Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 19-20 [z59migra.htm]


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Migration nach Deutschland seit 1945

Nach der Diskussion über die Abschottungspolitik der letzten Jahre - Abschaffung des Asylrechts, 'Festung Europa', Militarisierung der Aussengrenzen, usw. - erscheint der derzeitige Ruf nach Zuwanderung als etwas völlig Neues. Daß Deutschland seit hundert Jahren ein Einwanderungsland ist, gerät dabei in Vergessenheit. Der Anteil von 'AusländerInnen' an der Bevölkerung hat sich in den letzten dreissig Jahren verdreifacht (1968: 3,2 Prozent; 1998: 9 Prozent). Wir skizzieren hier nochmal kurz die verschiedenen Etappen der Ausländer- und Arbeitskraftpolitik nach 1945.

Flüchtlinge aus dem Osten: Nach der Befreiung der ZwangsarbeiterInnen sorgten zehn Millionen MigrantInnen aus dem Osten (Vertriebene, DDR-Flüchtlinge, rückkehrende Kriegsgefangene) für den Aufschwung. Der Mauerbau 1961 beendete diese Migration.

GastarbeiterInnen: Zwischen 1955 und 1973 wurden 14 Millionen ArbeitsmigrantInnen durch Anwerbebüros der Bundesanstalt für Arbeit in die Fabriken der BRD geholt. Anwerbeabkommen gab es mit Italien (1955), Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Der Aufenthalt war von beiden Seiten als vorübergehend geplant: Der Staat setzte auf ein Rotationsverfahren, und die meisten 'GastarbeiterInnen' hatten ebenfalls nicht vor, sich dauerhaft hier niederzulassen. Elf Millionen MigrantInnen kehrten wieder zurück. Aber das Modell geriet von beiden Seiten in die Krise. Die Unternehmen beschwerten sich darüber, ständig neue Leute einarbeiten zu müssen, und viele Träume, hier durch Arbeit schnell zu Geld kommen zu können, zerschellten an der Realität. Als die Regierung 1973 bei steigender Arbeitslosigkeit den Anwerbestopp verfügte, entschlossen sich viele MigrantInnen, in der BRD zu bleiben und ihre Familien nachzuholen. So konnte zwar die Zahl der erwerbstätigen 'AusländerInnen' reduziert werden (1973: 2,6 Mio; 1979: 1,8 Mio), aber die Zahl der hier lebenden Menschen ohne deutschen Paß stieg weiter an (von 1972 bis 1980 um eine Million).

Flüchtlingspolitik: 1974 kamen erstmals die Mehrzahl der Flüchtlinge aus Ländern der 'Dritten Welt', und nicht mehr aus dem Osten. Die Zahl der Asylsuchenden stieg an (1980 über 100 000; 1992 438 000) und die Anerkennungsquote stürzte ab (von 90 Prozent 1968 über 15 Prozent 1978 auf inzwischen 3 Prozent). Hetzkampagnen gegen die »Asylantenflut« (1986), Sammellager, Sozialhilfekürzung und Arbeitsverbote sollten in den 80er Jahren die unkontrollierte Immigration durch Abschreckung eindämmen, und waren die Vorbereitung für die faktische Abschaffung des Asylrechts (1993).

Gleichzeitig wurde aber bereits über den zukünftigen Arbeitskraftmangel diskutiert. Das Arbeitsverbot für AsylbewerberInnen (1980: 1 Jahr, 1982: 2 Jahre, 1987: 5 Jahre) wurde 1991 abgeschafft. Der sog. Blüm-Erlaß von 1993, mit dem die Bevorrechtigung von Deutschen und EG-BürgerInnen auf dem Arbeitsmarkt verschärft wurde, sorgt dafür, daß AsylbewerberInnen nur die miesesten Jobs bekommen. Sie landen meist in den dreckigen Dienstleistungsjobs, ebenso wie die sogenannten Illegalen, die ArbeiterInnen ohne Papiere.

Als weiteres Potential frischer Arbeitskraft wurden die Deutschblütigen im Osten entdeckt, die ab 1989 verstärkt als AussiedlerInnen aus Osteuropa und der ehemaligen UdSSR kamen (1990-1997: 2 Millionen). Und gleichzeitig zur Abschottung und 'Grenzen-zu-Propaganda' wurden ArbeiterInnen aus Osteuropa mit dreimonatigen Saisonarbeitsverträgen oder Werkverträgen auf deutsche Baustellen und Felder geholt - ein striktes Rotationsmodell, das ausschließt, daß die Arbeitskräfte sich hier niederlassen.

Die Kommission: Nachdem der Bedarf des Kapitals an frischem Blut nun offiziell verkündet ist, hat die sog. Süssmuth-Kommission erste Vorschläge vorgelegt, wie die Migration ausbeutungsgerecht gesteuert werden könnte. Sie unterscheiden 'Einwanderer' (»junge, gut ausgebildete Menschen«), deren Nützlichkeit nach einem Punktesystem beurteilt wird, und die - sofern sie auserwählt werden - sofort einen Daueraufenthaltsstatus mit Perspektive auf Einbürgerung bekommen sollen, und andererseits 'Zuwanderer', die »kurzfristige Engpässe am Arbeitsmarkt überbrücken« sollen, ohne Daueraufenthaltsrecht. Besonderer Wert wird bei allen MigrantInnen auf Deutschkenntnisse gelegt. Die Teilnahme an Deutschkursen soll zur Pflicht werden.

Lesetips:

Einen ausführlicheren und guten Abriß der Einwanderungsgeschichte der BRD gibt es auf der Webseite von Kanak Attak:
www.kanak-attak.de

Und wer es ganz genau wissen will, kann sich das neu herausgegebene und aktualisierte Standardwerk besorgen von

Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München 2001, 448 S., DM 58,-


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