Ketchup ál Ejido
In Madrid bereitet sich der konservative Wahlsieger vom 12. März auf seine zweite Amtszeit vor. José María Aznar von der Volkspartei, PP, sieht zwei große Herausforderungen für seine neue Regierung: Die Lage im Baskenland und ETA sowie die Einwanderung. So gibt es beim Run auf die hochdotierten Jobs jetzt einen Posten mehr. Eine Staatssekretärin für die Immigration wird gesucht. Sie wird direkt dem Ministerpräsidenten, also Aznar selbst, unterstellt sein. Der aktuelle Anlaß für die Aufwertung der Einwanderungskontrollpolitik sind die schwersten rassistischen Überfälle seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975.
Vom 5.-8. Februar fielen Tausende von EinwohnerInnen der südspanischen Kleinstadt El Ejido über die LandarbeiterInnen her, die mit marokkanischen Papieren nach Andalusien gekommen waren. Ihre Unterkünfte wurden abgebrannt, ihre Läden zerstört, ihre Autos zu Klump gehauen - auch wenn jemand drin saß. Drei Tage dauerten die pogromartigen Überfälle, bevor die zuschauende Gemeindepolizei zusammen mit der Guardia Civil einschritt. 55 Verhaftungen gab es - 39 MigrantInnen und 16 spanische Staatsangehörige, die festgenommen wurden, weil sie mit Eisenstangen und Baseballschlägern auch Funktionäre angriffen, die mit der Einwanderung zu tun haben. Der Staatssekretär für die Sicherheit, Ricardo Martí Fluxa, erklärte am 1. März, die verstärkte Polizeipräsenz aufrecht zu erhalten, »wegen der starken Präsenz der Immigranten«, welche die Sicherheit gefährde. Das freute den Bürgermeister von El Ejido, Juan Enciso von der PP. Bei den Überfällen im Februar waren zwei Brüder von ihm aktiv beteiligt. Mit dem Auto am Geschehen, hatten sie Megafone und Handys dabei.
Bei den Parlamentswahlen am 12. März konnte sich die PP in El Ejido von 46 auf über 64 Prozent verbessern. Und im gleichzeitig gewählten Regionalparlament sitzt jetzt Rosalia Espinosa von der PP für den Wahlkreis El Ejido. Sie sitzt auch im Kommunalparlament und dort die rechte Hand von Bürgermeister Enciso. Der hat seinen Posten seit Jahren inne. Bereits 1995 nutzte er sein Amt, um von MigrantInnen bewohnte Häuser räumen zu lassen. Die saßen danach auf der Straße und mußten sich mit notdürftigen Hütten oder verlassenen Höfen arrangieren. Die Gemeinderegierung verhindert, das MigrantInnen aus Nordafrika in den gleichen Ortsteilen wie die eingesessenen Bevölkerung wohnen. Enciso will die Niederlassung von MigrantInnen nur neben den außerhalb gelegenen Treibhäusern dulden: »So sparen sie sich das Geld für den Transport zum Arbeitsplatz.« Der Bürgermeister ist einer der neuen Agrarunternehmer, die mit dem Boom der Plastiktreibhäuser seit den 70er Jahren und den dadurch möglichen drei Ernten reich geworden sind. Auf seinen Gemüsefeldern wird besonders schlecht bezahlt. Aber Enciso ist typisch für viele Landbesitzer. Die 21000 Hektar Treibhauslandschaft erbrachten 1998 1,7 Milliarden Euro Umsatz, davon ist die Hälfte Gewinn. In vielen neuen Häusern ist Marmor verlegt, davor parken ein BMW und ein Mercedes.
Ein Extraprofit wird mit der Beschäftigung von LandarbeiterInnen ohne Papiere erwirtschaftet. Von den etwa 19 000 MigrantInnen in El Ejido haben nur 10 Prozent eine menschenwürdige Unterkunft, heißt es in einer Mitte April veröffentlichten Untersuchung der andalusischen Regionalregierung. Jede Nacht versuchen Menschen, in kleinen Booten über die Meerenge von Gibraltar von Marokko nach Spanien zu gelangen, um in Orten wie El Ejido Arbeit zu suchen. Viele werden erwischt, verhaftet oder ertrinken. Wer es geschafft hat, muß unter prekären Bedingungen überleben und wird ausgebeutet. Wie in der BRD auch sehen sich dabei viele der Privilegierten als Opfer der MigrantInnen: »Ich bin kein Rassist, aber ich habe die Nase voll«, erklärte etwa der Bauernunternehmer Antonio Gutiérrez. Auf seinen 3000 qm Gewächshausfläche dürfen MigrantInnen in stickiger, schwüler Hitze für 50 Mark pro Tag 12-16 Stunden arbeiten. Die Löhne sind in den letzten sechs Monaten massiv gedrückt worden von 4500 auf 3800 Peseten, 47 DM - sowohl die derjenigen mit Aufenthaltserlaubnis als auch die Löhne derer ohne Papiere. Im Dezember 1999 war deswegen ein Streik geplant, der aber von den Gewerkschaften abgeblasen wurde für einen Vertrag, den die Bauernunternehmer nicht unterschrieben haben. Gutiérrez erklärt: »Sie sollen sich anpassen oder verschwinden!« Den die »Mauren« hätten seinem Bäcker Brot geklaut und ihm selbst Kaninchen und Melonen.
Darüber, daß ein Marokkaner, der ein Bier trinken will, dafür in einer Bar 100 Peseten (60 Cents) mehr bezahlen muß als ein Spanier, redet er nicht. Auch in vielen Läden wird mit so einem rassistischen Preisaufschlag ungeniert ausgegrenzt. Jetzt im März, nachdem angeblich alles besser geworden sei in El Ejido.
Bereits 1998 erklärten die Gewerkschaften UGT und CCOO sowie die NGO Almería Acoge: »Die Ausländer werden wie Feinde behandelt, wie eine Gefahr für den Rest der Gesellschaft.«
Viele der LandarbeiterInnen wehrten sich im Februar mit einem Streik gegen die rassistischen Überfälle, viele flohen in die Berge. Der Streik war ein starkes Druckmittel, weil Haupterntezeit war: Die Schlacht um die Tomaten. Kosten für die Bauernunternehmer pro Streiktag: 12 Millionen Euro. Es kam schnell zu Verhandlungen. Am 13. Februar berieten Versammlungen der ArbeitsmigrantInnen über eine 9-Punkte-Vereinbarung mit dem Bauernverband und der Gemeinde: Darin wurden Entschädigungen zugesagt und der Neubau von Wohnungen. Die Organisation der Arbeitsmigranten aus dem Mahgreb in Spanien, ATIME, konnte sich dort durchsetzen und ein Ende des Streiks erreichen. Sie protestierten zwar gegen die Verhaftung von Streikposten durch die Guardia Civil, aber hofften auf die Vereinbarung. Die Vereinigung der Mahgrebmigranten in Spanien, AEME, lehnte die Vereinbarung als zu unverbindlich ab. Ihr Sprecher Mustafa Ait-Korchi, wurde deswegen isoliert. Er hat einen spanischen Pass und verlor bei den rassistischen Überfällen seine Bar »International«, die verwüstet wurde. Auf dem Streikplenum wurde aber beschlossen, den Streik nur bis zu den Wahlen auszusetzen, um ihn bei Nichterfüllung der Forderungen wieder aufzunehmen. Nach dem haushohen Sieg der PP ist davon bei ATIME keine Rede mehr. Die Plattform der Immigranten von El Ejido, ein neuer Verband von ArbeitsmigrantInnen nicht nur aus Marroko, sondern auch aus Lateinamerika und dem Senegal, ist am 14. März aus den Verhandlungen mit der Gemeinde ausgestiegen: Der Bürgermeister würde Abschiebungen nach Marokko forcieren und dafür die Ticket für die Fähre bezahlen. Für ATIME erklärte Abdelhamid Beyuki, daß die Vereinbarungen eingehalten würden und es Fortschritte gäbe beim Wohnungsbau und bei den Entschädigungen. Obwohl nur die Hälfte der Schadensansprüche vom Februar vom Staat anerkannt wurde und die Wohncontainer viel zu weit außerhalb des Ortes aufgestellt wurden, unterstützen die meisten ArbeitsmigrantInnen weiter ATIME. Die Plattform der Migranten und AEME riefen zu einer Protestdemo in Madrid auf gegen die Nichteinhaltung der Vereinbarung. ATIME hielt dagegen: »Wer jetzt zum Demonstrieren aufruft, hat keinen Respekt vor der Gemeinschaft«. Am 26. März blieben die AktivistInnen von AEME und der Plattform unter sich: Hinter dem Transparent »Wir protestieren gegen die Nichteinhaltung des Vertrages vom 12.2.« liefen 600 weit angereiste Leute durch Madrid. 100 kamen aus El Ejido, der Rest von den Treibhäusern der Umgebung und aus Almería. Ein Sprecher erklärte: »Der Kampf der Arbeiter von El Ejido, ihre Selbstorganisierung, ihr Streik sind eine würdige Antwort und ein Beispiel wie gegen Rassismus und Ausbeutung zu kämpfen ist.«
Anfang April wurden wieder Hütten und Autos von ArbeitsmigrantInnen in El Ejido angezündet. Es gab nur geringe Schäden: Die Plastikfolien und Kartons, aus denen die Hütten bestanden. In der Nacht darauf wurden - wahrscheinlich als Reaktion dagegen - sieben Treibhäuser in Brand gesteckt . Aber wie erklärte der am 12. März wiedergewählte Regionalpräsident Andalusiens, Manuel Chaves von der sozialdemokratischen PSOE: »El Ejido ist eine friedliche Kommune. Die fremdenfeindlichen Vorfälle kommen nur von kleinen Grüppchen.« Die Gemeindepolizei erklärte einfühlsam, ArbeitsmigrantInnen hätten die Hütten selbst in Brand gesetzt - aus Frust, daß die Haupterntezeit vorbei ist und viele arbeitslos geworden sind .
Gaston Kirsche, gruppe demontage