Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 21-27 [z59euski.htm]


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Einwanderer im Arbeitskampf - Streiks in einer Zulieferklitsche

Seit dem letzten Sommer zeichnet sich eine Wende in der EG- und BRD-Migrationspoltik ab: die Industrie verlangt eine stärkere Zuwanderung von Arbeitsmigranten, um auf ein größeres Potential von billiger Arbeitskraft zurückgreifen zu können. Im Zuge der Umstrukturierung der Betriebe in den letzten 20 Jahren wurden immer mehr Bereiche der Produktion ausgelagert, an Subunternehmer vergeben und in Klitschen verlagert. Prekäre Beschäftigung über Sklavenhändler wird gezielt gefördert. Das Lohngefälle in der BRD soll weiter aufgefächert, besonders die untersten Löhne für unqualifizierte Arbeiten gesenkt werden. Sie liegen noch bei 70 Prozent des Durchschnittslohns und damit im internationalen Vergleich (USA: 30 Prozent) laut Regierung und Unternehmern entschieden zu hoch. Die Unternehmer verlangen seit Jahren die Etablierung eines »Niedriglohnsektors«, wofür ein neuer Einwanderungsschub gebraucht wird.

Die ArbeiterInnen in den »alten Fabriken« werden damit unter Druck gesetzt, für geringere Löhne und Sozialleistungen intensiver zu arbeiten. In den ausgelagerten Bereichen werden vor allem ArbeiterInnen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus und unter prekarisierten Bedingungen ausgebeutet. Da sie aus tariflichen und gewerkschaftlichen Regulierungen herausfallen, wird ihre Situation kaum wahrgenommen. Selbst von Konflikten in diesen Bereichen erfährt mensch nur zufällig - wie im hier geschilderten Fall. Dabei dürfte er kein Einzelfall sein; in der Untersuchung »Illegal in Deutschland« (Karlsruhe 1999) von Jörg Alt werden die verschiedensten Methoden des Lohnklaus und des Widerstands dagegen beschrieben: vom Streik über Sabotage bis zur gewaltsamen Eintreibung. Mit der Wende zu einer verstärkten Arbeitsmigration wird es in den nächsten Jahren öfter zu solchen Auseinandersetzungen kommen. Darin liegt auch die Perspektive, daß solche Kämpfe aus ihrer Isolation herauskommen und Anstöße für einen breiteren Aufstand gegen die intensivierte Ausbeutung geben.

Der kleine Konflikt in einem Provinznest bei Bonn hat die ganze Bandbreite von Fragen aufgeworfen, mit denen wir in diesem Bereich von Ausbeutung konfrontiert sind:

Multinationale Belegschaft und Ausbeutung des Asylstatus

Euskirchen ist eine kleine Industriestadt in der Nähe von Bonn, wo in einem Gewerbepark Unternehmen wie der Hausgerätehersteller Miele oder der zum Nestlé-Konzern gehörende Tiernahrungshersteller Latz/Friskies Fabriken betreiben. In den letzten Jahren wurden Verpackungsarbeiten oder Vormontagen ausgelagert und werden heute in Kleinbetrieben mit deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen ausgeführt. Einer davon ist die Firma Vemiko in Satzvey, einem kleinen Dorf etwa zehn Kilometer von Euskirchen entfernt. Bis zum Sommer 2000 hieß die Firma noch Nickipack und wurde vermutlich aus finanziellen Gründen in Vemiko überführt. Die rechtliche Konstruktion ist undurchsichtig. So schließt nicht Vemiko, sondern eine Firma Logiserv die Verträge mit den Auftraggebern. Kurz bevor die Zahlungsunfähigkeit von Vemiko deutlich wurde, hatte die Firmenleitung alle Maschinen im Betrieb mit Aufklebern »Logiserv« versehen, um sie aus der Konkursmasse herausnehmen zu können. Es sind die üblichen rechtlichen Tricks, um risikolos ein Maximum an persönlichem Profit herausholen zu können.

Die Firma beschäftigt in der Produktion fast ausschließlich AusländerInnen ohne festen Aufenthaltsstatus, viele noch mitten im Asylverfahren: sie kommen aus Äthopien, Nigeria, Marokko, Kosovo-Albanien, der Türkei; ein Drittel sind Frauen, lediglich zwei deutsche Männer haben wir in der Produktion angetroffen. Auch die Vorarbeiterposten werden mit Ausländern besetzt, wobei es auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit und angepaßtes Verhalten ankommt. Das lokale Arbeitsamt hat für diesen Betrieb eine Sonderregelung: ausländische ArbeiterInnen bekommen sofort eine Arbeitserlaubnis, ohne daß der Betrieb wie sonst vorgeschrieben für offene Stellen zunächst nach Arbeitskräften aus der BRD oder einem EU-Land suchen muß.

Im Sommer letzten Jahres sollen über hundert Leute bei Vemiko gearbeitet haben. Im Januar, kurz vor den Auseinandersetzungen waren es noch etwa 70. Obwohl der Job beschissen ist, nehmen viele der ArbeiterInnen tägliche Fahrzeiten von mehreren Stunden in Kauf, um hier zu arbeiten. Es sei sehr schwierig, andere legale Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Einige arbeiten schon mehrere Jahre in diesem Betrieb.

Stücklohn, Antreiberei und Lohnbeschiß

Die Firma Vemiko besteht aus einer großen Halle, die aus Kostengründen nicht beheizt wird. Für die Arbeit gibt es nur wenige kleine Maschinen, das meiste ist Handarbeit: Hundeknochen zusammenstecken und einpacken, Trockenfutter für die Katze abfüllen, Pralinen in Schachteln einlegen, Teile für Staubsaugermotoren vormontieren. Bezahlt wird im Stücklohn, d.h. für jede Arbeit wird pro Stück ein Pfennigbetrag festgesetzt (manchmal erst im Nachhinein), und der Lohn kann dementsprechend schwanken. In Extremfällen sei es so beschissen gewesen, daß sie nur 20 oder 30 Mark am Tag rausbekamen; um den Stücklohn gab es ständig Konflikte. Zudem stimmten oft die abgerechneten Stückzahlen nicht mit den von den ArbeiterInnen selbst aufgeschriebenen überein. Regelmäßig beschwerten sie sich über solche falschen Lohnabrechnungen. Im Schnitt kämen sie allerdings - je nach Steuerklasse und Akkordsätzen - auf 1500 bis 2000 Mark netto.

Laut Arbeitsverträgen wird der Lohn am 15. des Folgemonats ausgezahlt, aber selbst dieser späte Zahltermin wurde bei Vemiko fast nie eingehalten. Eine weitere Form von Lohnsenkung, da sich die ArbeiterInnen regelmäßig verschulden müssen, um z.B. ihre Miete zahlen zu können. Schon im September letzten Jahres hatten die ArbeiterInnen wegen ausstehender Löhne einmal die Produktion angehalten, was damals aber außerhalb des Betriebs nicht bekannt geworden war.

Arbeitskampf und humanitäre Hilfe

Im Januar kam der Dezemberlohn wieder nicht pünktlich. Ein Aushang kündigte die Lohnzahlung (die übrigens immer per Scheck oder Bargeld erfolgte, was die ArbeiterInnen als diskriminierend empfinden) für Freitag, den 19. Januar an. Am Freitag hing ein neuer Zettel im Flur: wahrscheinlich könne die Lohnzahlung erst am Montag oder Dienstag erfolgen. Von der Geschäftsleitung ließ sich niemand blicken. Gegen 14 Uhr legten die ArbeiterInnen daher die Arbeit nieder; normalerweise wird je nach Akkord bis 16 oder 17 Uhr gearbeitet.

Am Wochenende setzte sich einer der Arbeiter mit einer Flüchtlingsgruppe aus dem regionalen Flüchtlingsrat in Verbindung, deren Sprecher sich am Montag morgen mit den ArbeiterInnen vor dem Betrieb traf. Er rief - laut Zeitungsbericht (KStA vom 23.1.) - die ArbeiterInnen zur Besonnenheit auf und forderte sie auf, »an die Arbeitsplätze zu gehen, da ein wilder Streik arbeitsrechtliche Konsequenzen haben könnte«. Selbst rein rechtlich gesehen, war das zuviel der Fürsorge: bei ausstehenden Löhnen existiert sehr wohl ein Arbeitsverweigerungsrecht, auf das der Unternehmer lediglich ausdrücklich und förmlich hingewiesen werden muß.

Politisch gesehen ist dieses Verhalten aber geradezu fatal. Der fürsorgliche Paternalismus rät den ArbeiterInnen, ihre Probleme an die Behörden zu delegieren, und hintertreibt damit jeden Versuch, ihren eigenen Kampf zu entwickeln. Statt zu überlegen, wie die ArbeiterInnen selber Druck ausüben und ihre Sache publik machen könnten, wandte sich die Flüchtlingsgruppe an das örtliche Arbeitsamt und die Gewerkschaften, ohne damit irgendwas erreichen zu können. Der Presse gegenüber »drohten« sie damit, sich die Einleitung eines Konkursverfahrens vorzubehalten.

Der Firmenchef Peter Wassong kündigte für den nächsten Tag (Dienstag, 23.01.) eine Abschlagzahlung an, die dann mit 200 Mark sehr bescheiden ausfiel. An diesem Punkt gelang es den ArbeiterInnen offensichtlich nicht mehr, zu einem gemeinsamen Verhalten gegen diese Provokation zu kommen. Ein Teil wollte streiken, andere fürchteten, dann erst recht den Arbeitsplatz zu verlieren. Daher gingen die einen einfach nach Hause bzw. zum Sozialamt, um Geld für ihre Miete zu bekommen, andere arbeiteten lustlos weiter. Im Grunde war hier bereits die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes gekippt; es hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Unterstützung gegeben, die sie darin ermutigt hätte, trotz der multinationalen Zusammensetzung und den weit auseinanderliegenden Wohnorten ein gemeinsames Vorgehen zu organisieren. Alle ihnen »kompetent« erscheinenden deutschen Helfer verwiesen sie lediglich auf das tolle deutsche Rechtssystem - das in solchen Fällen aber außer der zwangsläufigen Individualisierung des Konflikts wenig zu bieten hat.

Die Auszahlung des Restlohns war für den kommenden Freitag versprochen worden, aber auch diesmal kam kein Geld. Daraufhin legten die ArbeiterInnen erneut die Arbeit nieder. Obwohl es ihnen nicht gelungen war, einen durchgehenden Streik zu organisieren, war ihnen selber viel klarer, worauf es ankam und wo sie ansetzen konnten, als ihren deutschen UnterstützerInnen. Zum Beispiel hatten sie schon vor Beginn des Konflikts über die Gefahr von Entlassungen diskutiert, und es gab den Vorschlag, daß beim ersten Rausschmiß alle sofort die Arbeit einstellen sollten. Eine Haltung von Solidarität, die bei Gewerkschaftern oder Betriebsräten, denen die Spielregeln des Kündigungsschutzgesetzes in Fleisch und Blut übergegangen sind, schwerlich zu finden ist!

Ebenso klar war ihnen, an welchen Punkten sie wirksam Druck machen konnten: dies war die Vormontage für Miele, weil diese integraler Bestandteil der gesamten Mieleproduktion war. Oft genug waren einige von ihnen zu Nachbesserungsarbeiten in die Miele-Fabrik in Euskirchen geschickt worden und kannten den dortigen Produktionsablauf. Von den ArbeiterInnen dort wußten sie, daß bei einer Produktionsunterbrechung bei Vemiko über 100 Miele-ArbeiterInnen in der Staubsaugerproduktion nicht weiterarbeiten könnten. Insgesamt arbeiteten etwa zehn Leute von Vemiko in dieser Vormontage; einige von ihnen gingen daher zur Miele Geschäftsleitung und konfrontierten sie mit dem Problem der ausstehenden Löhne.

Miele war um ihre Staubsaugermotoren so besorgt, daß sie den Arbeitern der Miele-Linie bei Vemiko (und versehentlich noch einigen anderen) am 26. Januar selber den ausstehenden Lohn zahlten und sogar versprachen, daß niemand gekündigt werde. Bei MIELE wissen sie schließlich genau, was sie von den niedrigen Löhnen in Klitschen wie VEMIKO haben, und wollten die eigene Produktion durch einen Ausfall der Motorenmontage nicht gefährden. In solchen Situationen bricht das Konstrukt aus Haupt- und Zulieferbetrieben, und es wird klar, daß es sich um einen Produktionsprozeß und die Ausbeutung durch dasselbe Kapital handelt. Aber wenn Auftragsfirmen wie Miele in solchen Situationen mal kurz die Verantwortung übernehmen, versuchen sie dadurch die Spaltung der ArbeiterInnen innerhalb dieser Zulieferketten aufrechtzuerhalten. Als einer der Vemiko-Arbeiter nach seinem Rausschmiß um einen Job bei Miele nachfragte, wurde er abgewiesen ...

Entlassungen, Besetzung und Insolvenzverfahren

Am Montag darauf (29.1.) wurden die ersten sieben Arbeiter entlassen. Es waren diejenigen, die zu Miele gegangen und auch bei den übrigen Konflikten als Wortführer aufgefallen waren. Die Unruhe im Betrieb blieb aber bestehen. Es folgten weitere Entlassungen; einige Tage lang wurde die Produktion mit Streikbrechern einer befreundeten Klitsche aus dem Nachbardorf aufrechterhalten. Am 6.2. hielten wütende ArbeiterInnen den Chef im Büro fest, da die Dezemberlöhne (!) immer noch nicht gezahlt waren. Er mußte von der herbeigerufenen Polizei aus dem Betrieb eskortiert werden.

Zwei Tage später wurde ein Insolvenzverwalter mit der Prüfung der Firma beauftragt. Auf einer Versammlung am 14.2. forderte er die verbliebenen ca. 30 ArbeiterInnen zur Weiterarbeit auf und versprach ihnen, den Betrieb zu retten. Er bemühe sich um einen neuen Eigentümer. Am 1. März wurde dann das Insolvenzverfahren eröffnet, womit die Lohn- und Kündigungsschutzklagen von Entlassenen zunächst mal ruhen. Für die noch ausstehenden Löhne können nun alle - auch die Entlassenen - beim Arbeitsamt Konkursausfallsgeld beantragen.

Probleme der Solidarität

Zweimal während der sich über drei Wochen hinziehenden Auseinandersetzung wurden in Euskirchen und vor den Betrieben, für die Vemiko produziert, Flugblätter verteilt, um über die Situation der ArbeiterInnen dort zu informieren. Anfangs war es auch noch möglich, in den Betrieb hereinzuspazieren, um mit den ArbeiterInnen zu reden. Nach dem Besuch einer größeren Gruppe am 2. Februar, an dem die ArbeiterInnen ihre Freude hatten, ließ Vemiko das Eingangstor von Wachleuten kontrollieren. Außerhalb des Betriebs hatten wir nur noch zu ArbeiterInnen Kontakt, die mittlerweile entlassen worden waren und gegen die Firma klagen.

Mit dem nachfolgend dokumentierten Flugblatt wollten wir vor allem die ArbeiterInnen in den Auftragsfirmen (Latz, Miele) auf die Situation in der Zulieferklitsche und die Aktionen der dort Arbeitenden aufmerksam machen. Das Flugblatt wurde angenommen, stieß aber erwartungsgemäß auf keine besonderen Reaktionen. Klar wurde dabei, daß trotz der Berichte in der Regionalpresse die meisten von dem Konflikt noch nicht gehört hatten. Einige ArbeiterInnen, mit denen wir uns beim Schichtwechsel kurz unterhalten konnten, drückten ihr Mitgefühl aus und jammerten über die Schlechtigkeit der Unternehmer. Vor der Miele-Fabrik kam sogar der Betriebsrat heraus, fand es gut, daß »den Schwachen geholfen wird«, sah es aber nicht so gern, daß der gute Name Miele mit der »Ausbeutung« bei Vemiko in Verbindung gebracht wurde, wo doch bei Miele alles »in Ordnung« sei.

Die Vemiko-ArbeiterInnen haben durch ihre kurzen Streiks gezeigt, daß sie kämpfen können, auch wenn »objektiv« alles gegen sie spricht: Der Staat mit seinen spaltenden Ausländergesetzen; die Gewerkschaften mit ihren Satzungsvorschriften und ihrem Alleinvertretungsanspruch; die politischen Unterstützungsgruppen mit ihrer entmündigenden Vorstellung von den »Flüchtlingen« als Opfern, denen geholfen werden muß.

Unterstützen können wir solche Kämpfe nur, wenn wir erstmal verstehen, wie die Situation dieser ArbeiterInnen aussieht, was sie selber tun, welche Ideen sie haben und wie sie sich selber organisieren. Nur in dieser Selbsttätigkeit können wir Ansatzpunkte finden für eine Ausweitung der Kämpfe, da sich im Unterschied zu gewerkschaftlichen Tarifritualen andere ArbeiterInnen darin wiedererkennen und die Möglichkeit des eigenen Handelns entdecken können.

A&C, 18.3.01


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