen, Nonnen, Krankenschwestern, Hausfrauen, Fabrikarbeiterinnen und einige Prostituierte.

Ab Ende März werden die Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Sicherheitskräften immer gewalttätiger. Daß die Polizei immer häufiger Tränengas und Gummigeschosse einsetzt, tut der Bewegung aber keinen Abbruch, im Gegenteil. Ende April kommt es in Medan in Nordsumatra zu tagelangen Straßenschlachten, bei denen die Studenten Molotowcocktails schmeißen.

Am 4. Mai steigen wegen der vom IWF verordneten Subventionsstreichungen die Preise für Benzin, Transport und Kerosin. Das Kerosin brauchen viele Leute zum Kochen. Sofort brechen in Medan mehrtägige Riots aus, Geschäfte werden geplündert, Fahrzeuge verbrannt, eine Polizeistation angegriffen. In Surabaya haben Studenten um Mitternacht Tankstellen besetzt. In verschiedenen Städten schließen sich immer mehr Arbeiter und Arbeitslose den Protesten an. In Yogyakarta demonstrieren 10 000 Studenten und Arbeiter. In Jakarta, Bandung und Ujung Pandang werden Reifen und Soehartobilder verbrannt.

In Tangerang, einer Industriestadt nahe Jakarta, machen 4000 Arbeiter von zwei Keramikfabriken eine Kundgebung, auf der sie höhere Sozialleistungen fordern. 1500 Arbeiter einer Holzverarbeitungsfabrik in Westjava streiken für höheren Lohn. Wir wissen von Streiks in mindestens sechs anderen Städten. Lokale Behörden bemühen sich, zu verhindern, daß kleinere Boykott-Aktionen von Bus- und Taxifahrern nicht in einen Transportstreik münden. Die Fahrer versuchen, höhere Fahrpreise durchzusetzen, um die neuen Benzinkosten zu decken. In Jakarta gibt es am 6. Mai eine Demonstration von Minibusfahrern, der sich auch Studenten anschließen.

Die Studentenbewegung gewinnt mehr und mehr Zustimmung: Verschiedene religiöse Organisationen, Zeitungen und Intellektuelle äußern öffentlich ihre Billigung.

Am 12. Mai erschießen Sicherheitskräfte sechs Studenten. Dies ist der Auslöser für die Riots in Jakarta vom 13. bis zum 15. Mai. Tausende von Häusern, Geschäften, Supermärkten, Einkaufszentren und Fahrzeugen werden geplündert und abgefackelt. Symbole des verhaßten Regimes werden angegriffen, wie Polizeistationen oder Firmen im Besitz von Soeharto und seiner Freunde. Z.B. werden 122 Filialen der Bank Central Asia und unzählige ihrer Kassenautomaten zerstört. Die Bank Central Asia ist die größte Privatbank Indonesiens, beteiligt sind zwei Soeharto-Kinder. Wohnhaus und Fuhrpark von Sudona Salim, dem Bankchef, werden verbrannt. Es wird von volksfestartiger Stimmung berichtet. Die Sicherheitskräfte sind äußerst zurückhaltend. Aus einigen Gegenden scheinen sie völlig verschwunden zu sein. Bei den dreitägigen Riots sterben wahrscheinlich mehr als tausend Menschen, die meisten davon bei Bränden in Supermärkten und Einkaufszentren.

Es gibt Vermutungen, daß regierungsnahe Kreise die Unruhen mitinitiiert und in eine anti-chinesische Richtung gelenkt haben. Oder sogar die Kaufhäuser in Brand gesteckt haben, während drinnen noch geplündert wurde. In der Absicht, daß die Bevölkerung dermaßen schockiert ist, daß sie eine vom Militär hergestellte Ruhe und Ordnung vorzieht. Eine Menschenrechtsorganisation hat Zeugen befragt und seltsame Aspekte festgestellt, z.B. das an verschiedenen Orten Jugendliche als Anstifter mit den selben anti-chinesischen Parolen aufgetreten sind. In anderen Städten gibt es auch Riots. Auch da greifen die Truppen kaum ein.

Am 15. Mai werden die Benzinpreiserhöhungen teilweise zurückgenommen. Soeharto kehrt von einem Gipfeltreffen in Ägypten vorzeitig zurück, verspricht Neuwahlen, aber zu spät. Immer mehr seiner Unterstützer und Parteifreunde rücken von ihm ab und drängen zum Rücktritt, vor allem da für den 20. Mai Großdemos vorbereitet werden.

In Jakarta marschieren 100 000 Soldaten auf, um die Großkundgebung zu verhindern. Die wird dann auch abgesagt. Aber in Yogyakarta nehmen eine halbe Million teil, in Bandung 100 000, in Surabaya 50 000, in Solo 30 000, in Medan 20 000.

Am 18. Mai besetzen mehr als zehntausend Studenten mit Duldung des Militärs das Parlament. Sie tollen durch die Abgeordnetenbüros, machen Konfetti aus politischen Dokumenten, zerstören Tonbandaufnahmen von Parlamentsdebatten. Die Stimmung ist sehr gut. Einige machen Papierflieger aus Dokumenten und lassen sie vom Balkon fliegen. Überall wird Graffiti angebracht. Einer wird gefragt, ob dieser Vandalismus nicht ungehörig sei: »Weiß ich nicht, interessiert mich nicht!«, antwortet er. In Indonesien, wo sehr viel Wert auf gutes Benehmen und Respekt gelegt wird, bedeutet das ein ganze Menge. Die Studentenführer, denen es nicht gelang, ihre Kommilitonen unter Kontrolle zu halten, waren sauer und versuchten wenigstens zu verhindern, daß der Plenarsaal besetzt wurde.

Nachdem ihn die Militärführung dringend dazu aufgefordert hat, tritt Soeharto am 21. Mai zurück. Sein Vize Habibie wird neuer Präsident. Die Studenten protestieren weiter, fordern jetzt die Absetzung Habibies. Am 22. Mai werden die letzten 2000 Besetzer aus dem Parlament geräumt, einigermaßen friedlich.

Seitdem hat das Regime einige Schönheitskorrekturen durchgeführt. Wahlen sind versprochen. Neue Parteien dürfen gegründet werden, einige Soehartoverwandte sind von ihren Posten entfernt worden, einige politische Gefangene wurden freigelassen.

Die eigentlichen Probleme bestehen weiter. Die Preise sind seit den Riots weiter gestiegen, der Preis von Speiseöl hat sich verdoppelt. Bei anderen Grundnahrungsmitteln stiegen die Preise um 20-70 Prozent. Mehrere Millionen haben bereits ihren Job verloren. Die Firmen schmeißen als erstes unliebsame Leute raus, vor allem Frauen. Schwangere Frauen oder Frauen, die während der Menstruation zu Hause bleiben, Streikführer. Auch Firmen, die von der Krise kaum betroffen sind, nutzen diese, um Leute zu entlassen und Löhne zu kürzen.

Der IWF hat die Kreditauszahlung storniert. Es ist ganz klar, daß das bisherige Paket nicht reicht und neu verhandelt werden muß. Und es ist ganz klar, wer bezahlen soll. Die »Wirtschaftsreformen« werden noch eine Nummer härter ausfallen. Aber diesmal sollen sie wohl etwas »sozialverträglicher« umgesetzt werden. Was nicht heißt, daß die Leute weniger leiden müssen, sondern daß sie weniger revoltieren sollen. Nicht umsonst wurde als einer der ersten der inhaftierte Gewerkschaftsführer Pakpahan freigelassen und seine bisher verbotene Gewerkschaft legalisiert.

Es bleibt spannend. Es haben wieder Riots stattgefunden. In Tanjungbalei gab es anschließend an eine Anti-Korruptions-Demo Unruhen und Plünderungen. Einige Läden und drei Bankfilialen wurden zerstört. In Jakarta haben Slumbewohner ein Grundstück besetzt, auf dem eine Soehartotochter Wohnhäuser bauen lassen wollte. Auch die Studentenproteste gehen weiter, wenn auch kleiner.

In den letzten Tagen gab es etliche Proteste gegen Korruption, bei denen teilweise Regionalparlamente besetzt wurden. In Dili, Osttimor, nahmen am 1. Juni 1500 Studenten an einem Forum für freie Rede teil, bei dem der Einfluß der Reformbewegung auf die Situation in Osttimor diskutiert wurde.


»Totale Reform!«

Thesen zur Situation in Südostasien

1. Das sogenannte Wirtschaftswunder in China und Südostasien beruhte auf der erfolgreichen Ausbeutung der Wünsche und Hoffnungen der Menschen.

Die letzte und dramatische Phase dieses Wirtschaftswunders hat vor ganz genau neun Jahren angefangen: mit der Niederschlagung des Aufstandes in Beijing, bekannt unter dem Namen des Platzes, auf dem die Studenten kampierten: Tien-an-men. Seit dem haben die Menschen ihre Hoffnung auf ein besseres Leben auf den Kapitalismus gesetzt, seit dem sind viele hundert Millionen in die Städte gezogen und seitdem wird ihr Angebot an billiger Arbeitskraft vom Kapital in großem Maßstab angenommen. Auch in Indonesien ist seitdem chinesisches und südkoreanisches Kapital zugange, um die Produktion arbeitsintensiver Waren zu organisieren (Textil, Schuhe etc.).

Die Wachstumsraten waren eine z.T. direkte, z.T. indirekte Folge des Klassenkampfs. Direkt, weil die Löhne und damit die Kaufkraft stiegen; indirekt, weil sie eine gesellschaftliche Dynamik auslösten und ausdrückten, die in wirtschaftliche Dynamik übersetzt werden konnte. Wenn die Leute sich Motorräder leisten können, entstehen Motorradfabriken, die aber dann einen anderen Charakter haben als die Schuhfabriken. Die Belegschaft einer Motorradfabrik hat meist eine Ausbildung oder kann wenigstens so tun als ob und sie hat gewisse Ansprüche in Bezug auf Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsintensität. Entsprechend war auch in Indonesien die Armut nicht völlig verschwunden, aber zurückgedrängt; es ist eine wohlhabende Mittelschicht entstanden; es gibt ein relativ gutes Ausbildungssystem; es gab staatliche Sozialleistungen in Form von Subventionen usw. Und Indonesien hat nicht mehr nur Schuhfabriken ...

2. Dieser Aufschwung war organisiert und gesichert durch Militärdiktaturen oder militärisch gesicherte Scheindemokratien; also Staaten, die die kapitalistischen Verkehrsformen nicht (mehr) im Griff haben.

So dynamisch die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung war; die herrschenden Cliquen und die Staaten versuchten weiterhin so zu funktionieren, als hätten sie es mit einer stabilen Mehrheit von Landbevölkerung zu tun. Relativ kleine Cliquen organisieren das Wachstum als Wachstum ihres Reichtums und ihrer Macht, Ansprüche des Proletariats werden aufs Nötigste befriedigt, den Rest erledigt Repression. In Indonesien war und ist das besonders krass. Zwei Beispiele: Die Familie Soeharto wird auf etwa 40 Milliarden Dollar geschätzt, also fast soviel wie das ganze Hilfspaket, das der IWF zur Rettung der indonesischen Wirtschaft versprochen hat. Oder: Man ist in Kapitalistenkreisen davon ausgegangen, daß ausländische Investoren mehr als doppelt soviel für Steuern, Abgaben, Schmiergelder ausgeben müssen wie für Löhne. Entsprechend groß waren und sind die Schwierigkeiten des IWF schon auf rein technischer Ebene: es gibt einfach keine zuverlässigen Zahlen über Indonesien.

3. Die ganze Entwicklung war eine Entwicklung auf Pump.

Fasziniert von den Zahlen und den neuen Hochhäusern in den Hauptstädten drängte sich das Kapital geradezu nach Südostasien. Vor allem europäische und asiatische Banken haben sich jetzt als die Hauptkreditgeber herausgestellt; es kam aber auch viel spekulatives Kapital, das keinen Namen hat. Man kann dies aber auch anders ausdrücken: Südostasien hat jahrelang »über seine Verhältnisse gelebt«. Zum Teil haben dies die herrschenden Cliquen unproduktiv kassiert, zum Teil haben sie es zum Zwecke puren Größenwahns in wenig profitable Projekte gesteckt, zum Teil wurde es aber auch benutzt zur Besänftigung der Ansprüche der Arbeiter und der neuen Mittelschichten. Wenn ich sage, »über die Verhältnisse leben«, dann meine ich das natürlich im Sinne des Kapitals. Kapital will sich verwerten, Kapital will Profite machen. Kredite sind Anweisungen auf zukünftige Arbeit und Ausbeutung; ganz egal, was damit finanziert wird, es wird erwartet, daß es morgen ein Mehr beinhaltet, das am Ende nur aus Ausbeutung kommen kann.

In dem Moment, wo dies nicht mehr gewährleistet zu sein scheint, in dem Moment werden Kredite faul, Schulden unbezahlbar, Währungen verlieren ihren Tauschwert. Die Finanzkrise in Südostasien ist genau dies: die Rache des Kapitals. Die Spekulanten haben dies zuerst ausgeführt und dabei gut am Zusammenbruch der Währungen von Thailand, Südkorea und Indonesien verdient. Wobei eins klar ist: schon das war kein Vorgang auf der Ebene des Geldes allein, sondern in sich schon der Angriff auf die Menschen. Verloren haben sicher auch die Reichen, aber das interessiert uns nicht. Verloren haben die Leute mit einem kleinen Sparbuch, die, die entlassen worden sind, die, die sich die Schule für die Kinder nicht mehr leisten können und die, denen es kaum mehr zum Essen reicht.

4. War der Zusammenbruch der Währungen eine Folge des freien Wirkens und der Macht des Finanzkapitals, also sozusagen eine neoliberale Erscheinung, so ist der Einmarsch des IWF eine politische und staatliche Intervention, erinnert also eher an den Keynesianismus.

Immer, wenn es mit der Ausbeutung nicht richtig klappt, ruft das Kapital nach dem Staat, in diesem Fall nach dem IWF. Der IWF selber ist eine staatliche Institution und seine Maßnahmen sollen mittels der Einzelstaaten durchgeführt werden. Der IWF gibt längerfristige Kredite um kurzfristige Schulden abzudecken. Dafür verlangt er staatliche Maßnahmen, die »normale« Ausbeutungsbedingungen wieder oder überhaupt erst herstellen sollen. In Asien hat er es dabei aber mit zwei Kräften zu tun, mit denen er sich anlegen muß. Mit den herrschenden Cliquen einerseits, deren Raffgier und Kumpanei er in übliche Ausbeutungsbahnen lenken muß und andererseits mit dem Proletariat, dessen bescheidene Errungenschaften er angreift. So haben sich die Geldbürokraten das jedenfalls am Anfang vorgestellt: Bankgesetze, Bankrottgesetze, standardisierte Rechnungslegung und Aufhebung von Monopolen auf der einen Seite; Abbau von Preiskontrollen von Lebensmitteln und Aufheben von Arbeiterschutzgesetzen auf der anderen Seite.

Geholfen hat es bisher nicht. Nicht in Thailand und nicht in Südkorea. Und schon gar nicht in Indonesien. Obwohl insgesamt schon ungefähr 40 IWF-Milliarden verbraten sind, ist kein Ende der wirtschaftlichen Talfahrt abzusehen; ja das Schlimmste kommt erst noch. Der IWF ist gescheitert und das liegt am Widerstand des Proletariats, oder anders gesagt: An der Unwilligkeit und Unfähigkeit der Herrschenden, den Angriff auf die wenigen sozialen Errungenschaften so hart und erfolgreich zu führen, wie es das Kapital gern hätte.

5. Die Geldbürokraten und die politischen Vertreter des Kapitals befürchten Revolution. Davon reden Proletariat und Arbeiterklasse noch nicht. Aber sie könnten anfangen, davon zu reden.

Wolfensohn, Chef der Weltbank, im März 1998: »Du kannst die Beziehungen zwischen einigen der Geldmenschen in Ordnung bringen. Aber wenn wir nicht weitergehen und an die Implikationen denken, die das auf den sozialen Sektor hat, haben wir nichts - außer vielleicht Revolution und soziale Unruhen

Der IWF steht in Indonesien noch nicht in der direkten Schußlinie; dort steht immer noch das Militärregime. In dem Maße, wie der IWF auch Maßnahmen verlangt, die sich gegen den Kumpanei-Kapitalismus der herrschenden Cliquen richtet, in dem Maße sehen Teile der bürgerlichen Opposition den IWF eher als Bündnispartner denn als Gegner. Wie groß der Einfluß dieser Opposition auf die Gesellschaft und die gesellschaftliche Entwicklung allerdings ist, ist schwer abzuschätzen. Es ist nicht abzuschätzen, ob die jetzige bürgerliche Opposition in der Lage wäre, dem Proletariat über die kommenden Jahre hinweg den Verzicht aufzubürden. Die Erfahrungen aus Thailand und Südkorea sprechen erstmal dagegen; dort ist die frühere Opposition an der Regierung. Es ist bisher auch gelungen, mit dem Versprechen auf baldige Besserung, einige Maßnahmen durchzusetzen. Aber die Geduld der Leute scheint langsam zu Ende zu gehen.

Aber Not, Elend und enttäuschte Hoffnungen allein reichen nicht, um Revolution zu machen. Notwendig ist ein Prozeß von gesellschaftlicher Diskussion, proletarischer Selbstorganisierung und von Kämpfen, auch innerhalb der proletarischen Klasse selber. Wir können hoffen, daß dieser Prozeß im Rahmen der politischen Öffnung in Indonesien vorangeht. Zur Zeit formulieren die Studenten und andere als Perspektive noch: »Totale Reform!« Die Diskussion über den Kampf gegen Ausbeutung und Arbeit, über Alternativen zum Kapitalismus, über den Weg dorthin, diese Diskussion steht wieder auf der Tagesordnung. In Südostasien und hier eigentlich auch.

6. Die Krise ist nicht nur nicht vorbei, sondern hat möglicherweise noch gar nicht richtig begonnen.

Das gilt für Indonesien, dessen offizielle Ökonomie im Moment schlicht zusammengebrochen ist. Das gilt für Asien, wo die Währung Chinas unter großem Abwertungsdruck steht und man eigentlich auf einen spekulativen Angriff wartet. Das wäre dann auch für den IWF eine Nummer zu groß.

In will nicht spekulieren über eine Welt-Geldkrise oder eine Welt-Finanzkrise. Die Sache in Südostasien ist auf dieser Ebene bisher relativ easy austariert worden. Aber: der Kapitalismus steht wieder in Rede und das ist das Verdienst der Arbeiterklasse, die in Südostasien seine Bedingungen zurückgewiesen hat.

7. Für uns bedeutet das:

a) Nicht mehr der Globalisierungspropaganda des Kapitals aufsitzen. Wie hat man bei uns den Standort Südostasien gelobt und mit Auslagerung gedroht... Ja die Kapitalisten hätten das gerne, daß sie von der einen wenig produktiven oder aufsässigen nationalen Arbeiterklasse zur anderen fliehen könnten, aber das funktioniert nicht. Wir glauben nicht mehr an das Standort-Geschwätz!

b) Die Globalisierung gegen Unterdrückung und Ausbeutung vorantreiben! Dazu gehört zuallererst die Erkenntnis, daß die weltweite Zurückweisung von zuviel Ausbeutung hinter der verzweifelten Suche des Kapitals nach neuen Möglichkeiten der Verwertung steckt, daß sie die aber immer nur vorübergehend finden. Wir sind Täter und nicht Opfer der »Globalisierung«. Daraus folgt: für einen weltweiten Horizont in der linken und proletarischen Debatte kämpfen!

c) Und das heißt im Moment natürlich: Die Frage nach der Revolution þ revolusi þ aufnehmen und wieder in die gesellschaftliche Debatte bringen. Wir dürfen diese Frage nicht den Chefs der Weltbank und den Militärs in Jakarta überlassen!


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