Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 85-88 [z59luftf.htm]


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Weltstreiks

Als die Piloten der Lufthansa Anfang Mai ernst machten und für ihre Forderung nach 30 Prozent mehr Lohn einige Streiktage einlegten, war dieser Arbeitskampf sofort heiß umstritten. Politiker, Gewerkschaftsbosse und auch viele Linke verurteilten den Streik dieser »Besserverdienenden«. Zugleich gab es auch viel Sympathie in den Betrieben, bei linksgewerkschaftlichen Initiativen - und ganz im Gegensatz zur Stimmungsmache von ver.di auch bei kleineren Organisationen von anderen Beschäftigten der Lufthansa wie z.B. UFO, einer gewerkschaftlichen Organisation von FlugbegleiterInnen.
Was interessiert uns an den Streiks der Piloten? Erstens: Ihre Forderung nach 30 Prozent mehr (wenn auch für 4 Jahre) bricht ein wenig das angstvolle Starren auf die »Wirtschaftsentwicklung« auf. Zweitens sind sie ein Beispiel für weltweite Kämpfe, die wieder in direktem Bezug zueinander stehen. Und drittens waren Umbrüche in der Luftverkehrsindustrie immer so etwas wie ein Modell für die Arbeitsbeziehungen ...

10 000 Dollar mehr lautete die Forderung - allerdings nur eine unter insgesamt 97. »Sie sind überbezahlt und als Angestellte des Öffentlichen Dienstes nutzen sie ihre Monopolstellung, um ein Gehalt durchzusetzen, das höher ist als das eines Kongreßabgeordneten« - so oder ähnlich lautete die veröffentlichte Meinung zum Streik der Fluglotsen in den USA im Jahre 1981. Als dann im August, nach zwei Tagen Streik, der frischgebackene Präsident Ronald Reagan 11 350 streikende Fluglotsen entließ und mit lebenslangem Wiedereinstellungsverbot belegte, konnte er das unter großer Zustimmung der Medien und nach Umfragen durchaus auch mit Zustimmung von 65 Prozent der Amerikaner tun. Wie wir heute wissen, war dies der historische Anfang einer Periode der Entsolidarisierung, des Union Busting, des Lohnabbaus in vielen Sektoren, der Austeritätspolitik - kurz: von Reagonomics und Thatcherismus.

Und am Anfang der Präsidentschaft seines Nachfolgers steht eine weitere Stufe der Entwicklung nicht nur im Luftverkehr: Obwohl die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten der Eastern Airlines schon Lohnkürzungen gegen Aktien hatten hinnehmen müssen, wurde - als Einleitung der großen Welle der Umstrukturierung - mittels Börsenakrobatik ihre Firma durch die wesentlich kleinere Texas Air von Frank Lorenzo übernommen und nach einem lange dauernden Streik von technischem und Flugpersonal als bankrott liquidiert.

In der diesjährigen weltweiten Streikwelle bei den Fluggesellschaften kann man grob zwischen zwei Themen unterscheiden:

Während üblicherweise die Kapitalisten und Gewerkschafter von den hohen Löhnen in Deutschland reden, verwiesen die Piloten der Lufthansa auf noch höhere Gehälter im Ausland. Und dies ist natürlich kein abstrakter Bezug auf Gehaltslisten: Piloten und Flugbegleiter sind eine globale Berufsgruppe. Dieses Volk verfügt über eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Interessen und trifft sich spätestens in den Bars der Flughafenhotels.

Dennoch machen es einem die Piloten nicht gerade einfach. Gerade sie sind - im Unterschied zu den Flugbegleitern - eben eine sehr eigene, sehr standesbewußte Gruppe, die ihre (nicht zufällig militärisch gestylte) Uniform z.T. mit Arroganz durch die Hallen tragen. (Jedenfalls außerhalb der USA. Dort kann es schon mal passieren, daß der Captn im morgendlichen Berufsverkehr seine Passagiere nicht mit »Ladies and Gentlemen«, sondern mit »Hi, Folks« begrüßt.) Und ohne Zweifel sind die Gehälter der Piloten der international fliegenden Linien im Vergleich zum jeweils nationalen Durchschnitt recht hoch. Aber, das ist wichtig festzuhalten, es sind Gehälter, und die Piloten sind Angestellte, die um mehr Geld gegen ihre Firma streiken müssen - genauso wie alle anderen Lohnabhängigen. Das ist ein fundamentaler Gegensatz etwa zu den Zahnärzten, die sich auf einem halbfreien Markt bewegen und ihren Profit eben zum Teil auch aus der Arbeit ihrer Angestellten ziehen.

Verdienen die Piloten viel? Was ist viel? Das Durchschnittsgehalt von Piloten der polnischen LOT liegt bei 25 000 US$ im Jahr, sicher viel im Vergleich zum Durchschnitt in Polen. Aber es ist halt weniger als der Lohn eines Facharbeiters im Nachbarland.

Der Arbeitsmarkt für Piloten ist z.T. ein weltweiter. Gesellschaften wie etwa die Cathay Pacific in Hong Kong beschäftigen im Cockpit 90 Prozent »Ausländer«. Von daher verwundert es eher, daß es noch so große Einkommensunterschiede gibt. Bei der Lufthansa kann ein Flugkapitän nach vielen Dienstjahren bis zu 335 000 DM im Jahr verdienen; bei der Delta Air bis zu 350 000 US$. Allerdings sind solche Gehälter auch mit dem Aufstieg ins untere Management verbunden - ihre Bezieher arbeiten als Abteilungsleiter, Trainer, Sicherheitschefs. Die Durchschittsverdienste liegen weit darunter; das Einstiegsgehalt liegt bei der Lufthansa bei 108 000 DM, bei Delta »unter 30 000 US$«. Kleinere oder regionale Gesellschaften zahlen noch weniger, so liegt das Anfangsgehalt bei der Deutsche BA bei 71 500 DM, bei der Delta-Tochter Comair bei 15 000 US$ (im Jahr!).

Auch Pilotenstreiks sind Kämpfe ohne Gewinngarantie. So endete etwa der Pilotenstreik bei der Philippine Airline 1998 mit ihrer Entlassung, der Schließung der Firma und der Wiedereröffnung mit verkleinerter Belegschaft, deren Gewerkschaften einen zehnjährigen Streikverzicht unterzeichneten.

In diesem Jahr streikten Piloten bei der Comair (fast drei Monate lang), bei der Pakistan International Airlines (für 50 bis 80 Prozent mehr Gehalt), bei der Korean Air und der Iberia, derzeit noch im Gange sind Auseinandersetzungen bei der Alitalia und eine Dienst-nach-Vorschrift-Kampagne bei der Cathay Pacific. Delta Air hat die Gehälter nach langen Verhandlungen ohne Streiks (aber unter dem Eindruck des Streiks bei ihrer Tochter Comair) um 24 bis 39 Prozent erhöht. Flugbegleiter streikten bei der Deutsche BA und der Aeromexico, bei der SAS Commuter, bei der koreanischen Asiana, bei Japan Airlines und der Japan Air Systems. Diese Liste ist gewiß nicht vollständig und weitere Streiks sind in Vorbereitung.

Und selbst wenn noch kaum zu erkennen ist, dass irgendeine andere Gruppe sich ein Beispiel nimmt und gleichfalls sagt: Scheiß auf die Konjunktur; wir kriegen nur, was wir uns holen - eine 30-Prozent-Forderung oder ein 16-Prozent-Abschluß (für 3 Jahre und 3 Monate) passt den großen Gewerkschaften natürlich nicht. Ver.di hat für das Bodenpersonal und die Flugbegleiter im März 3,5 Prozent Lohnerhöhung durchgesetzt, woraufhin der Verhandlungsführer von ver.di zur Belohnung in den Vorstand der Lufthansa gewechselt ist.

Besonders beklagt hat sich die IG Metall, bei der es dieses Jahr eine Erhöhung um 2,1 Prozent gibt: »Wenn das Schule macht, können Flächentarifverträge und damit das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft in Gefahr geraten«. Das ist sicher wahr, und gewiß auch von Teilen des Unternehmerlagers gewünscht. Aber es verkennt, daß mit Zustimmung der Gewerkschaften die Flächentarife einerseits schon längst ihre Funktion als Schutz der Schwächsten durch Öffnungsklauseln, Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit usw. verloren haben und andererseits immer noch oder schon wieder durch die »zurückhaltende Lohnpolitik« Tariflöhne als außerordentlich schlechte Löhne gelten - zumindest etwa in Südwestdeutschland.

Auch die IG Metall könnte solche Streiks, bei denen eine kleine Gruppe ihre Stellung ausnutze, organisieren, tue dies aber nicht, denn sie sei am Gemeinwohl orientiert. »Wenn sich ein paar tausend Maschinenführer der Auto-Hersteller zusammenschließen, dann legen die schnell die gesamte PKW-Produktion lahm«, so Zwickel.

K. 15.7.01


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