Wildcat-Zirkular Nr. 54 - November 1999 - S. 10-27 [z54timor.htm]


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Kriegstrommeln

Osttimor gilt als erfolgreiche UN-Intervention und als erfolgreiche humanitäre Aktion von bewaffneten Friedenstruppen. Damit ist nach dem Krieg gegen Jugoslawien ein neuer Präzedenzfall durchgesetzt worden: Soldaten können Gutes tun... Das stimmt für Osttimor sowenig wie für den Kosovo. Es ging nie um die Osttimoresen. Sie haben einen hohen Preis bezahlt, um einen anderen Staat zu erhalten, von dem vorerst nur sicher ist, daß er den Führern der osttimoresischen Befreiungsorganisationen zu vielen angesehenen Posten verhelfen wird. Die anderen Akteure (UN/Australien und indonesischer Staat/Militär) hatten (und haben weiterhin) eine andere Krise zu bewältigen: Indonesien.

Überblick über die Geschichte Osttimors

Anfang des 16. Jhd. landeten die Portugiesen bei ihren Handelsreisen zu den Gewürzinseln (Molukken) wiederholt auf Timor. Mitte des 17.Jhd besetzte die holländische Ostindienkompagnie Kupang (heutige Hauptstadt Westtimors) und zwang die Portugiesen, nach Osten zurückzuweichen. Endgültig wurde die Grenze zwischen Ost- und Westtimor erst 1914 vereinbart.

Nach dem 2.Weltkrieg begann in Niederländisch Ostindien der anti-koloniale Befreiungskampf. Aus den befreiten Kolonien entstand Indonesien. Westtimor als ehemalige holländische Kolonie wurde Teil davon. Osttimor blieb portugiesische Kolonie.

Die Osttimoresen betrieben meist bäuerliche Selbstversorgung, also Subsistenzwirtschaft, an der Küste gab es Fischer. Der Handel wurde seit Generationen von eingewanderten Chinesen dominiert, diese waren 1975 2% der Bevölkerung. Die Portugiesen hatten ein paar Kaffeeplantagen angelegt, wo auch heute noch sehr hochwertiger Kaffee wächst. Zunächst war Sandelholz das Hauptexportprodukt, aber die Wälder wurden zunehmend abgeholzt. Ansonsten zeigte die Kolonialmacht kein besonderes Interesse an einer Entwicklung Osttimors, Infrastruktur, Schul- und Gesundheitswesen waren äußerst bescheiden, 1975 soll es gerade mal 20km asphaltierte Straße gegeben haben.

1974 kam es in Portugal zu einem unblutigen Staatsstreich, der sogenannten »Nelkenrevolution«. Beinahe 50 Jahre lang war Portugal Diktatur gewesen. Nach dem Sturz der Diktatur wurde nach innen demokratisiert und nach außen die Entkolonialisierung eingeleitet. Das portugiesische Kolonialreich war einer der Gründe für den Putsch gewesen, die Armee hatte die Schnauze voll von den Kämpfen in Afrika. 74/75 wurden die fünf portugiesischen Kolonien in Afrika unabhängig.

Portugal begann mit der Entkolonialisierung Osttimors, indem es ab 74 demokratische Strukturen einführte. Drei osttimoresische Parteien entstanden: UDT und Fretilin, die für die Unabhängigkeit waren, und die Apodeti, die für den Anschluß an Indonesien war. Im Februar und März 75 wurden Kommunalwahlen abgehalten, die die Fretilin, die radikalste der drei Parteien mit 55% der Stimmen gewann.Das Ergebnis der pro-indonesischen Apodeti war vernachlässigbar.

Durch Intrigen Indonesiens vorbereitet, begann im August 75 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen den beiden großen Parteien UDT und Fretilin. Die Fretilin, die besser ausgerüstet und wesentlich beliebter war, gewann nach wenigen Wochen die Oberhand.

Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs verdrückte sich die ganze portugiesische Verwaltung, ohne die Entkolonialisierung offiziell abgeschlossen zu haben. Deshalb gilt Osttimor bei der UN bis heute als »Territorium ohne eigene Regierung«.

Die Portugiesen waren weg. Fretilin war, nach den Siegen bei den Kommunalwahlen und im Bürgerkrieg, in der Rolle der de-facto-Regierung. Sie bauten eine Verwaltung auf und initiierten Programme zur Verbesserung der sozialen-, schulischen- und Gesundheitssituation.

Am 28. November 75 erklärte die Fretilin Osttimor für unabhängig und rief die Demokratische Republik Osttimor aus. Am 7. Dezember begann die indonesische Armee die Invasion in Osttimor, einen Tag nach einem Treffen zwischen dem damaligen Diktator Soeharto und dem US-Präsidenten.

Die Invasion begann mit der Bombardierung Dilis von See aus. Schrittweise eroberten die Indonesier weitere Städte. Bis zum April 76 hatten sie 35 000 Soldaten auf Osttimor stationiert. Denen stand die Fretilinarmee Falintil gegenüber, die nach der Staatsgründung praktisch die Armee Osttimors war. Sie bestand aus 20 000 Mann, jedoch hatten die meisten nur eine kurze militärische Ausbildung.

Bis 78 konnte die Falintil aber noch einen Großteil des ländlichen Gebiets halten. Das indonesische Militär reagierte mit Flächenbombardierungen, Zerstören der Felder und Massenvertreibungen. In den ersten Jahren der Besetzung kamen 200 000 Osttimoresen um, entweder direkt massakriert oder verhungert oder durch Epidemien in den Flüchtlingslagern. Man schätzt, daß 80% der osttimoresischen Dorfbevölkerung im Laufe der Besatzungszeit umgesiedelt wurde.

1979 war die Falintil beinahe am Ende, sie hatte 90% der Waffen und 80% der Truppen verloren. Da beschlossen sie, den Krieg als Guerillakrieg weiter zu führen. Die einige hundert Mann starke Guerilla soll tausende indonesische Soldaten getötet haben.

Im Juli 76 wurde Osttimor als 27. Provinz offiziell Indonesien eingegliedert. [1] Im Westen wurde diese Annektierung aber nur von Australien anerkannt.

Indonesien investierte wesentlich mehr in die Entwicklung Osttimors als Portugal. Besonders in die Infrastruktur, Schulen, Gesundheitszentren und die aufgeblähte Verwaltung. Zum Schluß sollen die Investitionen 110Mill. Dollar pro Jahr betragen haben, ohne die militärischen Kosten. Gleichzeitig eignete sich die militärische und politische Nomenklatura die Ressourcen an. Der Klüngel um Soeharto hat heute noch großen Landbesitz dort, Armeechefs übernahmen Kaffeeplantagen. Viele der öffentlichen Gelder aus Indonesien für Osttimor landeten in privaten indonesischen Geldbeuteln.

13 Jahre lang war Osttimor nach außen abgeschlossenes Territorium. Das Militär reagierte auf den anhaltenden Widerstand mit Massakern, willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen, Folter.

1989 wurde Osttimor für Ausländer und Indonesier geöffnet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Indonesier dort stationierte Soldaten und dorthin versetzte Staatsdiener, Verwaltungsleute, Lehrer, Ärzte gewesen. Ab 89 konnten auch ganz normale Indonesier einwandern, teilweise als von der Regierung gesponserte Transmigranten, teilweise auf eigene Faust. Ende 98 waren 20% der Bevölkerung Einwanderer aus Indonesien. Sie waren nicht beliebt bei den Einheimischen. 1995/96 gab es eine Serie von Riots gegen indonesische Marktstände und Moscheen.

In der UN gab es im Laufe der Jahre verschiedene Resolutionen, in denen Indonesien zum Abzug aufgefordert wurde. So wirklich hat sich aber niemand drum gekümmert, außer Portugal. Zur Zeit der Besetzung war noch kalter Krieg und die Freteilin war links, galt sogar als »marxistisch«, dagegen war das indonesische Regime stramm anti-kommunistisch.

Diejenigen, die sich um Osttimor kümmerten waren:

Erst in den 90er Jahren wächst das Interesse der »internationalen Gemeinschaft« an Osttimor. Der Bischoff vonDili und ein Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung erhalten den Friedensnobelpreis. Der Hintergrund: Indonesien war zu einem der aufstrebenden Tigerstaaten geworden. Gleichzeitig war das Ende der Soeharto-Ära absehbar. Nicht nur aus biologischen Gründen, er war alt geworden und ein Nachfolger nicht in Sicht, sondern auch, weil durch das Entstehen von städtischer Arbeiterklasse und intellektuellem Mittelstand Strukturen unhaltbar wurden, die aus Zeiten stammten, als die meisten Indonesier noch Bauern waren.

Indonesien

Und tatsächlich begann im Jahr der Nobelpreisverleihung an Belo und Ramos-Horta das Ende der Soeharto-Diktatur (»Orde Baru«) mit einem Aufstand in Jakarta im Juli 96 [2]. Der konnte sich zwar noch nicht durchsetzen, aber als 97 die Asienkrise ausbricht, verliert die Diktatur ihre Rechtfertigung: politische Unterdrückung, dafür aber Wirtschaftswachstum. Aufstände und Studentenbewegung führten im Mai 98 zum Rücktritt Soehartos.

Das war durchaus auch im Sinne des Kapitals. Die verknöcherte und durch und durch korrupte Staatsverwaltung war zuletzt auch ein Hemmnis für freies unternehmerisches Wirken, vor allem für das ausländische Kapital geworden. Die Kosten für Steuern, Abgaben, Geschenke usw. waren höher als die Lohnkosten. Soeharto hatte sich auch recht starrköpfig gegenüber den Rettungsmaßnahmen des IWF gezeigt. Während aber auf der einen Seite der Nachfolger Habibie ohne größere Reformen die Regierung übernehmen konnte, holte sich die indonesische Gesellschaft mehr Freiheit und mehr Freiheiten als dem Kapital guttut. Der Einfluß und vor allem die Autorität des Militärs schwand in den Auseinandersetzungen mit den Großdemonstrationen, die von den Studenten organisiert worden waren und unter dem Druck einer explodierenden Diskussionskultur, ausgedrückt in einer großen Zahl von neu gegründeten oder neue Freiheiten ausnützenden Zeitungen und Zeitschriften. Die ganzen Menschenrechtsverletzungen während der Soeharto-Ära, ja selbst die Lügen, die über ihren Beginn gestrickt worden waren, wurden plötzlich thematisiert. Der Rückzug des Staats insgesamt führte dazu, daß im zweiten Halbjahr 98 Indonesien sicher mit zu den freiesten Ländern der Welt gehörte. Jedenfalls in Bezug auf bürgerliche Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit usw. - nicht aufgrund einer »Demokratisierung«, sondern weil sich die Menschen um alte Gesetze nicht mehr scherten. KKN (Korupsi, Kolusi, Nepotisme) und Reformasi waren die Schlagwörter des Jahres 98, sogar Habibie forderte »Reformasi total«.

Der Staat war zurückgedrängt, was für die Menschen bedeutete, daß er sowenig für sie tat wie in der Vergangenheit, daß es aber möglich war, sich selber drum zu kümmern. Vor allem Bauern und ArbeiterInnen setzen das um: von großen Plantagen bis zu Golfplätzen werden Ländereien besetzt; 496 »Streiks und industrielle Aktionen« zählte die Polizei für 1998. Bei diesen Aktionen war die Reaktion von Polizei/Militär uneinheitlich und unsicher. Mal beobachteten sie nur, mal versuchten sie zu schlichten (manchmal wurden auch die Chefs gedrängt, nachzugeben), mal reagierten sie aber auch mit Knüppelorgien oder schossen scharf, wie beim Maspionstreik in Surabaya im März diesen Jahres.

In dieser Unsicherheit des Militärs drückte sich nicht nur der politische Druck sovieler neuer Wünsche, Hoffnungen und die Wut über die Krismon (Krisis moneter) vor allem bei den einfachen Soldaten aus. Sondern auch das radikale Scheitern einer antikommunistischen Ideologie, die weitgehend unverändert während Soehartos »Orde Baru« in den Streitkräften, Schulen usw. kultiviert worden war. Die »Unruhen« sehen zwar irgendwie kommunistisch aus, aber es fehlt der Feind, die Kommunistische Partei. Sogar die »Ninja"-Serienmorde [3] in Ostjava im Oktober/November 98 versuchten einige Offiziere den »Kommunisten« unterzuschieben - ohne Erfolg; erfolgreicher war die Vermutung, daß es Kreise im Militär waren, die schlicht versuchten, Mord und Totschlag zu säen. Von reaktionärer und Staatsseite werden Unruhen aller Art mit dem Wirken von »Provokateuren« (entspricht etwa unseren »Rädelsführern«) erklärt - und diese gesucht, was das Leben für einzelne, jenseits der halboffiziellen NGOs aktiven Menschen erheblich erschwert hat.

Mehrere Tausend Menschen sind allein in diesem Jahr vordergründig aus religiösem oder ethnischem Haß umgebracht worden; auf den Molukken, in Nordostkalimantan, auch auf Java selber. Vordergründig, weil immer das soziale Elend und fast immer die Geschichte der Transmigrasi zum Vorschein kommt. Mehrere Millionen Menschen sind während der Orde Baru von Java und Sulawesi in weniger dicht besiedelte Gebiete umgesiedelt worden; z.T. zwangsweise, z.T. mit Anreizen, etwa Ackerland, das zuvor oft den Alteingessenen gestohlen worden war. So galt die Wut der Menschen in Ostkalimantan den zugewanderten Maduresen; auf den Molukken, die traditionell nicht ausschließlich, aber mehrheitlich christlich waren den zugewanderten Moslems. Entsprechend gab es im Schatten von Mord- und Totschlag auch große Flüchtlingswellen, meist zurück zum Rest der Familie »in der alten Heimat«. Auch dabei fand das Militär keine einheitliche Linie, mal griff es gar nicht ein, mal beteiligte es sich am Massenmord.

Die Studentenbewegung hat sich inzwischen etwas ausdifferenziert; die ganz großen Demos wie noch im Mai und Juni letzten Jahres kommen nicht mehr zustande. Ein Teil der StudentInnen hat sich zurückgezogen, bzw. hat mit dem eigenen Überleben zu kämpfen. Ein Teil hat Hoffnungen auf die Wahlen und auf die »Demokratie« gesetzt und ist in die Parteien gegangen. Ein kleinerer Teil hat sich in vielfacher Weise radikalisiert; das sieht man nicht nur an der Militanz der Demos anläßlich der Verabschiedung des Notstandsgesetztes im späten September. Sondern aus der Studentenbewegung ist auch, lokal unterschiedlich, Unterstützung für die Arbeiter (und Bauern) erwachsen; »hinter« manch einem Streik stecken linksradikale Studenten - mal als Gruppe, mal einzelne Personen. Die halb sozialdemokratisch, halb leninistische PRD hat einen Teil dieser Menschen anziehen bzw. organisieren können. Viele Radikale lehnen die PRD wegen ihrer weitgehend kritiklosen Beteiligung an den Wahlen ab.

Studentendemos und Bauern- und Arbeiterkämpfe laufen immer noch nebeneinander her, auch wenn sich Berichte darüber mehren, daß die Demos gerade dann massenhafte Unterstützung von außerhalb der Unis kriegen, wenn sie in Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften geraten. Noch kümmern sich die Bauern und ArbeiterInnen zuerst mal um ihre eigenen Probleme. Und zumindest für die ArbeiterInnen kann man immer noch davon ausgehen, daß - von der vereinzelten Unterstützung kleiner Gruppen oder auch NGOs abgesehen - sie ihre Streiks selber organisieren. Gewerkschaften sind erst ansatzweise entstanden. Daß daraus Gewerkschaften als kapitalistische Vermittlungsinstitutionen entstehen könnten, wäre nicht undenkbar. Dafür wäre Akzeptanz von Seiten des Staates und der Kapitalisten nötig; diese gibt es aber noch nicht, denn das würde Geld kosten und ganz allgemein voraussetzen, daß die indonesische Wirtschaft schnell aus der (Asien-)Krise herauskommt.

Die Parlamentswahlen sind zwar friedlich verlaufen, aber die politischen Figuren stammen alle noch aus Soehartozeiten und können nicht mit den korrupten Strukturen brechen. Eine neue Politikergeneration, z.B. aus der Studentenbewegung heraus, ist noch nicht herangewachsen. Darüberhinaus ist in dem engen Raum zwischen den Machtgelüsten der alten Reichen mit dem Militär und den Erwartungen der Wähler gar keine andere bürgerliche Politik möglich, als plumper Populismus - also leere Versprechungen und Mobilisierung von Nationalismus (und gegebenenfalls Religion) auf der einen Seite und Vertuschung und Weiterführung der KKN auf hoher Ebene. Eine Politik, die - etwa im Sinne des IWF oder der Weltbank - die Finanzen und das Banksystem in Ordnung bringt und gleichzeitig anfängt, die ArbeiterInnen zu integrieren, ist weder gewollt, noch angesichts von Kräfteverhältnissen, Reichtumsverteilung und andauernder Krise machbar. Das zeigt nicht zuletzt der Großskandal um die »Bank Bali«, eine Bank, die vom Staat mit IWF-Geldern refinanziert worden ist. Von dort sind über kleine Umwege 60 Millionen US$ in den Präsidentschaftswahlfond Habibies geflossen; das ist seit mehr als drei Monaten bekannt, aber die Aufklärung geht so schleppend voran, daß der IWF die Kommunikation mit der indonesischen Regierung vorübergehend auf Eis gelegt hatte. In den Skandal verwickelt sind nicht nur der Bruder Habibies, sondern auch wichtige Minister seiner Regierung und der Chef der Bankrestrukturierungsbehörde.

Das alles muß äußerst beunruhigend für die Herren Indonesiens, als auch für die Herren der Welt sein. Das bisherige Pulver ist verschossen, die Gelder von IWF und Weltbank sind zu gut 4/5 aufgebraucht.

Die gemachte Krise

Daß die Entwicklung in Osttimor, einschießlich des Wütens der Milizen in Form von Massenmord und Vertreibungen vorhersehbar war, ist unstrittig. Die bürgerlichen Kommentatoren und die »linken« staatshumanistischen Kriegstreiber drücken sich natürlich vor der einzig möglichen - und schrecklichen - Schlußfolgerung: die Entwicklung war auch gewollt (zumindest von Indonesien und der UN) und in Kauf genommen von den Führern der osttimoresischen Befreiungsbewegung und ihren Soli-Freunden in aller Welt.

Es lassen sich vier Phasen der Entwicklung dieser Krise unterscheiden (zum genauen Ablauf siehe die Chronologie im Anhang):- Vom Sturz Soehartos zum Abschluß der Abkommen über Autonomie und Referendum am 5. Mai- Vorbereitung und Durchführung des Referendums und- das anschließende Wüten der pro-Indonesischen Milizen und die Intervention der internationalen »Friedenstruppen"- erfolgreiche Präsidentenwahl in Indonesien und Abzug der indonesischen Truppen aus Osttimor

Vom Aufbruch in Indonesien bis zur Anerkennung der Zuständigkeit Indonesiens für Osttimor

Die Massenbewegungen, die den Sturz Soehartos verursacht haben und anschließend das Militär in Indonesien zurückgedrängt und in seiner Autorität beschädigt haben, stehen am Anfang. Sie erst haben die Voraussetzungen geschaffen, daß ein innen- und wirtschaftspolitisch erfolgloser Präsident Habibie die Autonomie für Osttimor vorgeschlagen hat. In der Version, die - vor intensiven Verhandlungen - der UN-Vertreter den im Lande verbliebenden FührerInnen der osttimoresischen Befreiungsbewegung vorstellte, war ein Zeitraum von etwa 10 Jahren vorgesehen, während dessen unter Bedingungen weitgehender innerer und sogar ökonomischer Autonomie eine Abstimmung über die weitere Zukunft Osttimors vorbereitet werden könnte. Die eigentlichen Verhandlungen über diesen Vorschlag der indonesischen Regierung beginnen etwa im Januar diesen Jahres, Partner sind die UN und Portugal, das seinerseits immer noch einen formellen Anspruch auf Osttimor in seiner Verfassung stehen hat. Diese Verhandlungen ziehen sich über das erste Vierteljahr 99 und während dieser Zeit organisieren sich die Milizen, zum Teil neu, zum Teil aus bereits seit langem bestehenden Hilfstruppen des Militärs. Es gab nie Zweifel darüber, auch nicht von indonesischen Seiten, daß sie in enger Kooperation mit dem indonesischen Militär standen. Sie wurden von ihm ausgerüstet und ausgebildet; zum Teil kaufen sie aber auch Gewehre von demoralisierten einfachen Soldaten (übrigens tun dies auch die Leute von der Falintil).

Es werden zwei Abkommen verhandelt: Eines über das vorgeschlagene Autonomiestatut und eines über die Vorbereitung und Durchführung einer Befragung der Osttimoresen durch die UN über Autonomie oder Unabhängigkeit. Seit Januar verbreiten die Milizen in einer Kombination von bewaffneten Demos, Todesdrohungen und Anschlägen Angst und Schrecken; es finden Massaker statt. Nicht nur die Zeitungen und australische Geheimdienste berichten über das Zusammenwirken von Militär und Milizen, sondern auch die internationale Solibewegung warnt vor einer Zusammenarbeit mit Indonesien und fordert dafür - zusammen mit Führern der Fretilin - aber die sofortige Entsendung bewaffneter »Friedenstruppen« (was zu sofortigem Krieg mit Indonesien geführt hätte, und eine solche Verschärfung der Krise hätte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt weder dem indonesischen Militär noch der UN recht sein können). Die Durchführung eines Referendums gehört zur Standardprozedur der UN in »Territorien ohne eigene Regierung«, wer jedoch die schnelle, praktisch sofortige Durchführung eines Referendums ins diplomatische Spiel gebracht hat, ist unklar. Bekannt ist, daß die indonesische Regierung in Person ihres Außenministers Alatas mehrfach zur Eile drängt.

Die UN schert sich weder um die Ereignisse in Osttimor noch um die Warnungen, die sie von allen Seiten erhält. Sie schließt am 5. Mai 99 zwei Abkommen mit Indonesien (unter Einbeziehung Portugals). Die beiden wichtigsten Dinge, die zu diesen Abkommen festzuhalten sind:Erstens. Mit beiden Abkommen anerkennt die UN in unterschiedlicher Weise die Oberhoheit Indonesiens bzw. sogar die zumindest vorübergehende Zugehörigkeit Osttimors zu Indonesien. Das Abkommen über das Autonomiestatut hätte bei seinem Inkrafttreten bedeutet, daß Osttimor zwar weitgehende staatliche Selbstverwaltung genossen hätte, aber völkerrechtlich ein Teil Indonesiens (geworden) wäre. Das Abkommen über das Referendum beinhaltete nicht die Unabhängigkeit Osttimors. Es regelt nur die Vorbereitung und formelle Durchführung einer »Befragung« der Osttimoresen durch die UN. Es beinhaltet keinerlei damit automatisch verbundenen völkerrechtlichen Konsequenzen. Es lag juristisch bei Indonesien, die Unabhängigkeit Osttimors anzuerkennen. Dagegen regelte es, daß Indonesien für die Sicherheit zuständig war und legalisierte damit ganz im Gegensatz zur bisherigen Rechtsposition der UN die Anwesenheit und Macht des indonesischen Militärs.Zweitens. Es gibt in den beiden Abkommen unterschiedliche Definitionen darüber, wer als Osttimorese/Osttimoresin gilt. In beiden Abkommen ist es die Geburt, bzw. die ethnische Abstammung (oder die »Einheirat«). Aber nur im Autonomiestatut wird dies um diejenigen erweitert, die seit 5 Jahren dort leben. Der Unterschied: die meisten der 200 000 Menschen, die in den letzten zehn Jahren zugewandert sind. Mit dieser rein ethnischen Definition in Bezug auf das Referendum »legt man ethnische Säuberungen an«, schrieben wir schon Ende Mai [4] und tatsächlich wird ein Teil von Flucht/Vertreibung nach der Abstimmung genau das gewesen sein.

Die Eile dauert an: das Referendum

Daß sich mit dem Abschluß der Abkommen die Situation in Osttimor nicht verändert hat, bekam die UN sofort zu spüren: Schon das Eintreffen ihres Arbeitsteams in Dili war Anlaß zu einem Riot und zu Schießereien; am nächsten Tag wurden in Dili 20 Menschen von Milizen erschossen. Und die Angriffe der Milizen lassen auch weiterhin nicht nach. UN-Offizielle selber erwischen Militärangehörige, die in Militäreinrichtungen Milizionäre trainieren. Die UN-Leute vor Ort berichten darüber natürlich täglich (und werden sich später öffentlich darüber beklagen, daß ihre Berichte von der Administration in New York ignoriert wurden). Verhandlungen zwischen Milizen und der Fretilin fanden statt, brachten aber kein Ergebnis. Milizen übernehmen die Macht in einigen grenznahen Bezirken und tatsächlich verschiebt die UN die Abstimmung zwei Mal, um sie bei unveränderter Lage am 30.8. durchzuführen. Wieder hatte der indonesische Außenminister zur Eile gemahnt, unter ausdrücklichem Hinweis auf den Termin der Neuwahl des Präsidenten.Schon die Tatsache, daß die Abstimmung selber stattfindet, ist für viele Beobachter eine Überraschung. Wenn auch nicht ganz so ohne Zwischenfälle, wie die UN es in einer Presseerklärung darstellt. Ein Mitglied der (unbewaffneten) internationalen Polizeitruppe, schon auf seiner vierten UN-Mission, beklagt, daß in Ermera ein (einheimischer) UN-Mitarbeiter in einem Wahllokal niedergestochen wurde. Trotz Anforderung sei keine Hilfe aus dem 7 Hubschrauber-Minuten entfernten Dili gekommen, sodaß der Mann kurze Zeit später starb. »Die humanitäre Organisation [er meint die UN] hat das Vertrauen der Osttimoresen betrogen und ihre lokalen Angestellten nicht sauber behandelt«, klagt er. [5] Immerhin können die Wahlzettel nach Dili gebracht und ausgezählt werden. Aber nach der Bekanntgabe des Ergebnisses (78 % für Unabhängigkeit) gibt es für die Milizen kein Halten mehr und es passiert das, wovor alle gewarnt und die Milizen selber angekündigt hatten. Die Milizen schießen um sich, bringen Befürworter der Unabhängigkeit reihenweise um, verjagen die Menschen und brandschatzen die Städte. Die UN holt ihre ausländischen Mitarbeiter sofort nach Dili, um sie drei Tage später - bis auf 80 - wegzuschicken; diese werden etwas mehr als eine Woche später zusammen mit Flüchtlingen, die sich auf UN-Gelände gerettet hatten, von der australischen Luftwaffe nach Darwin evakuiert.

Die humanitäre Katastrophe der Kriegstreiber: die Intervention

Welches Ausmaß das Blutbad wirklich angenommen hat, ist bis heute mehr als unklar - es spricht vieles dafür, daß hemmungslose Übertreibungen der »humanitären Katastrophe« die Runde machten - in Osttimor, wo die überstürzte Flucht der UN (zusammen mit ausländischen Beobachtern und Reportern) eine Panik auslöst ebenso wie außerhalb, wo mit den abenteuerlichsten Geschichten und Inkubatoren [6] Propaganda und Politik für eine bewaffnete Intervention gemacht wird. »Agenturberichte schildern detailliert, wie die Milizen die Köpfe ihrer enthaupteten Opfer entlang der Straßen auf Stangen gespießt präsentieren.«, so Watch Indonesia in einem Appell an die Bundesregierung [7]. Was Agenturen wirklich berichtet hatten, war folgendes: »Joao Carrascalao, höchster Vertreter der osttimoresischen Widerstandsbewegung in Australien sagte: 'Eine Person, die von Dili nach Atambua gefahren ist, hat berichtet, entlang der Straße wären hunderte von Köpfen aufgespießt und Körper würden überall herumliegen.'«. Mit einer Story aus Hörensagen zweiten Grades und offensichtlich erfunden, wurden in Deutschland Unterschriften für eine bewaffnete Intervention gesammelt. Auch Sprecher der UN geben sich in diesem Punkt inzwischen mehr als zurückhaltend [8].Während ein Teil der Bevölkerung in die Berge und ein anderer nach Westtimor flüchtet oder vertrieben wird, läuft im Ausland, vor allem in Australien eine grandiose Kampagne für eine schnelle Intervention bewaffneter Friedenstruppen, für die Australien nicht zufällig den Hauptteil nicht nur stellen will, sondern schon in Bereitschaft hat. Die UN stellen dem indonesischen Militär ein Ultimatum von 24 Stunden, um »Ruhe und Ordnung« in Osttimor wiederherzustellen. Daraufhin wird Kriegsrecht für Osttimor ausgerufen während die indonesische Regierung noch die Intervention von außen ablehnt und mit Krieg droht. [9]

In Indonesien entwickeln sich inzwischen zwei Bewegungen- eine militante Bewegung gegen das neue Notstandsgesetz, das Habibie noch im alten Parlament verabschieden lassen will und eine nationalistisch-antiaustralische Bewegung, die ebenfalls bald militant wird - Australien muß zwei Konsulate aufgeben; australische Firmen fangen an, ihre Leute zu evakuieren. Jedoch: wenn es bei reaktionären Kreisen die Hoffnung gegeben hat, die nationalistische Mobilisierung könnte den Protest gegen die Notstandsgesetze neutralisieren, erfüllen sie sich nicht. Zwar wird das Gesetz verabschiedet, aber unter dem Druck der Straße (und der Medien) nicht in Kraft gesetzt.

Das indonesische Militär will oder kann nicht allein die Situation in Osttimor unter Kontrolle bringen und stimmt deshalb schießlich doch relativ schnell und problemlos dem Einmarsch fremder Truppen zu. Schon 14 Tage nach der Abstimmung beginnt das indonesische Militär mit seinem Abzug und zwei Tage später landet die australische Vorhut der InterFET (International Forces in East Timor).

Der erste Höhepunkt der Krise wird in Indonesien überwunden: die Präsidentschaftswahl

Alles spricht dafür, daß das Timing der Osttimor-Krise auf die Wahl des Präsidenten im neu gewählten indonesischen Parlament und die Zeit davor ausgerichtet war. Angesichts der sozialen und politischen Lage in Indonesien gibt es viele Ebenen, auf denen diese Wahl ein vorläufiger Höhepunkt von Auseinandersetzungen darstellte. Um nur einige der kritischen Punkte zu nennen: wie kann eine neue Regierung aussehen, die einerseits wenigstens halbwegs glaubhaft »reformasi« verkörpert und wie verteilt sich dann die Macht zwischen den alten Fraktionen des Palastes, dem Militär und der früheren »Opposition"? Wie kann dem Ausland und der eigenen Bevölkerung wenigstens ein weiteres Vorgehen gegen KKN glaubhaft gemacht werden? Wie können die Massen, die Megawati unterstützt haben, befriedigt (oder übertölpelt oder unterdrückt) werden, ohne daß eine Frau zur Präsidentin wird? Und wer wird dann Präsident?

Der Versuch Habibies, am letzten Tag des alten (aus der Soeharto-Zeit stammenden) Parlaments ein neues, verschärftes Notstandsgesetz als offensichtliche Vorbereitung eines Militärputsches verabschieden zu lassen, scheiterte - es scheiterte an der Zahl und Militanz der Demonstranten (die 5 Tote zu beklagen hatten) und an der Unterstützung, die die Demonstranten bekamen: von den Bewohnern der Vorstädte bis hin zu den Medien. Das Gesetz wurde zwar erwartungsgemäß verabschiedet, aber nicht in Kraft gesetzt - man hatte Habibie wohl deutlich gemacht, daß er aus dem Spiel war (u.a. wegen dem Bank Bali Skandal) und daß man eine andere Lösung suchte.

Das Hauptproblem in diesem Zusammenhang waren gar nicht so sehr die radikalen StudentInnen, die Habibies Notstandsgesetze bekämpften. Viel kritischer waren die Massen der Bevölkerung, die mit ihrer Wahl der Partei Megawatis, der PDI-P (Demokratische Partei Indonesiens - im Kampf [10]) einen radikalen Umschwung der Politik in Indonesien wollten. Megawati selber hatte zu fast nichts eindeutig Stellung bezogen, (außer zur Frage der »Nationalen Einheit« einschließlich Osttimors), was aber den Hoffnungen der Menschen keinen Abbruch tat - im Gegenteil. Und die PDI-P hatte die Wahlen gewonnen; eindeutig nach Prozenten, weniger eindeutig nach Abgeordneten.

Zum erwarteten Show-Down bei der Wahl kam es entsprechend nicht. Habibie zog sich dann auch kurz vor der Wahl zurück. Als dann Abdurrahman Wahid die Abstimmung gegen Megawati gewann, gab es für einen Tag einen Geschmack davon, was hätte passieren können: Demos und Randale in vielen Städten. Mit der wohl vorher abgesprochenen Wahl Megawatis zur Vizepräsidentin beruhigte sich die Lage schnell.

Das verzwickte Problem: Wer kommt jetzt an die Töpfe, ist gelöst mit der schlichten Antwort: Alle. Das neue Kabinett umfaßt nun alle Parteien, Machtfraktionen, ethnische Gruppen und Religionen, die alten Kräfte ebenso wie einige wenige moderne Liberale, Hard-Core Moslems und Katholiken... also das ganze Spektrum der Elite in Jakarta. Ein Kompromiß, der wohl zu groß ist, um lange zu halten einerseits, andererseits aber auch kaum eine Person übrig lässt, die einspringen könnte, wenn dieses Projekt scheitert [11].

Die Krise in Osttimor erfüllte ihren Zweck, indem die Auseinandersetzungen um die Zukunft Indonesiens mit antiaustralischem Nationalismus überlagert werden konnten, wozu in der kritischen Zeit Ende September (Demos gegen das Notstandsgesetz) die australischen Soldaten ihren Teil beitrugen - ihre erste Aktion war ein Vorgehen gegen Plünderer; sie ließen sich fotografieren, als sie einem gefesselten Mann die Kanone an die Schläfe hielten [12]. Kurz nachdem in Indonesien ein Student während einer Demo gegen die Notstandsgesetze erschossen worden war; heizte die InterFET das Klima an, indem sie ankündigte, nötigenfalls bei der Verfolgung von Milizen auch nach Westtimor vordringen zu wollen; ein paar Tage später wurde dann tatsächlich ein indonesischer Polizist an der Grenze erschossen - der Höhepunkt der Krise und der Kriegsgefahr. Danach fingen Indonesien (Wiranto) und UN an, die Spannungen langsam wieder abzubauen, auf Seiten der UN unter anderem damit, daß man anfing, die Nachrichten über Massaker zu dementieren. Offenbar war dies der Zeitpunkt, wo die Kungeleien in Jakarta ein erstes Ergebnis gefunden hatten - zehn Tage später anerkannte das neue Parlament in Indonesien die Unabhängigkeit Osttimors und wählte Wahid zum Präsidenten.

Auch wenn eine unmittelbare Kriegsgefahr gebannt scheint; die Krise in Osttimor ist sowenig vorbei wie die in Indonesien. Solange bewaffnete Friedenstruppen dort stehen, kann mittels der Milizen jederzeit die Situation wieder verschärft werden - wenn sich das Projekt der Allparteienregierung in Jakarta als nicht haltbar erweisen sollte...

Chronologie Osttimor

(Abkürzungen der Quellen:
CNN: Cable News Network
BBC: BBC News
LUSA: LUSA, Portugiesische Nachrichtenagentur
JP: The Jakarta Post
SMH: The Sydney Morning Herald
ST: The Straits Times
TA: The Age)

Vorgänge in Indonesien sind kursiv gedruckt.

1998 
ab Januar Proteste, Riots, Plünderungen
14.5.Riots in Jakarta
21.5.Soeharto zurückgetreten, Demos gegen Habibie
13.6.Demo in Dili für Unabhängigkeit mit 10 000
28.6.EU-Delegation in Dili, 1 Toter bei Demonstrationen
12.7.Massenflucht aus Osttimor von 20 000 bis 50 000 wegen Anti-Indonesischen Riots
AugustHabibie schlägt Autonomie vor
12.9.Plünderungen von Zwiebelfelder und Reislagern in Osttimor
11.10.Demo gegen die Drohung, alle Beschäftigten aus dem Öffentlichen Dienst zu entlassen, die für Unabhängigkeit sind.
Mahidi-Miliz nach eigener Aussage Mitte Dezember gegründet. (SMH 6.2.)
23.11.Studidemo in Dili gegen Massaker in Alus, Süd-Osttimor
20.12.UN-Besuch, Demo für Unabhängigkeit. Marker (UN) stellt Autonomie-Angebot vor: 10 Jahre, währenddessen entschieden werden könne, ob Osttimor ein eigener Staat werde.
  
1999 
27.1.M. Carrascalao (UDT) sagt, Milizen kriegen Gewehre vom Militär (ST)
Mitte Januar:ETAN (East Timor Action Network) sagt später, sie hätten die UN seit Mitte Januar davor gewarnt, daß die Milizen die Unabhängigkeits-Wähler angreifen würden, falls die Abstimmung für Unabhängigkeit ausginge (CNN, 15.9.99).
28.1.Massaker in Suai, 22 Tote
6.2.Belo (Vertreter des Papstes in Osttimor) sagt, Bewaffnung käme vom Militär (TA).
4.3.Der australische Militärische Geheimdienst berichtet, daß die TNI mit den Milizen zusammenarbeitet und sie beschützt. (TA 11.9.).
11.3.Milizen haben 5000 Gewehre, auch Falintil kauft von Soldaten Gewehre für 15$US (TA).
Alatas, der indonesische Außenminister: »Wir wollen dieses Datum (Neues Parlament) nicht versäumen, Deshalb ist es im vitalen Interesse Indonesiens, daß es keine Verzögerung gibt« (CNN).
Howard dementiert, daß Truppen für die Versendung nach Osttimor vorbereitet werden (CNN).
Tausende von Lehrern haben Versetzung beantragt (ST, 12.3.).
5.4.Massaker in Liquisa: 24 bis 40 Tote in KircheMilizendemo in Viqueque
8.4.Horta verlangt NATO-Einsatz wie im Kosovo (The Gazette Cedar Rapids, 9.4.)
16.4.Bundestagsdelegation verlangt »friedenserhaltende Mission der UN"
17.4.Bewaffnete Mlizendemo in Dili: 3000 Teilnehmer, mindestens 12 Tote (CNN)
18.4.»Zu fordern, die in Osttimor stationierten Sicherheitskräfte sollten für Ruhe und Ordnung sorgen, hieße den Bock zum Gärtner machen« (Watch Indonesia)
5.5.Abkommen zwischen Indonesien, Portugal und den UN über Autonomiestatut und über Befragung der Osttimoresen: Autonomie in Indonesien oder Unabhängigkeit. Dabei wird auch die Anwesenheit und Zuständigkeit der indonesischen Sicherheitskräfte zum ersten Mal »völkerrechtlich« anerkannt.
9.5.Riot bei Eintreffen des UN-Teams in Dili, Schießerei
10.5.Schießerei in Dili (20 Tote, darunter Sohn von M. Carrascalao)(CNN)CNRT -Aufruf an »Jugend von Dili", ruhig zu bleiben Annan will die Sicherheitslage dauernd überprüfen um zu entscheiden, ob weitergemacht wird (CNN)
19.5.UN entdeckt Trainingscamp; UN sagt, sie hätte Beweise dafür, daß die Milizen weitere Angriffe auf Zivilisten plane (CNN 20.5.)
27.5.Alatas sagt, »die Anstrengungen seines Landes wären umsonst gewesen, wenn sich die UN für eine Verschiebung der Abstimmung entscheiden würde« (TA, 28.5.)
28.5.Vendrell, hoher UN-Diplomat, warnt, daß die UN nicht in der Lage sein werden, die Abstimmung durchzuführen, wenn sich die Sicherheitslage nicht verbessern sollte.(CNN)
6.6.Wahlen in Indonesien. In Osttimor stehen 3 Milizenführer auf der Golkar-Liste.
18.6.Ian Martin (Leiter von UNAMET) verurteilt indonesische Streitkräfte wegen Teilnahme an Terrorismus und Menschenrechtsverletzungen. Er habe selbst gesehen, wie Milizen von einem ehemaligen Soldaten trainiert worden sind.(SMH 19.6.)
30.6.UN-Büros in Malina und Viqueque angegriffenVerhandlungen zwischen Mlizen und Fretilin beendet. Ohne Ergebnis
2.7.UN evakuiert 6 Leute aus Liquisa, nachdem sie bedroht worden sind.(CNN)
3.7.Wiranto (Chef der indonesischen Streitkräfte) warnt vor »Spannungen« um die Sitzung des neuen Parlaments. Er will 21 000 Mann auffahren (ST 3.7.)
9.7.Erste Verschiebung der BefragungPro-Indonesische-Flüchtlinge in West TimorMilizen beherrschen Liquisa, Ermera, Bobonaro. Dort 60 000 in Lagern
UN rufen zu einem Treffen über Nach-Wahl-Gewalt, hohe UN-Beamte fordern Friedenstruppen, um Revanche der Mlizen zu verhindern. Basilio, Chef einer der Mlizen sagt, sie würden als Guerrilla in die Berge gehen.(SMH)
17.7.Wahlen in Indonesien: Zahlen aus allen Provinzen endlich in Jakarta. Ergebnis noch nicht amtlich. In Osttimor gewinnt Golkar 3 von 4 Sitzen
28.7.Zweite Verschiebung der Abstimmung
1.8.In Dili wird das Haus eines Milizionärs von Menschenmenge angegriffen und angezündet
3.8.Habibie erklärt die Wahlen für gültig
18.8.Verletzte bei Milizendemo
22.8.Eine US-Kongress-Delegation wird von UN-Mitarbeitern darüber informiert, daß sie davon ausgehen, daß die Milizen moderne Waffen besitzen und einen »vollen« Krieg anfangen werden, wenn sie verlieren. Die Delegation verlangt bewaffnete Friedenstruppen. (ST, 23.8.)
24.8.Pro-Indonesische Demo in Dili
25.8.Unabhängiskeits-Demo in Dili, sehr groß
30.8.Abstimmung, einigermaßen friedlich
1.9.Milizen übernehmen einige Städte, UN-Mitarbeiter getötet
3.9.Bekanntgabe des ErgebnissesIndonesisches Militär bereitet sich auf Evakuierung von 250 000 vor (ST)
6.9.Kriegsrecht.Evakuierung UN-Helfer, MitarbeiterAlarmbereitschaft bei australischen Truppen in Darwin
Anfang SeptemberEin Berater Gusmaos sagt, es sei die wichtigste Aufgabe derzeit, die Falintil zum Stillhalten zu überzeugen, das sei aber sehr schwierig (taz, 9.9.)
10.9.Nur noch 80 UN-Leute, Milizen dringen auf Gelände vorSoldaten bringen 4 Falintil-Mitglieder bei Schußwechsel um (JP, 11.9.)
11.9.UN-Delegation in Dili - 200 000 seien in den Bergen um Dili und 100 000 nach Westtimor vertreiben, so die UN (BBC, 12.9.)
12.9.Indonesien akzeptiert UN-Truppen
13.9.Ian Martin (Leiter von UNAMET) gibt zu, daß das Blutbad vorhersehbar war. Andere Offizielle von UNAMET sagen, sie hätten mehrfach vor dem gewarnt, was dann passiert ist. Tägliche Berichte seien ignoriert worden. »Wir haben keine Antwort bekommen« (LUSA, 14.9.)
14.9.Schließung des UN-Geländes, Flüchtlinge werden evakuiert
15.9.Auseinandersetzungen zwischen antiaustralischen und anti-Notstandsgesetz-Demos in Jakarta
17.9.Abzug Indonesischer Truppen beginnt.
Australien schließt wegen Protesten Vertretungen in Balikpapan und Surabaya
19.9.Fretilinführer ist entsetzt, daß sich die Hochkommissarin der UN für Flüchtlinge, Sadako Ogata, von einem Milizenchef in die Lager begleiten läßt. (LUSA, 20.9.).
Vorhut der InterFET landet auf dem Flughafen von Dili.
21.9.Schüsse auf australische Botschaft in Jakarta und Erstürmung des Konsulats in Medan durch Demonstranten.
Friedenstruppen verhindern Plünderung eines Reislagers durch hungrige Osttimoresen (CNN, 22.9.)
Belo verlangt Intervention in Westtimor (ST, 22.9.)
23.9.Bei Straßenkämpfen gegen die Verabschiedung des neuen Notstandsgesetzes werden in Jakarta 5 Menschen getötet. Weil die Demos weitergehen, setzt Habibie das Gesetz vorerst nicht in Kraft
26.9.Der IWF beklagt die schleppende Aufklärung des Bank-Bali-Skandals und friert seine Beziehungen zur indonesischen Regierung vorübergehend ein.
28.9.Bei fortgesetzten Protesten gegen das Notstandsgesetz wird in Bandar Lampung, Sumatra, ein Student erschossen
30.9.Das UN World Food Program stellt den Abwuf von Keksen über den Bergen von Osttimor ein, weil diese nicht nur ein Kind erschlagen haben, sondern wegen falscher Zusammensetzung die Leute auch krank machen.
Der australische Verteidigungsminister warnt davor, daß die InterFET auch Westtimor betreten würde, wenn notwendig (LUSA)
1.10. Weitere Proteste in vielen Städten gegen das Militär und die Notstandsgesetze
2.10.Erfolgloser Versuch von InterFET, Kämpfer der Falintil zu entwaffnen
3.10.Abkommen zwischen Indonesien und UN über Rückführung der Flüchtlinge aus Westtimor.
6.10.Schießerei zwischen InterFET und Millizen; zwei Millizionäre getötet
10.10An der Grenze zu Westtimor wird ein indonesischer Grenzpolizist von InterFET erschossen
12.10.Indonesische Politiker aus allen Fraktionen fordern das Militär auf, die Grenze besser zu sichern: »Wenn sie indonesisches Gebiet betreten, sollten wir sie angreifen« (Amien Rais, Oppositionspolitiker)(Indonesian Observer, 12.10.99)
Wiranto schlägt bessere Kooperation zwischen Indonesien und der InterFET vor und kündigt die Entwaffnung der Milizen in Westtimor an.
13.10.UN-Sprecher Michel Barton: »Wir glauben nicht, daß Menschen zu Tausenden umgebracht worden sind.« (ST, 14.10.)
20.10.Indonesien erkennt Unabhängigkeit Osttimors an.
Wahl Abdurahman Wahids zum neuen Präsidenten. Wütende Demos in vielen Städten.

Karl Eugen, Ludwigshafen, 1.11.99


Fußnoten:

[1] Die Provinz Osttimor stellte 0,75 Prozent der Fläche und 0,4 Prozent der Bevölkerung Indonesiens.

[2] Siehe Fußnote Nr. 11.

[3] Im Herbst 98 wurden in Ostjava mehrere hundert Menschen umgebracht, zuerst Dukun, also alt-javanischeDorfheiler, später auch islamische Prediger. Diese Affäre ist bis heute nicht aufgeklärt.

[4] Siehe Indonesien/Ost Timor: der nächste Brandherd, Wildcat Zirkular 50/51.

[5] The Age, 11.10.99.

[6] Für jüngere Leser: Kurz nach der Invasion Kuwait durch die irakische Armee wurde weltweit verbreitet, daß die Iraker Säuglinge aus den Brutkästen der kuwaitischen Krankenhäuser »gerissen« hätten - eine platte Lüge, wie sich herausstellte, Kriegspropaganda eben.

[7] Appell an die Bundesregierung: Sofortiges Handeln in Bezug auf die aktuelle Situation in Osttimor erforderlich, 9.9.99.

[8] Michel Barton, Sprecher des UN-Büros für die Koordinierung der humanitären Hilfe in Dili: »Wir haben Horrorgeschichten gehört, für die es bis jetzt kein Fünkchen Beweis gibt. (...) Es gab Morde. Es sind fürchterliche Dinge passiert. Aber wir glauben nicht, daß Menschen zu Tausenden umgebracht worden sind und ihre Leichen verbrannt oder ins Meer geworfen worden sind. Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätten wir inzwischen Beweise dafür gefunden. Es sind aber keine gefunden worden.« Er zitierte als Beispiel für überzogene Berichterstattung jenen von den Weltmedien verbreiteten Bericht, daß in einem Brunnen nahe Dili 40 Leichen gefunden worden seien: tatsächlich war es nur eine einzige. »In den meisten Fällen, wo wir Berichten über fürchterliche, große Massaker nachgegangen sind, haben wir eine oder zwei Leichen gefunden«, so Barton am 13.10.99. Ein Massaker wurde inzwischen durch Fund von Leichen verifiziert: das von Liquisa am 5. April.

[9] So jedenfalls der Bericht von Feisal Tanjung, damals koordinierender Minister für Sicherheit (The Jakarta Post, 30.10.99).

[10] Der Name der Partei erinnert daran, daß 1996 das Soeharto-Regime versucht hatte, die Wahl Megawatis zur Vorsitzenden der PDI, einer der drei damals zugelassenen Parteien, zu verhindern. Megawatis Anhänger hielten das Hauptquartier der Partei in Jakarta besetzt; bei seiner Stürmung gab es einen kleinen Volksaufstand - der Anfang vom Ende des Regimes. Anschließend bildeten die Anhänger Megawatis einfach eine neue Partei: die PDI-Perjuangan.

[11] Vielleicht außer dem (beliebten) Sultan von Yogyakarta, der auch als Präsidentschaftskandidat im Gespräch war.

[12] Die »Arroganz« der Australier veranlasste auch Thailand zu scharfer Kritik.


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