Wildcat-Zirkular Nr. 64 - Juli 2002 - S. B27 [z64itami.htm]


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Migrantenstreiks in Italien

Vom Gipfelsturm zum Streik

Neben der massenhaften Beteiligung von »Einheimischen« war die breite Thematisierung von Migration und Ausbeutung politisch das wichtigste Ereignis des Gipfelsturms in Genua - auf der Demonstration am Donnerstag (19. Juli 2001) waren 50 000 Menschen, davon 5000 Migranten in einem eigenen Block. (Siehe dazu http://www.wildcat-www.de/aktuell/ a005genu.htm »Genua 2001 - Erste Thesen« und weitere Texte.) Im letzten Winter entstand die Idee, gegen die Verschärfung des Ausländergesetzes und die Abschaffung des Kündigungsschutzes einen »Migrantenstreik« zu organisieren. Ein Netz von relativ kleinen Gruppen, den sogenannten »Tavoli dei Migranti« der Social Forums [in etwa: Runde Tische zur Migration] haben die Migranten bei dieser Idee unterstützt. Im Anschluß an »Genua« hatten sich solche Social Forums in vielen Städten gegründet. Am 15. Mai fand nun in der Provinz Vicenza der erste große betriebsübergreifende Migrantenstreik in Italien gegen das neue Einwanderungsgesetz statt.

Das »Gesetz Bossi-Fini«, benannt nach seinen Urhebern Bossi, dem Chef der rassistischen Lega Nord und Fini, dem Vorsitzenden der post-faschistischen Alleanza Nazionale, ging Anfang Juni durch das Parlament - der Senat muß noch zustimmen. Es macht »illegale Einwanderung« zu einem Straftatbestand und soll die Abschiebung von illegalen Migranten erleichtern. Sie können jetzt bis zu 60 Tagen im Abschiebelager festgehalten werden, die Kontrolle der illegalen Einwanderung untersteht künftig der Marine. Von allen Nicht-EU-Bewohnern soll an der Grenze ein digitaler Fingerabdruck genommen werden usw.. Zum andern greift das Gesetz die Migranten auch als ArbeiterInnen an: Nur fünf Prozent der Sozialwohnungen dürfen an Einwanderer vergeben werden. Der Familiennachzug wird erschwert. Der Aufenthalt der Einwanderer wird stärker an Arbeit gekoppelt, sie sollen nur so lange bleiben, wie sie gebraucht werden und dann wieder gehen. Die Aufenthaltsgenehmigung wird an den Arbeitsvertrag gebunden, der maximal ein oder zwei Jahre dauern kann. Danach muß ein neuer Vertrag gemacht werden, der nicht länger sein darf als der erste. Ein dauerhafter Aufenthalt kann erst nach sechs Jahren beantragt werden. Wer seine Arbeit verliert, wird sofort illegal. Nach Auslaufen des Arbeitsvertrags kann man maximal sechs Monate lang über das Arbeitsamt eine neue Arbeit suchen - aber bereits nach zwei Monaten Arbeitslosigkeit kann man abgeschoben werden. Wer das Land endgültig verläßt, verliert seine Beiträge zur Rentenversicherung.

Das Gesetz soll die eingewanderten Arbeiter an ihre Arbeitgeber binden (es gibt sogar Ausnahmeregeln für Ausländerinnen, die in reichen Familien als Putzfrau und Babysitterin arbeiten), ihr Wohlverhalten erzwingen und sie gegen die ansässigen Arbeiter ausspielen. Es entspricht somit den Bedürfnissen der Unternehmer im Norden, die massenhaft eingewanderte Arbeiter beschäftigen, aber die Bedingungen diktieren wollen.

In Venezien leben weniger als zehn Prozent aller Ausländer; das Verhältnis zwischen Ausländern und Italienern liegt bei 2,5 - 3 Prozent und ist damit weit niedriger als z.B. in der Emilia Romagna. Die Einwanderer sind Männer und Frauen, 70 Prozent sind im typischen »Fabrikalter« zwischen 20 und 39 Jahren. Insbesondere in den Provinzen Vicenza, Verona und Treviso arbeiten sie in den Klein- und Mittelbetrieben, aber auch im Reinigungssektor und Handel. In speziellen Branchen, wie Gerbereien oder Gießereien, kommen heute 80 Prozent der Arbeiter aus Afrika. Es sind Branchen mit niedrigen Löhnen und miesen Arbeitsbedingungen. Immer mehr Einwanderer lassen sich für längere Zeit oder dauerhaft in der Region nieder, kaufen sich Wohnungen in billigen ländlichen Gegenden. Viele Arbeiter sind gewerkschaftlich organisiert.

Venezien ist eine Hochburg der Lega Nord, deren neoliberale und rassistische Ideologie nicht nur im ehrgeizigen Kleinunternehmertum verwurzelt ist, sondern auch in Teilen der Arbeiterklasse.

Der Streik fand unter den Fahnen der drei Gewerkschaftsverbände und der Basisgewerkschaft RSU statt, die ganze Mobilisierungsarbeit hat aber ein kleines Netz von GenossInnen gemacht, die über die Social Forums Unterstützung erhielten. Die Vermittlung unterschiedlicher Positionen (Streik der Migranten oder Streik für die Migranten; Streik nur der Migranten oder aller ArbeiterInnen, usw.) gelang nur teilweise. Trotzdem war der Streik ein Erfolg, an den jetzt viele anzuknüpfen versuchen.


Bericht eines beteiligten Genossen:

Der Migrantenstreik in Vicenza

Am 15. Mai haben in Vicenza die Wanderarbeiter der ganzen Provinz zusammen mit einem Teil der italienischen Arbeiter einen vollen Tag gegen die Gesetzesvorlage Bossi-Fini gestreikt, insgesamt etwa 30 000. An der Demonstration nahmen ungefähr zehntausend Menschen teil, mehr als die Hälfte von ihnen Einwanderer. Es war der erste Streik dieses Teils der Arbeiterklasse in Italien - und er war erfolgreich: die Wanderarbeiter haben nicht nur gemeinsam mit den anderen Arbeitern zur Verteidigung des Artikels 18 [Kündigungsschutzgesetz] gekämpft (nationale Demo am 19. Januar, Generalstreik am 16. April), sondern sie können sich auch für ihre eigenen Bedingungen mobilisieren. In Vicenza ist eine Kampfrichtung eingeschlagen worden, die in der ersten Juniwoche in Reggio Emilia weiterging mit einem vierstündigen provinzweiten Generalstreik mit 5 000 Beteiligten, von dem sich die CISL in letzter Minute abgesetzt hat. Letzten Sonntag hat in Pordenone die Assoziation der Einwanderer für einen achtstündigen Streik Mitte Juni gestimmt. Der Widerstandswille gegen die Regierung, die sie massiv angreift, weil sie sie für den schwächsten Teil der Lohnarbeiter hält, weitet sich aus. Das deutet eine mögliche Neuzusammensetzung an, die von den konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen eines Teils des Industrieproletariats ausgeht, der in einer Gegend wie Vicenza alles andere als marginal ist.

Genau diese starke Konzentration von Ausländern, die in der Gerbereiindustrie im Chiampo-Tal, auf den Baustellen der ganzen Provinz, in den Möbelfabriken der Gegend um Bassano und in den Metallfabriken des vicentinischen Nordostens beschäftigt sind, hat die Genossen der »Tavoli dei Migranti dei Social Forum Vicentini« dazu gebracht, präzisere und dauerhaftere Beziehungen zu den verschiedenen ausländischen Arbeitercommunities aufzubauen - insbesondere nach der großen landesweiten Demo gegen das Gesetz Bossi-Fini am 19. Januar in Rom mit 150 000 Menschen. Gemeinsam haben sie sich dann an die Gewerkschaft gewandt, um zu einem Streik aufzurufen und diesen konkret durchzuführen.

Es war kein einfacher und linearer Verlauf, auch wenn die Parole vom Migrantenstreik seit letztem Winter auf der Tagesordnung der Gruppe Immigration der italienischen Social Forums stand. In der Diskussion zwischen den Genossen und den Migranten auf verschiedenen Versammlungen in Brescia, Rom, Florenz und Bologna wurde deutlich, daß wir es mit einer differenzierten und sehr komplexen Realität zu tun haben. Besonders interessierte uns die Konzentration regulär beschäftigter Arbeiter in den Fabriken in Emilia, Lombardei und Venezien, und so fiel den Genossen von dort die Verantwortung zu, das Vorhaben in die Praxis umzusetzen. Ich will hier nicht näher in die Details gehen, aber wir mußten einerseits ein Kontaktnetz zu den ausländischen ArbeiterInnen in Betrieben und in Wohnvierteln aufbauen, und andererseits mußten wir politisch ein Verhältnis zu den Gewerkschaften hinkriegen und sie dazu bringen, offiziell zum Streik aufzurufen. Nur so war ein erfolgreicher Streik realisierbar.

Insbesondere in Brescia oder in Vicenza konnte der Streik gelingen: in Brescia, weil dort die besondere Bereitschaft der Migranten und des Social Forum zusammenkam mit der Besonderheit der CGIL von Brescia; in Vicenza eher aufgrund der objektiven Bedingungen, d.h. der hohen Anzahl von regulär beschäftigten ausländischen ArbeiterInnen, der Konzentration der Gerbereien im Chiampo-Tal, wo die Tarifverhandlungen begonnen hatten, was als unterstützender Hebel für die Mobilisierung dienen konnte. Außerdem gibt es hier organisierte Communities, die der Ghanaer und Marokkaner z.B. seit zehn Jahren. In Vicenza kam es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Genossen der Social Forums von Vicenza, Bassano und Schio, Leuten, die sich auf die »politische Zentralität der Wanderarbeit« beziehen, entschlossenen Vertretern einiger Ausländercommunities, und engagierten Aktivisten der CGIL mit Gespür für die Sache. Von hier ging die Initiative aus für einen provinzweiten Generalstreik der Migranten gegen das Gesetz Bossi-Fini, gegen die eingespielte Verliererlogik eines großen Teils der Gewerkschaftsverbände und gegen die Unternehmer des italienischen Nordostens, die zwar immer bereit sind, ausländische ArbeiterInnen einzustellen, aber nur zu ihren Bedingungen, welche die jetzige Rechtsregierung punktgenau in den Gesetzentwurf übersetzt hat.

Die taktische Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft hielt genau bis zum Tag des Streiks. Und das hat auch nur durch die Vermittlung des Teils der CGIL geklappt, der landesweit größtenteils mit der FIOM [Metallgewerkschaft] zusammenfällt. Diese hält schon seit dem letzten Jahr dem Angriff stand, den die Unternehmer mit dem Metall-Separattarifvertrag führen. Ihr ist es nach und nach gelungen, mittels der Demonstration von über zwei Millionen in Rom am 23. März die Mobilisierung auf die gesamte CGIL auszuweiten und mit dem Generalstreik vom 16. April auch die anderen Gewerkschaften einzubeziehen.

Der CUB [Basisgewerkschaft] der Provinz hingegen war sofort für den Generalstreik. Er bildete die technisch-politische Basis der monatelangen Zusammenarbeit mit den Migranten. Diese lief über Versammlungen in den Dörfern der Ebene und den Bergtälern der Provinz Vicenza, die von den »Tavoli dei Migranti« der Social Forums organisiert und durch Leute von Rifondazione Comunista unterstützt wurden. Die Parole »Widerstand gegen das Gesetz Bossi-Fini als strategischem Element des Angriffs auf die gesamte Arbeiterklasse in unserem Land« - [zusammen mit der vorgesehenen Abschaffung des Artikels 18, dem Weißbuch von Minister Maroni und den Regierungsdekreten zu Steuern und Sozialversicherung] - wurde aufgenommen und von allen Beteiligten in den Fabriken und an den Arbeitsplätzen verbreitet, wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen.

Der Streik war erfolgreich, aber die Ergebnisse sind widersprüchlich. Es kommt jetzt darauf an, daß wir auf den positiven Ergebnissen aufbauen. Mit dem Auseinanderbrechen der Gewerkschaftsfront über den Artikel 18 werden sich die Schwierigkeiten sicherlich noch zuspitzen.

Unsere Arbeit mit den Migranten geht weiter. Im Augenblick zielt sie unter der Parole eines neuen Generalstreiks auf einen entschlossenen Widerstand gegen das Gesetz Bossi-Fini, das erst noch den Senat passieren muß.

Vicenza, 06.06.2002

Aufkleber zur Mobilisierung für den Streik
gab es in vielen Sprachen - zudem Plakate, Flugis usw.


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