Wildcat-Zirkular Nr. 46/47 - Februar 1999 - S. 21-22 [z46exis1.htm]


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Ideologischer Klapperkasten

Am Anfang sind Gruppen wie »F.e.l.S. / Arranca« oder »Blauer Montag« bei ihrem Versuch, »die soziale Frage zu thematisieren«, recht unbekümmert auf die Forderung nach einem Existenzgeld aufgesprungen. Nachdem diese nun von verschiedenen Seiten kritisiert worden ist, [1] greifen ihre Verfechter in den letzten Veröffentlichungen die Einwände auf. Dabei gehört es zum (schlechten) Stil, die Kritik einzuflechten, zu relativieren oder als »revolutionaristisch« zu geißeln, um dann mit einem vielsagenden »Vorsicht Ambivalenz« zur Forderung zurückzukehren. Es käme darauf an, was wir daraus machen und irgendwie ließe sich schon daran anknüpfen. [2] Dabei wird ganz offen mit der Nähe der eigenen Forderung zu Grundsicherungsmodellen der bürgerlichen Parteien kokettiert, um dann mit dem Gejammere über die fehlenden sozialen Bewegungen die Kampagne zu rechtfertigen. Die Gedanken, die wir uns über die Welt und über gesellschaftsverändernde Politik machen, werden zur bloßen Ideologie erklärt: nämlich als theoretische Rechtfertigung für politische Entscheidungen, die ohnehin schon feststehen. In den Papieren zu den Arbeitsgruppen der Konferenz (Sozialstaatskritik, Prekarisierung, Ende der Lohnarbeit ...) werden wichtige inhaltliche Fragen aufgeworfen - aber die Protokolle der Vorbereitungsdiskussion zeigen mit zynischer Schärfe, daß es den Veranstaltern um inhaltliche Klärungen überhaupt nicht geht.

»Die Diskussion in den Foren sollte einen leichten bis mittleren strategischen Einschlag haben. Aufgrund bisheriger inhaltlicher Unklarheit sowie nicht vorhandener strategischer Positionen im Vorbereiterinnenkreis soll jedoch eine Betonung auf der inhaltlich differenzierten Diskussion liegen.«

»Es bleibt festzuhalten, daß die bisher ausgebliebene Diskussion und Verständigung ueber die Zielsetzung der Konferenz offen ausgebrochen ist. Eine grundsätzliche Ausrichtung der Konferenz auf politische Intervention über theoretische Diskussionen hinaus war Konsens. Daß vieles noch inhaltlich unklar ist bzw. die Positionen heterogen sind, ebenso.«

»Die Moderatorin soll eine parteiische Moderatorin sein, die die landläufigen linksradikalen Einwände gegen die Forderungen noch mal abklappert

(Aus Protokollen der Vorbereitungstreffen zur Arbeitskonferenz für Existenzgeld und eine radikale Arbeitszeitverkürzung im März '99 in Berlin)

Inhaltlich ist nix klar, aber weil es um »politische Intervention« geht, muß die Existenzgeldforderung durchgepowert werden. Die Grünen haben gezeigt, wie man »politikfähig« wird. Und der Student von heute will es ihnen nachmachen. Dafür hat er eine »dialektische« Staatstheorie auf Tasche, mit der er die eigene Laufbahn als Berufspolitiker rechtfertigen kann: »Allerdings wäre ein Begriff vom 'ideellen Gesamtkapitalisten' deutlich zu kurz, wenn dieser nicht auch berücksichtigt, daß es eben auch zur Aufgabe des Staates und staatsnaher Institutionen gehört, die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß die überwiegende Mehrheit sich mit dem gesellschaftlichen System identifizieren kann und dadurch jenes legitimiert. Hier liegen auch die Potentiale für emanzipatorische Veränderungen innerhalb des kapitalistischen Systems begründet.« (Positionspapier zur Sozialen Grundsicherung vom Bündnis linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen LiRa) Zynischer geht's nicht mehr: die ideologische Funktion des Staatsapparats, die Legitimation der kapitalistischen Verhältnisse zu sichern, also die Verdummung der Ausgebeuteten zu betreiben, wird zum »Potential« für emanzipatorische Veränderungen. Hier sind offensichtlich Leute auf der Suche nach ihrem sicheren und gutbezahlten Platz im Staatsapparat und müssen dabei nur noch ein bißchen linksradikale Vergangenheit beiseite räumen.

Mal im Ernst, was wollen Leute, die so argumentieren? Es ist ein Unterschied, sich 1500 Mark im Monat für sich selber gut vorstellen zu können, oder so ausgefeilte Legitimationstheorien für eine Kampagne und politische Bündnisstrategien aufzufahren. Denen ist die Diskussion um die Forderung, um politisches Eingreifen, um einen Weg zum Umsturz dieser beschissenen Gesellschaft völlig egal. Die sehen das ganze theoretische Geschwätz nur unter pragmatischen politischen Gesichtspunkten! Der »rote Gerhard« hat bei den Jungsozialisten auch mal so angefangen; und aus dem Mann ist schließlich was geworden - oder?


Fußnoten:

[1] Siehe z.B. die Debatte in der Zeitschrift »analyse und kritik«, einen kritischen Brief aus Freiburg, der auf der Internetseite zur Vorbereitung des Kongresses von Fels veröffentlich wurde, sowie Beiträge in den Wildcat-Zirkularen.

[2] Bezeichnend sind die Beilage zum ak »Schluß mit dem Streß« und das »Positionspapier zur Sozialen Grundsicherung« des Bündnisses linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen LiRa (http://www.nadir.org/nadir/initiativ/fels).


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