Wildcat-Zirkular Nr. 54 - November 1999 - S. 34-36 [z54leiha.htm]


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Im letzten Zirkular haben wir einen Artikel über die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Zeitarbeitsfirmen veröffentlicht, die für die Expo 2000 in Hannover extra einen Tarifvertrag abgeschlossen haben, damit die dort 7 000 benötigten Arbeitskräfte keinen unvorhergesehenen Ärger machen ... Inzwischen gibt es eine weitere

Gewerkschaftliche Absegung für die Ausbeutung durch Sklavenhändler

Am 1. Juli 99 trat ein Tarifvertrag zwischen der IG Metall und den Firmen BSK, Timeflex und Top, alles Tochterunternehmen der holländischen Start Holding, in Kraft. Diese drei Unternehmen beschäftigen ungefähr 1600 ArbeiterInnen.

Beide Seiten feiern diesen Vertrag mit großem Presseaufwand als Durchbruch gegen das »Schmuddelimage« der Branche.

Die IG Metall brachte es in ihrer Monatszeitschrift so auf den Punkt: »Zeitarbeit poliert den Ruf«. Anzeigen von BSK und Timeflex, die jetzt mit dem Zusatz »Wir bieten Ihnen: IG Metall-Tarifvertrag« werben, »motivieren auch Arbeitssuchende, für die Leiharbeitsfirmen bisher tabu waren«. Diese Einschätzung trifft sich mit dem Interesse der entsprechenden Leiharbeitsfirmen, in Tarifverträgen Mindestbedingungen (die noch nicht mal viel kosten!) festzuschreiben, um »bessere Arbeitsqualität be den Entleihfirmen abliefern zu können«, wie der weitsichtige Geschäftsführer der Start Holding auf einer Pressekonferenz erklärte. Er weist auch noch auf einen anderen wichtigen Zusammenhang hin: »Gehen wir davon aus, daß in den Unternehmen die Betriebsräte den Einsatz von Leihpersonal mitentscheiden, dann kommt es hier auf die Empfehlung durch die Gewerkschaften an« (alle Zitate aus »metall« 7 und 8/99).

Welcher Betriebsrat einer Entleihfirma will noch Bedenken gegen die Rekrutierung von LeiharbeiterInnen anstelle von direkten befristeten oder festen Einstellungen in seiner Firma anmelden, wenn ihm ein Tarifvertrag mit der IG Metall vor die Nase gehalten werden kann?

Zusätzlich haben einige größere Sklavenhändler längst begriffen, daß es für sie langfristig günstig ist, sich auch selber einen Betriebsrat zu halten, denn der Aufschwung in ihrer Branche (1998 mit ungefähr 400 000 Leiharbeitern immerhin 20 Prozent mehr als noch 1997) birgt auch Gefahren in sich: Leiharbeiter bewegen sich inzwischen eben nicht nur vereinzelt in den Entleihbetrieben, sondern oft auch in größeren Gruppen. Die Möglichkeit, in dieser Situation miteinander in Kontakt zu kommen, sich über die gemeinsame Lage zu verständigen, zusammen Forderungen zu stellen, kann durchaus gefährlich werden.

Tarifvertrag und Betriebsrat sind der Versuch, nach klaren Regeln die kleinen und größeren Wehwehchen der Beschäftigten und vor allem Ansätze von Gegenwehr in vorgegebenen Bahnen zu regulieren. Außerdem macht sich ein Betriebsrat gut, der in der Firmenwerbung die Vorzüge seines Unternehmens anpreist... Bei der letzten Zeitarbeitsmesse im Kölner Arbeitsamt, auf der ca 20 Sklavenhändlerfirmen für ihre Jobs werben und rekrutieren durften, hatte z.B. BSK auch ihre Betriebsräte aufgeboten, um den arbeitslosen MessebesucherInnen ihre Firma näherzubringen.

Die Gewerkschaften versuchen mit den Tarifverträgen Einfluß in dieser wachsenden Branche zu gewinnen und Mitglieder zu werben, denn die Verträge gelten nur für solche.

Absicherung der beschissenen Bedingungen für LeiharbeiterInnen per Tarifvertrag

Ein Blick in den vielgepriesenen neuen Tarifvertrag zeigt, daß er in keiner Weise die grundsätzlichen Sonderbedingungen der Leiharbeit antastet, sondern nur die gängige Praxis in dieser Branche vertraglich reguliert:

Die PR-Abteilungen der beteiligten Unternehmen und der IG Metall weisen ständig auf den sogenannten Ecklohn von 17,30 DM hin. Dabei handelt es sich um die Hauptstufe der Lohngruppe 5 (von insgesamt neun Lohngruppen), die für erfahrene Facharbeiter mit Brief gilt. In Wirklichkeit erreichen höchstens 50 Prozent der ZeitarbeiterInnen diesen Lohn. Für die »Ungelernten« geht es nur um die Einstufung in die jeweilige »Eingangsstufe« einer der ersten drei Lohngruppen. Dort bleibt man für mindestens drei Monate (möglicherweise aber auch für die gesamten sechs Monate der Probezeit).

Im Fall des neuen Tarifvertrages geht es für die meisten ArbeiterInnen also um einen Stundenlohn von 13,15 DM in der Lohngruppe 1 (für alle Produktions- und Montagehelfertätigkeiten), 13,97 DM in der Lohngruppe 2 (z.B. für Lagerarbeiter und Staplerfahrerinnen) und 14,49 DM in der Lohngruppe 3 (z.B. für »geschulte TelefonistInnen« im »Call-Center«).

Schon die »Hauptstufe« der jeweiligen Lohngruppe (da gibt es jeweils ca. 80 Pfennig mehr in der Stunde) ist für die Mehrheit der ArbeiterInnen unerreichbar: Denn nach Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit werden durchschnittlich 70 Prozent der ArbeiterInnen von den Sklavenhändlern spätestens nach drei Monaten wieder rausgeschmissen bzw oder verabschieden sich von selber, wenn sie von den Segnungen der Zeitarbeit die Schnauze voll haben, weitere 20 Prozent sind nach maximal einem Jahr wieder weg.

Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld, von der IG Metall stolz als Errungenschaft präsentiert, werden die allermeisten LeiharbeiterInnen niemals zu sehen bekommen, denn diese beiden Leistungen gibt es laut Tarifvertrag erst nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit.

Der jährliche Urlaubsanspruch von vier Wochen, ebenfalls einer der »Eckpunkte« des Vertragswerkes, entspricht genau der Minimalregelung, die im Bundesurlaubsgesetz vorgesehen ist.

Sämtliche Flexibilisierungsmöglichkeiten der Leiharbeit, die durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt und mit seiner Liberalisierung seit 1997 verschärft worden sind, werden durch den Tarifvertrag überhaupt nicht angetastet: die ArbeiterInnen können weiter jeden Tag woandershin abkommandiert werden, ihre Arbeitszeiten können täglich wechseln, in den »verleihfreien Zeiten« gelten die niedrigen Grundlöhne, der Arbeitsvertrag kann von vornherein auf einen einmaligen Verleih befristet werden.

Die ArbeiterInnen in den Entleiherfirmen werden mit KollegInnen konfrontiert, die zu noch schlechteren Bedingungen als sie selber malochen müssen. Das alles jetzt auch mit der höheren Weihe von Gewerkschaft und Betriebsrat. Auf diese Weise soll den »StammarbeiterInnen« suggeriert werden, daß sie keine Ansprüche mehr anzumelden haben, wenn neben ihnen jemand steht, der 30 Prozent weniger verdient. Zusätzlich sollen mit LeiharbeiterInnen die berühmten »Auftragsspitzen« abgefangen werden. Aus Sicht der »Stammbelegschaft« heißt das, sie arbeiten ständig am Anschlag, denn es gibt keine festen Personalreserven mehr.

Solche Tariflöhne machen besondere Niedriglohnsektoren überflüssig

Laut IG Metall wirken Tarifverträge mit Zeitarbeitsfirmen »der Diskussion um Niedriglohntarife entgegen und helfen, den ersten Arbeitsmarkt zu stabilisieren«. Recht haben sie: wer, wie die Gewerkschaft, niedrige Löhne immer mehr zum Normalfall des Arbeitsmarktes macht, braucht sich nicht mehr um Spezialtarife auf zweiten oder dritten Arbeitsmärkten zu sorgen. Außerdem kann sich ein Stundenlohn von 13,15 DM im Vergleich mit dem Gewerkschaftstarif z.B. in der Gastronomie durchaus sehen lassen.

Auch so manche »normale« Regelung im Manteltarifvertrag der Metallbranche bieten den Unternehmen z.B. eine variable Gestaltung der Arbeitszeit zwischen 29 und 50 Stunden, und für 18 Prozent der Beschäftigten kann die Arbeitszeit dauerhaft auf 40 Stunden pro Woche ausgedehnt werden. »Härtefallklauseln« in den neuen Bundesländern wurden bereits von über 100 Unternehmen »zu einem befristeten Abweichen von Tarifstandards genutzt«. Auch im Westen gibt es eine »allgemeine Öffnungsklausel«, die in »Krisensituationen des Unternehmens« (!) »UntertarifEntgelte« vorsieht (alle Angaben nach einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut des DGB, laut Frankfurter Rundschau vom 20.8.99).

Leiharbeit kann also inzwischen nur deshalb als etwas relativ »Besseres« im Vergleich zu früheren Zeiten angesehen werden, weil die Bedingungen der »Normalarbeitsverhältnisse« immer beschissener werden.

N., Köln, 11.10.99


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