Solidarität mit Werner Braeuner
(30.03.2002)

Es ist der Kapitalismus, der kriminell ist!

Ein Arbeitsloser erschlägt Arbeitsamtsdirektor - der Kapitalismus steht auf der Anklagebank

Der Fall »Werner Bräuner« ist bei den hiesigen Erwerbslosengruppen bisher nahezu totgeschwiegen worden - zu groß war ihre Angst, er könne zu ihrer politischen Diffamierung beitragen, wo sie durch die vom Bundeskanzler losgetretene »Faulenzerdebatte« und die im Sommertheater niederprasselnden Vorschläge zum härteren Vorgehen gegen »Arbeitsunwillige« ohnehin schon unter Druck stehen - ohne dies zum Anlaß zu nehmen, den Kapitalismus und seinen allgemeinen Arbeitszwang offensiv in Frage zu stellen. Erst nachdem Gruppen aus Frankreich, die in Kontakt mit Werner Braeuner standen, zur Solidarität aufgerufen hatten (siehe unten), wurde der Fall auch hier politisch diskutiert.
Es geht nicht darum, die Tat zu einem »politischen Fanal« hochzustilisieren, wie es die Anklagevertretung will. »Warum tötet ein Arbeitsloser einen Arbeitsamtsdirektor? Der Staatsanwalt sagte am Freitag, als der Prozeß vor dem Verdener Landgericht begann, die Tat sei aus Haß und Wut erfolgt und weil der Angeklagte den Entschluß gefaßt habe, den Direktor als Symbol des Arbeitsamtes und der ganzen Gesellschaft zu töten. Deshalb plädiert er auf Mord. Der Angeklagte sagt, der Direktor sei seine letzte Hoffnung in einer Situation gewesen, die ihn bis ins Herz geängstigt habe. Als er seine Hoffnung enttäuscht sah, habe er nicht mehr gewußt, was er tat. Das hieße Totschlag, unter Umständen gar Schuldunfähigkeit.« (FAZ, 6.8.01) Es geht aber darum, auf die Hintergründe hinzuweisen und sie in den Mittelpunkt zu stellen, die mit zu der Verzweifelung beigetragen haben. Das große Interesse in den Medien (am ersten Prozeßtag waren z.B. Korrespondenten von »Liberation« und der zitierten »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« anwesend) zeigt, daß dieser Zusammenhang deutlich gesehen wird. Während alle Anzeichen darauf hindeuten, dass mit dem Kriseneinbruch die Zahl der Arbeitslosen drastisch ansteigen wird, während aus den verschiedensten Branchen Entlassungsmeldungen kommen, wird politisch ein immer stärkerer Druck auf Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen aufgebaut, jede Arbeit anzunehmen und sich zu den miesesten Bedingungen ausbeuten zu lassen. Das ganze Maßnahmenbündel der sogenannten »aktiven Arbeitsmarktpolitik« - Feststellungsmaßnahmen, Qualifizierungen, Weiterbildung usw. - dient nur noch dazu, die Statistik zu schönen und vor allem, um Druck zu machen und die Gründe für eine Sperrzeit (bei der zweiten folgt dann der gänzliche Rausschmiß aus dem Unterstützungsbezug!) zu provozieren.
Auch wenn viele der Vorschläge gegen Arbeitslose nur der politischen Profilierung dienen und nicht sofort ernstgenommen werden müssen (sei es Stoibers Androhung, die Arbeitslosenhilfe durch Armenspeisung zu ersetzen oder Kochs Entdeckerreisen in die USA), so hat die Bundesanstalt für Arbeit auch ganz materiell die Schraube angezogen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist die Zahl der verhängten Sperrzeiten im ersten Halbjahr 2001 in den alten Bundesländern um über 15 Prozent auf 20 411 angestiegen. Davon waren etwa die Hälfte Sperrzeiten wegen abgelehnter oder abgebrochener »Bildungsmaßnahmen« (siehe Bericht in der Berliner Zeitung vom 7.8.01) - also genau der Vorgang, der Werner Braeuner in die Verzweiflung stieß. In seiner langen Erklärung hat Werner ausdrücklich betont, dass seine Erfahrungen und sein Ärger mit dem Arbeitsamt keine individuelle Besonderheit sind, sondern die Erfahrungen von zigtausenden widergeben (was übrigens auch von Zuschauern und Zeugen im Prozeß bestätigt wurde). Es geht ihm daher auch nicht darum, allein aus diesen Umständen seine Tat zu erklären - schließlich hat gerade er sich viel damit beschäftigt, wie wir uns kollektiv und wirksam statt (selbst-) zerstörerisch gegen die Verschärfung des Drucks wehren können.
Aber genauso klar ist, daß er ohne diesen kafkaesken Druck der Ämter und die erlebte bürokratische Willkür nicht so gehandelt hätte. Als Werner Braeuner den Arbeitsamtsdirektor Herzberg einige Tage vorher im Arbeitsamt auf die Sperrzeit angesprochen hatte, habe dieser nur lapidar gesagt: »Jeder, der eine Maßnahme abbricht, bekommt eine Sperre«. Auf den Versuch hin, seine individuellen Gründe zu erläutern (die auch juristisch sehr wohl den Abbruch einer Maßnahme rechtfertigen können), habe er nur diesen Satz wiederholt. Wir machen ständig die Erfahrung solcher Willkür und Arroganz auf den Ämtern, erleben Schreiereien und Wutausbrüche, die sich daraus ergeben - nur dass sie selten so an die Öffentlichkeit kommen wie jetzt. In diesem Sinne hat die FAZ nicht ganz unrecht, wenn sie abschließend in ihrem Artikel vom 6.8. kommentiert: »Die Klärung dieser Frage [woher die Tatwaffe kam] wird entscheidend dafür sein, ob über Mord oder Totschlag geurteilt werden muß. Die Bedingungen, die zu dem Verbrechen geführt haben, die einen gut ausgebildeten, intelligenten Mann zur Verzweiflung getrieben und einen Unschuldigen das Leben gekostet haben, werden keine große Rolle spielen. Sie sind auch keine Entschuldigung, aber als Fanal taugt der Fall selbst dann, wenn es ein Affekt gewesen sein sollte.«

Am Montag, den 13.8., hat das Gericht Werner Braeuner wegen Totschlags zu 12 Jahren Haft verurteilt - die Staatsanwaltschaft hatte 13 Jahre wegen Mordes beantragt (zum Verlauf des Prozesses siehe z.B. die Berichterstattung in der taz, Artikel am 4.8., 10.8. und 14.8.). Die politische Bedeutung des Prozesses hat sich damit nicht erledigt - und ebensowenig die Frage der Solidarität.

Postanschrift:Werner Braeuner
JVA Verden
Stifthofstraße 10
27283 Verden
Spendenkonto: Konto M.Brennecke
Kreissparkasse Achim
BLZ 291 526 70
Konto-Nr.: 100680
Stichwort: Werner Braeuner

Links und Material

Solidaritätsaufruf mit Unterschriften in mehreren Sprachen. Diese Seite wird von einem Komitee zur Unterstüzung von Werner Braeuner gemacht, das von AC! (französische Erwerbslosengruppe) ins Leben gerufen wurde. U.a. findet sich dort ein Link auf den Artikel in der französischen Tageszeitung "Liberation", der nach dem ersten Prozeßtag erschien.

Eine weitere Solidaritätsseite mit Werner Braeuner aus Frankreich: werner.braeuner.freeservers.com

Flugblatt zu Werner Braeuner, das in Freiburg vor dem Arbeitsamt verteilt wurde.

Flugblatt aus dem Berliner Raum zu Werner Braeuner

Besetzungsaktion in Paris: Presse-Erklärung, aus: Wildcat-Zirkular Nr. 59/60

Es geschah in ihrer Nähe, Text zu Werner Braeuner von Guillaume Paoli, aus Nr. 4 von "Müssiggangter", dem Kontemplationsblatt der Glücklichen Arbeitslosen (Juni 2001)

Werner hatte Kontakt zur französischen Arbeitslosenbewegung, da er sich stark für sie interessierte und Texte von ihnen ins Deutsche übersetzte. Letztes Jahr übersetzte er einen längeren Text - Zwischen Forderung und Subversion - Die Bewegung der Erwerbslosen in Frankreich -, der die Entwicklung und Probleme der Bewegung in Frankreich analysiert.

Offener Brief von Werner Bräuner vom 17. März 2002

 

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