Editorial
Ins schöne Frühlingswochenende haben wir uns die Zirkularproduktion gepackt. Ein dünnes Heftchen ist auch nicht bei rausgekommen, sondern reichlich Stoff. Zeit für die Zusammenstellung und Übersetzung der Texte ist da. Mobilisierungen aus den Betrieben, die uns andere Aufgaben hätten stellen können, bleiben aus. So ist z.B. die bisherige Tarifrunde nicht aus dem gewerkschaftliche Ruder gelaufen, obwohl den ArbeiterInnen im Ostteil Deutschlands dabei klar gemacht werden soll, daß bis auf weiteres mit Angleichung an »Westlöhne« nix drin ist.
Die Artikel in diesem Heft sollen so zum einen unsere Diskussion weiterbringen, aber sie sollen auch in laufende Auseinandersetzungen eingreifen:
Ein Block zu »Kapitalismus und Krise« und einer zum Thema »Antisemitismus«. Auf den ersten Blick zwei zeitlose Themen, zu denen immer was geschrieben werden kann, aber nicht gleich einsichtig ist, warum wir mit so nem Klopper in die warme Jahreszeit gehen. Wo sich viele Menschen auf die 1. Mai Demos vorbereiten, andere heiße Tage für die Eröffnung der Expo planen oder sich auf Veranstaltungen oder Kundgebungen rund um den 8. Mai unter dem Motto »Befreiung vom Hitlerfaschismus - Gegen den Neofaschismus« o.ä. treffen.
Überfällig wäre es, mit vielen Leuten gegen Kapitalismus und für Kommunismus auf die Straßen zu gehen. Die Mobilisierungen laufen aber seltsam getrennt voneinander ab. Sicherlich sind viele auf »allen« Ereignissen präsent, aber die Vorbereitungen laufen in getrennten Kreisen. Und dies ist nicht Ausdruck einer »produktiven Arbeitsteilung« einer Bewegung, die sich die notwendigen Schritte zum Umsturz der herrschenden Verhältnisse eben aufteilt. Sie drückt einerseits aus, daß viele was machen wollen, sie transportiert aber auch die Unsicherheit darüber, wogegen genau oder wofür wir auf die Straße gehen.
Diese Unsicherheit treibt viele um, und sie ist in den verschiedenen Mobilisierungen auch präsent. Unserer Meinung nach gibt es momentan zwei Versuche, mit dieser Unsicherheit umzugehen: Die eine setzt auf den Willen zur radikalen Veränderung, die andere stellt gerade die Möglichkeit einer radikalen Veränderung in Frage. Die erstere setzt den Willen nach Veränderung und Aktion in ein Verständnis von Kapitalismus um, das fast ganz ohne Klasse oder Klassenkampf auskommt. Die zweite folgert im Gegensatz dazu aus den bisherigen Klassenkämpfen die Unmöglichkeit von Revolution.
- Die Demonstrationen in Seattle haben die Widersprüche in der Regenbogenkoalition aus »militanten Antikapitalisten« und »Kapitalismusreformern« endlich an die Oberfläche gebracht. Die Mobilisierung zur Expo trägt dem Rechnung, sie soll ohne deren Beteiligung (NGOs), bzw. in Abgrenzung zu diesen laufen. Die Diskussionen, ob die Expo nur ein Symbol ist, das den Kapitalisten um die Ohren fliegen soll, und die Einforderung von Inhalten - »warum sind wir gegen die Expo?« sollen mit dem »Klammerbegriff« Neoliberalismus zusammengehalten werden. Eine Klammer, in der die Ungerechtigkeiten dieser Welt zusammengefaßt werden, was sich in der Themenauflistung wie »Expo und Entwicklungspolitik«, »Expo und Umweltschutz«....wiederspiegelt. Als Summe all dieser schlechten Zustände erscheint der Kapitalismus, gegen den all diejenigen »vernetzt« werden sollen, die ihn weghaben wollen. Insofern ist es auch konsequent, daß mit denen nicht zusammengearbeitet wird, die ihn nur reformieren wollen. Nach den schlechten Erfahrungen anläßlich der Mobilisierungen gegen den EU-Gipfel in Köln letztes Jahr, als die reformistischen Kräfte inhaltlich und organisatorisch dominierten, und mit dem Schwung von Seattle hat es eine Befreiung aus der unguten Allianz mit den »Kapitalismusregulierern« gegeben. Sie gräbt diesen Gruppen oder Vorstellungen aber noch nicht wirklich das Wasser ab: Die Attraktivität des »Machbaren« hat ihre Basis in Vorstellungen, die uns Demokratie und Kapitalismus als das »Ende der Geschichte« weis machen wollen, in der scheinbaren Unmöglichkeit revolutionärer Veränderungen. Deswegen reicht es nicht aus, den Kapitalismus als Summe von Ungerechtigkeiten herauszuarbeiten und dem unseren Willen zur Veränderung gegenüberzustellen.
- Die Antifa-Szene ist in zwei Richtungen in Bewegung:
ein Teil mauert sich immer mehr in ihrer antifaschistischen und/oder antideutschen Begriffswelt ein. Es werden »antifaschistische« Bündnisse organisiert, oft mit jenen angeblichen Vertretern der ArbeiterInnen (Gewerkschaften), deren »Klientel« doch als strukturell rassistisch oder antisemitisch begriffen wird. Eine Demonstration in Berlin (gegen eine Pro-Haider Demo der NPD), auf der die AA/BO Rednerin nach Thierse lau von Menschenrechten reden durfte, und sich hinterher nur die antifaschistische/antirassistische Demokratie auf den Bildschirmen und Zeitungsseiten feierte, wird als Erfolg verkauft. Trotz aller Rhetorik gegen den Kapitalismus wird eine antifaschistische/antirassistische Demokratie zum einzig Möglichen, weil die »antideutsche Ideologie« jegliche Veränderungen der Menschen oder mit den Menschen verneint, und nur noch sich selber für die einzig fortschrittliche moralische Instanz hält.Auf der anderen Seite gibt es Veranstaltungen, auf denen Antifas zunächst heftig die antifaschistische Ideolgie kritisieren. Vielen ist klar, daß es nicht angehen kann, daß wir uns z.B. hinter die antifaschistischen Gebärden der europäischen Staaten gegenüber der neuen Regierung in Österreich einreihen. Aber die Kritik dreht auf halbem Wege wieder um, landet doch wieder beim Antifaschismus, überlegt, ob nicht doch zunächst die Demokratie verteidigt werden muß...mit Bauchweh wird zum nächsten Antifatermin gegangen (was nicht schlimm wäre, wenn die Kritik dort eine Ausdrucksform finden würde).
Diese Getrenntheit der Mobilisierungen, die Unsicherheit, die im Raum stehenden Fragen wirklich anzupacken, haben unserer Meinung nach einen gemeinsamen Kern: ist mehr drin, als nur die ungerechte Welt etwas gerechter zu machen? Unsere beiden Themenschwerpunkte sollen eine Bresche in diese Ungewißheit schlagen:
Im Teil zu Kapitalismus und Krise wollen wir zeigen, daß es einer revolutionären Diskussion nicht genügen kann, den Kapitalismus als ungerecht zu beschreiben; sie muß dagegen davon ausgehen, daß er auch endlich und instabil ist. Und sie muß diese Endlichkeit und Instabilität an der heutigen Realität festmachen, um einen Faden für unsere Argumentation und Aktion gegen den heutigen Kapitalismus an die Hand zu bekommen. In der Einleitung zu diesem Schwerpunkt findet ihr kurze Einführungen zu den einzelnen Texten.
Zu den Artikeln zu »Antisemitismus und Klassenbegriffs« ist zu sagen, daß eine Debatte über den Antisemitismus nicht stattfindet. Die laufende Debatte hat stattdessen die Funktion, den Deckel auf die Auseinandersetzung zu machen, bzw. mit der Frage nach dem Antisemitismus oder Faschismus die Antwort gleich mitzuliefern: nach Auschwitz kann nicht mehr von Klassenkampf und Revolution geredet werden. Kann eine solche Diskussion überhaupt geführt werden, ohne daß die Demokratie kritisiert wird? Die Kritik an der Demokratie ist wichtig, weil sonst eine andere Art des menschlichen Zusammenlebens gar nicht denkbar wird! Ebensowenig wie der Kapitalismus Endzweck der Menschheitsgeschichte ist, ist die Demokratie die »beste aller möglichen Gesellschaftsformen«!
Aber die Kritik an der Demokratie ist für den üblichen linken Diskurs auch gefährlich - woran sollen sich denn Linke in einer Zeit voller Ungewißheiten wie der heutigen noch erkennen, wenn nicht daran, daß man »zuerst einmal Demokrat ist«? Oder Antifaschist, oder Antirassist?
Daß es heut nicht gerade nach Revolution aussieht, daß es Rassisten gibt und daß es den Faschismus und Auschwitz gegeben hat, ist für einige die Begründung, Klasse und Klassenkampf nur noch negativ zu besetzen - wer die Begriffswelt des »strukturell rassistischen oder antisemitischen Grundkonsenses« nicht teilt, wird schnell dem Geruch ausgesetzt, rassistisch oder antisemitisch zu sein.
Darum geht es in dem Artikel »Le Fichisme Ne Passera Pas/The X-Filers«. In Frankreich wird seit Jahren mit großem Kaliber geschossen, um linksradikale Kritiker der Demokratie, die sich nicht dem Zeitgeist angepaßt haben, mittels des Vorwurfs der Nähe zu revisionistischen Positionen zu diskreditieren. Zu ihnen gehört Gilles Dauvé, von dem wir in den letzten Zirkularen Texte abgedruckt hatten. Der Text von ehemaligen Mitgliedern von La Banquise in diesem Heft nimmt hierzu Stellung. Das Anliegen des Textes ist auch ohne die Kenntnis der ganzen Debatte in Frankreich verständlich - weil er nicht defensiv versucht, auf die Vorwürfe zu antworten, sondern offensiv die These vertritt, daß sie nicht wegen möglicher Schwächen oder Ungenauigkeiten angegriffen werden, sondern wegen ihres starken Punktes: darauf zu bestehen, daß Faschismus und Nazismus ihren Ursprung im Kapitalismus haben, daß sich die Welt nicht aus den Extremen, sondern aus der alltäglichen Gewalt der Verhältnisse entschlüsselt.
Der Artikel »Antisemitismus und die Grenzen des Klassenbegriffs« stellt die Frage nach der Funktion des »Antisemitismusvorwurfs« innerhalb der deutschen Linken und bringt ihn mit dem »Abschied vom Proletariat« in Zusammenhang. Gleichzeitig sollen blinde Flecken des Klassenbegriffs mit Hilfe einer aus der »kritischen Theorie« entliehenen »Ideologiekritik« offengelegt werden. Dem Artikel folgt eine Antwort, die einwendet, daß eine so gefaßte »Ideologiekritik« den Spagat zwischen eingeforderter radikaler Klassenanalyse und »kritischer Theorie« machen will, dabei aber ein Kreis rauskommt: nach Ausschwitz ist kein Klassenkampf mehr möglich, aber ohne ihn geht es auch nicht...?!
Zu der tagelangen Hetzjagd auf LandarbeiterInnen aus Marokko in Südspanien haben wir einen Artikel zusammengestellt, weil die prompte Reaktion der MigrantInnen - ihr Streik - darauf hingewiesen hat, daß es nicht reicht, auf den Rassismus abzuheben, sondern nur die Organisierung der Leute die Situation verändert. Ein Artikel der gruppe demontage trägt wichtige neuere Informationen bei. Wir haben in einer kurzen Einleitung versucht, über die lokalen Hintergründe hinauszugehen.
Dann gibt es noch ein Referat aus der Veranstaltung »Zu Kurz gedacht«. Wir wollen damit die Kritik am »Manifest gegen die Arbeit« zuspitzen und weiterbringen. Die »Ver-Kurzungen« dieser Kritik der Arbeit, gepaart mit der von Krisis vorgelegten Analyse, führen zu einem positiven Bezug auf die Elendsprojekte des »dritten Sektors«, die oft genug nur den billigen Kitt für die sich verschärfenden sozialen Spannungen abgeben.
So, genug der Vorrede. Zieht euch das Teil rein, es hat zwar nicht ganz Hosentaschenformat, aber heutzutage trägt mensch ja eh Hosen mit größeren Taschen. Es sollte also möglich sein, das Heft mit an die Sonne zu nehmen, oder mit auf die Reise zu einer der vielen anstehenden Demos... Veranstaltungen ...
Ma./Berlin-Potsdam