In seiner Rede »Zur Lage der Nation« vom 27.01.2000 sprach US-Präsident Bill Clinton davon, daß sich alle Amerikaner glücklich schätzen könnten, in dieser Zeit der Geschichte zu leben. Niemals zuvor habe es für die Nation so großen Wohlstand und sozialen Fortschritt bei derart wenigen inneren Krisen und Bedrohungen von außen gegeben. Die Amerikaner begännen das neue Jahrhundert mit der niedrigsten Arbeitslosenquote und dem stärksten Wirtschaftswachstum seit 30 Jahren. Alles scheint auf ein neues »goldenes Zeitalter« der amerikanischen Wirtschaft hinzudeuten.
Im folgenden Text sucht der amerikanische Wirtschaftsprofessor Fred Moseley nach Erklärungen für diesen »Boom« und betrachtet vor allem seine auffälligen Widersprüchlichkeiten, wie z.B. niedrige Inflationsraten bei extrem geringer Arbeitslosigkeit. Das Papier erschien im Sommer 1998 in Capital & Class Nr. 67, ist also nicht mehr ganz aktuell. In seiner Einschätzung erwartet er entgegen allen überschwenglichen Hoffnungen eine Rezession der US-Wirtschaft 1999 oder 2000. In einer aktuelleren Einschätzung meint er, diese Rezession könnte durchaus auch etwas - aber nicht viel - später einsetzen. Obwohl er (wie damals sicher viele - wir selbst eingeschlossen) die Dramatik der asiatischen Krise überschätzt zu haben scheint, macht Moseley wichtige Ausführungen zur Stabilität des amerikanischen »Booms«. Moseleys Einschätzungen zur Abhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft von weiteren Kapitalimporten werden inzwischen auch von anderen Autoren unterstützt.
Wenn Moseley Recht behält, könnte die Eingangs erwähnte Rede Clintons historisch neben der Rede des US-Präsidenten Hoover stehen, der 1928 - ein Jahr vor dem Zusammenbruch des US-Aktienmarktes und damit dem offenen Ausbruch der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. - noch verkündete: »Wir haben gezeigt, daß unser System empfindlich genug reagiert, um jeder neuen und schwierigen Entwicklung in unserem wirtschaftlichen und geschäftlichen Leben zu begegnen ... Wir sind heute dem Ideal der Verbannung von Armut und Furcht aus dem Leben von Männern und Frauen näher gekommen als jemals zuvor in irgendeinem Land.«
In diesem Text wird die These diskutiert, daß die US-Ökonomie sich nicht am Beginn einer neuen Blütezeit befindet - hauptsächlich, weil die Profitrate 30-40 Prozent unterhalb der Werte der Nachkriegszeit liegt, obwohl die Reallöhne seit Anfang der 70er Jahre um 20 Prozent gesunken sind. Unter diesen Bedingungen ist es unwahrscheinlich, daß die Reallöhne in den nächsten Jahren steigen werden. Außerdem wird gezeigt, daß ein wichtiger Grund für das beschleunigte Wachstum der US-Ökonomie seit 1995 ein starker und schnell wachsender Netto-Zustrom an ausländischem Kapital ist (wodurch auch die Verschärfung der asiatischen Krise weiter beschleunigt wurde). Daraus wird geschlußfolgert, daß 1999 die Chancen einer Rezession in den USA hoch sind, und daß solch eine Rezession die Weltwirtschaft wahrscheinlich in eine tiefe Depression treiben würde.
Die US-amerikanische Wirtschaft am Ende des Jahrhunderts:
Am Beginn einer neuen Ära der Prosperität?
Fred Moseley (in: Capital & Class, No. 67, Sommer 1998)
[Im Januar 2002 hat Fred Moseley ein "update" dieses Artikels geschrieben: Goldilocks Meets a Bear: How Bad Will the U.S. Recession Be?, der in der Monthley Review April 2002 erschienen ist. Er weist darauf hin, dass sich die Profitkrise in den letzten Jahren dramatisch verschärft hat und dies die Wirtschaft der US-Ökonomie in den Abgrund reißt.]
In den ersten 25 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich die US-Ökonomie sehr gut. Die Wachstumsrate betrug durchschnittlich vier bis fünf Prozent pro Jahr, die Arbeitslosenquote war selten über fünf Prozent, Inflation existierte fast nicht (ein bis zwei Prozent), es gab jährliche Produktivitätssteigerungen von durchschnittlich zwei Prozent oder mehr und der durchschnittliche Reallohn der Arbeiter wuchs bedeutend (um ungefähr 60 Prozent über den gesamten Zeitraum). Wegen dieser außergewöhnlichen Entwicklung werden diese Jahre oft als das »goldene Zeitalter« der US-Ökonomie bezeichnet (z.B. Marglin und Schor, 1990).
Diese lange Periode des Wachstums und der Prosperität endete jedoch in den 70er Jahren. Seitdem hat sich das Wachstum verlangsamt (zwei bis drei Prozent jährlich), und sowohl die Arbeitslosenquote als auch die Inflationsrate sind gestiegen. Um diese schwächere ökonomische Entwicklung und die beispiellose Kombination von höherer Arbeitslosigkeit und gesteigerter Inflation zu beschreiben, wurde der Ausdruck »Stagflation« geprägt. Während dieser Zeit sank das Produktivitätswachstum auf weniger als ein Prozent pro Jahr, und die Reallöhne der Arbeiter gingen um ungefähr 15 Prozent zurück. Der »Amerikanische Traum« von ewig wachsendem Lebensstandard hörte für viele Arbeiter auf, Realität zu sein. Zum ersten mal in der Geschichte der USA befürchteten viele junge Arbeiter, daß sie einen niedrigeren Lebensstandard haben würden als ihre Eltern. Wallace Petersons Buch über diese Zeit heißt: »Stille Depression: das Schicksal des amerikanischen Traumes«.
Die entgegengesetzten Entwicklungen der Reallöhne dieser beiden Perioden - 60 Prozent Steigerung und dann 17 Prozent Rückgang - sind vielleicht das deutlichste Zeichen für den Übergang von der Prosperität zur Stagflation. Diese Trends sind in Abbildung 1 grafisch dargestellt. Harrison und Bluestone (1986) haben diese Umkehrung der Entwicklung die »große Wende der Löhne« genannt. Man kann sehen, daß die durchschnittlichen Reallöhne 1995 auf ungefähr dem gleichen Niveau sind wie 1965. Das erneute Anwachsen der Reallöhne hat nur einen kleinen Teil der Verluste seit 1973 wettgemacht.
Abbildung 1: Durchschnittliche Reallöhne in der US-Wirtschaft, 1947-1997
Mit einem Wechsel von der Prosperität zur Stagflation der US-Wirtschaft und dem damit verbundenen Rückgang der Reallöhne hatte in den 60er Jahren niemand gerechnet. Hermann Kahn z.B., ein bekannter Zukunftsforscher, sagte 1967 voraus, daß sich die Reallöhne bis zum Jahr 2000 in der US-Wirtschaft verdreifachen würden (Kahn, 1967: 176-180). Eine ähnliche Vorhersage - nämlich daß die Reallöhne bis zum Jahr 2000 um 150 Prozent wachsen würden - wurde in einer Sonderausgabe des Forbes Magazine desselben Jahres gemacht. Vom Optimismus der 60er Jahre aus gesehen (der von den Entwicklungen des »goldenen Zeitalters« der frühen Nachkriegsperiode ausging) war das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts eine schreckliche Enttäuschung für die US-amerikanische Wirtschaft.
Während der letzten zwei oder drei Jahre scheint sich die US-Ökonomie erholt zu haben. Das Wachstum ist etwas beschleunigt (auf drei bis vier Prozent), die Arbeitslosenquote liegt das erste Mal seit den 60er Jahren unter fünf Prozent, die Inflation ist sehr gering (um zwei Prozent), und die Reallöhne sind ein wenig gestiegen (zwei bis drei Prozent). Der Aktienmarkt ist über alle Erwartungen gewachsen. Man hört heute immer öfter das Wort »Boom«, um die US-Wirtschaft zu beschreiben. Im Ergebnis haben eine wachsende Zahl von Ökonomen, marxistische und radikale Ökonomen eingeschlossen, die Schlußfolgerung gezogen, daß diese letzten paar Jahre einen Wendepunkt im Ablauf der langen Wellen des US-Kapitalismus markieren. Der letzte Anstieg im Wachstum wäre danach der Anfang einer neuen »langen Welle«, einer Periode von Wachstum und Erfolg, ähnlich dem »goldenen Zeitalter« der Nachkriegszeit. Die nächsten Jahrzehnte brächten niedrige Arbeitslosigkeit, wenig Inflation und beständig wachsende Reallöhne. Business Week schrieb, daß die US-Ökonomie zu einer »new economy« (»neuen Ökonomie«) geworden wäre, in der neue Technologien, vor allem die Informationstechnologie, schnelles Wachstum und schnelle Reallohnsteigerungen für eine mehr oder weniger unbestimmte Zeit ermöglichten.
In diesem Text versuche ich zu bestimmen, ob die US-Wirtschaft tatsächlich am Beginn einer neuen Ära der Prosperität steht, die dem »goldenen Zeitalter« vergleichbar ist, oder ob sich die letzten beiden Jahre lediglich als ein vorübergehender Impuls in der langen Periode von Stagflation herausstellen werden, die die USA seit den 70er Jahren quält und die sich bis ins 21. Jahrhundert fortsetzen könnte.
1. Der Fall der Profitrate
Zunächst möchte ich kurz meine Erklärung der Ursachen der Stagflation der letzten Jahrzehnte zusammenfassen (eine genauere Ausführung findet sich in Moseley, 1991 und Moseley, 1997). Danach soll untersucht werden, was diese Erklärung hinsichtlich der notwendigen Bedingungen für ein Ende der Stagflation und eine Rückkehr zu Prosperität bedeutet.
Radikale Ökonomen, ich selbst eingeschlossen, haben versucht zu zeigen, daß die Hauptursache der Stagflation der letzten Jahrzehnte ein bedeutender Fall der Profitrate in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg war (Weisskopf, 1979; Bowles, Gordon und Weisskopf, 1983; Wolff, 1986; Duménil und Levy, 1993; Shaikh, 1992; Brenner, 1998; ein vergleichbarer Fall der Profitrate trat in fast allen Ländern auf, für die die entsprechenden Daten vorliegen). Es gibt verschiedene Methoden, die Profitrate zu bestimmen, aber alle zeigen im Kern den selben starken Abwärtstrend in dieser Periode. [1] Nach meinen Schätzungen, die in Abbildung 2 dargestellt sind, sank die Profitrate um 45 Prozent - von 22 Prozent Ende der 40er Jahre auf 12 Prozent Mitte der 70er Jahre. [2]
Abbildung 2: Die Profitrate in der US-Wirtschaft, 1947-1994
Wie in vorhergehenden Perioden der Depression führte der Fall der Profitrate zu einer Abnahme der Investitionen und zu höherer Arbeitslosigkeit. Ein neuer Faktor der Nachkriegsperiode ist, daß in den 70er Jahren viele Regierungen eine keynesianische Politik der Ausgabenausweitung praktizierten (höhere Regierungsausgaben, niedrige Zinsraten und so weiter...), um die steigende Arbeitslosigkeit einzudämmen. Diese Versuche der Regierungen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, führten jedoch im allgemeinen zu höheren Inflationsraten, weil die kapitalistischen Unternehmen auf die Ankurbelung der Nachfrage durch die Regierung mit Preiserhöhungen reagierten, um den Verfall ihrer Profitraten umzukehren. In den 80er Jahren revoltierten die Finanzkapitalisten gegen diese höheren Inflationsraten und zwangen die Regierungen gewöhnlich zu einer restriktiveren Politik (weniger Staatsausgaben, höhere Zinsen und ähnliche Maßnahmen). Das Ergebnis waren eine geringere Inflation, aber eine höhere Arbeitslosenquote und ein stark reduzierter Lebensstandard. Die Regierungspolitik hatte also das besondere Verhältnis von Arbeitslosigkeit und Inflation angegriffen, aber die grundlegende Ursache dieser beiden »Zwillings-Übel« war der Fall der Profitrate.
Ich habe bereits gezeigt (Moseley, 1991 und 1997), daß gemäß der Marxschen Theorie die beiden Hauptursachen für den deutlichen Fall der Profitrate der US-Wirtschaft der Nachkriegszeit folgende waren: (1) ein Anwachsen der organischen Zusammensetzung des Kapitals (d.h. des Verhältnisses von konstantem zu variablem Kapital) um 40 Prozent, wie es die Marxsche Theorie vorhergesagt hatte; und (2) eine Verschiebung des Verhältnisses von unproduktiver Arbeit zu produktiver Arbeit um 80 Prozent. [3] Nach Marx hat eine Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals einen negativen Einfluß auf die Profitrate, weil diese Steigerung bedeutet, daß ein geringerer Teil des Gesamtkapitals in Arbeitskraft investiert wird, die die Quelle des Profites ist. Ähnlich bedeutet eine relative Verschiebung des Verhältnisses von unproduktiver zu produktiver Arbeit, daß ein größerer Teil des Mehrwertes, der durch die produktive Arbeit produziert wird, aufgewendet werden muß, um die unproduktive Arbeit zu bezahlen. Daher bleibt ein geringerer Teil des Mehrwertes als Profit der Kapitalisten. Dieser Erklärung folgend, ergibt sich, daß das relative Anwachsen der unproduktiven Arbeit zu ca. 60 Prozent in den Fall der Profitrate der US-Ökonomie dieser Zeit eingeht, während die steigende Zusammensetzung des Kapitals den größten Teil der verbleibenden 40 Prozent ausmacht. [4]
Aus diesem marxistischen Blickwinkel ergibt sich, daß der kritische Faktor, der bestimmt, ob die Periode der Stagflation beendet ist oder nicht, ob für die US-Ökonomie tatsächlich eine Periode anhaltender Prosperität beginnt oder nicht, darin besteht, ob die Profitrate seit den 70er Jahren entscheidend erhöht und auf dem Level der hohen Nachkriegsprofitraten stabilisiert werden konnte oder nicht.
2. Versuche, die Profitrate durch Lohnkürzungen zu steigern
In den letzten Jahrzehnten haben kapitalistische Unternehmen auf verschiedene Weise versucht, die Profitrate wiederherzustellen. Am wichtigsten war dabei die Kürzung der Arbeitslöhne. Dazu wurden verschiedene Strategien benutzt: direkte Kürzung von Lohn (und Sozialleistungen), der Übergang zu prekären Jobs (wie Teilzeitarbeit, befristete Arbeit usw.), zweischichtige Lohnsysteme (bei denen neue Arbeiter zu viel niedrigeren Anfangslöhnen eingestellt werden als bereits beschäftigte Arbeiter), und die Auslagerung von Produktion in Billiglohnländer (der Wunsch, die Löhne zu drücken, war die Hauptantriebskraft der »Globalisierung« der letzten Jahrzehnte). Der Erfolg dieser Strategien wurde durch die seit den 70er Jahren herrschende hohe Arbeitslosigkeit noch unterstützt.
Aus der Perspektive der Arbeiter haben sich diese Versuche, die Profitrate wiederherzustellen, in den letzten Jahrzehnten in einem Trend zu fallenden Reallöhnen, wie er in Abbildung 1 dargestellt ist, niedergeschlagen. Also ist der Verfall der Reallöhne seit den 70er Jahren kein Zufall und kein Rätsel, sondern das zu erwartende Ergebnis der wohlüberlegten Versuche der Kapitalisten, die Profitabilität durch Lohnkürzungen wiederherzustellen, was durch eine höhere Arbeitslosigkeit unterstützt wurde.
Ein anderer Maßstab für die Lohnsenkungen der letzten Jahrzehnte wurde von Mishel et al. (1997) vorgeschlagen: der Anteil der Arbeiter in »Niedriglohnjobs«, wobei »Niedriglohn« definiert ist als der notwendige Stundenlohn, um eine vierköpfige Familie über der offiziellen Armutsgrenze zu halten (das war 1995 ein Stundenlohn von 7,28 Dollar). Nach Mishel et al. hat sich der Anteil von Arbeitern in solchen »Niedriglohnjobs« beständig erhöht, von 23,5 Prozent 1973 auf 29,7 Prozent 1997 (Mishel et al., 1997: 149-156; dieses Buch ist eine exzellente und umfassende Quelle zu den aktuellen Lebens- und Arbeitsbedingungen der US-amerikanischen Arbeiter, und es wird alle zwei Jahre aktualisiert).
Die Einkommen der Haushalte sind nicht im gleichen Masse gefallen wie die Reallöhne, sondern seit den frühen 70er Jahren mehr oder weniger konstant geblieben (mit zyklischen Fluktuationen). Der Hauptgrund, daß sich die Haushaltseinkommen nicht so schlecht wie die Reallöhne entwickelten, ist, daß der Anteil von Haushalten mit zwei Verdienstpersonen über diesen Zeitraum angestiegen ist. Für viele Familien war der einzige Weg, ihren Lebensstandard zu halten, mehr Familienmitglieder in die Lohnarbeit zu schicken. Bluestone und Rose (1997) schätzen, daß die durchschnittliche Arbeitszeit in Haushalten, in denen Frau und Mann lohnarbeiten, von 1971 bis 1988 um 20 Prozent angestiegen ist (zur weiteren Analyse des Anstieges der Familienarbeitszeit siehe auch. Mishel et al.: 79-94). Überdies beschreiben die Zahlen über die Haushaltseinkommen das durchschnittliche Einkommen. Wie wir weiter unten sehen werden, haben sich die Haushaltseinkommen in den 80er und 90er Jahren stark auseinanderentwickelt. Daher mußte in diesem Zeitraum eine große Zahl, vielleicht die Mehrheit der US-Haushalte, einen Rückgang der Einkommen hinnehmen.
Eine Art, wie der Konsum der Haushalte trotz fallender Reallöhne und Haushaltseinkommen aufrechterhalten wurde, ist die steigende private Verschuldung. Die Privatverschuldung als Anteil des Nettoeinkommens hat von ca. 70 Prozent in den 70er Jahren auf den historischen Höchstwert von fast 100 Prozent 1997 zugenommen. [5] Doch die größere Schuldenlast macht die Haushalte auch anfälliger gegen eigene Bankrotte, vor allem wenn es mit der Wirtschaft bergab geht. Tatsächlich hat sich die Zahl der privaten Bankrotte seit den frühen 80ern stetig gesteigert. Dieser Prozeß hat sich während der vergangenen »Boom«-Jahre mit außergewöhnlich niedrigen Zinsraten sogar noch beschleunigt und hat die Zahl auf Rekordwerte wachsen lassen (über sechs von 100 Haushalten). Wenn die Zinsraten steigen würden und / oder die Einkommen aufgrund einer Rezession fallen würden, würde sich die Zahl der privaten Bankrotte wahrscheinlich deutlich erhöhen. Viele Familien würden ihre Autos, Häuser usw. verlieren, die sie auf Kredit angeschafft haben.
Ein anderer Weg für die Haushalte, den Konsum trotz fallender Reallöhne zu erhalten, ist es gewesen, einen größeren Anteil des verfügbaren Einkommens auszugeben, d.h. einen geringeren Anteil zu sparen. Die Sparrate in der US-Wirtschaft war immer niedriger als in den meisten anderen entwickelten Industrieländern (um fünf Prozent), wie Deutschland (15 Prozent) oder Japan (20 Prozent). In den vergangenen Jahren hat sich die Sparrate in den USA weiter auf ca. zwei bis drei Prozent verringert, und im letzten Quartal (3. Quartal 1998) ist sie sogar negativ geworden! [6]
Ein wichtiges Ergebnis der fallenden Reallöhne und Familieneinkommen ist der steigende Teil der Bevölkerung, der in Armut lebt. Nach Regierungsangaben hat sich der Anteil der US-Bevölkerung mit Einkommen unterhalb der offiziellen »Armutsgrenze« von ca. 11 Prozent 1973 auf ca. 14 Prozent Mitte der 90er Jahre erhöht, was einen langen Trend sinkender Armutsraten von ca. 25 Prozent in den 50er Jahren umkehrte. Darüberhinaus wenden viele Forscher ein, diese Zahlen unterschätzten sowohl das absolute Ausmaß der Armut wie auch die Stärke des vergangenen Anstieges. Alternative Schätzungen, die auf einem realistischeren und vernünftigeren Maßstab der Armutsgrenze basieren, legen nahe, daß der Anteil der Bevölkerung, der in Armut lebt, in den letzten Jahrzehnten um mehr als 50 Prozent gestiegen ist: von ca. 17 Prozent 1973 auf ungefähr 26 Prozent 1989 (Ruggles, 1990: 55). Dieser Anteil hat sich ziemlich sicher seitdem noch erhöht (die offiziellen Armutszahlen sind von 11,7 Prozent 1989 auf 13,8 Prozent 1995 gestiegen). [7] Das heißt, daß in diesen letzten Jahrzehnten der Stagflation der Fortschritt der US-Wirtschaft in der Reduzierung der Armut gestoppt wurde und sich ins Gegenteil verkehrt hat. Das Ausmaß der Armut im angeblich reichsten Land der Welt ist beschämend.
Die sinkenden Reallöhne haben auch dazu beigetragen, daß die Ungleichheit bei der Verteilung der Einkommen in der US-Wirtschaft rapide angestiegen ist. Der Anteil der Einkommen, die auf die reichsten 20 Prozent der Haushalte entfallen, ist von 41,1 Prozent 1973 auf 46,5 Prozent 1995 gewachsen. Der Teil, der den reichsten 5 Prozent der Familien zufließt, ist in dieser Zeit von 15,5 Prozent auf 20 Prozent angestiegen. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der ärmsten 40 Prozent der Haushalte am Gesamteinkommen von 17,4 Prozent auf 14,5 gesunken (Daten vom US-Büro für Statistik). (Wir sehen, daß die reichsten fünf Prozent deutlich mehr Einkommen haben als die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung.) Von 1979 bis 1994 stieg das durchschnittliche Realeinkommen der reichsten 20 Prozent der Bevölkerung um 30 Prozent und das der reichsten fünf Prozent um 50 Prozent. Während der selben Periode sank das durchschnittliche Realeinkommen der ärmsten 20 Prozent um zehn Prozent. Für die wohlhabende Elite mag die US-Wirtschaft tatsächlich boomen, aber für die Mehrzahl der US-amerikanischen Arbeiter, vor allem für die mit den am schlechtesten bezahlten Jobs boomt sie definitiv nicht. Marx' »allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation« - das die Akkumulation des Reichtums der Kapitalisten mit der Akkumulation der Armut der Arbeiter verbindet - scheint in den letzten Jahrzehnten in den USA (und tatsächlich weltweit) nur allzu wahr gewesen zu sein.
Es ist bereits gesagt worden, daß es ein weitverbreitetes Mittel der Lohnsenkung (und damit der Wiederherstellung der Profitabilität) war, den Anteil der verschiedenen Arten von prekären Arbeitsverhältnissen [»contingent« jobs], wie Teilzeitarbeit, Leiharbeit und ähnliche Jobs, zu erhöhen. Nach einer Schätzung hat sich der Anteil solcher Jobs in der US-Ökonomie von ca. 18 Prozent in den 70er Jahren auf heute ca. 25 Prozent erhöht (Tilly, 1996, Kapitel 1). 80 Prozent dieser prekären Jobs sind Teilzeitjobs. Manche Arbeiter bevorzugen Teilzeitjobs aus den verschiedensten Gründen (fehlende Kinderbetreuung eingeschlossen), aber fast das gesamte Wachstum von Teilzeitjobs in den letzten 20 Jahren geht auf unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung zurück. (Tilly bietet eine vorzügliche Analyse der wachsenden Bedeutung der Teilzeitarbeit für die US-Ökonomie). Leiharbeit ist eine der am schnellsten wachsenden Kategorien in der Klassifizierung des Büros für Arbeitsstatistik [Bureau of Labour Statistics]: sie ist seit 1980 zehnmal so schnell gewachsen wie die Gesamtbeschäftigung und zwar von fast 0 auf über 2 Prozent des Gesamtarbeitsvolumens. [8]
Im Allgemeinen sind diese prekären Jobs viel unsicherer als feste Vollzeitjobs. Aus diesen Jobs werden die Leute in der nächsten Rezession wahrscheinlich als erstes entlassen. Daher ist trotz niedriger Arbeitslosigkeit ein großer Teil der Arbeiter ökonomisch unsicher, frustriert über ihre Jobs und besorgt über die Zukunft. Dieses tiefe untergründige Gefühl wirtschaftlicher Besorgnis zeigt sich jedesmal deutlich, wenn eine große Firma ankündigt, sie würde für ein paar hundert »gute« Jobs - d.h. Vollzeit und annehmbar bezahlt - Leute suchen, und sich tausende von Arbeitern bewerben.
Die wachsende Bedeutung von prekärer Beschäftigung in der US-Wirtschaft ist eine teilweise Eklärung dafür, warum die Inflation in den letzten Jahren trotz der niedrigen Arbeitslosenrate so gering geblieben ist. In der Vergangenheit hätten sich die Lohnsteigerungen bei einer solch niedrigen Arbeitslosenrate beschleunigt und hätten so die Inflationsrate hochgetrieben. Doch diese umgekehrte Proportionalität zwischen der Arbeitslosenrate einerseits und der Lohnsteigerungsrate andererseits (was Makro-Ökonomen die »Phillips-Kurve« nennen) hat anscheinend für die US-Wirtschaft der letzten Jahre nicht gegolten. Die Arbeitslosenrate ist gesunken und ist nun im historischen Maßstab sehr niedrig, aber die Lohn- und Preissteigerungen haben sich nicht beschleunigt.
Die offiziellen Schätzungen der Arbeitslosenrate unterscheiden aber nicht zwischen Teilzeit- und Vollzeitjobs. So hat ein wachsender Teil der Beschäftigten trotz niedriger offizieller Arbeitslosenrate Teilzeitjobs. Deshalb ist das Angebot an Arbeitskraft alles andere als erschöpft. Das Überangebot an Arbeit von Arbeitern mit Teilzeitjobs setzt die Löhne weiterhin unter Druck. Bluestone und Rose (1997) haben eine ähnliche Erklärung für das Ausbleiben von Lohnsteigerungen und Inflation unter den derzeitigen Bedingungen niedriger offizieller Arbeitslosenrate gegeben.
Deshalb haben die Versuche der kapitalistischen Unternehmen, ihre Profitabilität durch Lohnsenkungen wiederherzustellen, einen hohen Tribut von den Arbeitern verlangt. Ihre Löhne und die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze haben abgenommen. Für viele ist der »amerikanische Traum« von guten Jobs und ewig steigendem Lebensstandard eine Illusion geworden.
Doch es ist überraschend - und alarmierend - daß trotz dieser allgemeinen Reallohnsenkungen die Profitrate in der US-Wirtschaft sich bisher nur um ein Drittel ihres vorherigen Abfalls erhöht hat, so daß die Profitrate heute immer noch 35-40 Prozent unterhalb ihrer Spitzenwerte der Nachkriegszeit liegt, wie es Abb. 2 zeigt (für weitere Erörterungen dieser Zahlen siehe Moseley, 1997). Mit anderen Worten: die ausgedehnten Versuche der kapitalistischen Unternehmen, ihre Profitrate zu erhöhen, die derartig negative Wirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter hatten, haben bisher nur Teilerfolge gebracht. [9] Das ist der kritische Faktor, den Business Week in ihrer Ankündigung einer »new economy« übersieht. Alle neuen Technologien haben bisher nicht zu einer vollständigen Erholung der Profitrate geführt. [10] Diese schwache Erholung der Profitrate ist der Hauptgrund, warum die Stagflation sich in den 90er Jahren fortgesetzt hat und warum sie sich wahrscheinlich in absehbare Zukunft fortsetzen wird. [11]
In Moseley (1997) habe ich angeführt, daß nach der Marx'schen Theorie der Hauptgrund für diese schwache Erholung der Profitrate bei sinkenden Reallöhnen ein anhaltendes Wachstum der unproduktiven Arbeit im Verhältnis zur produktiven Arbeit gewesen ist. Eine genaue Analyse der Gründe für die schwache Erholung der Profitrate wird in Moseley (1997) vorgestellt und ist jenseits der Möglichkeiten dieses Papiers. Hier soll es genügen zu sagen, daß aus dieser unvollständigen Erholung der Profitrate der Schluß gezogen werden kann, daß die lange Periode der Stagflation der US-Wirtschaft nicht vorbei ist und daß der Druck auf die Reallöhne wahrscheinlich anhalten wird, weil die Unternehmen weiterhin versuchen, die Profitabiltät bis auf das Nachkriegsniveau zu restaurieren.
3. Steigende Abhängigkeit von ausländischem Kapital
Warum hat sich aber das Wachstum der US-Wirtschaft während der letzten zwei Jahre beschleunigt, obwohl die Wirtschaft schon seit vier Jahren boomt, so daß man normalerweise eine Abschwächung des Wachstums erwarten würde, vor allem da die Erholung der Profitraten so schwach und unvollständig war? Ich habe keine vollständige Antwort auf diese Frage, aber ich will auf einen wichtigen Faktor hinweisen, der anscheinend generell übersehen wird: es gab seit 1993 einen deutlichen Anstieg des Nettozuflusses von ausländischem Kapital in die US-Wirtschaft. Seit den frühen 80er Jahren (als die USA das erste mal seit dem Vorabend des ersten Weltkrieges zu einer »Schuldnernation« - d.h. einem Nettoimporteur von Kapital - wurden) ist die Abhängigkeit der US-Wirtschaft von ausländischem Kapital immer weiter gewachsen. Der jährliche Nettokapitalzufluß (also der Zufluß von ausländischem Kapital minus dem Abfluß amerikanischen Kapitals) betrug von 1983 bis 1993 im Durchschnitt 88 Mrd. Dollar - eine Gesamtsumme von fast einer Billion Dollar. Diese wachsende Abhängigkeit der reichsten Nation der Welt von ausländischem Kapital ist historisch beispiellos. Sie steht in scharfem Kontrast zur US-Wirtschaft während des langanhaltenden Nachkriegsbooms und besonders zur Wirtschaft Großbritanniens im 19. Jahrhundert, als das Vereinigte Königreich die reichste Wirtschaft der Welt war.
Aber was auffällt, ist das wirklich starke Wachstum des Kapitalzuflusses seit 1993. Der Nettokapitalzufluß stieg von 59 Mrd. Dollar von 1990-93 auf rund 140 Mrd. Dollar 1994 und 1995 und wuchs dann noch einmal auf 195 Mrd. Dollar 1996 und noch einmal auf 216 Mrd. 1997. Die Zahlen für 1996 und 1997 stellen ungefähr 20 Prozent der privaten Bruttoinlandsinvestionen der US-Wirtschaft während dieser Jahre dar. Das ist selbst nach US-Maßstäben eine gewaltige Menge an Kapital. Es scheint höchst wahrscheinlich, daß dieses starke Steigen des Kapitalzuflusses deutlich zum beschleunigten Wachstum der US-Ökonomie während der letzten zwei Jahre beigetragen hat. Im Folgenden werden verschiedene Wege vorgestellt, auf denen der Zufluß ausländischen Kapitals zum beschleunigten Wachstum der US-Wirtschaft beigetragen hat.
Ein wichtiger Grund für das aktuelle starke Anwachsen des Kapitalzuflusses in die US-Wirtschaft ist ein gestiegenes wahrnehmbares Risiko bei Investitionen in die »emerging markets«, vor allem in Lateinamerika und aktueller in Asien. Die Wahrnehmung des erhöhten Risikos in diesen Ländern haben die USA als einen »sicheren Hafen« für Kapital attraktiv gemacht. Mehr als die Hälfte dieses Zuflusses an ausländischem Kapital sind in US-Schatzbriefe geflossen (derzeit der sicherste aller Häfen für Kapital). Eine anderer großer Teil dieses Wachstums ausländischen Kapitals ging in den US-Wertpapiermarkt (zum Verhältnis dieses Zuflusses und dem jüngsten Wertpapierboom weiter unten).
Tabelle 1: Nettokapitalzufluß in die USA, 1983-1997
Jahr US-Kapitalexport US-Kapitalimport Netto-Kapitalimport 1983 61,573 83,380 21,807 1984 36,313 113,932 77,619 1985 39,889 141,183 101,294 1986 106,753 226,111 119,358 1987 72,617 242,983 170,366 1988 100,087 240,265 140,178 1989 168,744 218,490 49,746 1990 74,011 122,912 48,181 1991 57,881 94,241 36,360 1992 68,622 154,285 85,663 1993 194,609 250,996 56,387 1994 150,695 285,376 134,681 1995 307,207 451,234 144,027 1996 352,444 547,555 195,111 1997 426,938 690,497 263,559 Wahrscheinlich hat der große Zufluß ausländischen Kapitals auf verschiedenen Wegen zum schnelleren Wachstum der US-Ökonomie beigetragen. In erster Linie hat der Kapitalzufluß das Angebot an Kapital in den USA erhöht, was zu niedrigeren als den sonst zu erwartenden Zinsraten geführt hat. [12] Die niedrigeren Zinsraten regten wiederum die Investitionen an, was durch den üblichen »Multiplikationseffekt« ein höheres Bruttosozialprodukt und beschleunigtes Wachstum nach sich zog. Außerdem kam es durch das schnellere Wachstum des BSP zu höheren Steuereinnahmen und damit zu einem geringeren Haushaltdefizit als erwartet. Die sehr schnelle Reduzierung des Bundeshaushaltdefizits war eine weitere angenehme Überraschung der letzten Jahre. Das geringere Haushaltsdefizit machte eine weitere Verringerung der Zinsraten möglich - ein richtiger Kreislauf, der teilweise durch das vermehrt einströmende ausländische Kapital verursacht wurde.
Ein weiterer wichtiger Weg, wie der Kapitalzufluß wahrscheinlich zu beschleunigtem Wachstum der US-Ökonomie geführt hat, ist der Wertpapierhandel. Die kräftige Erholung des Aktienmarktes, die in den letzten Jahren stattfand, erklärt sich zum Teil aus den niedrigeren Zinsraten, wie sie oben diskutiert wurden (und die Aktien im Verhältnis zu festverzinslichen Wertpapieren attraktiver macht (Schuldverschreibungen, Anleihen etc.)). Zusätzlich ging, wie bereits gesagt, ein großer Teil des Kapitalzuflusses in den Aktienmarkt, was die Nachfrage nach Aktien weiter erhöhte. Der Nettokauf amerikanischer Aktien durch ausländische Käufer stieg rapide von 12,6 Mrd. 1996 auf 66,9 Mrd. 1997 an. Das war mehr als das dreifache des bisherigen Höchstwertes von 19,0 Mrd. 1993.
Infolge dieser und anderer Faktoren, sind die Aktienkurse in den letzten zwei Jahren ungefähr um 50 Prozent gestiegen (um 150 Prozent seit 1993). Dieser sehr schnelle Kursanstieg hat den Wohlstand der kleinen Minderheit der US-Bevölkerung, die nahezu alle US-amerikanischen Aktien besitzt, stark gesteigert (1983 gehörte den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 89 Prozent der Aktien in privatem Besitz; das reichste Prozent besaß 62 Prozent der Aktien; und die reichsten 0,5 Prozent besaßen 47 Prozent; Quelle: Joint Economic Comittee of the US Congress; 1986.) Nach herkömmlicher Volkswirtschaftslehre hat dieser Wohlstand einen positiven Effekt auf die Konsumausgaben (der »Wohlstandseffekt«) - auf die Konsumausgaben der Reichen, das heißt derer, die an dem glücklichen Reichtum teilhatten. Die gesteigerten Konsumausgaben haben einen Multiplikationseffekt auf das BSP und die Wachstumsrate, analog den gesteigerten Investitionen, wie sie weiter oben besprochen wurden. Dieses beschleunigte Wachstum hat wiederum die Steuereinnahmen erhöht, das Haushaltsdefizit verringert und so weiter, im selben Kreis, der schon angesprochen wurde. Außerdem waren die größer als erwartet ausgefallenen Kapitalerträge, die direkt aus den steigenden Börsenkursen resultieren, eine weitere wichtige Quelle unerwarteter Steuereinnahmen der letzten Jahre, und trugen dadurch weiter dazu bei, Haushaltsdefizite zu verringern und Zinsen zu senken.
Ein weiterer wichtiger, aber selten erwähnter positiver Effekt der niedrigen Zinsraten ist, daß sich die Schuldtilgungen von US-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors in den 90er Jahren stark reduziert haben. In den späten 80ern litten viele US-Unternehmen unter hohen Schuldenlasten. Viele Ökonomen und die Wirtschaftspresse waren sehr besorgt, weil die gestiegene Schuldenlast die Wirtschaft anfälliger für die Ausbreitung von Bankrotten und Liquidationen und damit für einen ernsthaften wirtschaftliche Niedergang machte (Friedman, 1988, Bernanke und Campbell, 1988). Der Umfang dieser Unternehmensschulden ist in den 90ern nicht reduziert worden, aber die zu tätigenden Zinszahlungen sanken wegen des allgemeinen Zinsratenverfalls stark ab. [13] Dadurch wurde die Gefahr von Bankrotten und ernsthafter Rezession reduziert. Somit hat der ziemlich große Zufluß ausländischen Kapitals in den 90er Jahren der US-Wirtschaft (zumindest bis jetzt) geholfen, eine ernsthaftere Finanzkrise zu vermeiden, indem er zu den niedrigen Zinsraten beitrug.
Natürlich sind diese positiven Effekte des Kapitalzuflusses für die US-Wirtschaft auf der anderen Seite von all den gegensätzlichen negativen Auswirkungen in den Ländern, die in den letzten Jahren eine Kapitalabwanderung erleiden mußten, begleitet. An erster Stelle hat die Kapitalabwanderung aus Asien teilweise zu einer strengen und sich verschlimmernden Depression geführt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Krise in Asien tiefe und innere Ursachen hat (deren genauere Diskussion jenseits der Möglichkeiten dieses Textes liegt). Aber die unmittelbare oder »auslösende« Ursache für den Zusammenbruch der asiatischen Wirtschaft in den letzten zwei Jahren war der massive Abfluß von Kapital aus dieser Region. Dieselben internationalen Kapitalflüsse, die in den USA zu einem »Boom« beigetragen haben, haben eine Depression in Asien ausgelöst.
4. Wohin geht es?
Wie lange können diese stark abweichenden Entwicklungen der Weltwirtschaft noch weitergehen? Wie lange noch können die Kapitalflüsse aus den »emerging markets« in die USA auf dem sehr hohen Niveau der letzten Jahre bleiben und dadurch sowohl zum Boom in den USA als auch zur Vertiefung der Krise in den Ländern der »emerging markets« beitragen? Vielleicht können diese Kapitalflüsse noch ein paar Jahre auf diesem hohen Level bleiben. Wenn sich die Krise in Asien weiter verschlechtert, wird wahrscheinlich noch mehr Kapital in den »sichern Hafen« USA fliehen, was die Krise in Asien noch weiter verschlimmern würde (obwohl nicht mehr viel ausländisches Kapital in Asien ist, das fliehen könnte). Dennoch kann die wachsende Polarisierung der kapitalistischen Weltwirtschaft nicht ewig weitergehen. In nicht allzu langer Zeit würde die sich verschlechternde asiatische Krise die US-Wirtschaft (und den Rest der Weltwirtschaft) mit sich reißen. Auf welche Weise, soll nun besprochen werden.
Wenn andererseits diese Kapitalzuflüsse auf ihr vorheriges Niveau, sagen wir 100 Mrd. pro Jahr, zurückgehen würden, würde die Wachstumsrate der US-Wirtschaft wahrscheinlich auf die zwei bis zweieinhalb Prozent zurückfallen, die in den frühen 90er Jahren vorherrschend waren.
Darüber hinaus zeigt die asiatische Krise auch schon negative Auswirkungen auf die US-Wirtschaft - bisher hauptsächlich durch die Abnahme der Exporte in asiatische Länder. Die meisten Ökonomen sagen vorher, daß dieser negative Effekt auf die US-Wirtschaft sich nur wenig auswirken wird, weil die Exporte in ihrer Gesamtheit lediglich 12 Prozent des BSP ausmachen und die Exporte in asiatische Länder (einschließlich Japan) davon nur 30 Prozent ausmachen. Bisher hat die Abnahme der US-Exporte nach Asien ca. 20 Prozent betragen. Wenn das der gesamte Rückgang ist, wie viele Ökonomen zu glauben scheinen, wäre der negative Effekt für die US-Wirtschaft geringer als ein Prozent. Aber wenn der Rückgang weiter anhält, wären die Auswirkungen auf das US-Wachstum größer. Wenn z.B. die US-Exporte nach Asien um 30 Prozent fallen würden, und die restlichen weltweiten Exporte als indirekte Folge der Asienkrise gleichfalls sinken, dann könnte das das Wachstum mit zwei bis drei Prozent des BSP belasten, was die US-Wirtschaft ziemlich sicher in eine Rezession treiben würde.
Außerdem scheinen die wachsenden Ängste wegen der Asien-Krise in den letzten Wochen den Aktien-Boom in den USA gebremst zu haben. Es gibt die reale Möglichkeit eines deutlichen Rückganges am Akteinmarkt in der nahen Zukunft (das scheint an jedem Tag, an dem ich diesen Text schreibe, wahrscheinlicher zu werden; August 1998). Wenn ein ernster Rückgang am Aktienmarkt auftreten sollte, würde der Konsum drastisch zurückgehen (vor allem der Konsum sehr teurer Produkte, wie Häuser, Autos, Computer, Fernseher, Stereoanlagen, Restaurants und Urlaubsreisen), was die US-Wirtschaft noch tiefer in die Rezession treiben würde.
Wenn die asiatische Krise sich wirklich weiter verschlimmert, wächst außerdem die Gefahr, daß ein oder mehrere asiatische Länder ihre Schuldzahlungen an US-Banken und andere US-amerikanische Geber aussetzen (oder genauer: daß asiatische Banken und private Unternehmen ihre Schulden nicht zurückzahlen werden). Die meisten dieser Schulden, die ursprünglich kurzfristige Kredite waren, wurden neu festgesetzt und ihre Laufzeit auf zwei bis drei Jahre verlängert. Ob die asiatischen Schuldner die Kredite werden zurückzahlen können, wenn sie Anfang des nächsten Jahrtausends fällig sind, hängt davon ab, wie sich die asiatische Krise in Zukunft entwickelt. Wenn das Schlimmste vorbei ist, und diese Wirtschaften sich in den nächsten zwei Jahren zu erholen beginnen, sollten die meisten Schuldner in der Lage sein, ihre Schulden zu zahlen. Doch wenn sich die Krise weiter verschlimmert, werden viele Schuldner gezwungen sein, die Zahlungen für die nächsten paar Jahre auszusetzen.
Die aktuellere Frage ist aber, ob diese asiatischen Schuldner in den nächsten ein oder zwei Jahren in der Lage sein werden, ihre Schulden zu zahlen. Die Zinsrate der verlängerten Schulden ist zwei bis drei Prozent höher als vorher, so daß es schwieriger wird, diese Schulden zu tilgen. Noch wichtiger ist, daß die fünfzigprozentige (oder höhere) Abwertung der asiatischen Währungen, die Forderungen, die in Dollar gestellt werden, in den Heimatwährungen gerechnet die Schulden mindestens verdoppelt haben. Eine vollständige Tilgung dieser Zinszahlungen scheint nicht sehr wahrscheinlich. [14] Zahlungsverzüge würden natürlich Verluste für US-Banken bedeuten. Wenn diese Verluste bedeutend genug wären, würde dies zu einer »Kredit-Krise« und zu höheren Zinsraten in den USA führen (weil die Banken ihre Kredite einschränken würden, um die Verluste, die sie in Asien machen, zu kompensieren), was die US-Wirtschaft weiter in die Rezession treiben würde. Die »Freikauf-Kredite« des IWF an asiatische Staaten sind genau darauf abgestimmt, daß asiatische Schuldner ihre amerikanischen und anderen ausländischen Gläubiger bezahlen können. Aber es ist nicht sicher, daß das auch funktionieren wird. Alles hängt davon ab, wie schlimm die asiatische Krise wird.
In den vergangenen Monaten ist eine andere »Kredit-Krise« in den USA aufgetaucht - eher durch den Handel mit Schuldverschreibungen als durch die Banken hervorgerufen. Kreditgeber sind durch die Zahlungsunfähigkeit Russlands im August und durch den Beinahe-Bankrott von langfristig angelegtem Kapital (ein großer Hedge Fond, der mehr als 100 Mrd. US$ von großen Banken in den USA und weltweit geliehen hatte) heimgesucht worden. Das hat zu einer »Flucht in die Sicherheit« geführt und dazu, daß Kreditgeber dem Kauf von Schuldverschreibungen, abgesehen von US-Schatzbriefen, immer ablehnender gegenüberstehen.
Eine weitere Gefahr besteht darin, daß japanische Banken aufgrund ihrer eigenen Wirtschaftskrise gezwungen sein könnten, die Kapitalausfuhr in die USA einzustellen und sogar beginnen könnten, Kapital aus den USA abzuziehen, um ihre lokalen Liquiditätsprobleme zu lösen. Dieser Abzug japanischen Kapitals aus den USA (oder auch nur der Stop weiterer Kredite) hätte ähnliche Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft wie ein Zahlungsstop der asiatischen Schuldner - Kreditkrise, höhere Zinsraten, usw. - und das wäre ein weiterer Faktor, der die US-Wirtschaft in eine Rezession (oder schlimmeres) treiben würde. [15]
Falls es in den nächsten ein oder zwei Jahren zu einer Rezession der US-Wirtschaft kommen sollte, hätte das verheerende Folgen für die übrige Wirtschaft weltweit, und ganz besonders für die asiatischen Länder. Die wichtigste Hoffnung der asiatischen Länder bei der Bewältigung ihrer Krise ist, ihre Exporte in den »boomenden« US-Markt zu verstärken (vorher bestand eine Hoffnung darin, die Exporte nach Japan zu verstärken, aber diese Hoffnung hat sich verflüchtigt, als Japan selbst in eine Rezession fiel). Falls die US-Wirtschaft in eine Rezession geht, würde die Nachfrage nach asiatischen Exporten in den USA zurückgehen statt zu wachsen. Ohne diese wichtigste Chance zur Erholung würden die asiatischen Wirtschaften wahrscheinlich für die nächsten Jahre in einer ernsthaften Depression steckenbleiben. Und wenn sich die asiatische Krise fortsetzt, werden diese Länder ziemlich sicher nicht in der Lage sein, ihre Schulden zu begleichen und ihre Kredite an US-Banken zurückzuzahlen.
Wenn andererseits eine ernsthafte Krise der US-Wirtschaft verhindert wird, würde die asiatische Krise US-Firmen die Möglichkeit bieten, die Konkursmasse der bankrotten asiatischen Firmen zu Niedrigstpreisen zu kaufen. Die Wirtschaftszeitungen sind voll mit Stories von US-Managern, die ganz Asien abfliegen, und nach den besten Angeboten und den niedrigsten Preisen suchen. Nach Kim und Cho (1998) hat es die südkoreanische Regierung selbst übernommen zu entscheiden, welche der bankrotten koreanischen Firmen abgewickelt wird und welche ausländischen Investoren zum Kauf angeboten wird. In diesem Fall wäre ein Resultat der Krise die steigende Zahl asiatischer Firmen in US-amerikanischem Besitz, d.h. die wachsende Dominanz US-amerikanischen Kapitals über die Weltwirtschaft. (Tabb, 1998, legt besondere Betonung auf dieses mögliche Ergebnis der asiatischen Krise.) Dieser Aufkauf bankrotter Firmen durch überlebende Firmen findet in jeder Depression statt. Aber dieses mal wird dieser Prozeß der Liquidation und Konzentration von Kapital wahrscheinlich zum ersten mal eine deutliche internationale Dimension haben. Der niedrige Kaufpreis der asiatischen Firmen würde auch die weltweite Profitrate der US-Firmen erhöhen und damit vielleicht zu einer zumindest teilweisen Lösung der Profitabilitätsprobleme des US-Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten beitragen.
Die Wahrscheinlichkeiten dieser verschiedenen Ergebnisse sind schwierig abzuschätzen, aber es scheint ziemlich sicher, daß der jüngste »Boom« der US-Wirtschaft zu einem großen Teil auf einen temporären Zufluß von ausländischem Kapital zurückgeht und fast sicher, daß dieser »Boom« nur kurz sein wird. Der aktuelle »Boom« ist kein Zeichen dafür, daß die lange Periode der Stagflation vorbei ist. Die US-Wirtschaft wird sicherlich sehr bald auf das langsame Wachstum zurückfallen, wie es in den 80er und Anfang der 90er Jahre vorherrschend war. Die kritische Frage ist, ob dieses langsamere Wachstum in die Krise führt oder nicht. Im besten aller Fälle mit langsamen Wachstum aber ohne Rezession, ist es nicht wahrscheinlich, daß die Reallöhne wachsen, wenn überhaupt, dann so wie während der Stagflation seit den 70er Jahren. Der amerikanische Traum wird schwer zu haben bleiben, wenn der US-Kapitalismus weiter versucht, seine Profitrate auf die Nachkriegswerte hochzutreiben. Wenn das langsame Wachstum zu einer Rezession führt, wächst die Gefahr, daß diese Rezession eine weltweite kapitalistische Krise auslöst. Ich glaube, es ist sehr wahrscheinlich, daß im nächsten Jahr (also 1999) eine solche Rezession der US-Wirtschaft auftritt.
Ich zögere, Vorhersagen für die US- und Weltwirtschaft über längere Zeiträume zu machen, aber wenn man der Geschichte (und Marx' Theorie) folgt, wird die Nachkriegsperiode mit sinkender Profitabilität und wachsender Verschuldung durch eine Zeit der Depression abgelöst, die von bedeutenden und häufigen Zusammenbrüchen gekennzeichnet ist, die die Profitrate für die überlebenden Firmen steigern und einen großen Teil der existierenden Schulden vernichten, und dadurch die Voraussetzungen für eine weitere Periode von Wachstum und Prosperität schaffen. Mit anderen Worten: eine Rückkehr zur Prosperität erfordert eine vorherige Depression. Es ist vielleicht möglich, daß eine solche Depression auch in den nächsten paar Jahren verhindert wird, aber ohne eine solche Krise ist eine Rückkehr zu den erfolgreichen Bedingungen des »goldenen Zeitalters«, wie die frühe Nachkriegsperiode genannt wird, nicht sehr wahrscheinlich.
Es ist sogar noch schwieriger vorherzusagen, wie die Antwort der US-Arbeiter auf die anhaltende wirtschaftliche Stagnation und die (bestenfalls) stagnierenden Reallöhne oder gar eine weltweite kapitalistische Depression ausfallen wird. Bisher waren die amerikanischen Arbeiter sehr zurückhaltend, haben sinkende Reallöhne und sinkende Jobsicherheit hingenommen. Doch einem guten Teil dieser Passivität liegt die optimistische Aussicht zugrunde, daß die Jahre der »Qual« bald vorüber sein werden und daß die US-Wirtschaft bald zu ihrem Erfolg der frühen Nachkriegsjahre zurückkehren wird, ihre Jobsicherheit und steigenden Reallöhne inbegriffen. Eine anhaltende Stagnation oder Schlimmeres würde diese Aussicht vernichten. Vielleicht wird Hinnahme dann in Widerstand umschlagen.
Literatur
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Fußnoten:
[1] Nach Brenners Berechnungen für die Profitrate fällt diese langsamer als bei anderen Berechnungen (30 Prozent im Vergleich zu ca. 50 Prozent), weil er neue Berechnungen für den Kapitalstock (der Nenner der Profitrate) benutzt, die auf einer neuen Methode fußen, die Abwertung zu berechnen. Diese neu berechneten Werte für den Kapitalstock steigen langsamer als die früheren Berechnungen. Daher fallen Brenners Werte für die Profitrate weniger als bei früheren Berechnungen. Doch diese neue Methode zur Berechnung der Abwertung (die sog. »declining balance«-Methode) ist meiner Meinung nach nicht zuverlässig. Diese Methode nimmt an, daß Industrie- und andere wirtschaftlich genutzte Gebäude sowie andere Arten von Bauwerken ewig halten, so daß die Abwertung mit einer viel niedrigeren Rate auftritt. Nach der alten Methode, werden Bauwerke in einer durchschnittlichen Zeit von 36 Jahren entwertet. Nach der neuen Methode sind nach 36 Jahren ungefähr 40 Prozent des ursprünglichen Wertes eines Bauwerkes noch nicht als Kosten in die Abwertung einbezogen worden. Die durchschnittliche Lebensdauer von 36 Jahren, die die älteren Berechnungen annimmt, ist vielleicht zu kurz (obwohl es dafür keinen überzeugenden Nachweis gibt), aber sicher ist die mittlere Lebensdauer von Gebäuden niedriger als unendlich und wahrscheinlich kürzer als 50 Jahre. Nach den neuen Berechnungen sind nach 50 Jahren 20 Prozent des ursprünglichen Wertes noch nicht abgewertet. Deshalb unterschätzen Brenners Berechnungen ziemlich sicher den Fall der Profitrate.
[2] Meine Berechnungen der Profitrate gelten für die gesamte Wirtschaft. Es werden auch oft Berechnungen für den nicht-finanziellen Wirtschaftssektor benutzt. Diese Berechnungen zeigen den gleichen Abwärtstrend, z.B. Weisskopf, 1979.
[3] Unproduktive Arbeit bezieht sich auf Arbeit, die zwar in kapitalistischen Betrieben aber in Bereichen der Zirkulation (Verkauf, Buchhaltung, Finanzen, Werbung, etc.) oder der Beaufsichtigung (Management, direkte Aufsicht, Aktenführung, etc.) geleistet wird. Nach Marx' Theorie produziert die Arbeit in diesen Bereichen keinen Wert und damit keinen Mehrwert und ist damit vom Standpunkt des Kapitals unproduktiv. Zirkulationsarbeit erzeugt keinen Wert und Mehrwert, weil der Austausch der Waren seinem Wesen nach als Tausch gleicher Werte angenommen wird. Analog wird auch Aufsichtsarbeit nicht zum Wert der Waren addiert, weil diese Arbeit technisch für die Produktion nicht notwendig ist, sondern nur wegen des antagonistischen Verhältnisses zwischen Kapitalisten und Arbeitern, das in der kapitalistischen Produktion um die Intensität der Arbeit herrscht. Weil die Arbeit der Aufseher keinen Wert produziert, muß der Lohn dafür aus dem Mehrwert bezahlt werden, der aus der produktiven Arbeit entsteht.
[4] Die andere wichtige Erklärung der fallenden Profitrate der US-Wirtschaft nach dem Krieg war die »Profitklemme«, wie sie von Weisskopf und Wolff und anderen vorgestellt wurde. Nach dieser Theorie war der Fall der Profitrate durch die Lohnsteigerungen verursacht, die aus den Arbeiterkämpfen der späten 60er und den frühen 70er Jahren resultierten. Die niedrige Arbeitslosenrate dieser Zeit hätte die Verhandlungsposition der Arbeiter gestärkt und sie in die Lage versetzt, Lohnsteigerungen auf Kosten der kapitalistischen Profite durchzusetzen. Meine Kritik des »Profitklemmen«-Ansatzes ist in Moseley (1991 und 1997) dargelegt und wird in Fußnote 11 kurz erläutert.
[5] Dieses Ausmaß der privaten Verschuldung ist viel größer als in den 20er Jahren, als Hypotheken und Verbraucherkredite viel weniger entwickelt waren, als sie es heute sind.
[6] Mit anderen Worten sparen die US-Haushalte nicht nur immer weniger, sondern sie haben begonnen, mehr auszugeben, als sie nach Abzug der Steuern übrig haben.
[7] Die Armutsrate für Afro-Amerikaner ist sogar noch höher - ca. dreimal so hoch wie für weiße Amerikaner.
[8] Ungefähr drei Viertel dieser prekären Jobs sind mit Frauen besetzt. Die meisten dieser Jobs sind in Verkaufs-, Schreib- oder Dienstleistungsberufen, in denen mehr Frauen beschäftigt sind.
[9] Brenner führt an, es hätte seit den 70er Jahren eine »kräftige Erholung« der Profitrate der US-Wirtschaft gegeben. Doch Brenners eigene Berechnungen zeigen über diesen Zeitraum einen Anstieg von weniger als zehn Prozent, und wie er selbst sagt, sind seine Werte immer noch 20-25 Prozent unter den Spitzenwerten der frühen Nachkriegszeit. Außerdem habe ich oben bereits gesagt, daß Brenner den Fall der Profitrate der Nachkriegszeit unterschätzt. Wenn diese zu niedrige Berechnung korrigiert wird, sind Brenners Berechnungen 30-35 Prozent unterhalb der früheren Höchstwerte, was weitgehend mit meinen Berechnungen übereinstimmt, die 35-40 Prozent weniger als die früheren Spitzenwerte ergeben. Ich sehe nicht, daß das eine »kräftige Erholung« der Profitrate wäre.
[10] Nach Regierungsstatistiken hat diese neue Technologie nicht einmal zu einer großen Erhöhung der Produktivität geführt. Die Vertreter der »new economy« sagen, die Regierungstatistiken unterschätzten die jüngsten Produktivitätssteigerungen, vor allen das Produktivitätswachstum durch Computer, das schwer zu ermitteln ist. Sogar wenn die Steigerung der Produktivität unterschätzt wird, ist der springende Punkt, daß die neuen Technologien die Profitrate nicht wiederhergestellt haben.
[11] Der Hauptpunkt meiner Kritik an der »Profitklemmentheorie« ist, daß dieser Ansatz nicht erklären kann, warum die Erholung der Profitrate in den letzten Jahrzehnten so schwach und unvollständig war. Wenn die Hauptursache der fallenden Profitrate die wachsende Macht der Arbeiter und steigende Löhne waren, sollten die letzten zwei Jahrzehnte mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit, geschrumpfter Macht der Arbeiter und fallenden Reallöhnen das Problem gelöst haben.
[12] Wir haben oben gesehen, daß die Sparquote in den USA sehr niedrig ist und im letzten Vierteljahr sogar negativ war. Unter normalen Umständen würde man erwarten, daß derart niedrige Sparquoten zu höheren Zinsraten führen, was einen negativen Effekt auf die Investitionsausgaben usw. hätte. Doch in diesem Fall hat der wachsende Zufluß an ausländischem Kapital die notwendigen Reserven geschaffen und hat die US-Wirtschaft in die Lage versetzt, die negativen Folgen höherer Zinsraten zu vermeiden. Mit anderen Worten hat der Kapitalzufluß die USA befähigt, den Kuchen gleichzeitig zu essen (den Konsum zu steigern) und zu behalten (Investitionen aufrechtzuerhalten).
[13] Die Zinszahlungen in Prozent der Bruttoeinkommen (Profit plus Zins) haben sich für Firmen außerhalb des Finanzsektors von einem Höchstwert von 38 Prozent 1990-91 auf 19 Prozent 1997 halbiert.
[14] Wade und Veneroso (1998) meinen, daß nur »wirklich große Verbesserungen der Handelsbilanz genug ausländisches Geld anlocken könnten, um die Zinszahlungen abzudecken, die in den nächsten Jahren fällig werden.« (S. 12)
[15] Die Abhängigkeit der US-Wirtschaft von japanischem Kapital war der Hauptgrund, warum die US-Regierung gegen den japanischen Vorschlag stimmten, einen »Asien-Fonds« zu schaffen, der den assoziierten asiatischen Ländern helfen sollte, ihre Schulden zu bezahlen. US-Vertreter fürchteten, mehr japanisches Kapital für Asien bedeute weniger japanisches Kapital für die USA (siehe Wade und Veneroso, 1998: 20). Es gibt aktuelle Gespräche darüber, diese japanische Idee wiederzubeleben, was dieses potentielle Problem für die USA wieder in den Vordergrund rücken könnte.