Wildcat-Zirkular Nr. 55 - März 2000 - S. 17-19 [z55bukoi.htm]


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Seattle: Punktsieg für WTO-GegnerInnen!

Presseerklärung des BUKO (Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen)
und des iz3w (informationszentrum 3. welt Freiburg)

Donnerstag, 2. Dezember 1999

Die massiven Proteste gegen die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle sind ein großer Erfolg der weltweiten Bewegung gegen die Freihandelspolitik. Sie verdeutlichen, dass ein konfrontatives Vorgehen gegen die Institutionen der kapitalistischen Globalisierung sinnvoll ist. Weder die Weltpresse noch die TeilnehmerInnen des WTO-Treffens konnten den Widerstand gegen die Freihandelspolitik übergehen. Damit unterscheiden sich die Proteste von Seattle positiv von den Aktionen anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels in Köln im Juni 1999, die sich mehrheitlich durch einen lobbyistischen Schmusekurs der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gegenüber den dort versammelten Regierungen auszeichneten. Die Erfahrungen von Seattle bestätigen, dass gepflegte Dialogrunden zwischen NGOs und den Regierungen ein wenig geeignetes und keinesfalls ausreichendes Mittel sind, um Sand ins Getriebe des globalen Kapitalismus zu streuen.

Vor diesem Hintergrund lehnt der BUKO die Spaltung der WTO-GegnerInnen in gute - weil friedliche - Demonstranten und böse - weil militante - AktivistInnen ab. Gegenüber der ungeheuren Gewalt der von der WTO maßgeblich mitverantworteten Welt(un)ordnung, die für Milliarden von Menschen Ausbeutung, Marginalisierung und Umweltzerstörung bedeutet, sind ein paar zerschlagene Schaufensterscheiben kaum der Rede wert.

Die grundsätzlich positive Einschätzung der Aktionen in Seattle (und in anderen Orten wie z.B. London) heißt aber nicht, dass der BUKO mit allen dort erhobenen Forderungen einverstanden ist. Wir lehnen die von manchen FreihandelsgegnerInnen verwendeten nationalistischen Argumentationsmuster ab, die an der neoliberalen Globalisierung vor allem beklagen, dass sie die Souveränität der Nationalstaaten untergrabe. Ebenso hält der BUKO die in Seattle vorgetragene Forderung nach einem »wirklichen« Freihandel, der auch die Staaten der Dritten Welt an den vorgeblichen Segnungen des Weltmarktes teilhaben ließe, für problematisch. Denn sie unterstellt, dass Freihandel grundsätzlich geeignet ist, weltweiten Wohlstand zu ermöglichen. Tatsächlich aber zeigen alle Erfahrungen, dass die Liberalisierung der Märkte die weltweiten Ungleichheiten verstärkt.

Die Spaltung der Menschheit in reich und arm, in Nord und Süd sowie rassistische und patriarchale Unterdrückungsverhältnisse sind nach Ansicht des BUKO untrennbar mit der kapitalistischen Weltordnung verbunden und nicht bloß eine Folge ihrer derzeit dominanten neoliberalen Ausprägung. Daher halten wir die von vielen NGOs erhobene Forderung, die Staaten müssten den angeblich »ungezähmten« Kapitalismus wieder politisch regulieren, für zu kurz gegriffen. Nicht zuletzt die Geschichte der WTO demonstriert, dass die derzeitige Weltordnung nicht naturwüchsig entstand, sondern von interessierter Seite politisch hergestellt wurde. Die Nationalstaaten sind konstituiver Bestandteil dieser Weltordnung; als Wettbewerbsstaaten treiben sie die neoliberale Offensive aktiv voran.

Es wäre aber auch eine verkürzte Kapitalismuskritik, die WTO und ihre Repräsentanten zum Hort des Bösen auszurufen und allein für die Folgen der kapitalistischen Globalisierung verantwortlich zu machen. Das Prinzip selbst - die kapitalistische Vergesellschaftung - ist es, das im Mittelpunkt der Kritik stehen muss. Daher geht es an der Realität vorbei, die WTO nur als Ort der Verschwörung von mächtigen Staaten, hinter denen wiederum bloß deren große Konzerne stehen, zu interpretieren. Schließlich versuchen auch weniger bedeutsame Staaten, in den brutalen Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt einzusteigen und sich über die WTO Zutritt zu bislang verschlossenen Märkten beispielsweise in der EU zu verschaffen.

Zweifellos ist die WTO der bedeutendste und dynamischste institutionelle Ausdruck des gegenwärtigen globalen Kapitalismus, der durch das Wechselspiel von Liberalisierung und (verstecktem) Protektionismus, von Konkurrenz und Konzentration geprägt ist. Die WTO ist das Terrain, auf dem der globale Standortkrieg mit zivilen Mitteln ausgetragen wird. Die WTO bestimmt dabei nicht »nur« über die Regeln des internationalen Handels, sondern beeinflusst durch ihre umfassenden Regelungen das Süd-Nord-Verhältnis ebenso wie tarif- und gewerkschaftspolitische, ökologische und agrarpolitische Fragen.

Zweck der bevorstehenden Verhandlungsrunde der WTO ist es, die Regeln für das Welthandelssystem den neuen Bedingungen des globalisierten Kapitalismus anzugleichen. Obwohl die WTO klar für die Freihandelsdoktrin steht, versuchen alle Staaten und Staatengruppen, Liberalisierungen nur in jenen Produktions- und Dienstleistungssektoren zuzulassen, in denen sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Die besten Chancen in diesem manchmal offenen, manchmal versteckten »Spiel« von Druck und Zugeständnissen haben natürlich die großen Handelsmächte. Sie organisieren sich in verschiedenen exklusiven Gremien wie der EU oder der G7-Gruppe, um im Vorfeld der offiziellen Verhandlungen interne Konflikte auszuräumen und ihre Position zu stärken. Trotz aller teilweise konträren Interessenlagen und des innerkapitalistischen Konfliktpotentials wird es bei den WTO-Verhandlungen vermutlich zu Einigungen und Zugeständnissen kommen. Denn die globale Hegemonie des derzeitigen neoliberalen Typus von kapitalistischer Ökonomie und Vergesellschaftung ist bislang nahezu unangefochten. So wird wohl keine der verhandelnden Regierungen - die einem komplexen Wechselspiel von Zwang und Konsens unterliegen - aus dem WTO-System ausscheren, auch wenn sie ihre Partikularinteressen nicht voll verwirklichen kann.

Emanzipatorische Veränderungen lassen sich vor diesem Hintergrund nur durch die Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, durch Druck von unten erreichen. Der in Seattle demonstrierte Willen von KleinbäuerInnen aus dem Süden, von Gewerkschaften oder radikalen UmweltschützerInnen, die Geschicke der Welthandelspolitik stärker in die eigene Hand zu nehmen, könnte ein erstes Anzeichen dafür sein, dass es die Profiteure der herrschenden Welt(un)ordnung künftig schwerer haben, ihre Interessen ungehindert durchzusetzen.

BUKO-Geschäftsstelle
Nernstweg 32-34
22765 Hamburg
Tel. 040-39 31 56
bukohh@t-online.de

iz3w
(informationszentrum 3. welt)
Postfach 5328
79020 Freiburg
Tel. 0761-74003
info@iz3w.org


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