Wildcat-Zirkular Nr. 48/49 - März 1999 - S. 7-10 [z48bahnr.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 48/49] [Ausgaben] [Artikel]

Für eine Handvoll Dreck

Streik bei der Bahnreinigung in NRW '98

Das folgende ist ein Beispiel für Kämpfe in prekären Arbeitsbereichen, die zu wenig wahrgenommen und verarbeitet werden. Wir selber haben erst spät von dem Kampf erfahren, über NRW hinaus ist er kaum bekannt geworden.

Im Sommer 1998 streikten in NRW ca. 500 ArbeiterInnen 55 Tage lang bei der Bahnreinigung Köln GmbH (BRG), einer der vielen in den letzten Jahren gegründeten Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn AG. Innerhalb des ausgelagerten Reinigungsbereichs der Bahn existieren weitere Abstufungen: Vollzeit- und TeilzeitarbeiterInnen, geringfügig Beschäftigte sowie LeiharbeiterInnen aus anderen Firmen.

Die Bahnreinigung Köln GmbH ist für die Reinigung aller Fern-, Nahverkehrs- und S-Bahn-Züge in NRW zuständig. In mehreren Niederlassungen sind NRW-weit 1 700 ArbeiterInnen beschäftigt. Der Betrieb zeichnete sich aus durch: Stundenlöhne um die 14,- DM; ein brutales Schichtmodell, das nur ein freies Wochenende pro Monat garantierte; widerwärtige Arbeitsbedingungen, die verdreckten Züge sollen mit immer weniger Personal bei kürzeren Standzeiten gereinigt werden; Kündigungen und Kündigungsdrohungen wegen Krankheit. Also insgesamt harte Arbeit unter ständigen Bedrohungen bei schlechter Bezahlung: Die relativ höheren Monatslöhne (z.B. 2 200 bis 2 400 DM netto für Familienväter mit zwei Kindern) kommen nur durch viele Überstunden und ständige Nachtarbeit (Zuschläge!) zusammen.

Gewerkschaftskonkurrenz statt Klassenkampf

Bis zur Tarifrunde 1998 waren die Betriebsräte fest in der Hand der DGB-Gewerkschaft GdED (Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands). Über den GdED-Tarifabschluß mit 10 Pfennig Lohnerhöhung bei Stundenlöhnen um 14,00 DM und einer Begrenzung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent waren die ArbeiterInnen stinksauer.

In dieser Situation begann eine große Abwerbungsaktion der Verkehrsgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (GDBA). Sie versprach den ArbeiterInnen eine größere Unterstützung und ging mit einer Forderung von 4,5 Prozent in neue Verhandlungen. Die BRG lehnte ab, bei der folgenden Urabstimmung war NRW-weit eine überwältigende Mehrheit für Streik.

Die ArbeiterInnen in Köln (und nur mit diesen hatten wir Kontakt) stammen zu über 95 Prozent aus der Türkei. Im größeren Betriebsteil Köln-Deutz arbeiteten mehrheitlich Türken, im kleineren Betriebsteil Köln-Nippes mehrheitlich Kurden. Die Kommunikation während der Arbeit und auch während des Streiks lief fast ausschließlich auf türkisch, andere (Afrikaner und die wenigen Frauen) mußten sich ausgegrenzt fühlen.

Im Betriebsrat und der Belegschaft waren Arbeiter aus rechten und linken Parteien, die sich zwar mißtrauisch beäugten, den Streik aber gemeinsam führten. Spaltungsversuche der GdED und der BRG (zunächst: »Graue Wölfe stecken hinter dem Streik«, dann: »Kommunisten...«) hatten keinen Erfolg.

Ein Teil der ArbeiterInnen setzte große Hoffnungen in einen Streik mit der neuen Gewerkschaft. Einige hatten klar, daß der Streik vor allem das Produkt der verschärften Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften war: Alle Gewerkschaften suchen händeringend nach neuen Mitgliedern, entsprechend mußte die GDBA die Krallen ausfahren.

Der Streik wurde vom ersten bis zum letzten Tag unter breiter Beteiligung von ca. 150 Arbeitern (fast alle der Festangestellten) geführt. Die GDBA verlangte von den ArbeiterInnen in dem Sinne »aktiv« zu sein, während ihrer normalen Arbeitszeit die Streikposten vor den Toren zu besetzen; nur dort wurde Streikgeld ausgezahlt. Außer passiver Anwesenheit am Tor sah die GDBA allerdings überhaupt nichts vor. Das war vielen Arbeitern zu wenig, vor allem auch deshalb, weil bald nach Streikbeginn ein massiver Einsatz von Streikbrechern begann: Kollegen von der GdED und die bei neuen Leiharbeitsfirmen rekrutierten Arbeiter liefen direkt an den Streikenden vorbei auf das Bahngelände, den Streikenden selber war das Betreten verboten. Es kam mehrere Male zu Rangeleien, die Stimmung war explosiv. Direkte Aktionen an den Zügen in den Depots waren aber wegen der Größe des Geländes sehr schwierig. Außerdem ist der paramilitärische Charakter eines Bahngeländes nicht zu unterschätzen: der BGS gehört gewissermaßen zur Firma dazu, und sämtliche Bahnanlagen unterliegen Spezialgesetzen...

Erst auf Drängen der ArbeiterInnen ließ die GDBA nach zehn Tagen ein seichtes Flugblatt (sogenannte »Fahrgastinformationen«) verteilen - auch wir haben erst dadurch zufällig von dem Streik etwas erfahren.

Nachdem wir die Streikenden mehrmals an den Toren besucht hatten und uns die desolate Situation des Streikablaufs klargeworden war, schlugen wir einigen der Aktivisten eine Versammlung von allen vor. Trotz des Mißtrauens der Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter kam die Versammlung zustande, und viele Arbeiter brachten ihre Wut über die bisherige Unwirksamkeit des Streiks zum Ausdruck. Einige verlangten nach radikaleren Aktionen bis hin zum Vorschlag, im Hauptbahnhof die Gleise zu besetzen. Obwohl der einzige anwesende Betriebsrat ständig auf eine Beendigung der Versammlung drängte (»die Kollegen vertrauen uns, wir machen das schon«), gelang es, eine konkrete Aktion gegen den massiven Einsatz von Streikbrechern zu verabreden. Daraufhin gingen einige Tage später etwa zwanzig UnterstützerInnen und ein paar Arbeiter auf das Betriebsgelände und forderten die Streikbrecher zur Einstellung der Arbeit auf. Ein andermal besuchten einige Leute das Büro des Sklavenhändlers Wahl, der einen Großteil der Streikbrucharbeiten organisierte.

Erst jetzt sah sich die GDBA gezwungen, zwei Kundgebungen vor dem Hauptbahnhof zu organisieren. Das glitt der Gewerkschaft insofern aus den Händen, als die nach mehreren Wochen (!) Streik langsam ungeduldigen Arbeiter die Straße vor dem Hauptbahnhof blockierten und aus einer der Kundgebungen heraus zum Büro der BRG marschierten.

Trotz vieler kleiner Aktivitäten verharrte der Streik innerhalb des Machtspiels der Gewerkschaft. Die Streikführer waren von der GDBA ernannt worden und hielten sich loyal an deren Anweisungen. Auch die aktivsten Streikenden hatten nicht genügend Selbstvertrauen und Erfahrung, eigenständige, von der Gewerkschaft unabhängige Strukturen (Streikkomitee o.ä.) aufzubauen: Z.B. gab es zwar Sympathie für die Idee, sich mit den Streikenden aus anderen Betriebsteilen (z.B. Aachen, Dortmund) auszutauschen, aber sie wurde nie in die Tat umgesetzt; und die GDBA hatte selbstverständlich kein Interesse daran.

In der Öffentlichkeit wurde der Streik systematisch totgeschwiegen oder diffamiert. In der bürgerlichen Presse gab es überregional keinen einzigen, in der Lokalpresse nur einen nichtssagenden Bericht während fast acht Wochen Streik. Die GdED, die bei der Umstrukturierung der Bahn voll mitzieht, hetzte auf Flugblättern und in ihrer Zeitung gegen den Streik. Die (DGB)-Gewerkschaftslinke verhielt sich (vermutlich auch wegen der gewerkschaftlichen Konkurrenzsituation) bis auf wenige Ausnahmen abwartend. Unterstützung aus anderen Arbeitsbereichen der Bahn blieb aus, obwohl auch dort die Unzufriedenheit wegen steigender Arbeitsbelastungen und der Umstrukturierung sowie der ständigen Entlassungsankündigungen groß ist.

Während des Streiks hat sich erst sehr zögerlich ein kleines Grüppchen von UnterstützerInnen gebildet, das dann allerdings kontinuierlich und mit großem Aufwand den Streik unterstützte. Glücklicherweise gab es insgesamt wenig Probleme mit ML-Parteiprofilierungsversuchen. Die Gruppe der UnterstützerInnen blieb zwar stabil, konnte sich aber nicht ausweiten. Insofern waren diese Möglichkeiten ebenfalls begrenzt.

Ein Streikende zum Kotzen

Nach 55 Tagen brach die Gewerkschaft den Streik ab, ohne im Vergleich zu dem Tarifabschluß der GdED etwas erreicht zu haben: kein Pfennig mehr bei den Löhnen, nur eine Einmalzahlung von 100,- DM und weiterhin die monatliche statt wie von der GdED vereinbart halbjährliche Auszahlung der Überstunden.

Bei der Urabstimmung wurde das Ergebnis von knapp 74 Prozent der Arbeiter in ganz NRW abgelehnt, in der BRG-Niederlassung Aachen z.B. waren es sogar 100 Prozent. Für solche Fälle hat jede Gewerkschaftssatzung vorgesorgt, und so galt das Ergebnis mit einer Mehrheit von über 25 Prozent der Stimmen (es waren genau 26,13 Prozent, viele Arbeiter sprachen von Manipulation) als angenommen. Die GdED titelte in ihrem Streikkommentar hämisch: »Dumm gelaufen«, und zitierte fleißig BGS-Meldungen über Sachbeschädigungen seitens der Streikenden.

Die Luft war raus, Wut und Enttäuschung waren groß. Einer der Hauptgründe für dieses niederschmetternde Ergebnis ist sicherlich gewesen, daß es der BRG mithilfe der Streikbrecher gelungen war, ca. 70 Prozent der Arbeit auch während des Streiks erledigen zu lassen: mit verdreckten Sitzen, zugeschissenen Klos und vollgekotzen Gängen konnten die streikenden Arbeiter also auch keinen Druck entfalten; deshalb hatte es die Deutsche Bahn AG als Auftraggeberin auch nicht nötig gehabt, auf ein schnelleres Ende des Streiks zu drängen.

Nach Streikende haben einige der Aktivsten von selber gekündigt, anderen wurde die Kündigung angedroht. Wieder andere ließen sich bereitwillig zu Vorarbeitern machen und trieben jetzt die Streikkollegen der vergangenen Wochen an die Arbeit. Schichtgruppen wurden auseinandergerissen usw.. Die Löhne wurden von der BRG unter Druck gesetzt, indem den Arbeitern die (perverserweise überlebenswichtigen) Überstunden weggenommen wurden.

Die GDBA ist während des gesamten Streiks die Klammer für all die verschiedenen Grüppchen innerhalb der Belegschaft gewesen, die sich jeweils einzeln nichts zugetraut haben. Die fast perfekte Isolierung (nicht nur) in der bürgerlichen Öffentlichkeit hat diesen Mangel an Selbstbewußtsein und Fähigkeit zur Selbstorganisation noch verstärkt.

Aus dieser Erfahrung ist uns in Köln noch mal klar geworden, daß wir selber Strukturen brauchen, die viel schneller und stärker zur Unterstützung solcher Kämpfe in der Lage sind.

D., F. und N. (Köln)


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 48/49] [Ausgaben] [Artikel]