Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 62-65 [z59zapac.htm]


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Zapa-Chaos: hinter den Kulissen

Bericht über den Marsch nach Mexiko-City, der im Maiheft von Klarofix aus Leipzig war.

»Bus H, ehemals Bus 10, übernimmt Bus 7, ehemals Bus 2, um die Sicherheit der Comandancia zu gewährleisten.«

Bus 7, ehemals Bus 2, ist überrascht. Später verärgert. Keiner von uns wurde gefragt. Da wir keinen Grund sehen, unseren Bus aufzugeben und uns in andere Busse zu verteilen, werden wir als unflexibel beschimpft und gefragt, ob wir etwa in unseren Fahrer verliebt seien. Für uns allerdings stellt sich eine ganz andere Frage: Wie organisiert sich diese Karawane und was tun wir eigentlich hier?

In zwei Wochen durch 12 mexikanische Bundesstaaten bis zur triumphalen Ankunft in Mexiko Stadt. Das Unglaubliche ist wahr geworden: 23 Comandantes der Generalkommandantur der EZLN und Subcomandante Insurgente Marcos haben den Lakandonischen Urwald verlassen und machen sich auf den Weg in die mexikanische Hauptstadt. Anders als vor Jahren Emiliano Zapata und Pancho Villa, deren Spuren die Karawane zeitweise folgt: ohne Gewehre, stattdessen mit Worten bewaffnet. Insgesamt 37 Tage dauert die Reise über mehrere tausend Kilometer.

Überall, wo die Karawane halt macht, wird sie von Menschenmassen willkommen geheißen. Ihre Gegner dagegen wagen sich kaum heraus: trotz mehrerer Morddrohungen gegen Marcos und die Comandantes hören wir nur vereinzelt böse Stimmen am Straßenrand. Viele davon richten sich gegen uns Ausländer. »Pinches gringos, vayanse a su país.« Für die Mexikaner sind alle Ausländer Gringos, Amis. Nicht alle sind gegen uns, viele sind einfach nur überrascht, uns statt den erwarteten Indígenas zu sehen. Ebenso erging es uns selbst, als die Karawane am 24. Februar in San Cristóbal begann. Erst später stellten wir fest, dass wir einem Irrtum unterlegen waren: es handelt sich nicht um eine Karawane der Indígenas, sondern der Comandancia in Begleitung der sogenannten Zivilgesellschaft für die Anerkennung der Rechte und Kultur der Indígena-Völker.

Diese Zivilgesellschaft ist ein komplettes Chaos und noch weit davon entfernt, das zu sein, was sie zu sein vorgibt. Die Zapatistas schlagen eine neue Politik vor, die des »gehorchend befehlen«. Die sich angeblich unter diesem Motto mobilisierende Zivilgesellschaft scheint allerdings eher ein Sammelbecken für gescheiterte Funktionäre traditioneller linker autoritärer Gruppen zu sein. So werden die Versuche vieler, sich tatsächlich in einer neuen Art und Weise zu organisieren, schnell zunichte gemacht.

Zum Beispiel Bus 7, ehemals Bus 2. Als wir in San Cristóbal aufbrachen, war es sehr still in unserem Bus. Verschiedenste Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Ideologien zusammengewürfelt, Menschen, die sonst nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben. Da waren Indígenas, Mitglieder der zivilen Organisation Frente Zapatista (Zapatistische Front), Studenten, Punks, Christen, Junge und Alte aus ganz Mexiko und anderen Ländern, bis hin zu einigen Basken mit ihrer Fahne. Ein Mexikaner mittleren Alters stellte sich uns als Koordinator vor. Nach und nach begannen wir, uns ein wenig kennen zu lernen und zu organisieren. Während der langen Busstrecken von einer Kundgebung zur anderen hielten wir Plena ab: was wollen wir in dieser Karawane, wie können wir einerseits die Indígenas, andererseits die Ausländer im Bus vor Angriffen schützen, wie können wir unseren armen Busfahrer entlasten, der täglich Hunderte von Kilometern zurücklegen musste und nachts nur wenige Stunden Schlaf zur Verfügung hatte, wenn überhaupt.

Karawanenübergreifend gab es eine Versammlung der Koordinatoren, von denen die meisten bei weitem nicht so fähig waren wie der unsere. Tatsächlich erfuhren wir von anderen Bussen, dass die Koordinatoren dort eher diktatorisch agierten und teilweise gar nicht mit den Karawanisten kommunizierten. Die Versammlungen der Koordinatoren wurden oft nach dem Motto abgehalten: Recht hat, wer am lautesten schreit. In den Bussen getroffene Entscheidungen wurden meist ignoriert. Wir fanden uns in demselben System wieder, gegen das wir kämpfen: wir waren machtlos. Und sprachlos, denn es traf uns dort, wo wir es am wenigsten erwartet hatten.

Und nicht nur in den Versammlungen der Koordinatoren glänzten die Herrschsüchtigen: ebenso beeindruckend war der Kampf um die Nähe zur Comandancia und im speziellen zu Sub Marcos. Eindeutige Sieger: die autoritärsten und lautesten von allen, Tute Bianche, eine Horde von kommunistisch gesinnten Italienern in weißen Uniformen. Sie fuhren zwar in der Karawane mit, sahen sich aber nicht als Teil derer an. Niemals mischten sie sich mit anderen, und etliche Nicht-Italiener, die anfangs mit ihnen reisten, verließen nach und nach die Gruppe, weil dort nur Italiener was zu sagen hatten.

Ausschlaggebend für ihren Erfolg war ein Zwischenfall in Querétaro, einem Bundesstaat, dessen Gouverneur die Zapatistas als Vaterlandsverräter bezeichnet hatte und ihre Erschießung forderte. Kurz vor Ankunft in Querétaro versagten einem Bus die Bremsen, und ein Motorrad-Polizist, der die Karawane begleitete, wurde getötet. Spontan formten wir Insassen der ersten Busse Menschenketten zur Sicherheit der Comandancia. Etwa eine halbe Stunde später kamen die Italiener und reihten sich ein. Noch ein wenig später brachte jemand ihre Uniformen, so dass man sie auch schön sehen konnte, denn offenbar ging es ihnen mehr darum, als um die Sicherheit der Comandantes. Mit Erfolg: Marcos bemerkte die weißen Anzüge und ernannte die Italiener zur »vorläufigen persönlichen Sicherheit« der EZLN-Delegation. Der Anfang vom Ende. Damit waren sie endlich die Elite, die sie sein wollten. Sie gaben Befehle, wo sie nur konnten, und um die Sicherheit der Comandantes zu gewährleisten, gingen sie nicht gerade glimpflich mit ihren Mitmenschen um. Oft zerstörten sie damit Sicherheitsstrukturen vor Ort, wo sich die Bevölkerung wochenlang auf die Kundgebungen vorbereitet hatte. Schließlich gaben sie mit ihrer Rücksichts- und Respektlosigkeit der Presse den lang gesuchten Anlass, einen Angriffspunkt der sonst allgemein als legitim anerkannten Karawane zu finden. Wir anderen, die Zivilgesellschaft, sahen uns plötzlich mit einer Art Polizei in den eigenen Reihen konfrontiert.

Oft erreichten wir den Punkt, wo wir uns fragten: Was tun wir hier eigentlich? Viele von uns hatten in Chiapas als internationale Beobachter agiert oder in Projekten mitgearbeitet, die den indigenen Gemeinden zu fließendem Wasser oder anderen Erleichterungen ihres Lebens verhalfen. Als die Comandancia die Karawane nach Mexiko Stadt ankündigte, war es für uns keine Frage, dass wir diese aktiv unterstützen würden. Ob unsere Anwesenheit in dieser Form allerdings viel Sinn machte, wage ich zu bezweifeln.

Nur zu oft blieben wir bloße Zuschauer und Konsumenten des Spektakles. Noch härter traf es uns in Mexiko Stadt, wo sich die Comandantes in einer Schule einrichteten und die dortigen Studenten stolz alle Aufgaben an sich rissen und die Karawane regelrecht ausgesperrt blieb. Das war ihr Ende, viele kehrten nach Chiapas oder in ihre Heimat zurück, andere blieben als Zuschauer.

Dennoch bereue ich nicht, an dieser Karawane teilgenommen zu haben. Trotz schlafloser Nächte und auch ohne die offizielle Anerkennung von Marcos und der Comandancia konnten wir zumindest teilweise zu ihrem vorläufigen Erfolg beitragen. Jenseits von den Machtspielen einiger haben sich neue Kontakte geknüpft, die den weltweiten Widerstand gegen die Globalisierung festigen und vorantreiben werden.

Neta


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