Wildcat-Zirkular Nr. 58 - Dezember 2000 - S. 51-56 [z58samst.htm]


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Samstag?!

Der massive Druck auf die ArbeiterInnen durch Entlassungen, Werksschließungen und -verlagerungen, der auch in Zeiten anscheinend anziehender Konjunktur nicht nachlässt, hat dazu geführt, dass es kaum noch größere Kämpfe um eigenständige Ziele der Klasse gibt. Auch das Fehlen einer Perspektive, die das Risiko größerer Auseinandersetzungen lohnend machen würden, trägt dazu bei, in der Öffentlichkeit ein Bild der Betriebe als befriedete Gebiete darzustellen.

Dabei läuft die tagtägliche Ausbeutung alles andere als konfliktfrei über die Bühne. Die Auseinandersetzungen haben aber eine andere Form als in Zeiten offensiver Massenkämpfe. Sie sind passiv und in der Zahl der Akteure klein auf Abteilungs- oder Gruppengröße beschränkt oder gleich ganz individuell. In der Regel gehen sie früher oder später auch verloren. Sie reichen aber aus, den Kapitalisten das Leben schwerer zu machen, als sie es sich wünschen. Solch ein Konflikt ist bei uns im Betrieb gerade zu einem vorläufigen Ende gekommen. Wir bauen im wesentlichen CNC-gesteuerte Werkzeugmaschinen. Zum kleinen Teil auch konventionelle Industriebohrmaschinen, die früher der Hauptproduktionszweig war. Nach der sogenannten Wende werden diese mittlerweile aber hauptsächlich in einem einverleibten Betrieb in Thüringen gebaut. Zu der Firmengruppe gehört mittlerweile auch ein Betrieb, welcher bereits zu DDR-Zeiten CNC-gesteuerte Bearbeitungszentren gebaut hat. Diese werden weiter gebaut, erweitert um große Maschinen, die vorher bei uns gebaut wurden. Dieser Betrieb scheint noch einige Reserven zu haben und wird seitdem er einverleibt wurde, mehr oder weniger als ständige Drohung gegen uns eingesetzt. Dort würde halt billiger produziert. Trotz längerer Arbeitszeit, niedrigeren Lohn und weniger Urlaub wären die Leute dort motivierter, keine Probleme mit Überstunden, wird uns immer wieder vorgehalten. Aus Gesprächen mit Kollegen aus dieser Firma kam aber heraus, dass das mit der Arbeitszeit, dem Lohn und den Urlaub zwar stimmt, das mit der Motivation aber gelogen ist. Dort wird Druck auf die ArbeiterInnen durch die hohe Arbeitslosigkeit ausgeübt und der Umstand schamlos ausgenützt wird, dass der Betrieb weit und breit die einzige Möglichkeit ist, als qualifizierter Facharbeiter überhaupt einen Job zu kriegen.

Nun aber zu uns. Bis zum Herbst letzten Jahres waren bei uns ca. 130 Leute beschäftigt, davon 80 Arbeiter. Weil es dem Betrieb angeblich beschissen ging, die Banken drohten Kredite nicht zu verlängern, kaum Aufträge da wären, wurde ein hochbezahlter »Geschäftsführer« eingestellt, der vorher bereits eine andere Firma rigoros »in die schwarzen Zahlen« saniert und rationalisiert hat. Dazu kam ein neuer Betriebsleiter, der fachlich gesehen, gelinde gesagt, dämlich, menschlich aber skrupellos ist. Zum Ausgleich für diese beiden Neueinstellungen wurden Ende 1999 16 Kollegen entlassen, davon 14 Arbeiter.

Die einschneidensten Auswirkungen hatten diese Entlassungen auf die Elektroabteilung, in der ich arbeite. Hier wurden vier von acht Kollegen entlassen. Zudem wurde unser Meister abgeschafft, dem immer der Vorwurf gemacht wurde, er könne sich nicht richtig gegen uns durchsetzen. Daß die Hälfte unserer Abteilung entlassen wurde, wurde damit begründet, dass möglichst nur Beschäftigte entlassen wurden, die noch nicht so lange im Betrieb seien, um die Sozialplankosten so gering wie möglich zu halten. Das stimmte aber nur bei zwei Kollegen, die ca. 1 Jahr im Betrieb waren, die beiden Anderen waren drei und vier Jahre beschäftigt. Auch die sozialen Auswahlkriterien hinkten. Die Elektroabteilung wurde schon bewusst »zerschlagen«. Sie hatte sich immer als sehr widerspenstig gezeigt. So ist es z.B. nicht gelungen, eine informelle »Gruppensitzung« gegen halb elf, von 15-20 Minuten, trotz jahrelanger Bemühungen, abzuschaffen. Bei Überstunden bedurfte es immer großer Anstrengungen, einen Elektriker für den Samstag zu bekommen, die teilweise die Effektivität dieser Maßnahmen in Frage stellten; soll heißen, die Zeit die durch die Überzeugungsarbeit der Vorgesetzten verloren ging, war unmöglich am Samstag wieder reinzuholen.

An der Samstagsarbeit entwickelte sich auch der letzte Konflikt. Nach den Entlassungen war es für uns erst mal klar, überhaupt keine Überstunden zu machen. Nach Erhalt ihrer Entlassungen wurden plötzlich alle Entlassenen am nächsten Tag krank. Je nach Beschäftigungsdauer endeten die Arbeitsverhältnisse aber erst zwischen Januar und März 2000. Auf wundersame Weise stiegen aber Anfang des Jahres die Aufträge wieder enorm an. Der Betrieb geriet unter Druck, die Maschinen elektrisch fertig zu kriegen. Auf verschiedenen Versammlungen, in der die Notwendigkeit der termingerechten Fertigstellung der Maschinen für die Weiterexistenz der Firma beschworen wurde, deswegen Überstunden »zu unser aller Wohl« notwendig seien, bestanden wir auf unserer Unschuld für dieses »Dilemma« und forderten die Wiedereinstellung zumindest eines Teils der entlassenen Kollegen.

Nach der Arbeit trafen wir uns mit den Entlassenen beim Essen. Dabei stellte sich heraus, dass zwei gar nicht mehr zurück wollten und auch nichts unternehmen würden. Der dritte wollte auch nicht zurück, ging aber vor's Arbeitsgericht, um seine Abfindung zu verbessern.

Der vierte, der immerhin schon vier Jahre im Betrieb war, ging auch vor's Gericht. Aufgrund Alter und sozialer Situation wäre für ihn die Arbeitslosigkeit schon ein großes finanzielles Problem. Wir einigten uns, dass wir im wesentlichen seine Wiedereinstellung fordern wollten. Sein Arbeitsverhältnis endete im März 2000, sein Arbeitsprozeß war terminiert. Uns stand die Arbeit bis zum Hals. Überstunden wurden abgelehnt. Und siehe da; an einem Freitag Vormittag wurde der Kollege angerufen, in den Betrieb beordert. Dort erfuhr er, dass seine Entlassung gegenstandslos sei; sein Arbeitsverhältnis würde zu den alten Bedingungen fortbestehen, er könne gleich morgen, am Samstag, wieder anfangen. Da der Kollege zu dem Zeitpunkt noch krankgeschrieben war, konnte er dem nicht zustimmen, erbat sich zwei Tage Bedenkzeit und fing dann am Mittwoch der drauffolgenden Woche wieder an. Das feierten wir mit einem kleinen Fest während der Arbeitszeit. Zwar hatten wir dazu abgestempelt, die Zeit zählte also nicht, aber so konnten wir die Feier für alle sichtbar machen. In der Folge kam es dann erst mal zu Überstunden und Samstagsarbeit bei uns. Allerdings ließ die Bereitschaft bald wieder nach.

Anfang des Jahres endet die Herrschaft des Elektromeisters. Die Stelle wurde abgeschafft. Wir wurden plötzlich von einer Abteilung zur »Gruppe Elektromontage«. Der Dienstälteste wurde Gruppenführer. Als Gruppe wurden wir dem Meister der mechanischen Montage unterstellt, der somit zum Hallenmeister mutierte. Als ausgesprochenes Arschloch ergänzte er sich vorzüglich mit dem neuen Betriebsleiter, der nun ebenfalls nach einer Einarbeitungszeit seine Herrschaft antrat. Permanent liefen sie durch den Betrieb, merkten sich Leute, die quatschten oder rumstanden, um sie anschließend »über den Dienstweg« anzuscheißen. Ein Alkoholverbot während der Arbeitszeit wurde erlassen und Kollegen, die die Tradition des Biertrinkens während der Arbeitszeit beibehielten, wurden massiv mit Abmahnungen bedroht. Insgesamt muß man dem neuen Führungsgespann schon zugestehen, dass es ihnen gelungen war, bei uns ein Gefühl der permanenten Beobachtung und Bedrohung zu erzeugen und tatsächlich viele informelle Pausen »wegzurationalisieren«. Es gab es auch Zuträger unter den Kollegen. Schleimer, die unter der neuen Herrschaft zu neuem Leben erwachten, gibt es natürlich auch bei uns.

Die Stimmung im Betrieb wurde in der Folge immer schlechter. Im Mai wurden die Aufträge immer mehr, wichtige Messen standen bevor. Auf der anderen Seite kommen die Kaufteile immer später, teilweise weil die Firma alte Lieferungen nicht bezahlt hatte, so dass wenn sie dann kamen ein fast nicht zu bewältigender Berg von Arbeit vor uns lag. Dazu kam, dass in der Fertigung eine Maschine nach der anderen ausfiel. Da wir keinen Betriebsschlosser und -elektriker mehr haben, werden die Maschinen nicht mehr richtig gewartet und verkommen total. Vielen Kollegen ist es mittlerweile auch egal, was mit den Maschinen passiert.

Die Bereitschaft Überstunden zu machen sank allgemein, nicht nur bei den Elektrikern.

Mitte Mai gab es dann eine Versammlung für die gesamte CNC-Montage, Elektriker und Schlosser. Der neue Betriebsleiter, im Schlepptau den Hallenmeister, beschwerte sich im Namen des Chefs über die vielen Kaffeepausen, die wir machen würden; überhaupt würden wir zu viel rumstehen, zu wenig arbeiten, zuviel quatschen; den Betrieb, damit unsere Arbeitsplätze in der heutigen schwierigen Zeit der globalen Märkte, gefährden. Da wir daran sicherlich kein Interesse hätten, also Schluß damit und Überstunden, Überstunden, Überstunden. Aufgrund ungeschriebener Gesetze ist es auf solchen Versammlungen sicherlich nicht ratsam zu sagen, dass zumindest bei einigen Kollegen die Interessenlage anders liegt. Schweigen wäre ohnehin die vernünftigste Art des Dialogs mit den Chefs, denn jede Äußerung, auch begründete Verteidigungen gegenüber Vorwürfen, macht uns nur handhabbarer. Leider ist das nicht so ohne weiteres in der Praxis durchführbar. So traten auch in dieser Versammlung erstaunlich viele Kollegen auf und verteidigten die Pausen und das Gequatsche. Sie wären notwendig, um die Produktion überhaupt noch aufrecht zu erhalten. Würden wir nur das tun, was wir müssten, würde der Betrieb bei der beschissenen Planung durch Meister, Betriebsleitung, Konstruktion, Einkauf und Verkauf und überhaupt, innerhalb kürzester Zeit zusammenbrechen. In Zukunft möchten wir unmittelbar direkt angesprochen werden, wenn ein Vorgesetzter das Gefühl hat, wir würden Pause machen, nicht erst Stunden oder Tage später, wenn niemand sich mehr verteidigen könne. Dabei blieb es.

Da aber weiterhin die Überstundenbereitschaft relativ gering blieb, wurden diese dann angeordnet. Das geht nach einer Betriebsvereinbarung im Rahmen von bis zu 10 Stunden täglich. Der Samstag ist im bestimmten Rahmen davon nicht betroffen.

So gelang es dem Betrieb dann doch, zumindest in der Woche Überstunden durchzusetzen. Bei den Schlossern gelang es dann auch, zwei bis drei zur Samstagsarbeit zu überreden. Bei den Elektrikern gelang dies sechs Wochen lang nicht. Dadurch wurde die Samstagsarbeit insgesamt in Frage gestellt. Während der Endphase der Maschinenmontage und der Inbetriebnahme müssen Schlosser und Elektriker parallel an den Maschinen arbeiten, um die verschiedenen Elemente zusammenzufügen und aufeinander abzustimmen. Wenn in dieser Phase Samstags, und in der Regel war es mittlerweile so, kein Elektriker da ist, ist die ganze Sache für die Katz.

Bei den Schlossern taucht in dieser Phase die Forderung nach Kilometergeld bei Samstagsarbeit auf. Sie wurde geäußert gegenüber dem Meister und dem Betriebsleiter, die sie allerdings nicht an die Geschäftsführung weiterleiteten. Auch der Betriebsrat nahm die Forderung nicht ernst.

Nach sechs Wochen war die Anwesenheit zweier Elektriker für den Samstag zur Fertigstellung einer Maschine, die die drauffolgende Woche unwiderbringlich Liefertermin hatte, zwingend erforderlich. Tatsächlich zeigten zwei Elektriker Bereitschaft, wenn sie Kilometergeld bekämen, bzw. zu Hause abgeholt und wieder zurückgebracht werden.

Meister und Betriebsleiter standen in der Bredolie. Sie hatten die Fertigstellung der Maschine für die kommende Woche zugesagt. Kran und LKW waren bestellt. Da sind sie zum Chef gerannt und haben gejammert, die Elektriker wollen am Samstag zu Hause abgeholt werden. Der Alte ist wohl explodiert. Eine halbe Stunde später hat er eine Versammlung für uns angeordnet. Da saßen wir fünf Elektriker dann auf der einen Seite; auf der anderen Seite der Chef, der technische Leiter, der Betriebsleiter, der Hallenmeister sowie ein schweigender Betriebsrat. In dieser Besetzung wurden wir einem Trommelfeuer ausgesetzt. Mit unserer Arbeitshaltung würden wir den Betrieb gefährden, unsere Haltung wäre nicht mehr tragbar. Es wurde von uns verlangt, dass das Wohlergehen des Betriebes für jeden von uns absolute Priorität vor allem anderen hätte. Wem Freizeit wichtiger wäre als der Betrieb, müsse sich überlegen, ob er hier noch richtig wäre. Solchen Egoismus kann man sich in der heutigen schwierigen Weltmarktlage nicht mehr leisten. Die Forderung nach Kilometergeld und von zu Hause abgeholt werden, nannte der Alte schlichtweg eine Frechheit. Und die alte Leier wieder, in dem Betrieb in Thüringen wäre alles besser.

Obwohl die ganze Geschichte eher eine Art Monolog war, ließen wir uns trotzdem dazu hinreißen, uns gelegentlich zu äußern. Dabei reagierten wir nicht einheitlich. Völlig fehlgeschlagen ist der Versuch von einigen, Verständnis durch ihre persönliche Situation zu erreichen. Das geht denen völlig am Arsch vorbei und die Leute, die so argumentierten, setzten sich erneut dem Egoismusvorwurf aus. Betriebliche Missstände als Grundlage der Unlust wurde ebenfalls abgebügelt und uns allgemein zugesagt, irgendwann mal, wenn weniger zu tun sei (also nie), könnten wir uns über diese Missstände evtl. mal unterhalten.

Die ganze Sache endete dann damit: bis zum nächsten Tag sollten wir - jeder Einzelne - schriftlich festhalten, wie lange jeder von uns innerhalb der Woche arbeiten würde. Wir dürften bis zu 10 Stunden arbeiten. Zusätzlich mitteilen, welche zwei am Samstag kommen würden. Würde das auf freiwilliger Basis nicht geschehen, dann wird das entsprechende angeordnet.

Am nächsten Tag erklärten sich zwar alle bereit unter der Woche Überstunden zu machen, aber obligatorisch fand sich keiner für den Samstag. Wie vorhersehbar wurde für zwei Elektriker dann die Samstagsarbeit angeordnet.

So hat sich der Betrieb dann in letzter Konsequenz doch durchgesetzt. Das war aber absehbar. Mal sehen, wie es nach der Urlaubszeit dann weiter geht. Vielleicht melde ich mich dann wieder.


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