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04.10.2011           aktuelles


Der Streik in Nardò (Süditalien) ist vorbei


Mimmo Perrotta, Devi Sacchetto

Zum Hintergrund: Wenn die Kämpfe zuwandern:
Streik in der grünen Fabrik in Nardò (Süditalien)



Nach 13 sehr schwierigen Tagen ging der Streik auf dem Hof Boncuria in Nardò (Lecce) Mitte August zuende. Yvan, der kamerunische Anführer des Protests, verließ den Hof nach einem Abend voller Spannungen zwischen den Streikenden am 13. August. Die Gruppe der Migranten, die trotz ihrer politischen Unerfahrenheit einen mutigen Streik auf die Beine gestellt hat, wurde durch den ständigen Druck von Bossen und Institutionen, durch die gewerkschaftliche und massenmediale Beobachtung (auch Linea diretta und Report waren vorbeigekommen) aufgerieben. Dazu kam, dass andere Migranten und Caporali Geschichten über angebliche Privilegien einiger der Anführer verbreiteten, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Sicher, die Eilverordnung der Regierung – ein geschicktes Manöver im Klassenkampf – führte mit Artikel 12 die »unerlaubte Vermittlung und Ausbeutung von Arbeit« als Straftat ein: das war eine wichtige Anerkennung für den Kampf der afrikanischen Migranten in Nardò. Trotzdem können die Caporali sich weiter ungestört innerhalb und außerhalb des Camps bewegen, obwohl die Migranten noch vor Ende des Streiks zehn Anzeigen bei der Polizei gemacht haben.

Die ersten Risse zwischen den Migranten entstanden am 5. August, nachdem der Streik fast sechs Tage lang fast vollständig befolgt worden war. Einerseits zeitigte er die ersten Ergebnisse: Lohnerhöhungen und einige reguläre Verträge. Andererseits weiteten die Bosse und Caporali ihre Angriffe auf mehrere Fronten aus: sie rekrutierten Streikbrecher sogar in weit entfernten Gegenden wie Foggia; die Caporali stachelten mit Gerüchten Konflikte zwischen Streikenden unterschiedlicher Nationalität an; es gab direkte und indirekte Drohungen gegen die exponiertesten Protagonisten. In der letzten Woche kam noch dazu, dass die runden Tische der Präfektur von Lecce und der Bezirksverwaltung von Bari den Schwung der Migranten zum Erlahmen gebracht haben, weil sich nun viele Subjekte eingemischt haben. Die institutionellen Praktiken, mit denen die Unternehmen bloßgestellt werden sollten, brachten nicht den ersehnten Erfolg.

Die CIA Puglia [Confederazione Italiana Agricoltori], eine der landwirtschaftlichen Arbeitgeberorganisationen, hat in einer Pressemitteilung eine Teilnahme am runden Tisch abgelehnt, weil sie »diese angeblichen Landwirte weder repräsentiert noch vorhat, dies zu tun, da diese hauptsächlich Vermittler und Händler sind, die illegalerweise Caporali einsetzen und Sklaverei betreiben.«

Bei den Vereinbarungen auf regionaler Ebene geht es um die probeweise Einführung von Vormerk-Listen für Saisonarbeiter im Arbeitsamt von Nardò, aus denen dann die Bosse ihre Arbeitskräfte aussuchen sollen. Der Transport vom Hof zu den Camps wird von der Kommune Nardò nur für diejenigen kostenfrei zur Verfügung gestellt, die von den Betrieben anhand der Vormerk-Listen ausgewählt werden. In der Zwischenzeit versucht die Regionalverwaltung mithilfe der für die Verwaltung von EU-Zuschüssen zuständigen Behörde (AGEA, Agenzia per le Erogazioni in Agricultura), alle tomatenproduzierenden Betriebe zu ermitteln. Regionalverwaltung und Gewerkschaft hoffen, mindestens drei oder vier »vorbildliche« Unternehmen zu gewinnen, um dann das gleiche Vorgehen anderswo vorzuschlagen, erstmal überall in der Gegend um Foggia. Viele Migranten auch von denen, die schon arbeiten, haben sich in die Listen eingetragen, aber die Betriebe sind nicht dazu verpflichtet, die Einstellungen über das Arbeitsamt zu regeln, so dass sich wenig geändert hat, und nun geht die Ernte ohnehin zuende. Es stimmt, dass in den letzten Tagen zehn Migranten regulär und direkt von einem Betrieb eingestellt worden sind, einen Stundenlohn gezahlt und eine Unterkunft gestellt bekommen.

Die FLAI-CGIL war die einzige Gewerkschaft, die den Kampf unterstützt hat; sie hat einerseits auf runde Tische gesetzt, andererseits hat sie direkte, kollektive Verhandlungen verhindert und wenig getan, um die Streikenden in den Camps und bei den Straßenblockaden praktisch zu unterstützen, obwohl sie in der Provinz Lecce mit 5 000 Mitgliedern ziemlich stark ist. Das wirkliche oder vorgebliche Angebot, einen der exponiertesten Protagonisten des Streiks bei der CGIL Lecce zum »Referenten für die Immigranten« zu ernennen, hat sicher nicht zur Geschlossenheit der Migranten beigetragen.

Auf dem Hof war am Nachmittag des 12. August die Enttäuschung zu spüren. Yvan bestätigte das: »Es ist bitter, weil wir in diesem Kampf alles gegeben haben, um sofort etwas zu erreichen. Doch nichts ist passiert. Aber wir wissen, dass man einen Sieg nicht leicht erringt und dass man weiterkämpfen muss, weil man gar nichts erreicht, wenn man nicht kämpft. Gleichzeitig ist es ein Gefühl des Sieges, weil sich auf der politischen und institutionellen Ebene was bewegt, seit die Presse berichtet hat.« Aufgrund des Streiks fühlen sich viele der Migranten weniger allein und handeln in erster Person: »Ich hab meinen Boss angezeigt, weil er mich regulär eingestellt hat, mir aber weiter Akkord und keinen Stundenlohn zahlt, wie er es müsste«, sagt Karim, ein junger Tunesier.

Obwohl viele Migranten gezwungen sind, die Arbeit wieder aufzunehmen, scheint der Kampf den meisten von ihnen ihre Stärke bewusst gemacht zu haben. Viele hatten vorher noch nie gestreikt: »Das hier ist eine Gruppe von Arbeitern, die immer sofort an die Gegenwart denkt, an den Tagesverdienst«, meint Yvan. Migranten, die an die Erschöpfung und den geringen Verdienst gewöhnt sind, an miserable Unterbringung, die aber offensichtlich Schwierigkeiten haben, einen derart langen Streik politisch zu bewerkstelligen. Und die Freiwilligen der Associazione Finis Terrae und der Brigate di solidarietà konnten nur wenig tun, um den starken Druck zu verringern, der auf den Tagelöhnern lastete.

Die Lage im Camp bleibt angespannt, seine Schließung wird erwartet. Der Bürgermeister von Nardò hat bei seinem Besuch am 13. August versprochen, den Migranten ein Stück weit entgegen zu kommen, vor allem denen, die aufbrechen müssen und keinen Cent in der Tasche haben. Wie so oft, wenn ein Streik zu Ende ist, tauchen Individualismus und kleine Selbstsüchte wieder auf, die während des Kampfs schwächer waren. Aber trotz all seiner Grenzen hat der Streik der afrikanischen Arbeiter in Nardò gezeigt, dass es möglich und notwendig ist, sich auch unter schwierigsten Bedingungen selbstbestimmt zu organisieren und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen einzufordern. Das müssen wir alle in den kommenden schwierigen Monaten im Kopf behalten, nicht nur die MigrantInnen.



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