Zwischen Forderung und Subversion - Die Bewegung der Erwerbslosen in Frankreich, März 2000 [m004nico.htm]


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Zwischen Forderung und Subversion

Die Bewegung der Erwerbslosen in Frankreich

von Nicole Thé, Mitglied von AC! Paris, verfaßt im März 2000, am 31.07.2000 in ac-forum [ac-forum@ras.eu.org] veröffentlicht [AC! = Agir ensemble contre le chômage = Gemeinsam handeln gegen Arbeitslosigkeit]

Übersetzung von Werner Braeuner

Das, was im Winter 1997/98 in Frankreich entstanden ist, wird gewohnheitsmäßig als die »Bewegung der Erwerbslosen« bezeichnet. Es haben sich in dieser Bewegung verschiedene Forderungen überkreuzt, die sich - ohne unzulässig zu verkürzen - auf zwei Polen gegenüberstehen: Da ist einmal die organisierte Verteidigung derjenigen ohne einen Dauerarbeitsplatz, und die dazu verdammt sind, von Unterstützungszahlungen zu leben. Und zum anderen sind da die, welche von dem Wunsch nach einer sozialen Subversion bewegt sind, welche die Regeln der ungleichen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums außer Kraft setzen kann. Diese beiden Pole haben koexistiert, bisweilen in einer eigentümlichen, oft konflikthaften Fusion, bisweilen auch mit dem Willen zur gegenseitigen Abgrenzung. Wenn ich mich im folgenden entschließe, diese beiden Pole einzeln für sich zu untersuchen, dann geschieht dies vor allem dazu, um die jeweiligen Interessenlagen, die Erfolge und die Grenzen in ihrem inneren Zusammenhang darstellen zu können.

Die organisierte Verteidigung der »Ohne-Arbeit«

Es soll hier nicht von der Realität der Arbeitslosigkeit in Frankreich geredet werden. Ich werde mich damit begnügen, das Ausmaß dieser Realität kurz zu beleuchten und etwas über die langanhaltende Dauer dieser Realität zu sagen (mehr als 3 Millionen offiziell registrierter Arbeitsloser, was 13% der erwerbsarbeitsfähigen Bevölkerung entspricht; ehrlichere Statistiken geben als Zahl 4,5 Millionen an und allgemeiner 7 Millionen, wenn die ungesichert Beschäftigten hinzugerechnet werden). Zu Beginn waren nur die Beschäftigten in den Wirtschaftszweigen mit technologischen Strukturwandel betroffen, doch seit nun zwei Jahrzehnten wuchs die Arbeitslosigkeit darüber hinausgehend beständig weiter, ohne daß sich ihre Zunahme mit einer Wirtschaftskrise begründen lassen könnte. Es handelt sich also um eine chronisch gewordene Erscheinung, die im Laufe der Zeit immer mehr Druck auf die Gesellschaft ausgeübt hat. In einem Land, in dem es traditionell dem Staat zukommt, für einen gewissen Zusammenhalt unter den Klassen zu sorgen (im Gegensatz zum angelsächsischen Modell, in dem allein »der Markt« herrscht, oder zum mediterranen Modell, wo die Familie bzw. auch mehr oder weniger untergründige Strukturen sozial abfedern, was bis hin zum Stimmenkauf gehen kann), wundert es nicht, wenn die aufeinanderfolgenden Regierungen den »Kampf gegen die Arbeitslosigkeit« ganz hoch auf ihre Fahnen geschrieben haben - was ihnen dann dazu gedient hat, die Einkommen nach unten zu drücken, ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse zu fördern und, mit Blick auf die Langzeitarbeitslosen, außertarifliche Arbeitsverhältnisse einzuführen.

Eine Art Gewerkschaft der Arbeitslosen entsteht

Bevor im Dezember 1997 die Bewegung der Erwerbslosen auf die Straße ging, ging dem ein ganzes Jahrzehnt mit Versuchen voraus, die Arbeitslosen - und zwar mit verschiedenen Beweggründen - zu organisieren:

Der wenig sympathische Charakter des hier zuletzt genannten Beweggrundes ändert jedoch nichts daran, daß dieser sich auf die Wahrnehmung einer Wirklichkeit gründet: In Frankreich sind nicht alle Schichten der abhängig Erwerbstätigen gleichermaßen von Arbeitslosigkeit betroffen. Einige sind es mehr als andere, wie besonders die unqualifizierten Jüngeren und ältere ArbeitnehmerINNEN, die leichthin als nicht wettbewerbsfähig abqualifiziert werden. (Es gibt auch eine überproportional hohe Frauenarbeitslosigkeit, welche aber durch eine starke Förderung von Teilzeitarbeit kaschiert wird.) Anders ausgedrückt, steht trotz eines nie ganz versiegenden Arbeitskräftebedarfs, ein bestimmter Teil der Gesellschaft außen am Rand des Arbeitsmarktes. Dies wird durch die Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit deutlich, die auch dann nicht zurückgeht, wenn die Statistiken eine leichte Abnahme der allgemeinen Arbeitslosigkeit anzeigen. Nun aber sind gerade die Langzeitarbeitslosen am wenigsten vor dem Risiko völliger Verarmung geschützt, was durch die Einführung der Sozialhilfe RMI im Jahre 1988 (750 DM monatlich für Miete und Lebensunterhalt) nicht besser geworden ist. Diese unschöne Realität wurde im Laufe der Jahre immer unschöner, indem die Regularien der Arbeitslosenversicherung zum Zwecke des Ausgleichs ihres Budgets schrittweise dahingehend verändert worden sind, daß diejenigen Arbeitslosen und die ungesichert Beschäftigten mit den größten Problemen, eine Arbeitsstelle zu finden, nur noch immer mehr bestraft wurden (die berüchtigte »Degressivität« der Unterstützungszahlungen). Es ist also ganz offensichtlich, daß es eine soziale Kategorie von Menschen gibt, deren Situation eine organisierte kollektive Verteidigungsanstrengung erforderlich macht - welche man durchaus als eine gewerkschaftsartige Organisation der Arbeitslosen bezeichnen könnte. Aus ihrer inneren Notwendigkeit heraus hat sich diese Idee im Laufe der Jahre in den Köpfen festgesetzt. Eine der Folgen davon ist zweifelsohne auch am Beispiel der Verstärkung der »Strömungstendenz Einkommen« (1) innerhalb von AC! zu erkennen - eine Tendenz, die dafür steht, die gesamte Kritik und die gesamte Energie von AC! auf die Forderung nach einem garantierten Einkommen für alle (revenu garanti à tous) zu konzentrieren.

Wieso haben dann aber die Gewerkschaftsdachverbände, die nicht zögern, ein Monopol bei der Vertretung der Beschäftigten zu beanspruchen, nichts getan, um entsprechendes Terrain zu besetzen (mit der relativen Ausnahme der CGT, wie weiter unten gezeigt werden wird) ? Der Grund dafür liegt zweifelsohne darin, daß die Gewerkschaftsdachverbände ihre Mobilisierungskraft eingebüßt haben, eben weil sie bereits vor sehr langer Zeit und mit sehr großer Entschiedenheit die Wahl getroffen haben, lieber mit einer regierenden Linken kollaborieren zu wollen und jedwede Form institutioneller Macht zu unterstützen - was sichere indirekte Finanzierungsmöglichkeiten sichert -, als sich in einer Arbeitswelt, deren Existenz zunehmend in Frage gestellt wurde, fest verankern zu wollen. Dies ist eine Logik, die sich mit dem weiteren Anwachsen der Arbeitslosigkeit nur immer weiter verfestigt hat: Die Interessen der Arbeitslosen werden von keiner Betriebsgruppe und von keinem Betriebsrat, sondern nur und allein auf der Straße vertreten. Nicht zu vergessen, daß die UNEDIC, das paritätisch besetzte höchste Organ der Arbeitslosenversicherung seit der Nachkriegszeit von niemand anderem als den großen Gewerkschaftsdachverbänden mitverwaltet wird. Immer wenn es dann darum geht, den von zunehmender Arbeitslosigkeit beanspruchten Haushalt der UNEDIC wieder ins Gleichgewicht zu bringen, heißt die wohlfeile Lösung, im Bündnis mit den Arbeitgebern, den am wenigsten »operationellen« - und das heißt auch, den am wenigsten wehrhaften - Teil der Arbeitslosen zu opfern; warum es denn sich auch mit den Beschäftigten verderben? Nur einigen ehrenhaft gebliebenen Gewerkschaftsfunktionären bereitet es noch Kopfschmerzen, daß auf diese Weise das System einer kollektiven Versicherung nach und nach ruiniert worden ist, da dessen ordentliche Funktion ja doch gerade darauf beruht, die Beiträge der Versicherten mit dem Steigen des Risikos des Eintritts des Versicherungsfalles ebenfalls steigen zu lassen, damit nicht ein immer größer werdender Teil der Arbeiterklasse sich plötzlich in der Abhängigkeit des Staates wiederfindet, der die sogenannten »sozialen Minima« (ungefähr 750 DM monatlich) und die Regeln ihrer Vergabe frei nach Gutdünken festsetzen kann (2). Die oben angesprochene Wahl der Gewerkschaftsdachverbände birgt aber das eine Risiko, daß all die immer weiter einschränkenden Maßnahmen schließlich in die Forderung nach kollektivem Kampf der vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen einmünden, in dessen Verlauf die Verantwortung der großen Gewerkschaftsdachverbände für die schmutzige Art des Umgangs, den sie ausgerechnet für die am stärksten von Armut bedrohten Arbeitslosen reserviert gehalten haben, allgemein sichtbar würde. Und das könnte durchaus so kommen. Vor allem, wenn gesehen wird, daß die von den großen Verbänden unabhängigen Gewerkschaftsgruppen - wie SUD, »CFDT im Kampf« und allgemeiner die als »Gruppe der zehn« bekannten Gewerkschaften - in AC! stark vertreten sind. Ihr Gewicht dort ist in Bezug auf den von ihnen eingebrachten finanziellen als auch personellen Beitrag (teils sogar hauptamtliche Gerwerkschafter) höchst beachtlich; die Gewerkschaft CNT ist auch in einigen lokalen Gruppen vor Ort präsent. Alles in allem hat die arbeitgeberfreundliche Haltung der großen Gewerkschaftsdachverbände, welche die UNEDIC mitverwalten, immer nur noch mehr Wasser auf die Mühlen der unabhängigen Gewerkschaften geleitet... Wenn man das weiß, wird man sich auch nicht mehr über die Feindseligkeit wundern, mit der die großen Gewerkschaften den Organisationen der Erwerbslosen schon bereits in ihrer ersten, noch embryonalen Phase begegnet sind. Aber diese Feindseligkeit hat es nicht vermocht, eine gewisse Nähe des Denkens zu verlieren. Bekanntlich unterscheiden sich in Frankreich die unabhängigen Gewerkschaften von den großen Verbänden mehr durch ihre unterschiedlichen Zielsetzungen, als durch ihre gewerkschaftliche Praxis. Besonders die permanente Delegation von Macht und Befugnissen, war - mit Ausnahme bei der CNT - dort niemals Gegenstand der Diskussion. Von daher war es nur logisch, wenn unsere Erwerbslosenvertreter die Irrungen und Wirrungen der großen Verbände in Bezug auf die Verwaltung der UNEDIC mit dem Ausschluß der Erwerbslosen aus dem UNEDIC -Verwaltungsrat erklärt haben und ohne falsche Bescheidenheit boten sie sich an, diese Lücke zu füllen... Daher stammt die Forderung nach einer »Vertretung der Erwerbslosen überall dort, wo über ihr Schicksal entschieden wird« und die bereits erhoben wurde, bevor die Erwerbslosen angefangen hatten, sich erstmals selbst als die »Assoziationen der Erwerbslosen« zu bezeichnen; es wurden die Ansprüche der Erwerbslosen mit dieser Forderung bereits früh weit nach vorn abgesteckt, und dieselbe Forderung findet sich auch heute immer noch und wie selbstverständlich am Ende jedes Forderungskatalogs und auf allen Flugblättern.

Im Augenblick der Geburt der Bewegung gibt es also bereits den gut entwickelten Embryo einer gewerkschaftsähnlichen Orientierung der Erwerbslosen. Allianzen werden ad hoc und innerhalb der bestehenden Strukturen geschlossen. Wenn es auch schwierig ist, genügende Beitragszahlungen von Leuten zu bekommen, die selber kaum einen Pfennig in der Tasche haben, so hat man es doch verstanden, dieses Problem zu überwinden: AC! wird von den mit ihm gemeinsam organisierten Gewerkschaften unterstützt, und die lokalen Mitgliedsgruppen beweisen durch die Zahlung eines nicht eben hohen jährlichen Beitrags, daß sie die selbsternannte nationale Führung akzeptieren. Die Mitglieder des MNCP wiederum treiben Geld über die von ihnen geleistete Beratungsarbeit auf. Die unterschiedliche Geschichte, und die jeweils unterschiedliche Art der Mitgliederrekrutierung und des politischen Vorgehens selbst (Begleitung von Arbeitslosen bei Behördengängen im Falle des APEIS, verschiedene Dienstleistungen für Erwerbslose beim MNCP und eine Mischung aus propagandistischer Agitation und gegenseitiger Selbsthilfe bei AC!) führen dazu, daß es eher Arbeitsteilung als Konkurrenz gibt - ein wenig nach dem Vorbild der französischen Gewerkschaftsbewegung. Seit nun schon einigen Jahren bewährt sich diese Organisation bei den gemeinsamen Demonstrationen, wo die Rollenverteilung aufgrund der unterschiedlichen Herkunft und des unterschiedlichen Stils der »Truppen« sichtbarer wird. Auch die Erwerbslosenaktionskomittees der Gewerkschaft CGT sind bei dieser Aufzählung mit zu nennen. Entstanden sind sie im Zuge der Mobilisierungen die von ehemaligen Beschäftigten der Werft La Ciotat in Marseille geführt worden waren. Wenn auch offiziell die Existenz von besonderen Erwerbslosengruppen innerhalb der CGT gegen die in Gewerkschaftskreisen allgemein hartnäckig beibehaltene Auffassung verstößt, daß die Erwerbslosen sich nur in derjenigen Gewerkschaft organisieren dürfen, der sie vor ihrer Erwerbslosigkeit bereits angehört hatten, so bieten die Erwerbslosenkomittees der CGT, welche der von allen großen Gewerkschaftsdachverbänden der am meisten »volksnahe« ist, immerhin die Möglichkeit, weiter auf dem Terrain der Forderungen der Erwerbslosen mitzuagieren. (Die CGT-Mitglieder können dadurch auf die oppositionelle Rolle der CGT in den paritätischen Gremien der UNEDIC hinweisen und so von dem Problem ablenken, daß die CGT die Regularien der UNEDIC, eines Systems, welches ausgrenzt, verantwortlich mitgezeichnet hat.) Zwischen den Erwebslosenkommittees der CGT und den »Assoziationen« ist die Zusammenarbeit aufgrund der hartnäckigen Hegemoniebestrebungen der CGTler problematischer. Aber die Bewegung konnte das Problem zeitweise lösen, indem sie allen ihren Mitgliedern die Möglichkeit gab, ihre institutionelle Eigenständigkeit nach außen hin zu bewahren und darzustellen. Es ist diese ausgeprägte Sorge um die Bewahrung der institutionellen Eigenständigkeit der Bündnispartner, was der Bewegung lange Zeit - und wohl auch noch weiterhin - nicht sehr förderlich war und womit sie sich den spöttischen Namen »Viererbande« eingetragen hat.

Die Dynamik der Gewerkschaften speist sich aus der Bewegung

Geben wir Cäsar, was Cäsars ist: Vor allem wohl der Agitation der »Gewerkschaften der Erwerbslosen« ist die Initialzündung der Bewegung zu verdanken. Mehrere voneinander unabhängige Aktionen folgen: Die lokalen Gruppen von AC! organisieren eine neue gut koordinierte Kampagne zur Agitation gegen die Degressivität der Arbeitslosenunterstützung, in deren Verlauf es zu spontanen Besetzungen der staatlichen ANPE-Arbeitsvermittlungsstellen und von ASSEDIC-Leistungsstellen in ganz Frankreich kommt. Das Klima ist noch immer aufgeheizt, als die Erwerbslosenkommittees der CGT in Marseille ihre - zum alljährlichen Ritual gewordene - Mobilisation zum Jahresende beginnen, was dazu dienen soll, den sich beteiligenden Erwerbslosen einen Teil des Jahresüberschusses des »Sozialfonds« der ASSEDIC zu verschaffen. Nur gibt es nun das Problem, daß man zum Ende des Jahres 1997, leider erfahren muß, daß die Sozialfonds der ASSEDIC vor der Abschaffung stehen, und es nichts mehr zu verteilen gibt. Mit einem Schlag wird nun aus dem Ritual eine wirkliche Mobilisierung: Die ASSEDIC-Leistungsstellen werden jetzt nicht mehr nur vorübergehend, sondern dauerhaft besetzt, jetzt, um etwas loszueisen, was man kurzerhand »Weihnachtsprämie« getauft hat. Zugleich bietet diese Mobilisierung zahlreichen Erwerbslosen aus dem Großraum die Möglichkeit der Begegnung und gemeinsamer Zusammenarbeit. Die AktivistINNEN der »Assoziationen« versuchen dasselbe dann auch an anderen Orten, nicht ohne zuvor in Windeseile eine gemeinsame Forderungsplattform auszuarbeiten, mit der sie hier und da zu gewissen Erfolgen kommen. So wird eine mehrere Wochen lang durchgehaltene Besetzung der ASSEDIC in Arras gemeinsam von der dortigen lokalen Gruppe von AC! und den CGT-Erwerbslosenkommittees organisiert, womit ein lokal sehr beachtetes Ereignis zustandekommt. Doch es ist eine weitere Zutat, welche hier die Sahne erst richtig steif werden läßt: Der Presse fehlt in dieser Zeit des Weihnachtslochs Berichtenswertes, und sie hofft daher, auf der Klaviatur des schlechten Gewissens der Völlerei bei den Festtagen spielen zu können. So hilft sie, die Bewegung auszuweiten: Zum einen mit lokaler Wirkung, indem sie diejenigen außerhalb der Bewegung über die Vorgänge in Arras informiert und ihnen so die Beteiligung ermöglicht, und dann auch, weil das ganze durch die Medienberichterstattung mit einem Mal den Rang eines nationalen Ereignisses gewann. Was damals spürbar geworden ist, ist die (passive) Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft für die Forderungen der Erwerbslosen und für die durch den Äther verbreitete Anklage gegen die Ungerechtigkeit - wodurch es der polizeilichen Repression schwer gemacht wird. Deshalb nahm die Regierung die Presse diskret an die Zügel, und machte das Zugeständnis zur Zahlung von 300 Millionen DM (der »Soziale Nothilfefonds«). Daraufhin schöpft die Bewegung neuen Atem. Von Januar bis Anfang März vervielfachen sich die Besetzungsaktionen, auch die Forderungen werden deutlicher und neue lokale Gruppen werden gebildet - ganz so, als hätte das Ende der Medienberichterstattung die Phantasie und das Bedürfnis nach Autonomie erst richtig vorangebracht. Die ersten Anzeichen von Erlahmung zeigen sich erst Anfang März, teilweise aufgrund der Wirkung wirklich ernstzunehmender polizeilicher Repressionen. Aber es schwelte während der nächsten Monate noch weiter, und die allerletzte Glut verlosch erst im weiteren Verlauf des Jahres.

In der Strategie der »Assoziationen der Erwerbslosen« verändert die Bewegung nun offensichtlich die alten Gegebenheiten, indem sie beginnt, ihre Kräfte mit denen des politischen Gegners zu messen. Übrigens nicht einmal so sehr in Bezug auf das Ausmaß ihrer Mobilisierungsfähigkeit (einige Hundert, und sicher nicht mehr als ein paar Tausend von außen Dazugekommene), sondern viel mehr, weil es ihr gelingt, die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen. Die AktivistINNEN glauben nämlich, daß einer der Schlüssel zum Erfolg die geschickte Nutzung der Medien ist, besonders das Medium Fernsehen. Dafür müssen, neben strategischen Kontakten in der Welt des Journalismus (die bei früheren Mobilisierungen angeknüpft worden waren), noch zwei andere Bedingungen gegeben sein: das Angebot eines Schauspiels/Spektakels und das Monopol betreffs des Diskurses bezüglich der Forderungen. Die Zutaten für das erforderliche Spektakel waren allesamt vorhanden: eine gewisse, mehr schlecht als recht formulierte Portion des Gefühls der Ungerechtigkeit, dazu etwas Illegalität und ein bißchen Chaos, das ganze dann gewürzt mit einer Messerspitze geschickt in Szene gesetzter polizeilicher Repression (4), und man ist sich seines Publikums sicher. Was das Monopol über den Diskurs angeht, reicht es schon, sich die instinktive Reaktion des Nachrichtenjournalisten zunutze zu machen, welcher aus entweder Mangel an Neugier, oder aus Bequemlichkeit, oder sei es nur wegen der von ihm verinnerlichten Anerkennung der »gegebenen Verhältnisse«, spontan dazu neigt, den Galgen seines Mikrofons allezeit immer denselben Leuten hinzustrecken, weil er die für »Repräsentanten« hält. Aber vielleicht ist eben genau das die Stelle, an welcher der Schuh anfängt zu drücken. Denn es reicht nicht aus, daß die Presse sich bereit zeigt, den dazu jeweils bereiten Kandidaten den Status des Repräsentanten zuzuerkennen, es ist darüber hinaus auch erforderlich, daß die politisch Mächtigen diese Repräsentanten für praktisch fähig halten, die Massen auch an sich zu binden, welche zunächst ja lediglich von ihnen in Bewegung gesetzt worden waren. Nun aber entsprach die Wirklichkeit, welche vom Staatsschutz aufmerksam und auffallend beobachtet wurde, diesem Erfordernis wohl kaum! Die Anhängerschaft der Massen an eine durch sich selbst ernannte Führung, springt nicht unbedingt sofort ins Auge. Zuerst ist dafür wohl das tiefgreifende Mißverhältnis in den konkreten materiellen Lebensverhältnissen zwischen jenen AktivistINNEN, welche sich als Führungskandidaten anbieten und den AktivistINNEN aus der allgemeinen Bewegung verantwortlich. Diejenigen nämlich, welche von der Agitation zur Aktion geführt werden, sind nicht die »echten Arbeitssuchenden«. Die sind nämlich von der Arbeitssuche zu sehr in Anspruch genommen und allein deshalb schon gar nicht mobilisierbar. Außerdem bedingt die angestrengte Arbeitssuche eine regelrechte Selbstdressur hin zu einer Unterwerfungshaltung, welche kaum mit dem zur Aktion erforderlichen Kampfgeist kompatibel ist. Mobilisierbar sind lediglich zwei Arten von Arbeitslosen, die in gewisser Weise »Randfiguren« sind: Da sind einmal die, welche durch eine zu langandauernde Fahrt auf der Arbeitssuchgaleere schon so entnervt sind, daß sie als nicht mehr vermittelbar eingestuft werden UND die das dann auch selbst schon wissen, so daß sie die aktive Arbeitssuche eingestellt haben; zum zweiten sind da gewisse »untypische« ungesichert Beschäftigte - untypisch, weil sie sich und ihr Leben bereits auf den Umstand ihrer besonderen Lage als ungesichert Beschäftigte eingerichtet haben und einem gleichmäßigen Rhythmus von Jobberei und Stütze folgen bzw. solche, die es verstehen, ihre Sozialhilfe manchmal auch mit gelegentlicher Schwarzarbeit etwas aufzubessern. Alles in allem haben diese beiden Arten von Arbeitslosen gelernt, die Angst vor einer ungewissen Zukunft zu zähmen, genau jene Angst also, welche paradoxerweise die noch in der Arbeitswelt aktiven KollegINNEN tiefgreifend aus- und unterhöhlt. Entsprechend zeigen sich die einzig aktivierbaren Arbeitslosen gegenüber den Versuchen, sie fest in Aktionsgruppen einzugliedern, eher reserviert bis ablehnend - schließlich sind sie keine Partisanenkämpfer einer selbstorganisierten direkten Aktion. Für diese neu hinzugekommenen ist die Bewegung zuallererst eine Gelegenheit, soziale Kontakte herzustellen. Und tatsächlich bieten die Besetzungen, falls sie länger andauern, die Gelegenheit, als Kollektiv zu überleben (Nahrung, Obdach), und auch, den politischen Kampf weiter voranzubringen (Herstellen und Verbreiten von Flugblättern und Plakaten). Hinzu kommt die Gelegenheit zum freien Austausch. Und dies hat dann in der Folge dazu geführt, daß sich geeignete Örtlichkeiten selbstorganisierten, um dort auch außerhalb von Besetzungen im Kollektiv leben zu können: In Paris gibt es regelmäßige Treffs an der Universität Jussieu, im Haus Zusammen (Maison des ensembles) herrscht das Ziel vor, frei zu debattieren. In mehreren Städten haben sich Hausbesetzer nach außen geöffnet, um unmittelbare Notlagen zu beheben (Bordeaux und Montpellier) oder um im Kollektiv leben zu können (Paris). Diesen Neuankömmlingen kommen Dinge wie die Forderungen der Bewegung ziemlich eigenartig vor und sie zeigen dann einen Opportunismus, wie er sich häufig auch in den Betrieben in Bezug auf die Gewerkschaftsarbeit finden läßt: »Wenn sich damit was rausschlagen läßt, prima, dann nehmen wir's mit.« Und wie in den Betrieben läßt dies den führenden Leuten freie Hand, gibt ihnen jedoch nur wenig Kredit bei Gesprächen mit der anderen Seite.

Diese Trennung zwischen »Repräsentanten« und »Masse« hat jedoch nicht verhindern können, daß die ersteren das Schiff in die von ihnen gewünschte Richtung haben steuern können. Dazu mußten sie lernen, den Opportunismus der letzteren zu nutzen. So konnte man bei den zuletzt von der »Viererbande« organisierten Besetzungen beobachten, wie sich ein bereits gut eingespieltes Szenario entfaltete: Man dringt in eine Örtlichkeit mit mehr symbolischem als strategischem Wert ein und organisiert dort eine rituelle Kurzansprache der »Repräsentanten« einer jeden der mitbeteiligten Assoziationen. Natürlich hat man vorher dafür gesorgt, daß einige Journalisten und Kameras dabei sind. Dann geht eine Delegation zur Direktion der Einrichtung, während die zurückgebliebenen Truppen natürlich die Gelegenheit nutzen, kleinere Aneignungen vorzunehmen. Mit der Direktion wird die Aufhebung der Besetzung zu der Bedingung sofortiger kleinerer Zugeständnisse verhandelt - beispielsweise einige Blöcke Restaurantgutscheine, deren Verteilung, das versteht sich von selbst, irgendeinem der Verantwortlichen der Assoziationen anvertraut wird...

An dieser Stelle muß jedoch auch gesagt werden, welche ernstlichen Schwierigkeiten es mit der Leitung durch »Verantwortliche« gegeben hat, besonders da, wo aus der Bewegung heraus autonome Gruppen entstanden sind, die sich mehr oder weniger deutlich von den bereits bestehenden Strukturen abgrenzen. In Paris hat sich das auf verbale Auseinandersetzungen beschränkt. In den Debatten im Haus Zusammen (Maison des ensembles) wurde in Hinblick auf AC! vor allem bestritten, daß (finanziell abgesicherte) Gewerkschafter legitimiert wären, (ohne insgeheimen Spott) für die Arbeitslosen zu sprechen; nicht bestritten wurden jedoch die Ziele und Methoden dieser selbsternannten Leitung, welche im übrigen darauf achtete, sich nur dort zu treffen, wo unkontrollierbare Redebeiträge nicht zu befürchten waren. An der Pariser Universität Jussieu hat man sich darauf beschränkt, eine unabhängige und eigenständige ideologische Position zu entwickeln, deren Theoretik dahin führte, Gleichgültigkeit und Indifferenz in den Rang einer Forderung der Bewegung zu erheben... Außerhalb der Hauptstadt waren die Differenzen jedoch bisweilen so schwerwiegend, daß sie auch physisch ausgetragen wurden, wobei dann lokale Gruppen, die im Zuge der weiteren Entwicklung der Bewegung entstanden waren und jedoch andere Forderungen entwickelt hatten, in Gegensatz zu AC! kamen (obgleich diese Gruppen sich selber - wie z.B. in Bordeaux - durchaus als lokale Gruppen von AC! verstanden). Im Wesentlichen ging es dabei um Fragen der Manipulation und der Behauptung einer Vormachtstellung von seiten derjenigen AktivistINNEN, welche die Zügel der bereits bestehenden Gruppen in der Hand hatten. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Gründung einer »Nationalen Koordination unabhängiger Kollektive«, welche dann innerhalb eines Zeitraumes von etwas mehr als einem Jahr mehrere nationale Treffen abhielten, während derer sich Debatte, Aktionen der Aneignung gesellschaftlichen Reichtums und Fetenstimmung vermischten. Jedoch ist anzumerken, daß das dort bestehende Bedürfnis nach Autonomie nicht dahin führte, ernstzunehmende Strukturen von Selbstorganisation hervorzubringen, die überdies geeignet gewesen wären, der Bewegung die Struktur und den Zusammenhalt zu geben, wie es für ihr Überleben in einem solchen Moment fiebriger Erregung notwendig gewesen wäre. »Autonomie« wurde hier so wie in den Siebzigern verstanden, wo die autonome Bewegung diesen Begriff vor allem als zentralen Bezugspunkt für eine Identität verstand, die sich trotz der damals noch klaren Übermacht der bestehenden Machtverhältnisse um keinen Preis beugen oder brechen lassen wollte.

Mit welchen Resultaten?

Allein das Aufkommen von Organisationen, welche sich anschicken, die Erwerbslosenbewegung zu organisieren, kann noch nicht das höchste aller zu erreichenden Ziele sein. So muß sich die allererste Bilanz einer Bewegung an den von ihr verfolgten Zielen messen lassen. Maßgeblich sind hier die Forderungen, die in den von einer Bewegung verbreiteten Texten enthalten sind. Die Hauptforderung war die nach mehr Geld für die Bezieher der geringsten Einkommen: Erhöhung der Sozialhilfe um 450 DM monatlich, »daraus folgend« keinerlei Einkommen unter 1200 DM, dies auch für die unter Fünfundzwanzigjährigen, welche bisher vom Bezug jedweder Sozialhilfe völlig ausgeschlossen sind. Und obwohl diese Forderungen sich von ihrer Höhe her durchaus noch im Rahmen des bestehenden Systems halten, und keinesfalls allein von dem Wunsch der Basis nach Gerechtigkeit und Gleichheit her diktiert worden sind (welche wohl auch nur schwer in Zahlen ausdrückbar ist), ist es bisher dennoch nicht einmal ansatzweise zu ihrer Durchsetzung gekommen. Die allenfalls symbolische Erhöhung der Sozialhilfe - nicht mehr als ein simpler und von Jospin durchaus befürworteter Inflationsausgleich - kann nicht als Erfolg gewertet werden und dasselbe gilt auch für die 300 Millionen DM, die ein einziges Mal losgeeist werden konnten: Nicht allein, daß der Betrag lächerlich niedrig war (100 DM einmalig pro offiziell gezähltem Arbeitslosen), er wurde darüber hinaus auch nur von Fall zu Fall und von kurzfristig einberufenen Kommissionen vergeben. Was dabei die Vergabe noch weiter eingeengt hat, war die Deklaration der Zahlungen als Unterstützung, als eine »Hilfe«, die von den Sozialdiensten nach (natürlich unklar gehaltenen) Kriterien vergeben wurde! Der Grund für diese Blockadehaltung der Regierung findet sich in den Erklärungen des Premierministers selbst begründet. Dieser meint, die Sozialhilfe stehe unbestreitbar im Wettbewerb mit den niedrigen Einkommen. Mit anderen Worten heißt dies aber, daß die Regierung trotz des von ihr seit Jahren als erste Priorität verkündeten »Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit« nichts unternimmt, was den Nutzen von Arbeitslosigkeit für die Kapitaleigner schmälern würde. Wenn man versteht, welches Spiel hier gespiel wird, dann versteht man auch, daß nur eine tatsächlich eindrucksvolle Demonstration unserer Stärke die Regierung in dieser Sache zu einem Rückzug hätte bewegen können. Und falls die Verantwortlichen der Viererbande ihre Forderungen tatsächlich für durchsetzbar gehalten haben sollten, dann nicht etwa, weil sie ihre Kapazität zur Mobilisierung überschätzt hätten, sondern weil sie eine gefühlsmäßige Nähe zur regierenden Linken besitzen, was es ihnen verunmöglicht hat, deren tatsächliche Rolle zu begreifen (wobei die grüne Partei, welche unsere Forderungen bis in die politische Arena getragen hat, einen wesentlichen Beitrag zum Zustandekommen dieser selbstauferlegten Blindheit geleistet hat). (5) Mit ihren kleineren Zugeständnisse wollte die Regierung also lediglich dem entstandenen Druck begegnen und sie hat sorgfältigst darauf geachtet, den Rahmen so eng wie nur irgend möglich zu halten. Diese Botschaft ist wohl mehr oder weniger verstanden worden, denn seit zwei Jahren sieht man in Marseille und versuchsweise auch in anderen Städten im Dezember die Mobilisierung für die »Weihnachtsprämie« wiederaufleben, die dort von Zehntausenden von bescheiden gewordenen Arbeitslosen eingefordert wird. Und Papa Staat läßt sich dann nicht allzulange bitten - und etabliert damit eine Logik, die allen Bemühungen um Radikalisierung entgegensteht.

In gleicher Weise läßt sich auch die Antwort der Regierung auf die zweite grundlegende Forderung der Erwerbslosen verstehen, nämlich die, sie an den institutionellen Entscheidungen zu beteiligen. Trotz verschiedenster Gespräche mit hochrangigen Verantwortlichen in den Ministerien und sogar mit der Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry selbst, sind keinerlei Zugeständnisse gemacht worden, wenn es darum ging, das ausschließliche Vetretungsrecht der Beschäftigten durch die Gewerkschaftsdachverbände in Frage zu stellen. Zum Ausgleich wurden Zugeständnisse für eine Beteiligung der Arbeitslosen in einigen Kommissionen gemacht, um eine effektivere Koordination der Dienste zu gewährleisten, die für Arbeitslose und allgemeiner auch die von staatlichen Hilfszahlungen Abhängigen zuständig sind (z.B.: Die Kommissionen zur Vergabe des FUS und die permanenten Kommissionen der ANPE). Alles in allem wird damit ein noch zu uneingespieltes Räderwerk nachgeschmiert... Und um zu verhindern, daß sich eventuell wieder ein Gegenpol in der Frage der Arbeitslosigkeit formieren kann, erhalten die Assoziationen Gelder und Mittel, um das Problem besser verwalten zu können. Wie sonst wäre zu erklären, daß einige Monate nach dem Abflauen der Bewegung beträchtliche Gelder an die vier »Organisationen der Erwerbslosen« geflossen sind? Weiterbildung für Arbeitslose, alternative Arbeit, humanitäre Verbandsarbeit... Ihr Armen in der Revolte, arbeitet an der Entwicklung des »dritten Sektors«, und die soziale Ungerechtigkeit wird Euch weniger grell erscheinen!

Es wird nun klar, daß aus der Bewegung eine neue Gruppe von Akteuren hervorgegangen ist, die »Assoziationen der Erwerbslosen«. Sie füllen eine Fehlstelle in der sozialpolitischen Repräsentation. Die augenblicklichen Akteure der Bewegung könnten sogar einen Platz auf der Bühne der bestehenden Institutionen einnehmen. Dies jedoch nur, wenn sie bereit sind, die dort herrschenden Regeln zu beachten. Diese Regeln besagen, daß es eine Gruppe von Menschen gibt, die außen am Rand des Arbeitsmarktes zu stehen haben. Ihre Lebensverhältnisse sollen abhängig vom Staat bleiben und so beschaffen sein, daß sie preisgünstig verwertbar sind. Wenn die neue Gruppe von Akteuren bereit ist, mit diesen Regeln zu leben, dann kann sie ein beinahe jungfräuliches Feld beackern: die Koverwaltung der Unterstützungsempfänger. Das Sozialsystem bedarf in der Tat der Modernisierung, damit es eine soziale Kategorie von Menschen verwalten kann, denen zugedacht wurde, auf Dauer unproduktiv zu bleiben - und arm. Der Gedanke der Barmherzigkeit tritt hinter die zweifelsohne notwendig gewordene systematische Verwaltung der Armut zurück, und die regierende Linke ist nun darangegangen, dies unter dem Stichwort der »Bürgerrechte« zu verkaufen. Das wurde bereits 1998 mit dem »Gesetz gegen soziale Ausgrenzung« sichtbar, welches tatsächlich jedoch nur die Regeln festlegt, nach denen sich soziale Ausgrenzung zu vollziehen hat, und gerade eben wurde eine »allgemeine Absicherung gegen Krankheit« eingeführt, die weiter nichts ist als eine parallele Krankenversicherung für Arme. Die Bewegung der Erwerbslosen hat den Regierenden zweifelsohne klargemacht, daß es ohne eine soziale Befriedung zu immer mehr Explosionen kommen wird, da die Gesellschaft auf dem Wege zu einer immer weitergehenderen sozialen Polarisierung ist (ohne daß sich diese noch durch innerfamiliäre Solidarität abfedern ließe). Die AktivistINNEN im »Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung« werden aufgerufen, an diesem großen Werk mitzutun... Werden sie sich dieser Aufgabe so ohne weiteres widmen? Die Antwort darauf hängt sicherlich davon ab, welche Wirkung eine subversive Kritik auf die Geister haben kann. In der Bewegung hat subversive Kritik einen Ausdruck gefunden, welche von einem tiefen Empfinden bestehender Ungerechtigkeit genährt war. Und dann hängt die Antwort auf obige Frage auch davon ab, wie praktisch begehbar die Pfade sind, welche die Bewegung in ihrem Bemühen gebahnt hat, die aktive Solidarität unter allen Schichten des Proletariats feste Gestalt annehmen zu lassen.

Der Wille zur Subversion und seine konkreten Ausformungen

Die Bewegung der Erwerbslosen verdankt ihr Entstehen also auch der Welle von Mobilisierungen des Dezember 1995, als zwei Millionen Beschäftigte [überwiegend aus dem Öffentlichen Dienst] auf die Straße gingen und zeigten, daß die langen Jahre, in denen die Offensive des Kapitals auf keinerlei Widerstand stieß, erst einmal vorbei waren. Nachdem zuerst die jetzt wieder abgeflaute Bewegung der ImmigrantINNEN [Sans-Papiers = Ohne-Papiere] öffentlich sichtbar geworden war, waren es danach die Arbeitslosen, die sich ins Rampenlicht stellten. Wie die Ohne-Papiere gehörten sie ebenfalls einer sozialen Kategorie von Menschen auf der unteren sozialen Stufenleiter an, deren Forderungen von denen, die im Dezember 1995 für die Verteidigung der Interessen der Angestellten des Öffentlichen Dienstes mobilisierten, scheinbar nicht zur Kenntnis genommen wurden. Wobei mein Eindruck ist, daß sich die Bewegung der Erwerbslosen von allen ihren Vorgängerinnen und Nachfolgerinnen durch Größe und Besonderheit unterscheidet. Die Forderungen, welche die Arbeitslosen vertreten (Arbeit oder Einkommen für alle), stehen dem System in besonderer Weise entgegen (denn wären sie nicht so viele oder wären die Unterstützungszahlungen höher, dann könnten die Arbeitslosen nicht mehr die für die kapitalistische Klasse so wichtige Rolle des Schreckgespenstes für die Gesamtheit aller abhängig Beschäftigten spielen). Und gleichzeitig sind die Arbeitslosen durchaus schwach (keine dauerhaft festgefügte soziale Kategorie und keine Blockademacht). Im Unterschied zu vorhergehenden Bewegungen war es also sehr unwahrscheinlich, daß die Bewegung der Erwerbslosen der Regierung merkliche Zugeständnisse hätte abringen können: Die ihr so einzig verbliebene Alternative war, entweder unterzugehen, oder die Fähigkeit zu entwickeln, auch andere Schichten der Gesellschaft mit dem Bazillus der Subversion zu infizieren. Sie ist untergegangen, und dies relativ schnell: Die im folgenden Herbst unternommenen Versuche, die Bewegung neu zu beleben, waren von der Beteiligung her schwach und so kam es entsprechend nur noch zu neuerlichen Agitationskampagnen der eigentlichen AktivistINNEN. Von daher ist es dringend, die von der Bewegung benutzten Schemata und Strategien der Subversion zu untersuchen und ihre Grenzen zu bestimmen. Dies werde ich jetzt hier unten versuchen, wohl wissend, daß ich dabei die verschiedenen Spannungselemente, die eine Bewegung ausmachen, nicht alle einzeln für sich darstellen kann.

Der Kampf der »Ohne«

Bereits schon vor der Bewegung von 1995 waren Gegengruppen erschienen, die entschlossen waren, sich auf die Seite einer in der Gesellschaft wachsenden Schicht von verelendenden Menschen zu schlagen: zunächst kam Droit au logement (DAL = Recht auf Wohnraum) aus der Bewegung der Hausbesetzer, dann Droits devant!! (DD = Rechte zuerst), die sich aus dem Gärstoff der DAL gebildet hatten, um den Kampf um »grundlegende Rechte« in die große politische Arena hineinzutragen. Diese Gruppierungen zogen Menschen an, die ihre Waffen ursprünglich in der PC und bei den Maoisten geschmiedet hatten, sich dann aber dort »ausklinkten«, weil sie die Idee hatten, zur »Stimme der Ohne Stimme« zu werden, was bedeutete, die politische Schlacht für die (oder im Namen derjenigen...) zu schlagen, die zu den ärmsten der Armen zählen. Mit dem Erscheinen der Ohne-Papiere sind die, welche man zuvor die Ausgegrenzten nannte, nach und nach zu den »Ohne« geworden: ohne Wohnung, ohne Rechte, ohne Papiere... und bald, als die Bewegung der Erwerbslosen entstand, gab es auch die Ohne-Arbeit. Die »Aktionen« dieser Gruppierungen gründeten sich auf eine Mischung aus direkter Aktion und Medienwirkung; letzteres wohl um die Schwächen des ersteren auszugleichen, wobei man auf den egalitären, mache sagen auch den »republikanischen« Nerv eines Teiles der Französinnen und Franzosen setzen konnte. Der begleitende Diskurs ging um den Skandal des Elends in einer reichen Gesellschaft. Aber diese Methoden kamen schnell an ihre Grenzen: Die Medienwirkung verlangt immerzu Neues, und das Gefühl des Skandals verliert sich im Laufe der Zeit auch... So kam es, daß die DAL sich nach und nach ungesund dicht auf caritative Organisationen zubewegte, mit dem Ergebnis, »der« zentrale Punkt im Kampf der Wohnungslosen zu sein, während DD einen erschöpfungsreichen Kampf an der Seite der Ohne-Papiere führte - vor allem persönliche Begleitungen der ImmigrantINNEN im Dschungel der verschiedensten Behörden. Die Erwerbslosenbewegung ihrerseits konnte die Medienwirkung dann wieder gut ausnutzen, weil ihren Anliegen eine außerordentlich hohe Legitimiation zuerkannt wird. Die Arbeitslosigkeit oder zumindest das Risiko ihres Eintritts betreffen in der Tat eine enorme Menge von Menschen - jeder hat ein Kind, einen Bruder, einen Cousin oder kennt einen ehemaligen Kollegen, der arbeitslos ist, jeder/jede kennt, sei es aus der Ferne oder aus der Nähe, die verheerenden Wirkungen dieses Problems und hat Angst davor. Mehr als die »BeamtINNEN und Angestellten des Öffentlichen Diensts« und mehr als die »illegalen ImmigrantINNEN« haben die Arbeitslosen von vornherein das Recht, sich hörbar zu machen. Dies erklärt sicherlich die große Bereitwilligkeit der Medien, seit Beginn über die Aktionen der Arbeitslosen zu berichten. Daher ist es kaum ein Wunder, daß die Erwerbslosenbewegung reichlichen Gebrauch von den Methoden machte, die von DAL erprobt waren: Besetzung + Medienbegleitung. Aber damit das auf Dauer Wirkung zeigen kann, hätte die Bewegung soviel Kreativität zeigen müssen, wie es die Medien mit ihrem Bedürfnis für spektakulär Neues verlangen... Und ebenso hätte die Legitimität, die der Bewegung öffentlich spontan zugestanden wurde, mit so viel politischer Festigkeit untermauert werden müssen, daß der ideologischen Gegenoffensive der Regierung hätte standgehalten werden können. Als Jospin die Forderung nach der Erhöhung der sozialen Minima mit der Begründung zurückwies, daß dies eine Beleidigung für diejenigen bedeutete, die im Schweiße ihres Angesichts arbeiteten und gerade mal 2000 Francs (600 DM) mehr erhielten, spielte er die Arbeiterschaft gegen ihre ureigenste Moral aus: Einkommen verdient sich mit Anstrengung - oder, Arbeit ist das einzig gerechte Kriterium für die Verteilung des kollektiv produzierten Reichtums. Das Spiel mit der mediatisierten Legitimität ist also durchaus leicht von der Regierung zu stören, überhaupt in einem Land, in dem Presse und Medien nicht gerade eben durch Unabhängigkeitsgeist auffallen. Die Erwerbslosen mußten Lehrgeld zahlen. Und auch andere können daraus vielleicht etwas lernen.

Arbeitslose + Beschäftigte einig im Kampf gegen Arbeitslosigkeit

Die Idee, daß Arbeitslosigkeit ein Übel ist, daß alle Beschäftigten trifft, und daß so der Kampf gegen Arbeitslosigkeit zu einer Einheit zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen führen kann, war einer der entscheidenden Gedanken bei der Gründung von AC!. Während der Dauer von fünf Jahren wurde die »Einheit Beschäftigte-Arbeitslose« pausenlos propagiert, und die AktivistINNEN glaubten, daß sie diese Einheit mit den zwei Forderungen nach einem anständigen Einkommen und nach massiver Arbeitszeitsverkürzung mit vollem Lohnausgleich auf den Weg bringen könnten. Und weil AC! wollte, daß sich die Beschäftigten an dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit beteiligen, versuchte AC! auch, sich der Mitarbeit solcher Gewerkschafter zu versichern, die in der Welt der Arbeit noch verankert waren bzw. die sich von den großen Gewerkschaftsdachverbänden getrennt hatten. Sicherlich hat es mehr als ein Mal Reibungen wegen der unterschiedlichen Forderungen und Interessen dieser Gewerkschafter gegeben, aber da die Lösung interner Auseinandersetzungen bei AC! durch einen schließlichen Konsens und nicht in organisatorischer Spaltung gesucht wird, wurde nicht richtig gesehen, wie tiefgreifend die zutagegetretenen Meinungsverschiedenheiten tatsächlich waren. (6) Trotzdem ging die Bewegung an die mühevolle Aufgabe heran, ihren Gründungsmythos an der Wirklichkeit zu prüfen. Und - wir müssen das akzeptieren - diese Prüfung wurde schlecht bestanden. Wenn auch die Gewerkschaften SUD, FSU, SNUI, CNT und die Stömung »CFDT im Kampf« sich niemals geweigert haben, den Arbeitslosen offizielle Unterstützung zu geben, sieht es nicht so aus, daß sie außer Ankündigungen ihrer Beteiligung an den Demonstrationen und neben der von ihnen geleisteten logistischen Hilfe (z.B.: Nutzung von Photokopiergeräten), viel Arbeit in die Bewegung investiert hätten (mit Ausnahme der CNT, die stellenweise mit ihren Arbeitslosen-Aktionskommittees präsent war). Dafür bieten sich verschiedene Erklärungen an: Die nach außen dargestellte Unterstützung entsprang wohl vor allem der Sorge um die eigene Sichtbarkeit, welche sich aus einer strategischen Logik ergibt, die innerhalb der Welt der gewerkschaftlichen Apparate vorherrscht. (Übrigens war im Herbst 1998, als einige mühsam versuchten, die Bewegung der Erwerbslosen wiederzubeleben, ein Rückzug der Gewerkschaften zu bemerken. In dem Moment, als es zu einer Annäherung von CGT und CFDT kam, und die anderen Gewerkschaften ihre Strategie entsprechend neu zu orientieren hatten, war dieser Rückzug bis in die Kampagnen von AC! hinein zu spüren.) Aber auch die Idee einer grundlegenden Einheit zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten war zu überprüfen. In dem Maße, wie die Mobilisierungen von zumeist gewerkschaftlichen AktivistINNEN entwickelt und durchgeführt wurden, folgten sie dem Modell üblicher gewerkschaftlicher Agitation und dies so, daß die Arbeitslosen de facto in eine subalterne Position gerieten und sich mit der Rolle des Fußvolks begnügen mußten. Im Winter 97-98 jedoch waren die Arbeitslosen zahlreich genug, um zu wirklichen AkteurINNEN der Bewegung zu werden. Schlagartig veränderten sich die Prioritäten: Im Vordergrund stand nun die Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse - Wohnung, kostenlose Nahrung aber auch die Schaffung von Orten der sozialen Begegnung. Die gemeinsam mit den Beschäftigten vertretene Forderung nach Arbeitszeitverkürzung war vergessen. Die »alten« AktivistINNEN von seiten der Beschäftigten reagierten mit Rückzug und da, wo sie bleiben wollten, gerieten sie in einen offenen Konflikt mit den Neuangekommenen. Der Graben vertiefte sich. Als sich so, wie in Montpellier, Bordeaux und Nantes, Formen von Selbstorganisation um Orte sozialer Begegnung herausbildeten, mußten sich die Arbeitslosen mit einem Mal allein um die Unterstützung der am meisten verelendeten in ihrem Kreise kümmern (Wohnungslose, Drogenabhängige...); sie fanden sich also von den in Desertion befindlichen AktivistINNEN verlassen vor, und bisweilen, wie es aussah, sogar von ihnen unauffällig untergraben. Ebenso traten überall da, wo die Arbeitslosen sich in die Angelegenheiten der Beschäftigten einzumischen versuchten, ernsthafte Spannungen zutage. Die AktivistINNEN der Bewegung sind, wie bereits gesagt, untypische Arbeitslose bzw. ungesichert Beschäftigte und nicht »echte« Arbeitssuchende; im Zuge der Mobilisierungen zeigten sie ihre Wut und demonstrierten ihre Verachtung gegenüber der etablierten Ordnung, was häufig »unschickliche« Formen annahm - Graffittis, kleine Diebereien, Beleidigungen - womit sie die Beschäftigten nur schockieren konnten, weil der Betrieb für diese auch einen Ort kollektiven Lebens darstellt, wo Regeln förmlicher Höflichkeit und gegenseitiger Respekt eingefordert werden. Daraufhin verbreitete sich bei den AktivistINNEN im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit die Vorstellung, daß sich die Verbindung zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen durch die ungesichert Beschäftigten ausdrücken läßt. Da diese gleichsam arbeitslos als auch beschäftigt sind, hoffte man, diese könnten die für Arbeitslose und Beschäftigte gemeinsamen Forderungen aufstellen. Obwohl weniger subjektiv, hat sich diese Sichtweise anläßlich von Mobilisierungen bisher (noch?) nicht bestätigt: Zwischen den Kollektiven solcher ungesichert Beschäftigter, die noch fest in den Bezügen der Arbeitswelt eingewurzelt sind und den Kollektiven der Arbeitslosen-ungesichert Beschäftigten, die sich auf dem sozialen Terrain bewegen, finden sich nur schwer Anknüpfungspunkte. Die ungesichert Beschäftigten - seien es die Aushilfslehrkräfte in den Schulen, die ungesichert Beschäftigten bei Beaubourg oder der BNF... - beziehen sich auf ihre eigenen Sektoren, und kämpfen gegen die Diskriminierung, der sie dort durch ihr ungesichertes Statut ausgesetzt sind. Und die von der Koordination der ungesichert Beschäftigten (7) gelegentlich ermöglichten Treffen der ungesichert Beschäftigten drinnen mit denen von draußen, sind allesamt von Empfindlichkeiten überschattet gewesen. Wenn sich demnach aus der Bewegung eine Lehre ziehen läßt, dann die, daß die Klasseneinheit zwischen Arbeitslosen und ungesichert Beschäftigten sich nicht äußerlich sichtbar hat darstellen lassen: die objektiv verschiedenen Lebensverhältnisse lassen sich, entgegen der Erwartung, nicht wirklich miteinander verbinden. Das wirklich Verbindende, was auch die materiellen Interessenlagen miteinbezieht, bleibt noch zu entdecken.

Subversion durch Ablehnung der Arbeit

Die Bewegung hat auch Menschen angezogen, die bis dahin isoliert waren, und die versuchten, ihrer Stellung am Rand des Arbeitsmarkts eine positive Bedeutung zu verleihen. In den meisten Städten außerhalb der Hauptstadt sind sie in die bereits bestehenden Kollektive hineingegangen. Aber in Paris hat sich nach Ende der Besetzung der Hochschule zur Ausbildung von Lehrern an höheren Schulen im Rahmen von Treffen an der Universität Jussieu ein bedeutender Pol mit »intellektualisierten« Arbeitslosen gebildet, welche eine subversive Praxis auf dem Hintergrund eines radikalen Diskurses entwickelten. Der Erwerb zur Fähigkeit, eine kollektive Debatte zu führen, war sicherlich ein krönender Erfolg dieses Unternehmens. Dieser »Pol Jussieu« ist die größte der im Verlauf der Bewegung neuentstandenen Gruppierungen, die jedoch auf Unabhängigkeit gegenüber den Assoziationen der Arbeitslosen bestehen. Jussieu hat sich als sehr erfinderisch gezeigt. Es wurde ein halbimprovisiertes Theater gemacht, wozu gehörte, bestimmte und für die kapitalistische Unterdrückung symbolische Orte überraschend aufzusuchen, um dann dort Protest zu artikulieren oder Aktionen kollektiver »Aneignung« in Restaurants oder gewissen Kaufhäusern zu machen. (8) Auf der Ebene der Ideologie wurde daran gearbeitet, der freien Entscheidung zur Nichtarbeit einen positiven Wert zu geben und dabei die Zurückweisung von Arbeit mit Radikalität zu verbinden. Es ist schwierig, die Gültigkeit der Theorie dieser Position zu hinterfragen, da sie einem Bedürfnis nach positiver kollektiver Identität entgegenkommt, und so als grundlegendes Axiom gesetzt worden ist. Und in der Tat hat diese Position der grundsätzlichen Ablehnung der Arbeit es ihnen ganz wesentlich ermöglicht, sich von den Organisationen der Arbeitslosen abzugrenzen. Diese werden dann pauschal in den Kreis der Vertreter einer »Ideologie der Arbeit« eingeordnet, worunter dann die fallen, die Beschäftigung als ein wesentliches Element der sozialen Reintegration und eines menschenwürdigen Lebens betrachten (Position der Arbeitslosenkommittees der CGT), oder diejenigen, die Beschäftigung mit der Erwartung eines angemessen hohen Einkommens fordern (die Position von APEIS), oder auch die, die ein angemessenes Einkommen für alle ohne die Bedingung einer Arbeitsaufnahme wollen (die vorherrschende Position bei AC!).

Aber keiner schien sich wirklich ernsthaft gefragt zu haben, wie sich die Ablehnung der Arbeit vor denjenigen Beschäftigten rechtfertigen läßt, die durch ihre schlechtbezahlte Maloche überlastet sind, aber dennoch Sozialversicherungsbeiträge leisten, die dann den Parteigängern der Arbeitsverweigerung helfen zu überleben... Der Pol Jussieu schien im Grunde zu sagen: Die Sichtweise der Beschäftigten interessiert uns nicht; sie ist zwanghaft, denn diese Leute WOLLEN arbeiten... Diese Gleichgültigkeit gegenüber den anderen Proletariern wird auch daran sichtbar, daß der Pol Jussieu es grundsätzlich ablehnt, Kontakte zu Medien - egal mit wem und wie - zu pflegen. Ebenso vermeidet der Pol Jussieu es, über Forderungen zu debattieren. Hingegen wird besonderer Wert auf die Herstellung von Gemeinschaftsfähigkeit gelegt. All dies markiert die Grenzen der dort möglichen Erfahrungen; der Zustrom von interessierten Menschen versiegte bald, und als die organisierten »Aktionen« zu heftig repressiven Reaktionen führten (ohne »offizielle« Führung und ohne Medienbegleitung waren die AktivistINNEN Repressionen ungeschützt ausgesetzt), war das Gefecht nach dem ersten Schußwechsel schon beendet. Die verschiedenen, von Jussieu durchgeführten Besetzungen sollten im folgenden Jahr eine nach der anderen in Folge von inneren Konflikten enden. (9) Von dem Pariser Pol der »glücklichen Arbeitslosen« ist nur der TCP übriggeblieben, den es schon vor dem Entstehen der Bewegung gegeben hat. Der TCP verfolgt seine Aktivitäten so, wie schon zuvor, weiter: In Selbstorganisation wird gegenseitige Hilfe ins Werk gesetzt, wobei zugleich versucht wird, der sozialen Kontrolle entgegenzuwirken, der man ausgesetzt ist. Unter den Gruppierungen, die sich aus eigener Entscheidung nicht in den Arbeitsmarkt eingliedern wollen, sind auch solche, die dies als Suche nach sozialer Veränderung begreifen: die Parteigänger des »garantierten Einkommens«. Diese scharen sich in Paris um das Kollektiv CARGO, welches sich im Rahmen von AC! bewegt. CARGO's theoretische Arbeiten werden jedoch weit über AC! hinaus beachtet, besonders in den intellektuellen Milieus, die sich mit Fragen wie »Ende der Arbeit«, »dritter Sektor« und »Neuer Gesellschaftsvertrag« auseinandersetzen... Gemeinsam mit diesen Milieus hat CARGO jene naiven Überzeugungen gemeinsam, welche sich aus der Ausblendung von Interessenkonflikten, von Macht und von Klassengegensätzen ergeben. Auch die »Garantisten« stehen mit der Frage, wie Arbeit zu verteilen ist, total in der Sackgasse, ganz gleich, ob es sich da um kapitalistische Lohnarbeit oder einfach nur um gesellschaftlich notwendige Arbeit (das Reich der Notwendigkeit) in einer emanzipierten Gesellschaft handelt. Was hier als ein kleineres theoretisches Problem erscheint, ist aber vor allem ein großes Problem der Strategie. Denn es ist darzulegen, auf welche Weise diese schöne Idee des garantierten Einkommens wahr werden soll. Durch den kollektiven Kampf einer einigen Arbeiterschaft? Falls ja, dann muß man sich allerdings der Frage nach der Verteilung der Arbeit stellen. Denn wenn »Kreativität« von eben den Leuten gefordert wird, die selber alles versuchen, um nicht jener Ausbeutung zu unterliegen, welche die Identität des Proletariats ausmacht, dann zweifle ich, ob es mit dieser »Kreativität« möglich ist, die Solidarität der Lohnarbeitssklaven zu gewinnen. Überzeugender ist es dann wohl, so wie AC!, darauf zu verweisen, daß ein Ersatzeinkommen für die Arbeitslosen, das an den Mindestlohn SMIC [ca. 1800 DM] heranreicht, das beste aller Mittel ist, um Niedriglöhne zu verhindern. Obwohl offensichtlich auch eine solche Argumentation nicht ausreicht, um die Massen, welche ja bereits schon Angst haben für sich selber zu kämpfen, auch noch für andere in Bewegung zu bringen. Oder sollen etwa Regierung oder Parlament die fehlende Bewegung ersetzen? Das Problem bleibt immer dasselbe, denn wie sollte sich das Problem ohne eine massive soziale Bewegung von selbst erledigen können? Bleibt also nur noch, die Kapitalisten für sich zu gewinnen... was die Theoretiker des garantierten Einkommens, wie Negri oder Moulier, nicht zögern zu versuchen (10). Nicht ganz ohne Erfolg übrigens, denn einige Arbeitgeber haben angefangen, dieser Idee einen gewissen Charme abzugewinnen: in ihrer liberalen Version einer »Grundsicherung« [revenu d'existence]. Und das kann nicht überraschen, denn wenn eine Grundsicherung eventuell zur Subvention niedriger Arbeitseinkommen eingesetzt würde, dann wäre der Weg frei zur Abschaffung des Mindestlohnes SMIC und zur allgemeinen Einführung von Niedrigstlöhnen...

Der Kampf um die Befriedigung von Grundbedürfnissen

Der Einfluß der Bewegung der Arbeitslosen auf die öffentliche Meinung hat auch AktivistINNEN-Gruppen entstehen lassen, die auf eine ganz konkrete Situation reagierten, und welche meinten, daß sich der Horizont des Möglichen im Augenblick der sozialen Agitation von selber aufschließen würde. Diese Initiativen, die ohne Vorüberlegungen antraten, waren meiner Meinung nach die, die am meisten reich in Bezug auf den Sinn ihres Tuns waren. Sie sind schwer nachzuzeichnen, da sie in den Initiativen der bestehenden Kollektive der Arbeitslosen aufgegangen sind. Außerhalb von Paris waren sie sicher am zahlreichsten, weil die Netzwerke lokaler Kollektive dort viel spontaner und durchlässiger sind als in der Hauptstadt, die von der Schlacht der institutionellen Apparate geprägt ist. Dennoch möchte ich mich kurz mit einer solchen Erfahrung in Paris beschäftigen, weil ich diese gut kenne: die Besetzung der Büros der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft EDF am Boulevard Barbès. Die Besetzung wurde von einer Gruppe gemacht, deren AktivistINNEN Kontakte zur lokalen Gruppe von AC! hatten, welche noch auf die Bewegung von 1995 und auf die Unterstützung der Ohne-Papiere in der Kirche Saint-Bernard zurückgingen. Zu Beginn kamen die AktivistINNEN der damaligen Gruppe überwiegend aus dem Kreis von Beschäftigten. Dieser Gruppe schlossen sich dann aber schnell Arbeitslose aus den lokalen Arbeitslosenkollektiven des Stadtteils oder aus der Bewegung der Arbeitslosen an. Die Besetzung dauerte acht Tage und wurde des Tags von den Arbeitslosen allein gemacht. Im Rahmen der allabendlichen Vollversammlungen entwickelten sich dann die ersten, späterhin dann informelleren Debatten mit den beschäftigten AktivistINNEN, die erst nach ihrem Feierabend dazustoßen konnten. Durch diese stark einheitliche Dynamik kam es spontan zum Erfahrungsaustausch unter den BesetzerINNEN, der von dem Willen geprägt war, das eigene Schneckenhaus zu verlassen, was im Ergebnis eine basisdemokratische Praxis hervorbrachte (an den Gesprächen mit der EDF-Leitung beteiligten sich alle BesetzerINNEN, und alle wichtigen Entscheidungen wurden gemeinsam in den Vollversammlungen getroffen). Die besondere Dynamik entsprang weiter auch dem Umstand, daß die Besetzung einem sehr konkreten und präzisen Ziel diente, bei dem die tatsächlichen Kräfteverhältnisse nicht aus den Augen verloren wurden: vom Direktor das Zugeständnis zu erhalten, daß den Haushalten, die zu arm waren, um ihre Stromrechnung zu zahlen, nicht mehr in brutaler Weise der Strom abgesperrt werden sollte (wobei die Rechnungen oft hoch aufgelaufen waren, weil die EDF gemeinsam mit skrupellosen Hausbesitzern eine Politik der Vollelektrifizierung der gesamten Haustechnik betrieb). All dies war ein Bruch mit der Logik der Agitation und der Symbolik, welche bei vorhergehenden Besetzungen wesentlich war, und man entging dem strategischen Kalkül der Apparate der Arbeitslosenorganisationen, die sich selber nicht an der Besetzung beteiligten. Dies zusammen führte quasi von selbst zur Entwicklung neuer Vorgehensweisen, die alle von dem Willen zur Verbreiterung der Aktion getragen waren: systematische Kontaktaufnahme mit den ärmeren Menschen im Stadtteil (wir konnten durchsetzen, daß die Büros während der Besetzung geöffnet blieben, wodurch Kontakte zu denen entstanden, die kamen, um um Zahlungsaufschub zu bitten, was uns das gesamte Ausmaß des Problems verdeutlichte) und der Versuch, mit den Angestellten der EDF in Verbindung zu treten (schwierig genug, wenn die Distanzhaltung sowohl der Beschäftigten der EDF als auch der bei der EDF majoritären Gewerkschaft, der CGT-EDF, gesehen wird, die zugleich mit in der Geschäftsführung der EDF saß). Bei Kontakten mit JournalistINNEN, die vor Ort erschienen (überwiegend ausländische JournalistINNEN, da sich die französischen Medien selbstzensierten, um nicht des Mannas der Werbeeinnahmen der EDF verlustig zu gehen), sorgten wir dafür, daß der Schuß nicht nach hinten losgehen konnte, indem wir mit den Medienleuten verhandelten, wo und wie gefilmt werden konnte und welche Fragen zu stellen seien. Erwähnt sei auch eine andere Initiative im Süden von Paris, die wohl kürzer aber sonst recht ähnlich war: Ein Netzwerk von AktivistINNEN, das sich noch aus der Zeit der Bewegung von 1995 her kannte, und zu dem damals auch Gewerkschafter des Krankenhauses Pitié-Salpêtrière gezählt hatten, organisierte eine Versammlung im Krankenhaus, um auf die diskriminierende Behandlung von Patienten ohne Krankenversicherungsschutz sowie auf die gelegentliche Verweigerung medizinischer Hilfe für Ohne-Papiere hinzuweisen. Bei einer direkten Konfrontation mit der Krankenhausleitung auf der einen, und den Arbeitslosen und Beschäftigten auf der anderen Seite, brach all die Wut der Opfer der Verweigerung medizinischer Hilfeleistung offen hervor, und schnell verpflichtete sich das Krankenhaus schriftlich, die Mißstände abzustellen. Diese Beispiele zeigen deutlich, daß für die Verteidigung der am Rande des Arbeitsmarkts stehenden Schichten des Proleariats andere als gewerkschaftliche Vorgehensweisen möglich sind. Kämpfe um die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse für alle können sich auf eine Zusammenarbeit der im Stadtteil tätigen AktivistINNEN mit den Beschäftigten von Betrieben und Einrichtungen stützen. In besonders bemerkenswerter Weise können sich durch eine solche Zusammenarbeit neuartige Perspektiven eröffnen. Den Kollektiven der Arbeitslosen könnte das erlauben, der Falle zu entgehen, die ihnen regelmäßig gestellt wird, wenn sie versuchen, konkrete Resultate für die zu erreichen, die sie verteidigen wollen: sich nämlich dem Zwang gegenüberzusehen, eine spezielle Behandlung für die Armen zu akzeptieren oder gar selbst vorschlagen zu müssen und so ein Ausgrenzung verwaltendes System zu bestätigen. Den Beschäftigten könnte die aktive Solidarität mit den Allerärmsten einen Ausweg aus der Sackgasse der sektoriellen und kategoriellen Kämpfe eröffnen, die nicht mehr in eine Zeit passen, wo die kapitalistische Logik alle Bereiche der Gesellschaft unterwandern will. Jetzt noch zwei Beispiele, die klar zeigen, daß dies auch im Rahmen der Bewegung der Arbeitslosen möglich ist, wenn es in diesen Fällen auch nicht zu Verbindungen mit den Beschäftigten kam. Die Arbeitslosen im Kampf gegen die Stromsperre in Privathaushalten hatten versucht, sich mit den Beschäftigten der EDF zusammenzuschließen, die gegen die anstehende Privatisierung ihres Unternehmens kämpften. Doch sie scheiterten an der in der EDF gewichtigen CGT, die nicht zögerte, ihren Widerstand gegen die Restrukturierung der EDF um die Gegenleistung der Aufrechterhaltung der speziellen Arbeitsverträge der Angestellten aufzugeben. Anderenfalls hätte sich bei der EDF eine wirkliche Schlacht gegen die Logik des Marktes ergeben können, in welcher der Begriff »öffentlicher Dienst« nicht nur »öffentliches Unternehmen« bedeutet hätte, sondern darüber hinaus auch noch die Verteidigung der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse für alle, und dies mit Berücksichtigung der Umwelt und zum Schutz für nachfolgende Generationen (wie es sich auch im Antiatom-Kampf ausdrückt) (11). Auch der Kampf der Arbeitslosen um freien Zugang zu öffentlichen Beförderungsmitteln hätte mit den Kämpfen der Beschäftigten verbunden werden können. Dies unter zwei Voraussetzungen: daß erstens die gewerkschaftlichen AktivistINNEN innerhalb der Bewegung der Arbeitslosen die Forderung nach kostenloser Beförderung für alle, wie sie von einigen »am Rande« der Bewegung erhoben worden war, ernstgenommen hätten, und zweitens wenn auch die Organisationen der Arbeitslosen nicht ständig auf dem Argument der Dringlichkeit dieser Forderung vor allem für die Arbeitslosen herumgeritten wären. Dann nämlich hätte man sich dem Kampf der Eisenbahner anschließen können, die häufig zum Ziel von tätlichen Angriffen von Schwarzfahrern werden. Die Enge des (polizeilich orientierten) Sicherheitsdenkens der Eisenbahner hätte sich überwinden lassen. Wenn der Drang zur Einheit, der solche Verbindungen schafft, auch gefehlt hat, so ist es nicht verboten, im Hinblick auf die jüngsten Kämpfe der Beschäftigten in Frankreich, eine optimistischere Behauptung aufzustellen. In den seit November andauernden Krankenhausstreiks ist eine zunehmende Reflexion der Folgen der Logik der Rentabilität zu beobachten, welche die Regierung den Krankenhäusern aufzwingen will: Personalmangel und die Umwandlung fester in ungeschützte und flexible Arbeitsverträge werden nicht nur abgelehnt, weil dies eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bedeutet, sondern auch weil dadurch die Versorgung der Kranken schlechter wird. Dasselbe im Kampf der Lehrkräfte gegen die Reform Allègre. Der Widerstand gegen ungesicherte Arbeitsverhältnisse und Lehrkräftemangel drückt sich in der Ablehnung der liberalen Version von Unterricht aus, da diese liberale Version kurz gesagt vorgibt, Bildung durch Kultur zu ersetzen. Und im Unterschied zur Bewegung des Dezember 1995, wo sich der öffentliche Dienst noch hinter die Verteidigungslinie des Erhalts seiner Arbeitsverträge zurückgezogen hatte, so spürt man in den jüngsten Mobilisierungen die Verteidigung einer bestimmten Idee dessen, was öffentlicher Dienst eigentlich bedeutet: es geht nicht mehr nur darum, vor den Augen aller anderen die Legitimität der abgegrenzt eigenen Forderungen herauszustellen. Die Beunruhigung reicht jetzt tiefer, doch zugleich ist auch der Wille stärker geworden, einen Weg zu finden, wie der Dienst an der Öffentlichkeit nach einer anderen, nicht staatsdienend subalternen Logik ausgerichtet werden kann: an einer solidarischen Logik der Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse aller. Man möchte hoffen, daß es sich da um einen Reifungsprozeß handelt, der die gesamte Gesellschaft durchdringt, und dem die verschiedenen Bewegungen seit 1995 lediglich einen Verbindung stiftenden, sichtbaren Ausdruck verliehen haben. In die jeweiligen Sprachen der eigenen Bereiche übersetzt, wird voll Besorgnis eine Frage gestellt, die auf die eine oder andere Weise in allen nachgeordneten Schichten der Gesellschaft vorhanden ist. Und um auf den eigentlichen Gegenstand dieses Artikels zurückzukommen: Die Bewegung der Arbeitslosen ist Ausdruck dieser, sich in mehreren aufeinanderfolgenden Akten formulierenden Frage gewesen; die Fehlschläge der Bewegung sind demnach als ein zeitweilig unsicheres Stocken bei der Frageformulierung zu deuten.


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