Thekla 17 - Juni 1993 - S. 33-54 [t17rekol.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]

Die Rekolonisierung der Ölfelder

Midnight Notes Collective

Im Golfkrieg kreuzten sich zwei Haupttendenzen des Kapitalismus der späten 80er Jahre: die »neuen Einhegungen« [1], die »Rekolonisierung« von Land und natürlichen Ressourcen auf der Erde [siehe »Die neuen Enclosures« in TheKla 14 - Ölwechsel] und der endgültige Tod der staatskapitalistischen (manchmal sozialistisch und/oder faschistisch genannten) Entwicklung des Kapitals von Südafrika bis zur Sowjetunion.

Die Mechanismen, Strategien und Pläne zur Verwirklichung dieser Tendenzen tragen viele Namen; zusammen ergeben sie das momentane euphemistische Begriffsgemisch von »Schuldenkrise« bis »Perestroika«, von »Privatisierung« bis »Austerität«, von »freier Marktwirtschaft« bis »parlamentarischer Demokratie«. Aber was sich dahinter wirklich verbirgt, zeigte sich an der massenhaften Abschlachtung der irakischen Zivilbevölkerung und zwangsverpflichteten Soldaten Anfang 1991 durch die Bomber der US/UN-Allianz, an den konterrevolutionären Massakern der Baath-Partei überall im Irak und an der Folter an den Palästinensern und ihrer Vertreibung aus Kuwait.

Das Kapital hat alle nationalistischen und sozialistischen »Deals« in die Krise gestürzt, von der Energie- bis zur Schuldenkrise, und mit dem Golfkrieg als offizieller Einweihungszeremonie die Neue Weltordnung eröffnet.

Ganz offensichtlich bedeutet die Neue Weltordnung, daß die USA die unbestrittene Supermacht sind, daß sie die militärische Hegemonie über die Welt erlangt haben: Aber Macht wozu? Hegemonie über was? Wir bei Midnight Notes sehen die neue Weltordnung als neue kapitalistische Akkumulationsstrategie: zur Akkumulation eines Proletariats und von Profiten: mit neuen weltweiten Klassenbeziehungen, mit neuen Ausbeutungsstrukturen und mit neuen Formen von Arbeit. Diese Strategie hat natürlich eine Geschichte, und sie hat auch Schwächen, die auf eine ungewisse Zukunft hindeuten. In diesem Kapitel untersuchen wir einigermaßen ausführlich den Golfkrieg, in der Hoffnung, daß wir in Zukunft besser vorbereitet sind, um Widerstand gegen die Kriege zu leisten, die die weitere kapitalistische Entwicklung zwangsläufig mit sich bringen wird.

Der Krieg war nicht nur ein symbolischer, sondern ein sehr realer Anfang dieser Neuen Weltordnung, mit weitreichenden Folgen. Der Krieg und seine Nachwirkungen drehten sich um die Ware, die seit dem Zweiten Weltkrieg international der Angelpunkt der Klassenbeziehungen ist: das Erdöl. In diesem neuen Zeitalter der Rekolonisierung warf die Ware Öl ein Paradoxon der kapitalistischen Entwicklung auf: Wenn die Ölfelder der Länder am Persischen Golf, der Sowjetunion, Mexikos, Angolas und der anderen Länder, die das westliche Kapital zwischen den 20er und den 70er Jahren dekolonisiert hatten, jetzt rekolonisiert oder »eingehegt« werden sollten, dann mußten massenhaft Neuinvestitionen hineingepumpt werden, um sie profitabel zu machen. Aber die staatskapitalistischen Regimes, die diese Neuinvestitionen bekommen sollten, mußten abgehärtet werden, damit sie alle Ansprüche der ProletarierInnen auf einen Anteil an dem neuen Reichtum, den sie produzieren sollten, auf und neben ihren Ölfeldern abwehrten. Die ProletarierInnen selbst müßten so terrorisiert werden, daß sie ein bettelarmes Leben inmitten einer riesigen Anhäufung an Reichtum akzeptierten.

Dieser gordische Knoten von Klassenwidersprüchen wurde mit dem gesamten, dem heutigen Kapitalismus verfügbaren Spektrum von Gewalt und Terror zerschlagen - von den Bomben, mit denen die Einwohner Bagdads in den Tiefen der Luftschutzkeller verbrannt wurden, über die Panzer, mit denen die Baathisten die Rebellen in Basra zusammenschossen, bis zu den CIA-Foltertechniken, mit denen nach dem Krieg in Kuwait Palästinenser gequält wurden. Der Krieg führte zur größten Massenentlassung der letzten Jahre, zu einer wesentlich stärkeren Militarisierung der Erdölindustrie im Mittleren Osten, zu einem Umbau der Klassenbeziehungen im Mittleren Osten, zu einem sprunghaften Wachstum des investierbaren Kapitals (wegen der gestiegenen Ölpreise) und zu einem vollständig zerstörten und beherrschten Land (dem Irak), das den Regierungen, die die Forderungen des Kapitals nach Rekolonisierung und Austerität nicht erfüllen können, als abschreckendes Beispiel dienen wird. Ob in dieser umfassenden »Lösung« ein noch verworrenerer Knoten angelegt ist, werden die Kämpfe des kommenden Jahrzehnts zeigen.

Neuinvestitionen

Der Kollaps des Staatssozialismus zeigte sich nirgends deutlicher als in der Ölindustrie. Staatliche Ölfirmen in Algerien, China, Mexiko, Venezuela, Vietnam und vor allem in der UdSSR öffneten in den 80er Jahren dem internationalen Kapital ihre Tore. Die Manager aus den USA und Europa freuten sich, daß »Gebiete, die sie vorher nicht betreten durften, wieder geöffnet wurden.« [2] Die Staaten, die Anfang der 70er Jahre ihre Ölfelder und Fördertürme verstaatlicht hatten, müssen sich jetzt unter finanziellem Druck den alten Ölfirmen der Kolonialzeit ergeben.

Aber jetzt fragt sich für diese Energiekapitalisten, wo das Kapital herkommen soll, um die neuen Eroberungen auszunutzen. Der Haken an den fallenden Ölpreisen in den 80er Jahren war, daß damit auch die Profite und Investitionen der Ölfirmen begrenzt waren. Die Ölindustrie kämpfte zwar von Venezuela bis zur UdSSR mit sinkenden Produktionszahlen und ineffizienten Technologien, aber die westlichen Ölfirmen hatten kaum Geld, um etwas daran zu ändern. »Wir erwarten viel von euch«, sagte Gorbatschow zu US-Ölmanagern, aber die Mehrwertmassen, die als Petrodollars zirkuliert waren, waren verschwunden.

Die Strategie der 80er Jahre - Krieg, Schulden, Austerität und fallende Ölpreise - hatte recht erfolgreich verschiedene Proletariate diszipliniert und ihre Volkswirtschaften kaputtgemacht. Aber die Welle der Kämpfe Ende der 80er Jahre und das Fehlen von Investitionsgeldern für die Energiekapitalisten haben gezeigt, daß die Strategie nur begrenzt funktionierte. Die Ölpreise mußten in den 90er Jahren steigen, um das Fundament für einen neuen technologischen Sprung in der Produktion zu legen. Die OPEC-Länder, die amerikanische und die europäischen Regierungen und die UdSSR waren sich alle einig, daß Neuinvestitionen in den Ölindustrien auf diesem Globus dringend nötig seien, um die Produktion auszuweiten und daß die Ölpreise in den 90er Jahren kontinuierlich steigen müßten. [3] Dieselben Staaten, die sich über Jahrzehnte politisch bekämpft hatten, waren sich erstaunlich einig. Der Direktor der OPEC sagte 1990, bis 1995 würden 60 Mrd. Dollar für solche Neuinvestitionen in den OPEC-Ländern benötigt. Andere Schätzungen gehen davon aus, daß allein für die fünf größten Produzenten der OPEC - Iran, Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela - mehr als 60 Mrd. Dollar nötig sind. 1991 wurde berichtet, in Venezuela sei ein auf fünf Jahre angelegtes Ausweitungsprogramm mit einem finanziellem Rahmen von 48 Mrd. Dollar angelaufen. [4] Auf jeden Fall sind Experten der Ölindustrie zu dem Schluß gekommen, Ende der 90er Jahre seien »sogar ohne die jüngsten Wirren im Mittleren Osten höhere Ölpreise - so um die 40 Dollar pro Barrel - so gut wie sicher.« [5]

Bei den beiden größten Ölproduzenten außerhalb der OPEC, den USA und der UdSSR, sinkt die Ölproduktion in den letzten Jahren genauso wie die Produktivität. Sobald die sowjetische Ölindustrie, immerhin die größte der Welt, auf den internationalen Markt geworfen wurde, versuchten die Kapitalisten eifrig, die Ölfelder anzuzapfen. Wenn die Klassenbeziehungen richtig reorganisiert werden, kann die sowjetische Ölindustrie zu einem Zentrum des Weltölmarkts werden. [6] Ein Teil der notwendigen Investitionsgelder kommt schon aus den Petrodollars, die durch die steigenden Ölpreise während und nach der Golfkrise entstanden sind. Anzahlungen sind bereits geleistet: Saudi-Arabien verkündete Ende 1990, es habe der UdSSR 3 Mrd. Dollar geliehen, und die kuwaitische Regierung verkündete aus dem Exil, sie werde der UdSSR im Januar 1991 (also während des Krieges) eine Anleihe in Höhe von einer Mrd. Dollar geben. Seit Mitte 1990 wurde bei der OPEC der Anstieg der Ölpreise geplant. Unmittelbar vor der irakischen Invasion in Kuwait trafen sich die OPEC-Mitglieder in Bagdad und kamen dort zu einer Übereinkunft. Der Ölpreis war in dieser Zeit (Juli 1990) auf 16 bis 17 Dollar pro Barrel gefallen, im Vormonat sogar auf 14 Dollar. Unstimmigkeiten zwischen diesen Ländern gab es nur über die Höhe der Ölpreissteigerung: entweder auf die von den Saudis gewünschten 21 Dollar, oder auf die vom Irak geforderten 25 Dollar. Der letzte Richtpreis der OPEC hatte bei 18 Dollar gelegen. Saudi-Arabien bestimmt die Politik der OPEC weitgehend und setzte sich daher durch. Die irakische Öldelegation fuhr zurück nach Bagdad: verärgert, aber unfähig, die größeren Ölproduzenten über den Verhandlungstisch zu ziehen.

Der irakische nationale Sozialismus und die Invasion

Die Ereignisse seit Mitte Juli 1990 enthalten seltsame Widersprüche und lassen sich nur mit Anstrengung entschlüsseln. Die machiavellistischen Aspekte diese Krieges bleiben uns wie so oft weitgehend verschlossen; was bei verschiedenen Treffen hinter geschlossenen Türen im Weißen Haus, in arabischen Palästen oder in Bagdader Büros alles ausgebrütet worden ist, bleibt den Nachforschungen zukünftiger Historiker überlassen. Im Moment können wir nur aus dem, was öffentlich bekannt ist, auf Motivationen und Reaktionen schließen. In der Welt der zwischenstaatlichen Beziehungen herrschen Zynismus, Spionage und doppeltes Spiel, daher müssen wir aufpassen, daß wir uns nicht in die Irre führen lassen. Betrachten wir zunächst die Logik der irakischen Invasion in Kuwait.

Die irakische Regierung drohte bereits unmittelbar nach dem OPEC-Treffen im Juli mit einer Invasion. Seit dem Ende des Iran-Irak-Krieges hatte die irakische Regierung versucht, mit Kuwait über ihre Schulden und die Eigentumsrechte an einem Ölfeld im Grenzgebiet zu verhandeln. Die Forderung an die OPEC, die Ölpreise zu erhöhen, hing damit zusammen. Die irakische Wirtschaft steckte spätestens 1988 in einer tiefen Krise: Einerseits mußten enorme Wiederaufbauanstrengungen unternommen werden, andererseits blieben staatliche Einnahmen fast völlig aus. [7] Das Öl machte 95 Prozent der irakischen Exporteinnahmen aus, und die fallenden Preise in den 80er Jahren bedeuteten einen herben Rückgang der Deviseneinnahmen. Also drängte der Irak in der OPEC auf höhere Ölpreise und bei den Kuwaitis auf Konzessionen in der Schuldenfrage und bei den Nutzungsrechten an den Ölfeldern.

Und es gab eine weitere Front für die Baath-Partei: die Heimatfront - das heißt, die Kürzung der Staatsausgaben und die Privatisierung der Staatsbetriebe. Seit 1987 betrieb die irakische Regierung eine Spar- und Privatisierungspolitik nach dem klassischen IWF-Muster. Aber diese scheiterte, und 1990 steckte der Staat noch tiefer in der Krise als zuvor. Die Reformen »stürzten die Wirtschaft derart ins Chaos, daß sogar der erfahrene Repressionsapparat der Baath-Partei nicht mehr die innenpolitische Stabilität garantieren konnte.« [8] Die Austerität scheiterte aus Gründen, die fortbestanden und letztendlich zur irakischen Invasion in Kuwait und zum US-Angriff auf den Irak führten. Sie scheiterte, weil das irakische Regime angesichts seiner institutionellen Basis nicht in der Lage war, Sparmaßnahmen durchzusetzen oder private Investoren zur Übernahme der Staatsbetriebe anzuziehen.

Die Baath-Partei hatte seit Ende 60er Jahre einen Polizeistaat organisiert, in dem die ArbeiterInnen einer strikten Überwachung und Disziplin unterstanden. Aber der ganze Sicherheitsapparat hing davon ab, daß der Staat gleichzeitig für einen relativ bequemen Lebensstandard sorgte. Vor dem Ende der 80er Jahre hatte das irakische Regime nie versucht, eine radikale Sparpolitik durchzuziehen. Die Wirtschaftspolitik der Baath-Partei in den 70er und 80er Jahren lief eher auf »Kanonen und Butter« hinaus, ähnlich wie die frühen Kriegspläne der deutschen Nationalsozialisten in den 30er Jahren. Durch die Öleinnahmen konnte der Staat einen Verteilungs- und Sozialstaat finanzieren und gleichzeitig in industrielles Wachstum investieren. Durch den Sozialstaat und das industrielle Wachstum konnte die Partei »der Mittelschicht den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichen und selbst den Armen der Städte und den Migranten vom Lande, die bis dahin nur am Rande der Gesellschaft existiert hatten, ihren Teil zukommen lassen.« [9] Mehr noch, das ganze Klientelsystem der Baath-Führung stützte sich auf die Staatsbetriebe. Die irakische Regierung konnte weder Sparpolitik noch Privatisierungen durchsetzen, ohne politischen Selbstmord zu begehen.

Insofern waren diese Spar- und Privatisierungsversuche höchstens halbherzig. Husseins Regime gab im August 1988 die Preise für Grundnahrungsmittel frei, machte dies aber nach wütenden öffentlichen Reaktionen wieder rückgängig. Im April 1989 wurden die Preiskontrollen wiedereingeführt. [10] Der Haushalt für das Jahr 1990 sollte eigentlich ein Sparhaushalt werden, aber trotzdem enthielt er eine Erhöhung der Beamten- und Angestelltengehälter um 60 Prozent und einen Anstieg der Subventionen für Nahrungsmittel und andere Grundwaren um 113 Prozent. Die Staatsausgaben stiegen insgesamt. Gespart werden sollte vor allem durch Entlassungen von Beschäftigten der Regierung und der Staatsbetriebe. [11] 1987 löste die Baath-Partei ihre Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst auf, weil sie den Arbeitsmarkt deregulieren wollte. Dazu sollten die Löhne derjenigen, die Arbeit hatten, hoch bleiben und viel mehr Nichtentlohnte, Arbeitslose entstehen. Gleichzeitig versuchte die Partei, private Investitionen zu erleichtern und mehr private, auch ausländische, Investoren in die irakische Produktion zu holen. Der irakische Staat kontrollierte alle wichtigen Bereiche der Industrie und des Handels, es gab also viel zu privatisieren; tatsächlich versuchte er, »das weitreichendste Privatisierungsprogramm der Dritten Welt durchzuführen.« [12] Das Endresultat war aber weit von diesem Plan entfernt. Es konnte kaum Arbeitslosigkeit geschaffen und nur sehr wenig Privatinvestitionen an Land gezogen werden. Die »Liberalisierungskampagne« nach 1987/88 brachte weder eine einschneidende Veränderung der irakischen Wirtschaft, noch konnten die Privilegien der ArbeiterInnen ernsthaft angekratzt werden.

Hussein und die Führungsriege der Baath-Partei wollten bestimmt nicht zu den Gegnern des IWF überlaufen. Alle Staaten im Mittleren Osten zogen Spar- und Privatisierungsprogramme durch; das irakische Programm fiel nur vom Umfang her aus dem Rahmen. [13] Der Irak wollte den Geldgebern des IWF durchaus gefällig sein, schließlich unterhielt der Irak nach Saudi-Arabien unter den Golfstaaten die lebhaftesten Ein- und Ausfuhrbeziehungen mit europäischen und japanischen Konzernen. Nach 1988 plante Irak wie alle anderen ölproduzierenden Staaten einen neuen industriellen Wachstumszyklus, der völlig von der Unterstützung des ausländischen Kapitals durch Geld und Technologien abhing. [14] Außerdem hatte der Irak ehrgeizige Aufrüstungspläne. Der Irak hatte die letzten zehn Jahre lang im Krieg gegen den Iran die Interessen des westlichen Kapitals vertreten, und Hussein konnte sich nicht vorstellen, daß das irakische Aufrüstungsprogramm an sich schon im Widerspruch zu den Interessen der USA, Europas und Japans stehen würde (es sei daran erinnert, daß die US Navy 1987 auf Initiative Husseins an den Persischen Golf kam). Aber Hussein war ganz offensichtlich als Bulle nicht zu gebrauchen; er konnte nicht einmal im Irak Schulden und Austerität durchsetzen.

Unter den neuen kapitalistischen Bedingungen der Schuldenkrise war das irakische Regime extrem instabil, und das wirkte sich auf die ganze Region aus. Da die Baath-Partei die Schuldenkrise auf die irakischen ArbeiterInnen weder abwälzen konnte noch wollte, sollte als nächstes die Führungsclique in Kuwait zahlen. Die Frage der kuwaitischen Kriegskredite und des umstrittenen Ölfelds wurde bei der Suche nach einem »Ausweg« immer entscheidender. Das irakische Regime war unfähig, sich gegen die eigene Arbeiterklasse durchzusetzen, und stellte stattdessen Forderungen an die Bankiers und Scheichs von Kuwait. Dies war und ist auch weiterhin ein Problem für das internationale Kapital - und ein Problem, das wohl alle verschuldeten Staaten im Mittleren Osten betrifft. Zwar ziehen alle Länder von Marokko bis Pakistan Sparmaßnahmen durch, aber tendenziell zeigen die Regierungen immer auf die Reichtümer am Golf und fordern eine panarabische oder panislamische Umverteilung. Diese Regimes unterliegen ständig der Versuchung, ihre eigentliche Aufgabe - die Neustrukturierung ihrer eigenen nationalen Akkumulationssysteme - zu vernachlässigen und stattdessen darauf zu warten, daß der Reichtum der Golfstaaten ihnen aus der Klemme hilft.

So führte das sozialistische Modell des irakischen Staates zum genauen Gegenteil des 1980 formulierten IWF-Akkumulationsmodells: Der Staat war größter Arbeitgeber, die ArbeiterInnen im Staatssektor waren an einen relativen Wohlstand gewöhnt, Sparmaßnahmen ließen sich kaum durchsetzen, und das Regime versuchte, dem Schicksal Algeriens und Jordaniens (Riots und chronische politische Instabilität) zu entgehen, indem es sich dem Reichtum des Golföls zuwandte. Dies war nicht die Art von Beispiel, das die kapitalistischen Planer in den USA und im IWF den anderen ArbeiterInnen geben wollten, denn der Nationalsozialismus der Baath-Partei war ihnen immer noch zu sozialistisch[15]

Gemeinsame Sache

Es ist also einigermaßen klar, warum der Irak nach Kuwait einmarschiert ist, nämlich um die irakische Wirtschaft und die politische Zukunft der Baath-Partei zu retten, um die 40 Mrd. Dollar Schulden bei den Kuwaitis zu streichen, um etwas von Kuwaits Reichtum zu plündern und um Ansprüche auf einige kuwaitische Ölquellen geltend zu machen. Aber wir müssen uns immer noch fragen, warum die irakische Regierung meinte, eine Invasion habe reelle Aussicht auf Erfolg.

Eine verbreitete Erklärung für den Golfkrieg ist die These, er sei ein abgekartetes Spiel gewesen; Hussein habe sich durch das scheinbare Desinteresse der USA zur Invasion Kuwaits verleiten lassen und sei dann überrascht gewesen, als die USA tatsächlich Truppen schickten. Aber die irakische Regierung mußte wissen, daß, egal was die USA sagten, eine militärische Reaktion möglich war, allein schon wegen der Bedeutung der kuwaitischen Petrodollars für die westlichen Banken und Börsenmärkte. Die Regierung in Kuwait hatte sich seit 1988 geweigert, mit dem Irak über seine Schulden und über das umstrittene Ölfeld zu verhandeln, und war auch dann noch hartnäckig geblieben, als der Irak seit Ende Juli 1990 100 000 Soldaten an der Grenze zusammenzog. Allein daran wurde schon klar, daß die Kuwaitis Zusicherungen aus dem Ausland haben mußten. Als wäre das nicht genug, sprachen kuwaitische Beamte zuweilen ganz offen über amerikanische Unterstützung. Am 30. Juli sagte der kuwaitische Außenminister einer jordanischen Delegation: »Wir werden dem Irak nicht nachgeben... Wenn ihnen das nicht paßt, dann sollen sie unser Territorium besetzen... Dann holen wir die Amerikaner.« Wenn die jordanische Regierung das gewußt hat, dann hat es die irakische Regierung mit Sicherheit auch gewußt. [16]

Logischerweise können wir also annehmen, daß die irakische Regierung wußte, daß eine militärische Reaktion der USA wahrscheinlich war. Einerseits war das sowohl für die Baath-Partei als auch für die kuwaitische Herrscherfamilie, die Sabahs, ziemlich riskant, aber andererseits hatten beide nicht viel zu verlieren. Beide Regierungen waren mit Bedrohungen von innen konfrontiert, denen nur mit außergewöhnlichen Methoden beizukommen war. Der kuwaitische Staat hatte mit chronischer innerer Instabilität Probleme, die sich vielleicht durch einen nachhaltigen militärischen Schock ins Lot bringen ließ, und die Baath-Partei stand vor der Wahl, entweder ihre Macht durch die Selbstzerstörung ihres nationalsozialistischen Apparats zu verlieren oder eine mögliche militärische Reaktion der USA zu riskieren. Hussein machte auf dem eingeschlagenen Weg der Invasion weiter, entweder weil er keinen ernsthaften Gegenangriff erwartete, oder weil er dachte, daß ihm so ein amerikanischer Angriff helfen würde, die Macht der Baath-Partei zu festigen und die Art von Sparpolitik durchzusetzen, die der IWF forderte. Weder Hussein noch die Sabahs in Kuwait konnten bei einer US-Intervention verlieren, spieltheoretisch betrachtet jedenfalls.

Weder die Baath-Partei noch die Sabahs mußten befürchten, daß die USA sie im Fall einer militärischen Intervention vernichten würden. Die letzten zehn Jahre hatten die USA alle beide unterstützt. Bis einen Monat vor der Invasion des Irak in Kuwait hatten die USA dem Baath-Regime noch Kredite bereitgestellt. Zwischen 1983 und 1990 hatte das US-Landwirtschaftsministerium den Irak mit Krediten und Darlehen von insgesamt 5 Mrd. Dollar zum Kauf von amerikanischen Agrarprodukten unterstützt. [17] Nach 1987 waren die USA für den Irak das zweitwichtigste Importland. Die Baath-Partei hatte Grund genug zu glauben, daß die USA ihr entweder eine Lösung am Verhandlungstisch für einen Rückzug aus Kuwait offen lassen oder aber den Krieg so führen würden, daß die Baath-Partei an der Macht bliebe. Wie 1987 hoffte Hussein wahrscheinlich, die USA würden so intervenieren, daß die Baathisten die Krise bewältigen könnten.

Die irakische Regierung war sich nämlich völlig im Klaren darüber, daß die USA die Möglichkeit ausnutzen würden, Truppen am Golf zu stationieren. Trotz all seiner antiimperialistischen Rhetorik tat Hussein genau das, was das internationale Kapital brauchte. Genau wie sein ganzes Gerede von nationaler Souveränität und Menschenrechten völlig verlogen war, spricht alles dafür, daß Husseins antiimperialistische Rhetorik genau das Gegenteil war, nämlich Einladung an die USA, der Baath-Partei aus der Krise zu helfen (tatsächlich sind solche Szenarien in der Geschichte der Kriege zwischen Nationalstaaten ziemlich verbreitet). Und wenn wir uns anschauen, wie dieser Krieg wirklich geführt wurde - wenn man das, was geschehen ist, überhaupt als Krieg bezeichnen kann - dann stellen wir fest, daß Hussein und die Baath-Partei eigentlich gar nicht verloren haben. Ein Großteil des Irak wurde zerstört und die regierende Partei wurde dem internationalen Kapital noch mehr untergeordnet, aber sie ist immer noch an der Macht und wurde vom US-Militär absichtlich an der Macht gelassen.

Die Bomben und das Massaker

Am 17. Januar begann das US-Militär mit der Bombardierung des Irak. Die Zielscheiben dieses Bombenkriegs waren in erster Linie irakische ZivilistInnen und nicht militärische Einrichtungen. Er hatte nichts mit den verschiedenen von der US-Regierung angegebenen Zielen zu tun: der Verteidigung Saudi-Arabiens, der Befreiung Kuwaits und der Vernichtung des irakischen Militärs. Amerikanische Piloten warfen Bomben auf Fabriken, Brücken, Straßen, Telefonzentralen, Wasserwerke, Häuser und Bürogebäude. Letztlich war alles und jeder im Irak ein Ziel. Die einzigen Ziele, die sich aus dem beabsichtigten Bombardierungsmuster und dem wahllosen Ergebnis ablesen lassen, sind die Zerstörung der irakischen Infrastruktur und die großen Verluste unter der irakischen Zivilbevölkerung durch Hunger und Seuchen. Mit der Zerstörung der öffentlichen Wasserversorgung und der Kanalisation praktizierten die USA eine moderne Form der bakteriologischen Kriegsführung, die die Mongolen beeindruckt hätte, die im Jahr 1258 die Aquädukte in Bagdad sabotierten. Nachdem sie den Irak in die Luft gesprengt hatten, schlachteten die USA die irakischen Truppen auf dem Rückzug aus Kuwait am 25./26. Februar ab. Die Splittersprengbomben, die Brandbomben und die Explosionen der Benzintanks der Fahrzeuge verwandelten die Autobahn 80 zwischen Kuwait City und Basra in eine Art langgezogenes Nazi-Todeslager. Die irakischen Wehrpflichtigen, die von den US-/UN-Truppen in Kuwait getötet wurden, waren normale Arbeiter. Hussein hatte 150 000 Soldaten nach Kuwait geschickt, viele von ihnen fast ohne Ausbildung. Einige waren erst kurz vorher in irgendeiner Stadt auf der Straße aufgegriffen worden. Die meisten waren Kurden und Schiiten, die der Regierung Hussein gegenüber am wenigsten loyal waren. [18] Die zuverlässigeren Truppen wurden im Hintergrund gehalten. Es überrascht nicht, daß die irakischen Truppen massenhaft rebellierten und desertierten, sobald der amerikanische Angriff begonnen hatte. Sie waren mit wenig Sold und Essen von einer Regierung in Kuwait abgeladen worden, die sie nie unterstützt hatten. In Kuwait massakrierte das US-Militär die arbeitenden Armen aus Kurdistan und dem Südirak. Die amerikanische Aufklärung wußte ganz genau, wer ihre Opfer waren. Öffentliche Berichte hatten schon vor Februar berichtet, daß die Frontsoldaten nicht so sehr Soldaten waren, als vielmehr Männer, die zufällig in Uniformen steckten.

Indem sie die Truppen auf dem Rückzug massakrierten, vernichteten die USA die Männer, die den Aufstand im Irak getragen hätten. Die Teile der Truppen, die es schafften, lebend in den Irak zurückzukehren, nahmen oft ihre Gewehre mit und führten die Angriffe gegen die Baath-Partei an. Die Kurden und Schiiten, die Mehrheit unter den Truppen auf dem Rückzug, wollten ihre Gewehre gegen die Baath-Partei richten. Diese muß einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen haben, als sie hörte, wie viele ihrer Wehrpflichtigen abgeschlachtet worden waren. Trotzdem gewannen die Aufstände der Arbeiterklasse unmittelbar nach dem Krieg an Stärke, und die USA waren gezwungen, im Nordirak zu intervenieren. Mit diesem Manöver wollten sie (unter Mithilfe der nationalistischen kurdischen Führer) eine Internationalisierung der Rebellion verhindern und es dem irakischen Militär ermöglichen, im Süden aufzuräumen. [19]

Das US-Militär griff den Kern des irakischen Militärs nicht an und beließ das irakische Regime weitgehend intakt. Das ganze Gerede über die Zerstörung der Macht der irakischen Armee und die Vernichtung Husseins erwies sich als hohl. Der Grund, den die Regierung für das Ende des Angriffs angab, bedeutete eine weitere Neudefinition der militärischen Ziele. Bush meinte plötzlich, das einzige Ziel sei die Vertreibung des Irak aus Kuwait gewesen - was allen suspekt vorkam, besonders den Soldaten, nachdem die amerikanischen, britischen und französischen Luftstreitkräfte gerade den gesamten letzten Monat damit verbracht hatten, zivile Ziele im Irak zu bombardieren.

Warum also setzten die USA den Angriff nicht in den Irak hinein fort? Einfach gesagt, weil die US-Regierung und ihre Verbündeten an einem Polizeistaat im Irak festhalten wollten und die Baath-Partei die einzige Organisation war, die das garantieren konnte. [20] Aber die kapitalistischen Planer waren nicht nur an einer zentralisierten Regierung interessiert, sondern an einer Regierung, die IWF-Sparprogramme durchsetzen konnte. Alle ölproduzierenden Staaten führen zur Zeit mehr oder weniger intensiv IWF-diktierte Sparmaßnahmen durch. Diese Pläne lassen sich ohne Polizeistaat nicht durchsetzen.

Die USA haben Husseins Regierung also absichtlich gerettet. Die linken Kritiker des US-Kriegs wurden nicht müde, die Heuchelei anzuprangern, die darin liegt, den Krieg als Kampf gegen den »Hitlerismus« zu verkaufen und diesen »Hitlerismus« dann an der Macht zu lassen. Die Kritiker haben aber nicht den Grund für diese Heuchelei erklärt. Die Politik der USA war äußerst konsequent: Erst die rebellischsten Teile der irakischen Arbeiterklasse abschlachten und dann den irakischen Polizeistaat so lange an der Macht halten, wie er der Austerität zustimmt.

Dieses Doppelmanöver macht zumindest teilweise deutlich, warum die Regierung Bush nicht einfach die Stationierung von Truppen am Golf, sondern Kampfhandlungen wollte. Der Krieg ging nicht gegen den Nationalstaat Irak, sondern gegen die irakische Arbeiterklasse und für die Verteidigung des irakischen Polizeistaats (dieser Polizeistaat wurde zwar geschwächt und hängt völlig von den Launen der US-Regierung ab, aber er ist da und funktioniert). In diesem Krieg ging es auch darum, die Grundlage der Arbeitermacht im Irak zu zerstören und die Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital völlig umzukrempeln. Vor dem Krieg hatten viele irakische ArbeiterInnen eine Art informellen und stillschweigenden Gesellschaftsvertrag mit der irakischen Regierung. Aber die USA erreichten, was die Baath-Partei allein nicht zu Wege gebracht hatte: diesen Gesellschaftsvertrag aufzukündigen, die ArbeiterInnen freizusetzen, damit sie verhungern können, und Staats- und Privatkapital freizusetzen, damit sie unbehindert akkumulieren können.

Der Irak als IWF-Modell

Der Golfkrieg hat aus dem Irak das Modell einer vom IWF gelenkten Entwicklung gemacht. Seuchen und Hunger haben mit den Klassenverhältnissen Tabula Rasa gemacht. Der Irak ist das Experiment, wie weit die Austerität sich treiben läßt. Praktisch umzingelt von US-Truppen bekommt die irakische Regierung gesagt, daß sie ihre einzige Exportware - das Öl - verkaufen darf. Aber sie darf nicht einen Pfennig Gewinn aus dem Verkauf ziehen. Die dem Irak auferlegten Bedingungen werden die irakische Regierung dazu zwingen, Öl mit Sklaven zu produzieren. Das ist der Endpunkt: Hier geht die kapitalistische Sparpolitik gegen unendlich. Natürlich läßt sich heute im Irak kein Öl produzieren, wenn die ArbeiterInnen nicht zumindest einen Subsistenzlohn erhalten (als Geld oder auch nicht), und die staatliche Ölgesellschaft macht zumindest einen minimalen Gewinn. Aber das Kapital sieht sich die asymptotischen Kurven seiner Grafiken an und fragt sich, wie weit die Kurve noch gegen Null gehen kann und trotzdem noch Öl herauskommt.

Die Militäroperation von USA und UNO und die Verhängung des Handelsembargos bedeuten für die irakische Regierung die Logik der Triage: Wieviele werden verhungern, und wer? Die irakische Regierung debattierte zum Beispiel kürzlich über Haushaltskürzungen. Aber die Nationalversammlung funktioniert immer noch nach der alten sozialistischen Logik und fordert daher Lohnerhöhungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst, höhere Renten, mehr Kindergeld und die Wiederverstaatlichung der Brotbäckereien. Doch der Finanzminister lehnt Lohnerhöhungen und ähnliche »inflationäre Ausgaben« ab. Die Regierung führt viele Sozialleistungen erstmal weiter: Es gibt ein System von Lebensmittelrationierungen, um sicherzustellen, daß alle eine Mindestversorgung an Essen erhalten, und für nächstes Jahr ist geplant, Lebensmittel mit 7 Mrd. Dollar zu subventionieren. Große Teile der Infrastruktur werden repariert, und die Ölindustrie produziert nach Angaben der Regierung täglich 450 000 Barrel, eine Menge, die gerade mal den Verbrauch im eigenen Land deckt (direkt vor dem Krieg hatte der Irak fast 3 Millionen Barrel pro Tag produziert). Aber da es keinen internationalen Handel und keine ausländischen Kredite gibt, werden die Preise weiter steigen (die Inflation bewegt sich zur Zeit bei mehreren hundert Prozent), und die inländische Produktion wird weiter sinken. Die Fortsetzung der Sanktionen wird die irakische Regierung zwingen, alle nationalsozialistischen Deals mit den irakischen ArbeiterInnen aufzukündigen.

Die Sanktionen sind Teil einer Strategie, die aus dem Irak in einer Zeit steigender Ölpreise ein Modell der Austerität macht. Die US-Regierung hat den Irak in eine koloniale Situation zurückversetzt, in der die USA die Macht haben, alle Entscheidungen zu treffen, die die Integration des Iraks in den Weltmarkt betreffen: Was er verkaufen kann, wann, wem und wieviel. Zusätzlich können die USA kontrollieren, wie die Einnahmen aus den Verkäufen verteilt werden. Durch die Aufrechterhaltung der Sanktionen setzen die USA gegen den Irak ein Kolonialverhältnis durch. Der Irak wird zum Inbegriff der weltweiten »no deals«-Strategie. Gleichzeitig befreien sie die Baath-Partei von der Last, die Sparmaßnahmen durchzusetzen. Das ist, als wäre die NSDAP nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg mit dem Zwang zu Reparationszahlungen und zur Entwaffnung an der Macht geblieben (was ja in gewisser Weise wirklich geschah). Wahrscheinlich werden die Sanktionen nicht aufgehoben, wenn der Irak irgendeiner neuen Abschaffung eines Waffensystems oder einer neuen Inspektion seiner Feuerstellungen zustimmt, sondern wenn er das Öl zu US/UN-Bedingungen verkauft.

Eine Ware verkaufen und keinen Profit dabei machen: das kennen viele rohstoffexportierende Länder aus eigener Erfahrung. Das Bauxit wird im eigenen Land abgebaut, der Kaffee im eigenen Land angebaut, aber nachdem die internationalen Banken bezahlt sind, steckt man noch tiefer in den Schulden. Um diese Situation zu beheben, fordert das Kapital nicht nur, sondern zwingt die Regierungen, die ArbeiterInnen anzugreifen: Löhne und Sozialleistungen sollen reduziert und alle Staatsausgaben gekürzt werden. Die Götter der Akkumulation in Washington, D.C., London, Bonn, Paris und Tokio befehlen jetzt ihren Lakaien auf der ganzen Welt, den letzten Pfennig aus ihren ArbeiterInnen herauszupressen und sich mit einer winzigen Kommission zufrieden zugeben. Diese Götter können nun zu pädagogischen Zwecken auf den Irak verweisen.

Über den Irak hinaus: Der Golfkrieg als Durchsetzung der Perestroika

Bis hierher ging es um den Zusammenhang zwischen dem Golfkrieg und den Klassenverhältnissen im Irak. Betrachten wir nun den Zusammenhang zwischen dem Krieg und den Klassenverhältnissen in den ölproduzierenden Staaten als einem Ganzen. Der Krieg sollte nicht nur die irakische Arbeiterklasse dezimieren und im Irak eine extreme Form von Austerität durchsetzen. Er sollte auch die ölproduzierende Arbeiterklasse angreifen, besonders die MigrantInnen und die nicht eingebürgerten ArbeiterInnen. Was hat der Krieg gegen den Irak gebracht: Kuwait hat die meisten der dort arbeitenden PalästinenserInnen ausgewiesen, und die palästinensische Bevölkerung wird bald auf etwa 40 000 gesunken sein - von 400 000 vor dem Krieg; Saudi-Arabien hat fast eine Million jemenitische ArbeiterInnen ausgewiesen, und über eine Million ägyptische ArbeiterInnen wurden aus Kuwait und dem Irak vertrieben. All diese Vertreibungen machen es jetzt möglich, daß die verschiedenen Staaten am Persischen Golf die von ihnen so genannten »Rationalisierungen der Arbeitskraft« durchziehen.

Es ist klar, daß die kapitalistische Planung in den 90er Jahren höhere Ölpreise braucht. Aber wenn der Preis sich im Lauf der nächsten Jahre verdoppeln soll, dann muß das Kapital sich überlegen, wie sich das auf der Grundlage dieser Preiserhöhungen errichtete Akkumulationsregimes stabilisieren läßt. Die Wirtschaftsplaner in den USA und Europa haben noch die Erfahrungen der 70er Jahre im Kopf. Nach dem Preissprung von 1973/74 hatten sie stetige Preiserhöhungen für die nächsten Jahrzehnte geplant. Aber wie in »Öl, Waffen und Geld« beschrieben, mußten sie 1980 zurückstecken. Morse, der uns als Redakteur von Petroleum Intelligence Weekly die kapitalistische Planung in dieser Hinsicht vielleicht am besten erklären kann, nimmt an, daß der Ölpreis bis zum Jahr 2000 auf 40 Dollar pro Barrel steigen wird. Ihm ist klar, daß es nicht so sehr darum geht, ob der Preis erhöht werden kann, sondern, ob er dann auch oben bleibt: »Auch wenn der Ölpreis nach den Ende der gegenwärtigen Krise wieder unter 20 Dollar pro Barrel fallen sollte, geht es doch nicht darum, ob dieser Preis stabil bleibt oder sich in einem engen Rahmen halten läßt. Wir müssen uns endlich fragen, wie die Ölmärkte und die Strukturen der Ölindustrie auf einen steilen Preisanstieg reagieren werden.« [21]

Den Auswirkungen eines solchen steilen Preisanstiegs auf die ölproduzierenden Länder gilt mit die größte Angst, wenn von den »Strukturen der Ölindustrie« die Rede ist. Von Venezuela bis nach Libyen und Indonesien werden die Einnahmen steigen. Wird dieses Kapital wie in den 70er Jahren für Löhne und Staatsausgaben »verschwendet« werden? Werden sich die Menschen noch kontrollieren lassen, wenn die Armut inmitten riesiger Anhäufungen von Reichtum fortbesteht? Werden die Regimes dieser Staaten den neuen Reichtum gegen die Macht der Troika IWF/Weltbank/Pentagon wenden, oder lassen sie sich weiterhin in Zinszahlungen und Waffenkäufe verstricken?

Die aktuelle Situation im Iran zeigt, wie berechtigt diese Fragen sind. Ganz im Sinne ihrer »pragmatischen« Wende schwört die iranische Regierung, daß die Öleinnahmen nicht mehr an das Volk verteilt werden, sondern an japanische, koreanische und westliche Gesellschaften, die damit den Aufbau neuer Industrieanlagen vorantreiben sollen. Je mehr an die Multis geht, desto tiefer werden die Löhne sinken. Die Regierung versucht seit zwei Jahren, die Wirtschaft völlig neu zu überholen: Die Währung wurde abgewertet, der Devisenmarkt geöffnet und Investitionsanreize für das in- und ausländische Privatkapital geschaffen. Das ganze Programm läuft auf eine iranische Version der Perestroika hinaus. Aber als letztes Jahr iranische ArbeiterInnen mit nach außen gekehrten leeren Taschen demonstrierten, erinnerte das auch an Preisproteste in der ehemaligen Sowjetunion. Die iranische Regierung führt Gespräche mit den Golfstaaten über eine militärische und politische Integration in den Golfkooperationsrat (GCC) [22]: Da das irakische Militär schwer angeschlagen ist, ist das iranische außer dem türkischen das stärkste in der Region. Es wird sich mit dem US-Militär in Saudi-Arabien irgendwie auf einen neuen regionalen Ansatz einigen, der die Durchsetzung der Austerität mit industriellem Wachstum in der Region verbindet.

Aber schon ziehen dunkle Wolken für die Pläne der USA, der Golfstaaten und des Iran auf. Während im Januar 1991 die Schlacht zwischen irakischen und US-Truppen tobte, streikten Tausende von iranischen ÖlarbeiterInnen und forderten eine Koppelung der Löhne an die Inflation, eine gesicherte Versorgung mit Wohnraum und Lebensmitteln und Änderungen der Arbeitsgesetze. Die Regierung befahl den ArbeiterInnen, die Streiks im Interesse der »nationalen Sicherheit« zu beenden. Mit der Drohung des Krieges direkt hinter der Grenze erpreßte die Regierung die ArbeiterInnen zur Rückkehr an die Arbeit. [23] 1990 ließ ein ausgedehnter Streik in der Stahlindustrie, an dem sich Zehntausende von ArbeiterInnen beteiligten, ahnen, wie leicht die Austeritätspläne der iranischen Regierung ins Wanken kommen könnten.

Der Golfkrieg führte zu einer radikalen Entwertung des ölproduzierenden Proletariats, und genau um diese Entwertung ging es auch im Krieg. Sie war nicht bloß ein Nebeneffekt des Krieges, sondern stand im Zentrum der Gründe, aus denen das internationale Kapital die irakische Baath-Partei in die spieltheoretische Lösung gedrängt hat: Krieg. Genauso wie der Investitions- und Wachstumssprung 1973 den arabisch-israelischen Krieg notwendig gemacht hatte, um die Arbeiterklasse im Mittleren Osten weiter zu schwächen, erforderte der für 1990 geplante Sprung den nächsten Krieg. Der Krieg machte drei Gruppen von ArbeiterInnen ganz ausdrücklich zur Zielscheibe: die IrakerInnen, die PalästinenserInnen und die JemenitInnen; drei der bestausgebildeten und politisiertesten ArbeiterInnengruppen in der Region, sozusagen die drei Avantgarden in der gesellschaftlichen Fabrik des Mittleren Ostens. In allererster Linie braucht die Ölindustrie eine disziplinierte und fügsame Arbeitskraft, denn diese Produktion ist extrem kapitalintensiv: Zehn Millionen Dollar pro Arbeiter sind auf den Bohrinseln keine Seltenheit. [24] Bei soviel in all die Einrichtungen am Golf investiertem Kapital kann ein einzelner aufmüpfiger Arbeiter, der einen Haß auf die Golfstaaten und Ansätze eines politischen Programms hat, eine Menge Schaden anrichten.

Wir haben bereits gesehen, wie fadenscheinig die angeblichen Gründe für den Angriff auf die irakischen ArbeiterInnen waren. Die angeblichen Gründe für die Vertreibung der PalästinenserInnen aus Kuwait und der JemenitInnen aus Saudi-Arabien sind genauso fadenscheinig: Die Regierungen von Kuwait, Saudi-Arabien und der USA stellten die Vertreibung einfach als Rache für die angebliche Unterstützung der ArbeiterInnen für die irakische Invasion dar. Aber diese Ausrede hinkt aus zwei Gründen:

Zum einen hatten die GCC-Staaten und die USA schon vor der irakischen Invasion in Kuwait vorgehabt, ihre Arbeitskraft neu zu organisieren und zu reduzieren. Daß das ölproduzierende Proletariats neu zusammengesetzt werden muß, wird seit langem diskutiert und ist nichts Neues. Der IWF läßt die Golfstaaten schon lange wissen, es gebe bei ihnen zu viele Parasiten, die den ganzen Ölreichtum aufsaugten. Die PalästinenserInnen in Kuwait und anderen Golfstaaten wurden während des Kriegs nicht nur schikaniert und vertrieben, weil sie als Parasiten, sondern auch weil sie als »politisch unzuverlässig« galten. »Palästinenser sind zwar in vielen arabischen Staaten eine wichtige Bereicherung für die gebildete Bevölkerung, aber gleichzeitig gelten sie als politisches Risiko, als Zeitbombe, die darauf wartet zu explodieren und die übriggebliebenen traditionellen Monarchien, die die reichsten arabischen Staaten beherrschen, zu vernichten.« [25]

Zum anderen hatten weder die JemenitInnen noch die PalästinenserInnen die irakische Invasion einheitlich und einmütig unterstützt. Außerdem hatten sie alle nicht groß Gelegenheit, sich zu dem Thema zu Wort zu melden, weder in der Presse noch auf der Straße noch sonstwo. Ihre politischen Vertreter - die PLO und die jemenitische Regierung - hatten nie eine Unterstützung der irakischen Invasion, sondern ihre Neutralität ausgedrückt. Beide nationalen Gruppen unterstützten ganz allgemein eine antiimperialistische und egalitäre Politik. Aus ihren Ideologien heraus unterstützten sie die Invasion teilweise, da sie sich scheinbar gegen diejenigen, die Israel bei der Ausbeutung und Unterdrückung der PalästinenserInnen geholfen hatten, und gegen die GCC-Staaten richtete, die inmitten von Massenarmut soviel Reichtum angehäuft hatten. Viele hatten aber noch vor Augen, daß die irakischen Baathisten die PalästinenserInnen vor der Invasion kaum, die Regierungen der USA, Europas und der Sowjetunion dagegen sehr unterstützt hatten. Sie wurden also nicht vertrieben oder angegriffen, weil sie die Invasion unterstützten - denn das taten sie fast gar nicht -, sondern weil sie sie eben nicht unterstützten, d.h. wegen ihrer kritischen und vernünftigen politischen Vorstellungen.

Die Golfstaaten wollen die jemenitischen und palästinensischen durch asiatische ArbeiterInnen ersetzen: von den Philippinen, aus Sri Lanka, aus Bangladesch, usw. Diese asiatischen ArbeiterInnen stehen am unteren Ende der Lohnhierarchie am Golf. [26] Die Fachkräfte unter den PalästinenserInnen (Bankangestellte, Ärzte, Ingenieure...) sollen durch BürgerInnen der Golfstaaten, EuropäerInnen oder NordamerikanerInnen ersetzt werden. Kuwait macht das jetzt vor: Die Bauaufträge im Rahmen des Wiederaufbaus wurden an internationale - in der Mehrheit nordamerikanische - Firmen vergeben. Diese Firmen holen hochqualifizierte ArbeiterInnen aus Europa und den USA ins Land. Es entwickelt sich also ein neues Modell: relativ hoch bezahlte ArbeiterInnen aus dem Westen werden mit sehr niedrig entlohnten ArbeiterInnen aus Asien zusammengebracht. Die dazwischenliegende Schicht der ArbeiterInnen aus der Region wird zusammengeschrumpft und entwertet. Die Polarisierung der Lohnskala verschärft sich, wie auf dem gesamten Planeten.

Der Sprung der Investitionen

Direkt nach dem Ende des Massakers an den irakischen Arbeitern in Kuwait und der gegen die Baath-Partei gerichteten Aufstände im Irak, nahm der saudische Staat die gezielte »Modernisierung« seiner Ölindustrie in Angriff. Die saudische Kampagne zur Steigerung der Industrieproduktion und -produktivität ist die größte seit dem Ölboom Mitte der 70er Jahre. Zur Erschließung von Ölfeldern sollen 15 Mrd. Dollar bis Mitte der 90er Jahre und für Erdölraffinerien weitere 10 Mrd. Dollar bis zum Ende des Jahrzehnts aufgewendet werden. [27] Während des Krieges hatte Saudi-Arabien die Tagesförderung auf etwa acht Millionen Barrel, d.h. fast bis an die Grenze seiner vorhandenen Kapazitäten gesteigert. Aber die neuen Pläne gehen von einer normalen Tagesproduktion von zehn Millionen Barrel aus. Darauf baut das Bestreben der weltweiten Ölindustrie, einen technologischen Sprung in der Produktion zu unternehmen.

Auch die derzeitige Nummer zwei unter den Erdölproduzenten, der Iran, hat angefangen, seine Ölindustrie und seine gesamte Industriekapazität auszuweiten. Zur Zeit fördert der Iran täglich drei Millionen Barrel Öl. Die Ausweitung hatte bereits vor dem Golfkrieg begonnen, aber die riesigen Ölprofite während des Krieges haben dem Iran noch ehrgeizigere Pläne ermöglicht. Der Anstieg der Ölpreise bedeutete für die iranische Regierung in den fünf Monaten nach der irakischen Invasion in Kuwait einen Gewinn von etwa vier Milliarden Dollar. Durch diesen unverhofften Gewinn konnte der Iran verstärkt in die Ölindustrie investieren. In den nächsten zwei Jahren sollen zwei Milliarden Dollar investiert werden, um die Produktionskapazität um eine weitere Million Barrel pro Tag (von vier auf fünf Millionen Barrel) zu steigern. [28]

Diese Ausweitung der Erdölindustrie läuft heute völlig anders als das Wachstum in den 70er Jahren unter der Schahregierung. Die Regierung Rafsandschani hat sich dazu verpflichtet, radikale Sparmaßnahmen durchzuführen. Die Regierung hat engere Beziehungen zum IWF geknüpft und wird dafür in den jüngsten Untersuchungsberichten des IWF auch sehr gelobt. Im IWF-Report von Anfang 1990 bekam das Land erstmals seit der Revolution von 1979 wieder eine positive Bewertung. [29]

Als die OPEC nach dem Krieg wieder zusammentrat, konnte Saudi-Arabien die Preise diktieren, da zwei der wichtigsten Ölproduzenten zu diesem Zeitpunkt nicht im Geschäft waren (der Irak war die Nummer zwei, Kuwait die Nummer sieben der OPEC gewesen). Die saudischen Herrscher haben ihre Quote erhöht und die OPEC jetzt fester denn je im Griff. Gleichzeitig halten sich die Kapitalisten wegen der permanenten Krise in der ehemaligen Sowjetunion mit höheren Investitionen in die russischen Ölfelder erstmal zurück, und damit ist die Vormachtstellung der Saudis fürst erste gesichert. Der Golfkrieg hat Saudi-Arabien zum unangefochtenen Gebieter über Ölpreise und gleichzeitig zum Schrittmacher der technischen Entwicklung gemacht, an dem sich jedes Land, das eine moderne, wettbewerbsfähige Ölindustrie betreiben will, messen lassen muß. [30]

Saudi-Arabiens Machtzuwachs auf dem internationalen Ölmarkt führt direkt dazu, daß die US-Regierung mehr Macht über die Ölpreise hat, denn sie übt beherrschenden Einfluß sowohl auf die staatliche saudische Ölgesellschaft Saudi Aramco als auch auf das saudische Finanzministerium SAMA aus. Die Verträge zur Ausweitung der saudischen Ölindustrie und die Verkäufe von US-Waffen an das saudische Militär machen Saudi-Arabien zu einem rettenden Engel der Erlösung für das US-Kapital.

Ausblick

Es ist überhaupt nicht seltsam, daß dem internationalen Kapitalismus heute eine scheinbar anachronistische, theokratische Tyrannei zugrundeliegt, die sich auf ein riesiges System von Vertragssklaverei stützt. Je mehr das Kapital die auf Erdöl beruhende Mechanisierung die Produktivität entwickelt, desto weniger direkte menschliche Arbeit wird gebraucht. Aber da das Kapital nun mal nichts anderes ist als vergegenständlichte menschliche Arbeit, muß es die Menschen zwingen, auf den Ölfeldern und um die Ölfelder herum immer härter und länger zu arbeiten. Wenn die Menschen gerade feststellen, daß sie nicht mehr soviel wie früher zu arbeiten brauchen, merken sie, daß sie entweder noch härter arbeiten oder aber völlig vom Reichtum der Welt ausgeschlossen sind. Diesen der kapitalistischen Entwicklung innewohnenden Widerspruch kann das Kapital nur durch immer mehr Kriege und Polizei regulieren. Das Abschlachten und Verhungern der Menschen im Irak und die millionenfache Vertreibung im Mittleren Osten waren die notwendigen Vorbedingungen für die jüngste industrielle Entwicklung. Jede Runde kapitalistischer Entwicklung erfordert eine gleichzeitige Welle von Enteignungen. Der Golfkrieg gehörte zur jüngsten Phase des Kapitalismus, und anscheinend ist er als Sieger aus ihr hervorgegangen.

Die US-Regierung ist auf die notwendige langfristige Besetzung der Golfregion bestens vorbereitet, und von ihren Stützpunkten dort und in der Türkei, auf Diego Garcia im indischen Ozean und in Kenia kann sie nicht nur am Persischen Golf, sondern auch in Afrika und Asien intervenieren. Aber alle Bündnispartner der US-Regierung sind äußerst unbeliebte Regierungen. Die Monarchie in Marokko, die Despotie in Ägypten, die Diktatur in Syrien und die Militärherrschaft (mit einer durchsichtigen bürgerlichen Fassade) in der Türkei sind zur Zeit die besten Verbündeten der USA, aber offensichtlich war die Mehrheit der Bevölkerung in all diesen vier Staaten gegen den US-Krieg gegen den Irak. In Ägypten hat die Regierung im Herbst 1990 die Schulen geschlossen und Sportveranstaltungen abgesagt, nur weil sie Angst vor Menschenansammlungen hatte. Bei den Wahlen im Oktober 1990 verbot die Regierung die großen Oppositionsparteien, die allesamt die Besetzung der Golfregion durch die USA verurteilt hatten.

Die Herrscher der Golfstaaten sind nach dem Golfkrieg besonders verwundbar, da sie fast überall wegen ihrer Habgier und Unterwürfigkeit verachtet werden. Sie werden mehr als bisher darauf angewiesen sein, daß die USA ihre Ölfelder vor Sabotage, ihre Grenzen vor Angriffen und ihre Bürger vor »gefährlichen« politischen Ideen schützen.

Die Energiekapitalisten wollen in den nächsten zehn Jahren die Ölpreise erhöhen, aber die politischen Kämpfe in den erdölproduzierenden Regionen könnten ihnen ihr erneutes Experiment mit Preissteigerungen unter den Händen hochgehen lassen, selbst wenn diese Steigerungen von europäischen und US-amerikanischen Truppen flankiert werden. Fast alle Länder im Mittleren Osten waren von europäischen Mächten kolonisiert worden, und wer kann die Bombenangriffe, die Schläge und die Demütigungen vergessen? Die jetzige Besetzung unter Führung der USA ist nichts anderes als die Rückkehr in überwunden geglaubte Zeiten.

Einige alchimistische Mischungen aus Blut und Öl ergeben zwar riesige Gewinne, aber andere könnten plötzlich in einer Revolution explodieren.


Fußnoten:

[1] Englisch: enclosures. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts lief in England der Prozeß der Enteignung und Vertreibung der Landbevölkerung vom Land, d.h. von ihren Lebens- und Arbeitsmitteln. Für das Kapital war dies der Prozeß der sogenannten »ursprünglichen Akkumulation«. Ein entscheidender Schritt darin war die Privatisierung des Gemeindelandes am Ende des 18. Jahrhunderts durch das »Gesetz zur Einhegung des Gemeindelandes«.

[2] Edward Morse, »The Coming Oil Revolution« Foreign Affairs, Winter 1990, S. 49.

[3] Die Literatur über die internationale Ölindustrie ist voll von Hinweisen auf einen relativen Mangel an Investitionen in den 80ern und über Niedergang der Produktion im Verhältnis zur Kapazität. Pierre Terzian stellt zum Beispiel fest: »Ohne einen Anstieg der Energiepreise hätten wir binnen drei oder vier Jahren, aber spätestens 1995, eine Situation erreicht, in der es einen Mangel an Öl- und wahrscheinlich auch Gas-Produktionskapazitäten gegeben hätte.« Journal of Palestine Studies, Winter 1991, S. 102. Siehe auch Dimitrio Koutsomitis, »Petroleum Price Trends to the Year 2000«, Opec Review, Herbst 1990.

[4] New York Times, 16.September 1991.

[5] Morse, a.a.O., S. 36.

[6] Ann Reilly Dowd, »Oil from Russia«, Fortune, 22. Oktober 1990.

[7] Eine Illustration unter vielen für die Schuldenklemme des Irak war der Stopp der Kreditrückzahlungen an französische Banken im Oktober 1988. Der Irak stellte die Rückzahlung bereits umgeschuldeten und von nicht umschuldbaren Krediten ein. Insgesamt schuldete er französischen Banken vier Milliarden Dollar. MEED, 10. Februar 1989, S. 14.

[8] Kiren Chaudhry, »On the Way to Market: Economic Liberalization and Iraq's Invasion of Kuwait«, Middle East Report, Mai/Juni 1991, S. 14.

[9] Marion Farouk-Sluglett und Peter Sluglett, Der Irak seit 1958: Von der Revolution zur Diktatur, Frankfurt/M. 1991, S. 239; Siehe auch Joe Stork, »Class, State and Politics in Iraq« in Berch Berberoglu (Hrsg.), Power and Stability in the Middle East (London: Zed Press, 1989) und Isam al-Khafaji, »Iraq's Seventh Year: Saddam's Quart d'Heure?«, Middle East Report, März/April 1988.

[10] MEED, 12. Mai 1989, S. 15.

[11] The Economist Intelligence Unit Country Report: Iraq. Nr. 2, 1990, S. 12.

[12] Kiren Chaudry, a.a.O.; siehe auch Sluglett, a.a.O.

[13] Wie IWF-treue Länder im Mittleren Osten Austerität und Rekolonisierung sehen: siehe Said El-Naggar, »Privatization and Structural Adjustment in the Arab Countries« (IMF, 1989).

[14] Die Wiederaufbaupläne des Iraks waren vielleicht die größten im Mittleren Osten: sechs Milliarden Dollar zur Verdopplung der Exportkapazitäten der Ölindustrie und vierzig Milliarden Dollar für den allgemeinen industriellen Aufbau in den nächsten fünf Jahren. The Economist, 30. September 1989.

[15] General Noriegas Regime wurde 1989 von den USA gestürzt, weil Noriega in ähnlicher Weise unfähig war, die Sparprogramme des IWF in Panama durchzusetzen. Seine Macht beruhte auf dem staatlichem Sektor und der Garantie eines anständigen Lebensstandards für beträchtliche Teile der Bevölkerung in Panama. Ähnlich wie Hussein gingen seine »strukturellen Anpassungs«-Versuche in den 80er Jahren völlig unter. Wie im Irak richteten die USA während des Angriffs ihre Feuerkraft auf die Armen und behielten danach die bestehenden Polizeistrukturen bei.

[16] Siehe Village Voice, 5. März 1991. Derselbe Artikel schildert auch, wie die US-Regierung die herrschende Klasse in Kuwait dazu angehalten hat, jegliche Forderungen des irakischen Staates nach Schuldenstreichung oder einer Neuverhandlung über die Eigentumsrechte am Ölfeld von Rumaila entschlossen abzublocken. Im November 1989 trafen sich der Chef der Sicherheitskräfte der kuwaitischen Monarchie und CIA-Direktor William Webster, in der Nähe von Washington, D.C. im CIA-Hauptquartier. Das Protokoll des Treffens wurde nach der irakischen Invasion in kuwaitischen Regierungsunterlagen gefunden. Der kuwaitische Sicherheitschef berichtete, daß »wir mit den Amerikanern einer Meinung sind, daß es wichtig sei, die sich verschlechternde ökonomische Situation im Irak auszunutzen, um Druck auf seine Regierung auszuüben, die gemeinsamen Grenzen unserer beiden Staaten festzulegen.«

[17] Guardian, 5.Juni 1991.

[18] John Pilger, New Statesman and Society, 12. April 1991, S. 6. Siehe auch Ten Days that shook Iraq: Inside Information From An Uprising, BM Cat, London WC1N 3XX, UK [deutsch in Wildcat Heft 57, Okt./Nov. 1991, S. 31/32 bzw. in Interim Nr. 157 vom 1.8.1991, S. 19-22] und The Kurdish Uprising And Kurdistan's Nationalist Shop Front And Its Negotiations With the Ba'thist/Fascist Regime, BM Blob, London WC1N 3XX, UK. Im Krieg mit dem Iran war es die Taktik Husseins gewesen, die »entbehrliche« Bevölkerung wie die Kurden an die Front zu stellen, während die zuverlässigeren und besser bezahlten Einheiten hinten gehalten wurden. Die »Eliteeinheiten« dienten weniger zum Kampf gegen den Iran als dazu, zu verhindern, daß andere irakische Einheiten desertierten. Viele der irakischen Fronteinheiten ergaben sich lieber den Iranern, als zu kämpfen (was die Tatsache erklärt, daß der Iran am Ende des Krieges 75 000 irakische Kriegsgefangene hatte - siebenmal mehr, als es iranische Kriegsgefangene gab). Vergleiche Dilip Hiro, »Chronicle of the Gulf War«, MERIP Reports, Juli/September 1984, S. 8.

[19] Siehe Hanna Batatu, »Iraq's Underground Shi'a Movements: Characteristics, Causes and Prospects«, The Middle East Journal, Herbst 1981.

[20] MEED, 26. Juli 1991, S. 4.

[21] Morse, a.a.O. Hervorhebungen vom MN-Collective.

[22] MEED, 22. Februar 1991.

[23] Labor Solidarity, Vierteljahreszeitschrift des »Labor Committee on Iran«, PO Box 241412, Los Angeles, CA 90024, Frühling 1991, S. 3.

[24] Jon McLin, Social and Economic Effect of Petroleum Development (Genf: ILO), S. 55.

[25] Mary Ann Tétreault, The Organization of Arab Petroleum Exporting Countries (Westport, CT: Greenwood Press, 1984), S. 98. Siehe auch Abdel Majid Farid and Hussein Sirriyeh (Hrsg.), The Decline of Arab Oil Revenues (London: Croom Helm, 1986), S. 102. 1986 sahen Yorke und Turner die Ereignisse von 1991 voraus: »Die Regierungen am Golf werden wahrscheinlich jeden bekannten Politaktivisten deportieren und den Aufenthalt von so vielen libanesischen, irakischen, syrischen und palästinensischen ArbeiterInnen, wie auch von ArbeiterInnen aus dem Iran beenden, wie sie dies für politisch durchsetzbar halten.«

[26] Peter Woodward, Oil and Labor in the Middle East: Saudi Arabia and the Oil Boom (New York: Praeger, 1988), S. 46-49.

[27] MEED, 7. Juni 1991.

[28] MEED, 1. März 1991.

[29] ebenda, S. 9.

[30] »Saudis Back in Control«, Financial Times, 14. März 1991.


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]