Wildcat-Zirkular Nr. 58 - Dezember 2000 - S. 57-59 [z58netsl.htm]


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Net Slaves

(K)eine Buchbesprechung

Computersklaven
Reportagen aus der Ausbeuterfirma Internet
Bill Lessard & Steve Baldwin; DVA, 2000
DM 39,80, ISBN: 3-421-05363-4

Kein anderer Bereich ist so voller Mythen über Arbeitsbedingungen und Traumlöhne wie die IT Branche. Gerade die US-amerikanische (Ex-)Linke, die nach vergeblichen Anstrengungen um die Revolution Marx gegen Mac tauschte, prägte Anfang der 70er Jahre ausgehend von einem trostlosen Tal im Norden Kaliforniens diesen neuen Hoffnungsträger. Hoffnungsträger sowohl für das Kapital, das die enormen Wachstumsraten und die mit Computern verbundene Rationalisierungseffekte gebetsmühlenhaft anpreist, Hoffnungsträger auch für Kämpfer gegen Arbeitslosigkeit und sinnlose Inanspruchnahme von Sozialgeldern, und nicht zuletzt Hoffnungsträger für diejenigen, die gerne wenig arbeiten und dafür ein horrendes Salär beziehen wollen. Wie sieht die Realität aber aus für InternetprogrammiererInnen, DatenbankspezialistInnen, Systemadministratoren und wie sich diese Berufe auch immer schimpfen mögen.

Bill Lessard und Steve Baldwin, beides Internet-gestählte Computerspezis, haben ein Jahr lang zwischen Frühjahr 1998 und Frühjahr 1999 zahlreiche Interviews mit Beschäftigten der us-amerikanischen Internetindustrie geführt und diese Ergebnisse in ein Buch fließen lassen.

Computersklaven - Reportagen aus der Ausbeuterfirma Internet

erschien dieses Jahr auf deutsch und man fragt sich, warum wir nicht selber früher auf die Idee gekommen sind, die Beschäftigten selber zu Wort kommen zu lassen, anstatt über new economy, Negri oder andere Wirrheiten zu fabulieren.

Lessard und Baldwin haben aus den Interviews Geschichten aus der Ich-Perspektive gemacht, die jede einzelne für sich eine bestimmte Figur des Internettheaters darstellt. Von der Webprogrammiererin, die sich freiberuflich als Freelancer von Auftrag zu Auftrag hangelt, über den Angestellten, der nichts anderes zu tun hat, als Chaträume frei von nicht familientauglichen Inhalten zu halten, bis zum LSD-schluckenden Firmenberater, der auf Kongressen Managern Unsinn über new economy erzählt und dafür Unmengen von Geld kassiert.

Anstelle der gängigen Berufsbezeichnungen haben sie alltägliche Namen gewählt, um - wie sie sagen - zu verdeutlichen, was die Leute tatsächlich tun und nicht durch die Namensgebung wieder an der Verschleierung mitzuarbeiten. Aus der Webprogrammiererin wurde so die Taxifahrerin, aus dem Firmenberater wurde ein Priester. Das Buch ist hierarchisch in 10 Ebenen (New Media Caste System) gegliedert, was ihrer Meinung nach der realen Hierarchie der Internetwelt am nächsten kommt.

Ebene 1.0 ist der Müllmann:

»...Verbringen Sie mehr als 10 Prozent der Woche damit, Programme umzuschreiben, technische Mängel zu beheben oder Computerkomponenten ein- und auzubauen? Regen Sie sich zu völlig unpassenden Zeiten (beispielsweise mitten in der Nacht) über einen bestimmten Betriebssystem-Kernel auf?«

Ebene 7.0:

»Sind Sie ein Vampir? Kennen Sie den Unterschied zwischen einer Suppennudel und einer Programmzeile C++? Interessiert Sie das überhaupt? ... Ist eitles Gequatsche eine treffende Bezeichnung für Ihren Tätigkeitsbereich?«

Trotz der realen Unterschiede zwischen den einzelnen Ebenen, was Lohn, Bedeutung in der Hierarchie, etc. angeht, zeigen die Erfahrungen der einzelnen Menschen doch eine Gemeinsamkeit: Nach anfänglich völlig naivem Enthusiasmus und Identifikation mit dem »Traumjob« in der Branche Nr. 1, macht sich im Laufe der Zeit ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Hass auf Job und Chefs breit. Die Einsicht, daß Firmenziele und eigene Bedürfnisse zwei Paar Stiefel sind, hält auch ab Ebene 5.0 spätestens nach dem ersten Nervenzusammenbruch Einzug.

Ken Hussein ein Angestellter der Ebene 9.0, ein sogenannter Roboter, der sich durch 7-Tage-Wochen und 20-Stunden-Tage vom mittellosen iranischen Einwanderer bis zum Jahreseinkommen von 500 Mille und Villa mit Pool gebuckelt hat, bekommt einen Nervenzusammenbruch und wird in die Nervenheilanstalt überwiesen. Nach einem Monat wird er entlassen, und die firmeneigene Krankenversicherung zahlt keinen Pfennig mehr, er muß das Haus verkaufen und schließt sich nach seiner Entlassung einer Selbsthilfegruppe an, die sich zum Ziel setzt, Ken's ehemalige Firma mit Klagen wegen sexueller Belästigung, Altersdiskriminierung, Rassendiskriminierung u.ä. zu überziehen.

Solche Beispiele ziehen sich durch alle 10 Ebenen des Buchs, Tenor: Geht's der Firma gut, geht's nicht unbedingt dir gut, geht's der Firma schlecht, ist das nicht unbedingt dein Schaden. Mit diesem Tenor unterscheiden sich die Netzsklaven nicht nur von dem normalem mystifizierenden Hype um das Internet, sie gewinnen auch im Vergleich zu ihren KollegInnen anderer Branchen.

Lessard und Baldwin, die einen Großteil ihrer Arbeit natürlich über die eigene Internetseite organisiert haben (http://www.netslaves.com), haben mit dieser typischen amerikanischen Mischung aus Enthüllungsjournalismus, Gerechtigkeit- und Gewinnstreben eine witziges Buch gemacht, das aber all zu oft in der Darstellung all des menschlichen Elends hängen bleibt, das so ein Job mit sich bringt.

»Wenn die Leute, die im Internet arbeiten, nicht ein bißchen halblang machen und statt dessen auf den Mythos vom 22 jährigen Programmiergenie setzen, der 36 Stunden am Stück arbeitet und dabei von Pizza und Mineralwasser lebt, werden wir in ein paar Jahren eine Menge kranker Leute da draußen haben, die zu allem Übel noch nicht mal krankenversichert sind!« (Aus dem Nachwort)


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