Rentenreform, Staats-Antifa und Zuwanderung
Wende in der EU-Einwanderungspolitik und Perspektive der Kämpfe
Die Linke auf der Suche nach dem »Teilbereich Antikapitalismus«
Spätestens seit den 80er Jahren ist linksradikale Politik in Teilbereichen organisiert: die Antifas bekämpfen die Faschisten, die Flüchtlingsgruppen »kümmern sich« um die Einwanderer, die Arbeitslosengruppen »betreuen die Opfer« des Sozialstaatsumbaus. In dieser Konstellation tendiert jedes politische Engagement zur »Sozialarbeiterei« und zum Appell an den Staat, die Linke wird zur Bremse bei der Entfaltung von Kämpfen. Das wird heutzutage »selbstkritisch« diskutiert: Den Antiimperialisten sind die »guten Nationalstaaten« abhanden gekommen, die sie gegen die bösen Supermächte unterstützen könnten; den Antifas ist ihre Rolle gegenüber den Nazis abhanden gekommen, seit sich der Staat als der bessere Antifaschist präsentiert; Antirassisten und Flüchtlingsgruppen sind verunsichert, wie sie sich zu der angekündigten neuen »Zuwanderungspolitik« verhalten sollen.
Mit dem folgenden Papier wollen wir versuchen, ins Gespräch mit GenossInnen zu kommen, die darüber ins Schwanken geraten sind und wieder eher auf die »ganze Gesellschaft« oder sogar auf die »ganze Welt« schauen. Nach den bisherigen Diskussionen ist zu befürchten, dass »organisatorische Lösungen« und die Begeisterung über die eigene mediale Präsenz eher zu einem weiteren »Politikfeld« (»Ökonomie«, »soziale Frage«/Antikapitalismus oder »Antiglobalismus«) führen. Aber wir sollten nicht locker lassen, diese reformistischen Sackgassen zu kritisieren, zweitens zu erklären, wie die Welt wirklich zusammenhängt und drittens auf die Kräfte hinzuweisen, die wirklich etwas ändern können.
Es steht nicht »Teilbereichspolitik« gegen »Haupt- und Nebenwiderspruchspolitik«! Haupt- und Nebenwiderspruchspolitik geht immer davon aus, dass ein Hauptwiderspruch zunächst gelöst werden muss (Aufbau des Sozialismus, die nationale Befreiung ...) und erst danach alle anderen Widersprüche. Sich auf Teilbereiche zu beziehen und irgendwie die Einschätzung zu haben, dass der »Teilbereich Ökonomie« der wichtigste hier ist, tappt in ne ganz ähnliche Falle. Die Alternative ist nicht Teilbereichs- oder Haupt-und-Nebenwiderspruchs-Politik, sondern man muss das Kapitalverhältnis als totalitäres verstehen, das jeden Widerspruch in dieser Gesellschaft prägt.
So wie die einzelnen Kämpfe ihre Defensive (die z.B. schon darin besteht, Arbeitsplätze zu verteidigen) nur überwinden und ihre eigene Stärke nur entdecken können, wenn sie sich als Teil einer weltweiten Auseinandersetzung sehen, so können wir selber nur aus der Defensive rauskommen, indem wir uns auf die Widersprüche im globalen Kapitalverhältnis beziehen. Nur das kann unsere Rolle den vielen Konflikten und kleinen Kämpfen gegenüber sein - und eben nicht, die Leute auf staatliche Garantien zu verweisen! Wir können uns auf ihr explosives Potential nur beziehen, wenn wir uns nicht als Unterstützer, als etwas von außen sehen, sondern als Teil dieser Widersprüche begreifen und unsere eigene Wut auf die Verhältnisse einbringen.
One World
Es geht nicht um Strategien im Rahmen des Nationalstaats, sondern um die ganze Welt. Im kapitalistischen Weltsystem hat sich die Unterscheidung in Erste (»industrialisierte«), Zweite (»realsozialistische«) und Dritte (»unterentwickelte«) Welt aufgelöst. Die Ausbeutung hat sich stufenartig nach Branchen über die Welt verteilt: Maschinenbau in der BRD, Waschmaschinenproduktion in Spanien und Italien, Autozulieferer in Polen und Rumänien, Turnschuhe und Festplatten in den asiatischen Tigerstaaten, Cash Crops und Abfallhalden in Afrika. Die einzelnen Stufen dieser Treppe sind nicht einheitlich: es gibt breite Armut und Sweatshop-Produktion in den USA und modernste Fabrikanlagen in Indonesien; das wird oft als »Leopardenfell« beschrieben. Diesen Unterschieden zwischen den Ländern und in ihrem Inneren entspricht ein Gefälle von Löhnen und sozialstaatlichen Leistungen, das durch die staatliche Regulierung nationaler Arbeitsmärkte nach Außen wie nach Innen vermittelt wird.
Trotz der Ausbeutung all dieser Unterschiede steckt der globale Kapitalismus seit etwa 30 Jahren in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Auf der »anderen Seite« ist in diesen 30 Jahren eine ganze Menge passiert: die Menschen sind in riesigen Wanderungsbewegungen in die Städte gezogen und bilden gigantische Belagerungsringe um die Metropolen (Mega-Cities). Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit stellen nicht mehr Bauern die Mehrheit. Angesichts dieser Situation drückt sich die Krise des globalen Kapitalismus nach zwei Seiten aus: In seiner bisherigen Geschichte konnte er solche Krisensituationen immer wieder durch Sprünge überwinden, bei denen einerseits sehr viel mehr Menschen als zuvor in die kapitalistische Akkumulation einbezogen wurden, und andererseits die Ausbeutungsintensität in den Zentren erhöht wurde (i.d.R. durch einen zunehmenden Einsatz von Kapital, d.h. eine Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals). Heute ist die Situation dadurch gekennzeichnet, dass die Akkumulationsraten zurückgehen, in den Metropolen eine dauerhafte Massenarbeitslosigkeit von etwa zehn Prozent fortbesteht, und in den drei Kontinenten die Anzahl der Menschen, die vom Land in die Stadt aufbrechen, bei weitem die Anzahl derer übertrifft, die in die weltweiten Produktionsketten neu hereingezogen werden. Die Intensivierung der Ausbeutung durch niedrigere Löhne, mehr (teilweise unbezahlte) Überstunden und höheren Arbeitsstress ist keine Lösung dieser Krise - aber eine bittere Realität für uns ArbeiterInnen, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
Einwanderungsoffensive und Sozialstaatsumbau
Das Klassenverhältnis ist ein globales Verhältnis von dauerndem Kampf: Wenn ansässige ArbeiterInnen sich weigern, bestimmte Drecksarbeiten zu machen oder für Niedrigstlöhne zu arbeiten, sollen Einwanderer an ihre Stelle treten. Wenn bessere Bedingungen am Arbeitsplatz durchgesetzt worden sind, wird der Betrieb (oder die ganze Branche) nach Osteuropa verlagert. Das Kapital ist aber nicht beliebig mobil (die »Globalisierung« war vor allem eine Propagandaoffensive), die Zentren der Akkumulation bleiben in den Metropolen, und viele Auslagerungen dienen nur dazu, den alten Belegschaften Druck zu machen; zuweilen reicht bereits die Drohung auszulagern, um neue Bedingungen durchzudrücken. Dadurch wird aber die Produktion nicht wirklich umgewälzt, es kommt zu keinem neuen Akkumulationsmodell, sondern meistens werden alte Anlagen nach Osteuropa verlagert; für diese in Gang befindlichen Auslagerungsprozesse soll die EU Ost-Erweiterung das infrastrukturelle Regelwerk schaffen.
Die Wende der Schröder-Regierung wie aller EU-Staaten zu mehr Einwanderung und die Reformierung des Sozialstaats (Rente, Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Krankenversicherung) sind Bestandteile einer Gesamtstrategie zur Steigerung der Ausbeutungsrate. Es geht nicht darum, den absehbaren Rückgang der Bevölkerung aufzuhalten, sondern um eine drastische Senkung der Reproduktionskosten bei gleichzeitiger Steigerung der abgepressten Arbeitsmenge. Nachdem die Zuwanderung in die BRD in den Jahren 1997 und 1998 leicht negativ war, soll nun eine massenhafte und qualitativ veränderte Einwanderung organisiert werden: nicht mehr nur in die Jobs, die von ansässigen Arbeitskräften verweigert werden (Landwirtschaft, Gastronomie usw.), sondern als direkte Konkurrenz zum Angriff auf die Löhne in der Industrie, und auch in hochqualifizierte Bereiche wie mit der Greencard-Regelung. Bisherige Rigiditäten sollen durch eine massive Neuzusammensetzung aufgebrochen werden. Dem entspricht die weitere Aufsplitterung sozialstaatlicher Leistungen, z.B. mit der Gewährung von Sozialleistungen nach dem »Heimatlandprinzip« im Rahmen der EU-Ost-Erweiterung, um die Zuwanderung auf LohnarbeiterInnen zu beschränken. (Damit wir nicht missverstanden werden: das sind die Pläne! - was nachher in der Realität davon umgesetzt werden kann, ist eine andere Frage!)
Der kapitalistische Kern der Reformprojekte
Die multinationale Zusammensetzung der Arbeiterklasse spielte in einem Land wie der BRD immer eine wichtige Rolle - um die Löhne zu drücken und die ArbeiterInnen gegeneinander auszuspielen, aber auch als explosiver Motor von Kämpfen. Beispiele dafür sind so unterschiedliche Situationen, wie Streiks von Flüchtlingen gegen workfare-Programme in den 80er Jahren, Kämpfe in Großfabriken, die Neuzusammensetzung im Bausektor Anfang der 90er Jahre, Widerstand gegen Lagerunterbringung und Zwangsverpflegung, oder die zunehmende Illegalisierung der Arbeit von ImmigrantInnen in den 90er Jahren (siehe die Materialien auf www.wildcat-www.de). Immer wieder hat das Regime Stiefel-Nazis und ausländerklatschende Glatzen ermutigt und vor seinen Karren gespannt, um solche Situationen zu eskalieren, ImmigrantInnen einzuschüchtern, Gesetzesverschärfungen und polizeiliche Aufrüstung zu legitimieren usw.. Seit einem Jahr macht sich die Bundesregierung zum Fürsprecher verstärkter Einwanderung und verordnet im gleichem Atemzug einen »Antifaschismus der Anständigen«. Was ist da passiert?
In den 90er Jahren wurden die industriellen Sektoren umstrukturiert und Teile der Produktion ausgelagert. Relativ abgetrennt davon wurde die Arbeitskraft von Zugewanderten und Illegalisierten ausgebeutet. Kämpfe in diesen Bereichen blieben isoliert und entsprechend schwach (Streik der Bahnreiniger in NRW 1999, Streik bei Vemiko/Euskirchen). Noch stärker segmentiert ist die Arbeit in der Landwirtschaft; lediglich im Bausektor kam es zur offenen Konkurrenz zwischen Ansässigen und Zugewanderten bzw. Wanderarbeitern, was zu rassistischen Ausfällen, aber auch zu Kämpfen führte, die den Staat schließlich zu einer Regulierung in Form des Mindestlohns zwangen.
Sozialpolitik besteht immer darin, das Antagonistische an Klassenkonflikten rauszunehmen und in Ansprüche auf Einkommen umzuwandeln (Rente, Mindestlohn, Sozialhilfe usw.). Solche »Verfestigungen« sind die Basis für die Politik der Gewerkschaften. Sie werden aber heute von vielen Unternehmern als Hemmnis empfunden, weil z.B. Arbeitslosenhilfe und Sozialkohle dazu führen, dass Leute mit deutschem Pass bestimmte Jobs nicht annehmen.
In der Tagespolitik werden die verschiedenen Hebel zur Steigerung der Ausbeutungsrate als politische Alternativen gehandelt und mystifizieren damit den Zusammenhang und klassenpolitischen Kern dieser Reformprojekte. Zum Beispiel machen die Befürworter der Einwanderung das Angebot: »mehr Einwanderung zur Rettung der Rente«, die Gegner sagen: »wir bewahren euch vor der Einwanderung, dafür müsst ihr aber länger arbeiten und den Gürtel enger schnallen«. In Wirklichkeit sind das keine Alternativen, sondern die zwei Backen derselben Zange: Der DGB beteiligt sich am wachsenden Druck auf Arbeitslose und bringt die Rentenreform über die Bühne (mit dem Hinweis, dann brauchen wir keine Zuwanderung). Grüne oder SPDler fordern die Absenkung der Tarife und einen Niedriglohnsektor sowie Zuwanderung als wichtigen Hebel zu deren Durchsetzung. Der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) verlangt eine jährliche Zuwanderung von 450 000 Arbeitskräften, damit die Industrie auf einen »flexibleren Arbeitsmarkt« zugreifen kann; denn nur durch massive Neueinstellungen können sie gefestigte Strukturen innerhalb der Betriebe aufweichen.
Die gegenwärtigen Bemühungen des Schröder-Regimes, mehr Zuwanderung ins Land zu holen, gehen über die »Unterschichtung« des hiesigen Arbeitsmarkts durch begrenzte Segmente von billiger Arbeitskraft hinaus. Die Zahlen des BDI zeigen, dass heute eine andere Form von Arbeitsmigration angestrebt wird, die auch in die industriellen Zentren hereingeholt werden und die Ausbeutungsbedingungen insgesamt verschärfen soll.
In den Medien wird der Ruf nach Einwanderung von Arbeitskraft mit dem absehbaren Schrumpfen der europäischen Bevölkerung und der damit verbundenen Gefährdung der sozialen Sicherungssysteme begründet. Das ist Quatsch, denn die sozialen Sicherungssysteme sind nicht materiell gefährdet. Auch wenn der Anteil älterer oder nicht-arbeitender Menschen steigt, gibt es aufgrund der gestiegenen Produktivität keine Versorgungsprobleme. Die Strategen des Regimes sagen offen, worum es geht: die »Beschäftigungsquote«, d.h. den Anteil der Arbeitenden an der Gesamtbevölkerung. Dies ist nur ein geschönter Ausdruck für die gesamtgesellschaftliche Ausbeutungsrate, also für das Verhältnis der gesamten Menge an lebendiger Arbeit zu den gesamten Reproduktionskosten des Bevölkerung. Im Vergleich z.B. zu den USA sei diese Quote in Europa zu niedrig und müsse gesteigert werden. Das Strategiepapier des EU-Kommissars für Einwanderung (www.materialien.org/migration/kurswechsel/vitorino.html) nennt als Zielgröße eine Anhebung von aktuell 61 auf 70 Prozent bis zum Jahr 2010.
Um das Verhältnis zwischen Arbeitsmenge und Reproduktionskosten zu steigern, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder man steigert die Arbeitsmenge, oder man senkt die Kosten. Entscheidend ist immer das Verhältnis, solange ein teurer Sozialstaat dazu führt, dass in entsprechendem Maße mehr gearbeitet wird, sind die Kosten dafür kein Problem (nebenbei gesagt ist das der Kern des Sozialstaatsgedankens jenseits aller humanitären Floskeln). Zu den möglichen und aktuell gleichzeitig diskutierten Hebeln gehören: Verlängerung der Lebensarbeitszeit, d.h. früher anfangen zu arbeiten (kürzere Ausbildung) und später aufhören (Anhebung des Rentenalters - indirekt wird das mit der Teilprivatisierung der Rente betrieben, weil dann einfach länger gearbeitet werden muss, um genug Geld für die Rente ansparen zu können); einen größeren Teil der Frauen in Lohnarbeit bringen; höhere Einwanderung mit einer entsprechenden Selektion nach Arbeitsfähigkeit, Alter und Qualifikation. Durch diese Selektion wird die Erwerbsquote dieser Migranten höher als die der ansässigen Bevölkerung, und die auf sie entfallenden Kosten für Erziehung, Ausbildung und je nach Regelung auch für Krankheit oder Arbeitslosigkeit niedriger; Intensivierung der Arbeit und Senkung der Lohnsumme - wofür die stärkere Aufspaltung in gute und schlechte Jobs, in hohe und niedrige Löhne gebraucht wird; auch dafür ist Einwanderung aus Niedriglohnländern ein zentraler Hebel, indem durch sie gezielt eine Konkurrenz der Arbeitskraft organisiert wird (nach ILO-Angaben existiert an der deutsch-polnischen Grenze das weltweit höchste Lohngefälle mit 1:11 noch vor der Grenze zwischen den USA und Mexiko mit 1:10).
Was kann »die Politik« tun?
»Migrationspolitik« muss die Balance finden zwischen dem Bedürfnis der Kapitalisten nach zusätzlicher billiger, flexibler Arbeitskraft und dem »sozialen Frieden« (dem wichtigsten »Standortvorteil« der BRD!); Konflikte zwischen Ansässigen und Zugewanderten können für das Kapital nützlich sein, müssen aber nicht! ImmigrantInnen müssen oft für Sachen kämpfen, für deren geregelten Ablauf ansonsten Institutionen sorgen: Sie werden um den Lohn betrogen, sie haben keine Wohnung, kein Aufenthaltsrecht ... Deshalb haben neu Zugewanderte in der Geschichte oft eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen von Kämpfen und die politische Neuzusammensetzung der Klasse gespielt.
Anders ausgedrückt: wir freuen uns, dass der BDI sich gezwungen sieht, massenhafte Einwanderung auch in die industriellen Zentren zu organisieren. Sie werden nach aller Erfahrung nicht nur Freude an der neuen, unbekannten Arbeitskraft haben. Sämtliche auf Hochtouren arbeitende Partei- und Regierungskommissionen zur Migration wissen oder ahnen wenigstens, dass ihre Versuche, Einwanderung bürokratisch zu regulieren, an der Phantasie von Tausenden Frauen und Männern scheitern werden: ihre Suche nach einem besseren Leben wird weder an Grenzen noch an Kontingenten halt machen. Es wird sich zeigen, dass Wanderungsbewegungen nicht so einfach technokratisch je nach Arbeitsmarktlage manipuliert werden können, wie es von den Strategen eines neuen »Migrationsmanagements« (Strategiepapier des EU-Kommisars) dargestellt wird.
Die Steigerung der Ausbeutungsrate - selbst wenn sie gelingt - ist noch keine Lösung der kapitalistischen Krise
Die Zuwanderung stark auszuweiten und zu einem breiten Angriff auf die unteren Schichten der Arbeiterklasse zu benutzen, ist noch kein erfolgreiches Modell zur Lösung der Akkumulationskrise - wie sich aktuell in den USA zeigt. Der »Boom« der letzten zehn Jahre hatte sich auf einen drastischen Anstieg der legalen wie illegalen Einwanderung gestützt: in den 80er Jahren kamen 7,3 Millionen Menschen legal ins Land, in den 90ern über 9 Millionen; weiter 6 Millionen sollen sich mittlerweile illegal dort aufhalten - die höchste Zuwanderung, die es in absoluten Zahlen in die USA je gegeben hat. Aber auch dieser Zugriff auf massenhaft neue Arbeitskraft konnte nicht verhindern, dass die tiefe Krise der kapitalistischen Akkumulation nun offen zutage tritt, die durch den Boom an den Finanzmärkten nur verdeckt war. Die aktuell von den USA ausgehende Krisendynamik ist von einer solchen Wucht, dass in nächster Zeit womöglich die Karten im Klassenkampf sowieso komplett neu ausgegeben werden, die Situation ist offen.
Die Verhältnisse zum Tanzen bringen, statt uns in ihnen zu etablieren!
In der öffentlichen Diskussion um die Arbeitsmigration prallen Standpunkte aufeinander, die die von Staat und Unternehmern vorgegebenen Spaltungslinien nicht verlassen: der DGB wehrt sich gegen Einwanderung und verlangt lange Übergangsfristen bei der EU Ost-Erweiterung, um die Löhne zu verteidigen. Flüchtlingsgruppen sehen darin nur den Rassismus und kritisieren die egalitäre Parole »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« als faktische Ausgrenzung der Migranten vom Arbeitsmarkt. Auf den ersten Blick haben beide Positionen ihre Berechtigung - die Schwäche beider liegt darin, dass sie an eine staatliche Regulierung appellieren und das Problem als eine Konkurrenz um »Arbeit« betrachten. Die Konkurrenz ist aber nur die Form, in der die Abpressung von Arbeit forciert wird - dies abzusichern ist die allgemeine Aufgabe des Staats.
Der Widerstand der ansässigen ArbeiterInnen gegen »Schmutzkonkurrenz« aus dem Ausland (wie ihn etwa US-amerikanische Gewerkschaftsbosse in Seattle propagierten) ist als solcher nicht gut und unterstützenswert; die erklärte Absicht einer Flüchtlingsgruppe, Flüchtlinge auch dann bei der Arbeitssuche zu unterstützen, wenn sie dabei »Lohn- und Arbeitsstandards unterbieten«, greift sich einen anderen Teilaspekt der Klassenrealität raus und rennt damit in die Sackgasse! Dass Staatsorgane wie der DGB eine solche Politik machen, ist ihr Geschäft (»Interessenvertretung«; Klassenspaltung; Aufrechterhaltung des produktiven sozialen Friedens); dass linksradikale Gruppen in solche Fallgruben stolpern, ist Ausdruck ihrer strategischen Defensive.
Was kann heute »Überwindung der Teilbereichspolitik« heißen? Aktuell lassen sich die wichtigsten Konfliktlinien so skizzieren:
- Mobilisierungen gegen WTO usw. aus ihrem »Antikapitalismus« herausholen
- Kämpfe um Lohn, Einkommen und Lebenszeit gegen die Arbeit
- Bezug auf Migration als Bezug auf die globale Klassenfrage statt Legalisierungspolitik im Nationalstaat
Statt die von Staat und Unternehmern vorgegebenen Spaltungs- und Konkurrenzlinien nachzuvollziehen, müssen wir die brüchigen Stellen (unter-)suchen. Dafür ist es notwendig, die Konflikte in der BRD als Momente der Widersprüche im globalen Kapitalverhältnis zu verstehen. Es geht nicht darum, abstrakte Einheits- und Solidaritätsappelle zu verbreiten, sondern wir müssen uns an den Punkten von Widersetzlichkeit, Kampf und Rebellion orientieren. Kämpfe entzünden sich meist an einzelnen Punkten und weiten sich aus, wenn sich andere ArbeiterInnen spontan in ihnen erkennen und sich deshalb »solidarisieren«. Solche Dynamiken sind heute wieder leichter möglich, weil der Kapitalismus nicht mehr als das »überlegene System« erscheint und Kämpfe eher als berechtigt empfunden werden als noch vor zehn Jahren.
Wir müssen daran anknüpfen, wie sich die ProletarierInnen informell organisieren und welche Ansprüche sie in ihren Kämpfen entwickeln. Diese Ansprüche gehen oft weit über das hinaus, was von Linken als arbeitsrechtliche Standards oder gewerkschaftliche Absicherung ins Spiel gebracht wird. Auch wenn es auf den ersten Blick oft nur darum zu gehen scheint, die Einhaltung der Regeln durchzusetzen, artikuliert sich in diesen Konflikten der globale Gegensatz von Ausgebeuteten und Kapital. Wer solche Konflikte in die vorgegebenen Bahnen institutioneller Vermittlung kanalisiert, raubt ihnen gerade das, was über die Absicherung eines Status quo der Ausbeutung hinausweist. Dann werden solche Kämpfe leicht zur Forcierung der Klassenspaltung!
Wir sollten uns genauer anschauen, welche Möglichkeiten die hart umkämpfte EU-Osterweiterung (Übergangsfristen für die vollkommene Freizügigkeit von ArbeiterInnen - auch immer ein Streitpunkt bei der Annäherung der Türkei an die EG) in sich birgt: wer wird hierher in welche Branchen kommen, wie verändern sich dadurch die Kräfteverhältnisse, welche Erfahrungen bringen sie mit?
Heute setzen viele Bewegungen weltweit den Antikapitalismus wieder auf die Tagesordnung. Das ist eine gute Entwicklung, sie darf nur nicht dabei stehen bleiben, denn dann hätten wir nach Antiimperialismus und Antifa nur eine neue Mode-Ideologie. Es ist richtig: Faschismus, Krieg und Hunger lassen sich nur ausrotten, wenn wir die Ausbeutung abschaffen. Aber das werden wir paar Linke nicht alleine können, sondern das kann in letzter Instanz nur die Sache aller Ausgebeuteten sein.
Statt »Betreuung von Opfern« gemeinsamer Kampf um Befreiung!
Die Widersprüche in der kapitalistischen Ausbeutung (unter-)suchen und in sie eingreifen!