Brennstoff-Blockaden
Beitrag einer Truckerin zur Diskussion über den Klassencharakter der Blockade-Aktionen im UK (aus der Diskussionliste aut-op-sy); leicht gekürzt. In der britischen Linken war anläßlich der Blockadeaktionen eine heftige Debatte über den Klassencharaker dieser Aktionen ausgebrochen. Viele trotzkistische Gruppierungen stellten sich auf die Seite der Gewerkschaften, die teilweise offen zum Streikbruch aufriefen, und adjutierten mit Hinweisen auf die bekannte Rolle von LKW-Fahrern - z.B. beim Sturz der chilenischen Linksregierung. In diesem Zusammenhang wurde der folgende Brief auf einer linken mailing-liste geschrieben.
Ich gehöre zu einer normalerweise ausgeschlossenen Gruppe, d.h. ich bin weibliche LKW-Fahrerin in einer sehr männlichen Welt - die nicht nur von Männern besetzt gehalten wird, sondern in der auch rassistische, homophobe, sexistische und fremdenfeindliche Bemerkungen und Haltungen eine ständige Bedrohung darstellen.
Ein Teil des ideologischen Gepäcks, das von den Haltungen vieler Jungs herrührt, mit denen ich zusammenarbeite, besteht darin, daß sie kollektiven Aktionen äußerst zynisch gegenüberstehen. Der Ausverkauf des LKW-Fahrer-Streiks 1979 hat sie eine bittere Lektion gelehrt, das zu einem Gefühl der Niederlage geführt hat und zu reaktionären Gedanken. Trotz alledem, trotz der Tatsache, daß die Blockaden durch kleine Selbstfahrer und andere »unschöne« Elemente organisiert wurden, standen wir tatsächlich zusammen da und kämpften letzte Woche eine kurze Zeit gemeinsam...
Zu dem Argument, die Blockaden gingen in Richtung »Runter mit den Steuern! Runter mit der Sozialhilfe!«: Das ist keine marxistische Position, soll das etwa heißen, daß wir auf Diesel und Benzin höhere Mehrwertsteuer zahlen müssen, um erträgliche Sozialleistungen zu bekommen? Ich persönlich habe da andere Erfahrungen. Ich bin jetzt 60 Jahre alt, ich fahre einen 41-Tonner LKW mehr als 4 000 km in der Woche, nach Spanien und Portugal und zurück, als angestellte Fahrerin. Dafür kriege ich zwischen 300 und 350 Pfund (etwa 900 bzw. 1050 DM) netto pro Woche auf mein Konto. Die Tatsache, daß ich einer Zukunft mit einer unzulänglichen Rente entgegensehe und einen Horror davor habe, mich auf unser Nationales Gesundheitssystem zu verlassen, hat nichts, aber auch gar nichts mit der Höhe meiner Steuern zu tun. Wenn wir die Grundlage unserer Argumentation den Kapitalisten überlassen, dann gibt es keinerlei Hoffnung auf eine sozialistische Gesellschaft. Der Feind heißt Kapitalismus, nicht niedrige Steuern.
Ich bin stolz darauf, mich Trucker zu nennen und noch stolzer, eine Truckerin zu sein (auch wenn das gerade in »Lady Trucker« umbenannt wird, weia), und ich stehe meine Frau in einer sehr männlichen Welt. Es macht mir tatsächlich eine Menge aus, in Spanien z.B. mitten in der Nacht in einem Truck Stop zu halten, um zu tanken und was zu essen und dann angeglotzt zu werden wie ne Außerirdische. Wenn ich mit den Jungs diskutiere, muß ich sehr vorsichtig sein, wie ich meine sozialistischen Ideen vorbringe...
Ich unterstütze die Blockaden, weil niedrigere Spritpreise meinen Job sichern. Heute bin ich angestellt, aber vor drei Jahren, bevor ich bankrott ging, war ich Selbstfahrerin (ich denke, in der Geschichte gibt es wohl Beispiele für Selbstfahrer, die wie Handwerksgesellen ihre eigenen Werkzeuge hatten oder ihr eigenes kleines Geschäft und die zu Recht zur Arbeiterklasse gerechnet werden - mindestens so wie ein Universitätsdozent). Als mein Betrieb den Bach runter ging und ich wußte, daß ich dem Wettbewerb nicht mehr standhalten würde, daß ich verlieren würde, versuchte ich, mithilfe von »Cherry« (unversteuertem Diesel) im Rennen zu bleiben. Ich kaufte es von einem Typen, der mir 18 Pence (ca. 55 Pfennige) abnahm für den Liter, offensichtlich mußte er selbst weniger dafür zahlen, damit er an Kunden wie mir was verdienen konnte. Ich machte das nicht gerne, und als ich erwischt worden war und 1 500 Pfund zahlen Strafe mußte, war das ein Grund für meinen Bankrott. Ich zahlte 1 374 Pfund im Monat für das einzige neue Fahrzeug, das ich im Leben je besitzen werde, die Steuern dafür kosteten etwa 3 750 Pfund pro Jahr, hätte ich legalen Sprit gekauft, hätte der mich im Monat mehr als 3 000 Pfund gekostet (plus Versicherung usw.). Für einmal Barcelona (hin und zurück) kriegte ich damals 1 700, rechnet's euch selber aus... Kurz: du mußt buchstäblich Tag und Nacht fahren, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Den Tag werde ich nie vergessen! Es war um sechs Uhr morgens, als ich in den Ramsgate Docks geschnappt wurde: diese Zollbeamtin legt in einer bizarren Zeremonie ihre Hand auf meinen wunderschönen 420er Eurostar und sagt: »Im Namen der Königin beschlagnahme ich dieses Fahrzeug.« Tränen der Wut und Erniedrigung liefen mir die Wangen runter, und später, als ich meinen Verdienst verpfändet hatte, um den Truck auszulösen, sagte ich zu ihr: »Hören Sie, was soll ich denn jetzt machen? Ich hab' 850 Liter Cherry in meinen Tanks, und das gibt richtig Streß mit den Grünen, wenn ich die in die Ramsgate Docks laufen lasse!« »Interessiert mich kein Stück, was Sie damit machen«, sagte sie, »Sie verlassen gerade das Land, oder? Es geht mich nichts an, wenn Sie da drüben mit Cherry fahren, nur sollten Sie keinen mehr drin haben, wenn Sie zurückkommen.« Auf der Fähre zischte ich mir Wodka rein und sprach mit einem Trucker, der mir von seinen Gefängnisstrafen erzählte, instinktiv fühlte er sich mit mir solidarisch: »Weißt du was du machst? Fahr weiter Cherry, bis du die 1500 wieder drin hast, die du den Schweinen gezahlt hast, und dann hol noch mehr Kohle aus denen raus!« Macht uns das zu »Lumpen«, die »an den Streikposten auftauchen«? Ich weiß genau, daß der Haß, den wir beide denen gegenüber fühlten, die uns das angetan hatten, ein starkes Gefühl war, ein Ansatzpunkt für Aktionen.
Ich bin stolz, ein Trucker zu sein, aber ich schäme mich auch, wenn ich an Fahrer denke, die Streikpostenlinien durchfahren. Wenn möglicherweise diese selben Fahrer ihre Haltung ändern und Blockaden respektieren, wäre es dann nicht besser, sie zu unterstützen und mit ihnen solidarisch zu sein? Ich hab gehört, ein Tankerfahrer soll im Fernsehen gesagt haben, er hätte beim Bergarbeiterstreik die Linien durchfahren und jetzt hätte er kapiert, daß das falsch war. Was sollen wir denen sagen? Daß es falsch war, bei den Bergarbeitern durchzufahren, aber jetzt könnten sie durch die »kleinbürgerlichen« Linien ruhig durchfahren? Und was heißt das für den Rest von uns? Daß, weil die Blockaden von kleinbürgerlichen Elementen angeführt wurden, wir jetzt alle nach hause gehen sollten und mindestens einen Band des »Kapital« lesen, bevor wir wieder demonstrieren gehen?
Der Job, in dem ich arbeite, könnte wegen der halsabschneiderischen Natur des Kapitalismus als Rattenrennen beschrieben werden, aber das würde den Ratten unrecht tun, denn die verhalten sich nicht so unsozial wie die Kapitalisten. Der Punkt ist aber, wie wir das ändern können und nicht, uns zu kritisieren, wenn wir zum ersten Mal seit Jahren anfangen zusammenzukommen. Und wenn Bill Morris uns verkauft und den Fahrern, die die Posten zu respektieren beginnen, durchzufahren rät, dann müßt ihr wenigstens ein bißchen konstruktiver sein, als uns »Lumpen« zu nennen und uns »kleinbürgerliche engstirnige Interessen« vorzuwerfen. Tony Blair ist übrigens nicht Allende, wenn Ihr das denkt, haben wir nichts gemeinsam, und eine Diskussion macht keinerlei Sinn mehr.
In unserem Gewerbe sind die Bedingungen so schlecht, daß es Jungs gibt (und ein paar Frauen), die Tag und Nacht fahren, 24 Stunden am Tag; es ist keineswegs unüblich, daß Leute von Südspanien zurückfahren, ohne zu schlafen. Ein Freund von mir fährt Lancashire-Brindisi und zurück, und er schläft nur, wenn er auf die Fähre wartet oder beim Laden und Entladen. Das ist ganz üblich, genauso wie Unterbrecherschalter für den Fahrtenschreiber. Oder auch versteckte Dieseltanks, wo Zollbeamte sie nicht finden, sodaß man auf Cherry fahren kann, ohne erwischt zu werden, wie es mir passiert ist. (Übrigens hat die Regierung letzte Woche für die Zeit der Krise Cherry legalisiert.) Es gibt unter den Fahrern eine Minderheit, die Amphetamine benutzen und einen Haufen, die Alkohol trinken, aber wir sind nicht alle »Macho Abschaum« - ich habe so viele Akte der gegenseitigen Hilfe erlebt und Unterstützung von Typen, die ich vermutlich nie mehr sehen werde. Es geht darum, das in gewerkschaftliche Solidarität umzusetzen, und dabei brauchen wir Beschimpfungen und negative Sichtweisen wie ein Loch im Kopf.
Der 420er Volvo, den ich fahre, ist alles, was zwischen mir und einem »Leben« als Rentnerin steht. Es ist mein Leben, diese Sachen sind mir wichtig, und ich werde mit den Kerlen (und Frauen) zusammen kämpfen, mit denen ich zusammenarbeite. Einige unserer Ansichten findet ihr auf unserer Website http://ladytruckersclub.tripod.com/LTC_Bulletin/page1.htm, dort könnt ihr euch umsehen. Für Sozialismus und Solidarität mit meinen Schwestern und Brüdern, Rachael Webb