Karlsruher Stadtzeitung, Nr. 33 - September 1984 - S. 55-63 [w33alpt1.htm]


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In der Diskussion über die neuen Technologien und die verwissenschaftlichte Kontrolle der Arbeit werden - gerade auch von linker Seite - eine Reihe von Mythen produziert, die der militanten Untersuchung der Klassenrealität im Wege stehen. Wir selbst haben in unserer Diskussion gemerkt, wie schwierig es ist , nicht in solche Mythen und Vereinfachungen abzugleiten, sondern die reale Widersprüchlichkeit im Auge zu behalten.

Der folgende Artikel ist aus einer Diskussion entstanden, die sich auf drei verschiedene Analysen der technischen und arbeitswissenschaftlichen Gestaltung der kapitalistischen Produktion bezog:

 

Taylors Alpträume

Die Fetischformen des Kapitals als Basis der Arbeitswissenschaft

Es steht außer Frage, daß die Arbeitswissenschaften, vom Arbeiterstandpunkt aus nur eine Bemäntelung und Verschleierung der kapitalistischen Herrschaft im Produktionsprozeß darstellen, hinter ihrer ganzen Wissenschaftlichkeit der Ausbeutungsdrang des Kapitals steckt. Um zu untersuchen, welche Bedeutung die Arbeitswissenschaft im Klassenkampf hat, reicht diese ideologiekritische Feststellung aber nicht aus. Hier geht es um die Frage ihrer Wirksamkeit: wie und wann gelingt es den Arbeitswissenschaften, die Ausbeutung der Arbeiter zu intensivieren und diese in das Kapitalverhältnis zu integrieren? Nur so kann die Frage der Arbeitswissenschaft dann in revolutionärer Absicht gestellt werden: durch welches Arbeiterverhalten wird ihre Wirksamkeit durchbrochen, verliert sie ihre Funktion für die Ausbeutung? Um die Bedeutung der Arbeitswissenschaft zu verstehen, müssen wir von dem grundlegenden Widerspruch des Kapitalverhältnisses ausgehen, der in der Arbeit selbst liegt. Sie wird einerseits vom Kapital als gesellschaftliche Arbeit entwickelt, andererseits muß es die Arbeit als Grundlage der Kapitalverwertung politisch atomisieren, als vereinzelte Arbeit fixieren. [1]

Und diesen Widerspruch bringen die Arbeiter in ihren Kämpfen ganz praktisch zum Ausdruck. Die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, die zunächst vom Kapital entwickelt wird, begreifen sie als ihren eigenen Zusammenhang, als eine Gesellschaftlichkeit, die nicht unabhängig von ihnen existieren kann, sondern täglich durch sie und ihr Verhalten hergestellt wird. Die Methoden, mit denen das Kapital die Arbeit und ihre Produktivität entwickelt - die Zusammenarbeit von tausenden Proletariern in einem Produktionsprozeß, die Zerlegung und Teilung der Arbeit und der Einsatz der Maschinerie - sind zugleich Methoden, den Zusammenhang der Arbeit in der Produktion zu entwickeln; aber in einer Weise, die das Bewußtsein der Arbeiter über diesen Zusammenhang gerade ausschließen soll. [2]

Für das Funktionieren und den reibungslosen Ablauf in der Produktion und deren Produktivität wird die Kooperation der Arbeiter, das Wirken eines kombinierten Gesamtarbeiters damit entscheidend. Vielmehr als auf die Fähigkeiten des Einzelnen, kommt es auf die Gesellschaftlichkeit der Arbeit an. [3]

An der ganzen Geschichte des Klassenkampfes ließe sich nachzeichnen, wie die Arbeiter sich immer wieder aufs Neue diesen Zusammenhang und die Gesellschaftlichkeit der Arbeit als ihre eigene Kampfstärke angeeignet haben.

Wichtig ist uns hier, zunächst einmal festzuhalten, daß das Kapital nur auf die Potenzen der gesellschaftlichen Arbeit zurückgreifen kann, es besitzt und entwickelt keine eigenen. Das Märchen, Maschinen würden Mehrwert produzieren, das Kapital könne sich letzten Endes von den Arbeitern frei machen, findet in jeder Phase verstärkter Rationalisierung immer wieder neue Anhänger. Darin verschwindet gerade die Einsicht, daß das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis ist, auf Ausbeutung beruht. Nur wenn das Kapital als Ding oder Sache vorgestellt wird, kann dieser Schein entstehen, es sei selbst produktiv - und eben diesen Schein versucht die Arbeitswissenschaft zu verstärken.

Der Doppelcharakter der produktiven Kooperation

Auf der rein begrifflichen Ebene hebt Marx stets hervor, daß das Kapital keine eigene, selbständige Produktivität besitzt, sondern nur die der gesellschaftlichen Arbeit ausbeutet. Aber der Moment des Umschlags des gesellschaftlichen Charakters in Klassenkampf kommt bei Marx zu kurz, ist allenfalls angedeutet. Er begreift zwar die permanente Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital als Triebfeder des Prozesses der »reellen Subsumtion«, aber wie sich die Arbeiter die zunächst vom Kapital gesetzte Gesellschaftlichkeit aneignen, fällt aus seiner systematischen Analyse heraus.

Und genau hier setzt die Theorie der italienischen Operaisten an. Sie halten zunächst den von Marx entwickelten Arbeiterstandpunkt fest und untersuchen dann konkret, wie die Arbeiter ihre produktive Kooperation für das Kapital umdrehen. Denn zunächst mal bedeutet die produktive Kooperation der Arbeiter für das Kapital das Gelingen der Ausbeutung der gesellschaftlichen Arbeit. So schreibt Romano Alquati in einer Voruntersuchung zur Arbeit bei Olivietti: »Die Kooperation der Arbeiter zeigt dem Kapitalisten an, wie weit der Gesamtarbeiter bereits dem Kapital einverleibt ist.« (TheKla 5, S. 118 [Fassung im Internet, PDF, S. 62]) Zugleich wurde die Widersprüchlichkeit dieser Entwicklung genau gesehen: »Das Ziel des Kapitalisten ist es immer gewesen, in den Produktionsverhältnissen ein Maximum an übertragener Verantwortung und objektiver Vergesellschaftung mit einem Minimum an Bewußtsein und politischer Einheit der Arbeiterklasse zu verbinden.« (ebenda S. 105 [PDF, S. 53]) Von dieser Position aus geht die operaistische Linke in Italien Anfang der 60er Jahre »wieder hin und guckt, wie diese verdammten Fabriken funktionieren, was das für Arbeiter sind, wie das Kommando in der Fabrik funktioniert; man gibt die Parole der Untersuchung aus, Untersuchung gemeinsam mit den Arbeitern, die man sowohl aus Gründen der Erkenntnis wie aus praktischen Gründen durchführt, für Kampf und politische Initiative von unten.« - wie Negri es im Nachhinein charakterisierte (TheKla 5, S. 8). Die Aneignung des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit durch die Arbeiter wird in dieser Diskussion vor allem am Begriff der »produktiven Kooperation« festgemacht: »An einem bestimmten Punkt bemerken wir, daß die produktive Kooperation nicht nur für die Produktion funktioniert, sondern auch für die Realisierung der massenhaften und kämpferischen Arbeiterkommunikation. Das heißt, an einem bestimmten Punkt sehen wir, daß die produktive Kooperation ..., sagen wir, ich, du, er, sie arbeiten im selben Zyklus - das ist nicht nur eine Kooperation unserer Arbeit für die produktive kapitalistische Verwertung, sondern das bringt auch eine Reihe von sekundären Effekten hervor ...« (ebenda, S. 28)

Wenn heute dieses Bewußtsein wieder verschüttet ist, die neuen Formen der Arbeitsteilung und Maschinerie nur als unumkehrbare Entmachtung der Arbeiter in der Produktion wahrgenommen werden, so ist dies nicht nur ein theoretisches Verschulden. Die Quaderni Rossi wußten um die Bedeutung der praktischen Konfliktualität der Arbeiter für jeden Versuch, das Kapital theoretisch vom Arbeiterstandpunkt aus zu kritisieren: »Mit der Wiederaufnahme der Kämpfe verbreitet sich heute auch das Bewußtsein von der Rolle, die die Arbeiterklasse zu spielen hat, damit 'der Laden läuft'« (Alquati, a.a.O., S. 110 [PDF, S. 56]).

Die verdrehte Erscheinungsform, das Kapital sei selbst produktiv, beruht nicht auf einer verdummenden Manipulation, sondern geht aus dem Austausch zwischen Kapital und Arbeit hervor, und besitzt gegenüber dem einzelnen Arbeiter eine handgreifliche Realität, die durch Bezeichnungen wie Erscheinungsform oder Fetisch nicht heruntergespielt werden soll.

Der Arbeiter verkauft dem Kapitalisten das, was er besitzt: seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Erst durch diesen Verkauf tritt er in den Produktionsprozeß und damit in eine Kooperation mit den anderen Arbeitern (historisch besaßen die Arbeiter natürlich schon immer Zusammenhänge außerhalb der Fabrik, sei es in ihrer dörflichen Gemeinschaft, Wohnviertel etc., und ihre Kampfstärke zehrte von diesen Zusammenhängen. Deswegen sucht das Kapital auch in der ganzen historischen Entwicklung, diese Zusammenhänge auszulöschen, die Arbeiter außerhalb der Produktion faktisch so vereinzelt zu setzen, wie es die Fiktion des isolierten Arbeitskraftbesitzers will.). »Als unabhängige Personen sind die Arbeiter Vereinzelte, die in ein Verhältnis zu dem selben Kapital, aber nicht zueinander treten. Ihre Kooperation beginnt im Arbeitsprozeß, aber im Arbeitsprozeß haben sie bereits aufgehört, sich selbst zu gehören. ... Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals.« (Kapital, Bd. 1, S. 352) Die Mystifizierung des Kapitalverhältnisses, als sei es selbst produktiv, hat also eine ganz materialistische Basis.

Aber das Kapital muß auch ständig dafür sorgen, daß diese Schizophrenie »vereinzelter Arbeitskraftbesitzer - kollektiver Arbeiter als Eigentum des Kapitals« nicht durchbrochen wird. Es versucht dies zum einen durch eine Organisation der Arbeit und eine technische Gestaltung der Produktion, die dem Arbeiter den Zusammenhang seiner Tätigkeiten als ihm äußerlich und fremd gegenüberstellt. Zum zweiten durch die Weiterentwicklung des Lohnfetischs, der den Unterschied zwischen verkaufter Arbeitskraft und realisierter Arbeit verschwinden läßt. Ein Bewußtsein davon, daß der Lohn nur dazu dient, diese spezielle Klasse von bloßen Arbeitskraftbesitzern zu reproduzieren, wird damit verhindert. Auf diese beiden Momente der Mystifizierung stützt sich die Arbeitswissenschaft.

Zusammengefaßt: Der Mythos von der Produktivität des Kapitals und der Lohnfetisch haben ihre reale Grundlage in der kapitalistischen Produktion. Diese Bewußtseinsformen lösen das Kapitalverhältnis nicht kritisch auf, sondern vollziehen gedanklich den kapitalistischen Standpunkt nach. Diese Mystifizierungen sind dann der feste und materialistische Boden der Arbeitswissenschaft. Die Arbeitswissenschaft kann also von der falschen Auflösung des oben genannten Widerspruchs ausgehen, sie kann unmittelbar an der Arbeitsorganisation und dem Lohn ansetzen, um die beständige Atomisierung des Gesamtarbeiters im unmittelbaren Produktionsprozeß wissenschaftlich zu organisieren. Alquati nennt daher zurecht »die politische Isolierung der Arbeiter die wahre Seele der wissenschaftlichen Organisation der Arbeit.« (ebd. S. 110 [PDF, S. 57])

 

Notwendige Arbeit - Mehrarbeit - Lohnfetisch

Ausbeutung hat in allen Gesellschaftsformen bedeutet, daß einige wenige von der Arbeitskraft anderer leben, daß der von der »Gesellschaft« produzierte Reichtum nur für einige Reichtum bedeutet, den Arbeitenden aber davon eben so viel zukommt, wie sie zum Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit und ihrer Reproduktion benötigen. Die Arbeit, die für diese Reproduktion der Arbeitenden aufgewandt wird, nennen wir notwendige Arbeit; alles, was darüber hinausgeht - und nur der Mästung der Sklavenhändler, Feudalherren oder Kapitalisten dient -, ist Mehrarbeit.

In der kapitalistischen Gesellschaft wird diese Teilung de Arbeit durch die Tauschbeziehung zwischen Kapital und Arbeit verdeckt. Scheinbar stehen sich gleichberechtigt die Besitzer von verschiedenen Waren gegenüber: der eine liefert seine Arbeit, der andere bezahlt sie. Der Lohn erscheint so als Bezahlung von Arbeit. Tatsächlich erhält der Arbeiter nur die notwendigen Reproduktionsmittel, der Lohn ist der Preis für seine Arbeitskraft, entspricht der notwendigen Arbeit. »Die Form des Arbeitslohnes löscht also jede Spur der Teilung in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus.« (Kapital, Bd. 1, S. 562) Diese Verkehrung, die im altäglichen Bewußtsein vor sich geht, bezeichnen wir als Lohnfetisch, da hier die wirklichen Verhältnisse wie im mystischen oder religiösen Bewußtsein auf den Kopf gestellt werden.

»Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohnes oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und gerade sein Gegenteil zeigt, beruhen alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Feiheitsillusionen, alle apologetischen Flauseln der Vulgärökonomie.« (ebd.)

Diese Mystifikation wird verstärkt dadurch, daß einerseits die Arbeitslöhne mit der Länge des Arbeitstages wechseln (Zeitlohn), und zum anderen für Arbeiter, die dieselbe Funktion verrichten, individuell unterschiedlich sind (Akkordlohn). Gerade an der zweiten Form, die den Lohn als bezahlte Arbeit zu beweisen scheint, feilt die Arbeitswissenschaft herum.

 

Die Entwicklung der Arbeitswissenschaft

In ihrem Buch Arbeiter und Arbeitswissenschaft stellt Angelika Ebbinghaus die Herausbildung der Arbeitswissenschaft in der USA an Hand der Theorien der ersten Vertreter des »scientific management« (»Wissenschaftliche Betriebsführung«) dar. Im Anschluß daran untersucht sie die Reaktionsformen der Arbeiterbewegung darauf.

So gesehen müßte das Buch »Arbeitswissenschaft und Arbeiter« heißen, wenn die Reihenfolge im Titel überhaupt was aussagen soll. Denn die Entwicklung der Arbeitswissenschaften wird gerade nicht aus dem Arbeiterverhalten, den politischen Kontrollproblemen in den Betrieben in der damaligen historischen Situation erklärt. Die Darstellung der Taylorschen Theorie geht nicht von der spezifischen Konfliktualität, mit der sich das Kapital damals konfrontiert sah, aus, sondern sieht in Taylors Vorschlägen die »entscheidende Lösung der Arbeiterfrage« (S. 48)

An Taylors Prinzipien interessiert sie gerade »ihre immer noch währende Aktualität« (ebd.) und wie in den meisten linken Darstellungen des Taylorismus, werden hier die allgemeinen Prinzipien des Taylorismus herausgearbeitet, ohne die betrieblichen Strukturen, an denen sich Taylors Gedanken entzünden, ins Auge fassen.

Erstens kann so, wie sie es darstellt, die Entwicklung der Arbeitswissenschaft nur noch als theoriegeschichtliche erscheinen, auch wenn wir indirekt aus den Zitaten der »scientific manager« einiges über die betrieblichen Strukturen und deren eigentümliche Konfliktualität erfahren, z.B. woran sich Konflikte entzündeten, aufgrund welcher Strukturen die Arbeiter zu gemeinsamen Kämpfen kommen. Zweitens bleibt mit dieser Darstellung völlig ungeklärt, welche reale Wirksamkeit die tayloristischen Methoden im unmittelbaren Produktionsprozeß entfalten konnten. Wir hören zwar einiges über die diversen Anwendungen, aber daraus geht nicht hervor, ob es durch diese verwissenschaftlichte Arbeitsorganisation gelang, die Konfliktualität einzudämmen.

So wie der Ansatz der historischen Darstellung des Taylorismus in diesem Buch gewählt ist, können die Fragen nach seinem Ausgangspunkt im Klassenkampf und seiner Wirksamkeit auch nicht geklärt werden: das Kapital entwickle seine Arbeitswissenschaft, um »unangepaßtes bis produktionsfeindliches Verhalten auf Seiten der Arbeiter(innen) einzudämen und womöglich zu beseitigen« (S. 216), indem es sie »auf Funktionen von ausführenden Organen zurückzuschrauben« suche (S. 217), zu Anhängseln der Maschine degradiere und das, »was menschliche Tätigkeit wesentlich ausmacht«, zerreiße (S. 59). Als »Reaktion« auf diesen Angriff entwickelten die Arbeiter ihre Kämpfe - wobei sie die Reaktionsformen der legalistischen Berufsgewerkschaften und der I.W.W. gegenüberstellt, mit dem Resultat, daß die I.W.W. als explizite Reaktionsform auf den Taylorismus verstanden werden. Diese Kämpfe gipfeln in der Revolte 1919-1923, die von der »Ablehnung taylorisierter Arbeit überhaupt« (S. 156) bestimmt gewesen sei, die aber durch die einsetzende Repressionswelle und den inneren Zerfall der Wobblies scheiterte. Ich habe das jetzt mal stark verkürzt und den Argumentationsfaden herausgeschält, um ihn diskutierbar zu machen. Der ausführlichen und interessanten Darstellung im Buch soll das keinen Abbruch tun.

Aber nicht nur die oben angesprochenen Fragen können, wie ich noch zeigen werde, so nicht geklärt werden; die Zitate führen uns auch unmittelbar in eine grundsätzliche Debatte über Arbeit und Qualifizierung.

Arbeit und Subjektivität - der Mythos der Dequalifizierung

Durch die gesamte Taylorismusdebatte der Linken zieht sich ein Kritikmuster, das im wesentlichen den Taylorismus als Zerstörung von Subjektivität, von menschlicher Arbeit und als Enteignung der Arbeiter geißelt. Ein Kritikmuster, das auch in der Arbeit von Ebbinghaus enthalten ist.

Klar ist, daß es weder »die« menschliche Subjektivität, noch »die« menschliche Arbeit oder Tätigkeit gibt, sondern stets bestimmte historische Formen, die sich in der Dialektik des Klassenkampfs verändern. In den Taylorismuskritiken wird aber eine bestimmte historische Form als »Subjektivität« schlechthin unterschoben: das handwerkliche/kleinbürgerliche Ideal der individuellen Autonomie, einer Arbeit, die auf eigenem Wissen, Geschick und Fähigkeit beruht, die privatisierbar sind. An dieser »Subjektivität« - sei sie handwerklichen oder akademischen (!) Ursprungs - ist in revolutionärer Perspektive nichts zu verteidigen. Marx dazu: »Daher ging aber auch jeder mittelalterliche Handwerker ganz in seiner Arbeit auf, hatte ein gemütliches Knechtschaftsverhältnis zu ihr und war viel mehr als der moderne Arbeiter, dem seine Arbeit gleichgültig ist, unter sie subsumiert

Was die Kämpfe der Handwerker und Facharbeiter auslöste, war gerade, daß sie der Besitz einer individuellen Qualifikation vor dem Verkauf der nackten Arbeitskraft bewahrte, sie hatten noch mehr zu verkaufen! Zu diesem Zusammenhang führt A. Ebbinghaus ein Zitat aus der Zeitschrift der amerikanischen Formergewerkschaft an: »Handwerksmäßige Kenntnis und gewerbliche Geschicklichkeit sind das einzige Eigentum der Arbeiter ...« und vor diesem Hintergrund wird dann der Taylorismus angeklagt, er mache aus dem Handwerker ein »belebtes Werkzeug des Unternehmers«. (S. 103) Aber anstatt dieser Kritikform auf die Illusion der handwerklichen, individuellen Autonomie zurückzuführen, sieht A. Ebbinghaus hier den unternehmerischen Angriff »bestechend klar analysiert« (ebd.).

Einerseits bildet diese individuelle und privatisierbare Qualifikation eine Schranke für die Unterordnung des Produktionsprozesses unter das Kapital, andererseits versperrt sie gerade die Perspektive des Kampfs als Klasse. Genau von dieser Einsicht ausgehend weint der Wobbly-Theoretiker Lewis der Auflösung der individuellen Qualifikation keine Träne nach: »Wir müssen darauf bestehen, daß die Gewerkschaftsbewegung nicht als eine Bewegung der Arbeiter als Arbeiter entstanden ist, etwa zum Schutz der Arbeiterklasse als solcher oder zur Entfaltung der Kräfte des Proletariats. Vielmehr entstand sie als Vereinigung von Besitzern eines ganz bestimmten Eigentums zum Wohl dieses Eigentums und ihrer Besitzer.« (Lewis, a.a.O., S. 148 [PDF, S. 55])

Im Unterschied zu den Handwerkern und Facharbeitern, für deren Kämpfe die Verteidigung ihres Status entscheidend war, sind dem Massenarbeiter oder »Massenproletariat«, wie Lewis es nennt, alle privaten Perspektiven, alle Illusionen individueller Subjektivität verbaut (die Unterscheidung Facharbeiter-Massenarbeiter ist so zu schematisch, wir machen sie hier nur der Deutlichkeit halber). Er findet sich im Produktionsprozeß als kombinierter Gesamtarbeiter, der als solcher, also kollektiv »den Laden am Laufen hält«. Auf seine individuelle Qualifikation kommt es nicht mehr an. [4]

Die Kooperation in der Fabrik ist eine vom Kapital erzwungene und die produktiven Potenzen dieser Kooperation bleiben den Arbeitern äußerlich, gehören dem Kapital. Genau an diesem Punkt weist die Argumentation von Lewis Schwächen auf, analysiert nicht nur, welche Bedeutung der Maschinenprozeß für den Klassenantagonismus hat, sondern scheint in ihm bereits die Grundlage kommunistischer Produktion zu sehen.

Aber Fakt ist, daß das Maschinenproletariat in seinen Kämpfen nur an kollektivem Wissen, Fähigkeiten usw., so verstreut sich diese zunächst auch darstellen mögen, anknüpfen kann. Die kollektive Subjektivität, die sich die Klasse so erobert, ist aber stets eine antagonistische! In seiner technischen Zusammensetzung schafft das Kapital so ständig mit der Vergesellschaftung der Arbeit Ansatzpunkte einer Kollektivität, die es zugleich politisch bekämpft.

Die Dimension von Subjektivität und Autonomie der Arbeiterklasse, die sich damit hier auftut, liegt deshalb jenseits aller individualistischen Mythen und des Persönlichkeitskults. Die italienische Operaismusdebatte hat das in folgendem Zitat vielleicht am besten auf den Punkt gebracht: »Nie wird man die romantisch-reaktionäre Ideologie genügend denunzieren können, die diese gewaltige, vor unseren Augen ablaufende Entwicklung als Prozeß der Dequalifizierung verstanden wissen will. Diese Entwicklung hat im Gegenteil die höchste Stufe der Arbeitsproduktivität, der Vergesellschaftung der Arbeit in der Produktion erreicht. Sie ist das Ende jedes 'Berufscharakters' der Arbeit, das Ende jeder individuellen bürgerlichen Qualifikation. Auf dieser Stufe der Entwicklung ist nämlich die Tätigkeit des Lohnarbeiter universelle Arbeit« (Massimo Cacciari, Qualifikation und Klassenbewußtsein, S. 31 [Verlag Neue Kritik, Frankfurt/M. 1970]). Cacciari betont damit, daß das Kapital selbst die Tendenz hat, die individuelle Qualifikation zu überwinden, in der Produktion immer mehr von der gesellschaftlichen Produktivität, dem Wirken eines Gesamtarbeiters abhängig ist - auch wenn es immer wieder versucht, durch neue Berufsbilder und Hierarchien dem Gesamtarbeiter sein Bewußtsein über sich zu nehmen.

An einigen Stellen taucht auch in A. Ebbinghaus' Buch die gestiegene Bedeutung des Gesamtarbeiters in der taylorisierten Fabrik auf, was aber in den Gesamtzusammenhang ihrer Taylorismusanalsye nicht eingeht: »Wie nie zuvor waren die Unternehmer von der Disziplin der Arbeiter abhängig: während die Mechanisierung und Taylorisierung der Arbeit auf die Unterhöhlung der traditionellen Position der Arbeiter abzielten, schufen sie ein viel schwerer faßbares und kontrollierbares Widerstandsverhalten.« (S. 131) Diese Beobachtung widerspricht natürlich der Einschätzung, es sei dem Taylorismus um die »totale Kontrolle über den arbeitenden Menschen« gegangen (S. 48). Was Ebbinghaus als totale Kontrolle begreift, ist in der Tat der ständige Versuch des Kapitals, das politische Bewußtsein der Klasse von der eigenen produktiven Bedeutung zu zerstören. Diese Zerstörung nennen wir hier »politische Dequalifikation« - gerade um den Unterschied zu dem ganzen Gejammere über die berufliche, arbeitsmäßige »Dequalifizierung« deutlich zu machen.

Die Beharrlichkeit, mit der in der linken Taylorismusdebatte dem Ideal der bürgerlichen Subjektivität nachgetrauert wird, drückt letztendlich den Versuch aus, Subjektivität an der Arbeit fest zu machen - und dann gibt es in der Tat keine Perspektive kollektiver Subjektivität und Autonomie, sondern gerade das Streben nach »sinnvoller« Arbeit und persönlichen Fähigkeiten. Durchaus konsequent im Sinne dieser Kritik gipfelte die »linke« Arbeitswissenschaft in der BRD in dem Ruf nach »persönlichkeitsfördernden (!) Arbeitsplätzen« (Volpert).

Die Arbeiter schaffen sich ihre Autonomie gegen das Kapital nur darin, daß sie in ihrem Kampf das einlösen, was Vergesellschaftung der Arbeit ihrem Inhalt nach heißt: Zurückdrängung der Arbeit als gesellschaftlich regulierendes Prinzip, Überwindung der Arbeit! Es gibt keine Klassensubjektivität ohne den Kampf gegen die Arbeit.

Arbeiterverhalten und Arbeitswissenschaft

Auch wenn im Buch von Ebbinghaus das Kritikmuster der zerstörten Arbeitersubjektivität auftaucht, so analysiert sie, wie der Taylorismus gerade auf die Zerstörung der Arbeiterzusammenhänge zielt und von daher auch der Selektion der Arbeitskraft, ihrer betrieblichen Zusammensetzung eine große Bedeutung zumißt. Aber sie faßt das eigentliche Problem, das sich der Taylorismus stellen muß, nicht: nämlich bei wachsender und fürs Kapital immer wichtigeren Kooperation der Arbeiter im Produktionsprozeß sie zugleich politisch zu atomisieren.

Der Taylorismus kann daher den Arbeitern nicht als gänzlich fremde Macht und nackter Zwang gegenübertreten, sondern er will erreichen, daß die Arbeiter in höherem Maß für ihre eigene Ausbeutung Verantwortung tragen, ihre produktiven Fähigkeiten für das Kapital einbringen. Und dazu ist er gezwungen, das konfliktorische Arbeiterverhalten zu berücksichtigen und umzulenken, indem er einzelne Elemente des Antagonismus zu isolieren versucht und sich dieser bedient. (Das schließt nicht aus, daß die arbeitswissenschaftlichen Bemühungen von einem Ausbau des betrieblichen Repressionsapparates flankiert werden, wie wir es auch in den 70er Jahren parallel zur Humanisierungsdebatte erlebt haben.) Taylor selbst schafft das zu seiner Zeit nicht. Er redet zwar viel vom notwendigen Konsens, kann aber die grundsätzlichen Kontrollprobleme nicht lösen.

Den Ausgangspunkt nehmen Taylor und die anderen Begründer der Arbeitswissenschaften bei der »Bummelei« der Arbeiter, ihrer Verweigerung und kollektiven Organisierung am Arbeitsplatz - das heißt, offensichtlich wird das Kapital zu dieser Zeit erneut damit konfrontiert, daß die politische »Disponibilität« der Arbeiter zusammenzubrechen droht. Sie sind daher gezwungen, sich mit der konkreten Struktur des betrieblichen Herrschaftsgefüges auseinanderzusetzen, das die Transformation von Arbeitskraft in Arbeit nicht mehr garantiert. Aus Zitaten von Taylor oder Gantt, die A. Ebbinghaus anführt, lässt sich einiges über diese Struktur ausmachen.

Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein ist die kapitalistische Herrschaft im Produktionsprozeß durch unmittelbar personelle und hierarchische Strukturen geprägt. Im Übergang vom Meisterbetrieb zum kapitalistischen Betrieb stützt sich das Kapital auf die persönliche Beziehung zwischen dem einzelnen Kapitalisten und seinen Arbeitern, die vom feudalistischen Mythos der Verbindung von Willkürherrschaft und Fürsorge getragen wird (was heute noch immer oder wieder für die Klitschenproduktion gilt). Mit der Produktion in immer größerem Maßstab, der Konzentration und Zentralisation des Kapitals, das so die Produktivität gesellschaftlicher Arbeit entwickelt, wird dieser Herrschaftstyp beibehalten, muß aber immer weiter untergliedert werden in einem hierarchischen Meistersystem. Um sich ein Bild von dieser - mit der heutigen nicht mehr vergleichbaren - Struktur machen zu können: die Meister, die unmittelbar mit den Arbeitern konfrontiert waren, kontrollierten allein den gesamten Austausch zwischen Kapital und Arbeit. Sie waren für Lohnfragen zuständig, handelten in der Werkstatt mit den Arbeitern die Akkordsätze aus, sie entschieden über Einstellung und Entlassung von Leuten (zum Teil waren die Meister regelrechte Subunternehmer in der Fabrik, die auf eigene Kosten arbeiteten und Arbeiter einstellten), damit auch über Zuteilung oder Verlust einer Werkswohnung; sie bestimmten allein und ohne eine höhere Kontrollinstanz über Disziplinarmaßnahmen. Diese Struktur bestimmte das Bild in den Fabriken mit 10 000 und mehr Proleten, z.B. in extremer Form bei U.S. Steel! Das System wurde auf diesem Niveau zunehmend despotisch und terroristisch, ohne den patriarchalen Mythos aufrechterhalten zu können. Die persönliche Note, der Mythos, für »ihren« Kapitalisten zu arbeiten, mußte bei den Arbeitern zusammenbrechen.

(Lewis sieht hier die Wirksamkeit des Maschinenprozesses: »Unreligiösität und Unduldsamkeit gegenüber äußerem Zwang (d.h. persönlichen Machtverhältnissen, Anm.d.V.) wurden als Eigenheiten beim städtischen Proletariat festgestellt, jenem besonderen Produkt des Maschinenprozesses.« S. 113 [PDF, S. 35])

In den großen Fabriken erfuhren sich die Arbeiter gerade gegenüber den Meistern als Klasse und hatten sie sich einmal von den Mythen dieser Struktur befreit, so wendeten sie ihre produktive Kooperation gegen die Meister (das ist es, was Taylor als »systematische« Bummelei, im Unterschied zur natürlichen, bezeichnet). An der Willkür und dem Terror dieser Meisterherrschaft entzündeten sich Streikbewegungen wie 1894 bei Pullmann oder 1919 bei U.S. Steel. [5]

Die »scientific manager« nehmen diese Disfunktionalität des Werkstattmeistersystems genau wahr; so kritisiert Taylor die in den Fabriken herrschende militärische Ordnung (Ebbinghaus, S. 58). Gantt kritisiert die eigenständige Macht der Meister: »Die inneren Angelegenheiten des Unternehmens wurden so tatsächlich von den Meistern/Vorarbeitern geleitet und geführt und nicht von der Betriebsleitung« (ebd. S. 70), womit er darauf aufmerksam macht, daß die Meister eigene, dem Kapitalzweck unter Umständen widersprechende Interessen verfolgten.

Der Kern der Kritik - wenn auch von ihnen bewußt nicht ausgesprochen - ist aber der: das Meistersystem ist disfunktional, weil sich daran systematische Bummelei und Klassenkampf entzünden; diese personelle Autorität wird von den Arbeitern nicht mehr »anerkannt« und die Verhandlung über Lohn und Akkord funktioniert nicht mehr als Fetisch des »gerechten Tauschs«, sondern wird zur permanenten Konfliktualität. Hier setzen auch in Deutschland die ersten Versuche an, die Akkordverhandlungen aus der Werkstatt in technische Büros zu verlagern.

Die Entwicklung der Arbeitswissenschaft ist daher nicht einfach ein neuer Terrorismus des Kapitals, der so daherkommt, sondern in ihr wird das Problem der erneuten Integration der Arbeiter ins Kapital angegangen. Um dies zu erreichen, müssen die Techniken des Managements an dem ansetzen, was ansatzweise von den Arbeitern akzeptiert wird (Vorstellungen über gerechte Entlohnung, begründete Hierarchie usw.). Die »scientific manager« versuchen daher, der klassischen Herrschaftsstruktur eine neue entgegenzusetzen, die genau die Momente beseitigt, an denen sich die Kämpfe der Arbeiter entzündeten. Herrschaft und Ausbeutung müssen durch neue Mythen wieder verschleiert werden: da die Willkür der Meister, was Arbeit und Lohn betrifft, als Willkür und Herrschaft des Kapitals deutlich wurden, entwickelten Taylor & Co. eine neue Form der Willkür des Kapitals, die eine allgemeine und objektive Gestalt annimmt: die wissenschaftliche Bestimmung der Tätigkeiten und der davon abgeleiteten Löhne. Das Meistersystem selbst wird dementsprechend funktional zergliedert (siehe A. Ebbinghaus S. 60). Natürlich bleibt dies die Willkür des Kapitals, aber sie ist nicht mehr an persönlichen Entscheidungen festzumachen (die Tendenz zur Standardisierung von Zeiten zur Normierung von Akkordgrößen hat es - gerade in Deutschland - schon viel früher gegeben, Taylor entwickelt dies nur zu einer umfassenden Philosophie). Diese Vorschläge und Experimente (mehr ist das zunächst nicht) zur Lösung des »Integrationsproblems« setzten an der allgemeinen Struktur der Fetischproduktion an. Indem die Arbeitstätigkeiten scheinbar ganz vom Kapital zusammengesetzt und bestimmt werden, ohne jeden Rückgriff auf überlieferte Erfahrung und Geschick, scheint diese Produktivität allein dem Kapital zu gehören, die Arbeiter müssen sich diesen »Anweisungen« ja nur unterwerfen und anpassen. Dieser Kapitalfetisch läßt verschwinden, daß die »Anpassung«, d.h. die Fähigkeit, die vorgegebenen Tätigkeiten auszuführen, die Zeiten zu erfüllen oder mit den Maschinen zurecht zu kommen, die neue Kreativität und Qualifikation darstellt, auf die das Kapital angewiesen ist. Die Vorstellung, der Arbeiter werde dadurch zur Maschine oder bloßen »Störgröße« (Ebbinghaus S. 59) ist in der Tat das Bewußtsein, das dieser Kapitalfetisch bei den Arbeitern provozieren soll (politische Dequalifikation!).

In gleicher Weise wird der Lohnfetisch weiterentwickelt, dessen bestimmte historische Form zusammengebrochen war. Diese Form des Lohnfetischs beruht auf dem individuellen Vertrag zwischen Arbeiter und Kapitalist, der zwischen zwei Individuen ausgehandelt wurde. Die Mechanisierung der Produktion hatte diesem Vertragsmythos die Basis entzogen: »Ganz offenbar ist das individuelle Lohn-Aushandeln in der Maschinenindustrie praktisch unmöglich und würde den reibungslosen Ablauf der Arbeit genauso wie die Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Teilbereichen der Industrie stören, die doch für ihr zufriedenstellendes Funktionieren unentbehrlich sind« (Lewis, a.a.O. S. 116 [PDF, S. 37]). Und Lewis sieht ganz genau, welche Bedeutung der Zusammenbruch dieses Fetischs für den Klassenkampf hat: »Verschwindet die Vorstellung eines Vertrages, bleiben - ohne weitere Illusionen oder Vernebelungen - zwei Klassen übrig, die miteinander um den Besitz des Produkts ringen. Ist das einmal ins Bewußtsein des Arbeiters gedrungen, wird sich sein Standpunkt schlagartig ändern. Er wird sich nicht länger als Individuum begreifen, das mit einem anderen Individuum verhandelt und dabei in bestimmte Rechtskonzeptionen und vorgegebene Einschränkungen seiner Position gegenüber dem anderen Individuum eingebunden ist. Er sieht sich im Gegenteil als Mitglied einer Gruppe, die im Kampf steht ...« (ebd., S. 159 [PDF, S. 60f.). Aber Lewis täuscht sich darüber, welche Möglichkeiten dem Kapital zur Entwicklung eines neuen Lohnfetischs, der ja im Kern die Illusion beinhaltet, die Arbeit werde bezahlt, gegeben sind.

Mit der wissenschaftlichen, das heißt objektiven und verallgemeinerbaren Bestimmung von Akkord oder Prämie wird das im Tauschakt enthaltene Versprechen »Verkauf der Arbeit« wieder eingelöst. Trotz der allgemeinen Durchsetzung von Kollektivverhandlungen (siehe Lewis, S. 116 [PDF, S. 37]) kann so der Lohnfetisch wieder wirksam werden. Denn bei der wissenschaftlichen Lohnbestimmung geht es nicht um das Lohnniveau, dies kann durchaus gewerkschaftlichen Kämpfen und Verhandlungen unterworfen bleiben. Der Versuch, durch die neuen Formen der Lohnbestimmung die Gewerkschaften für überflüssig zu erklären oder gegen alle kollektiven Zusammenschlüsse vorzugehen, ist einer der Gründe für das unmittelbare Scheitern Taylors. Die objektivierte Lohnbestimmung zielt gerade auf die individuelle Differenzierung der Löhne (vom Akkord bis zur analytischen Arbeitsplatzbewertung), um damit die Illusion eines privaten Austauschverhältnisses zum Kapital trotz kollektiver Verhandlungen zu befestigen. In der konkreten Konfliktualität mit der Meisterherrschaft versprach diese wissenschaftliche Lohnbestimmung den Arbeitern zudem die Überwindung von Willkür und Korruption.

Soweit setzen diese Arbeitswissenschaftler tatsächlich an den entscheidenden Punkten an, um die Arbeiter effektiver in ihre eigene Ausbeutung zu integrieren. Unmittelbar scheiterten sie allerdings; die konkrete, von Taylor entwickelte Managementpraxis setzte sich in den USA nicht durch [siehe hierzu Richard Edwards, a.a.O.]. Zum einen, weil die Arbeitsanweisungen des Kapitals noch keine dingliche, fixe Gestalt annahmen (wie später im Fließband - und das Kapital konnte nicht neben jeden Arbeiter einen kleinen Taylor stellen, der Anweisungen gab, wie Taylor es mit seinem Musterarbeiter Schmidt gemacht hatte!), zum anderen, weil sie selbst noch als Meister auftraten, die den Arbeitern ein neues System aufzwingen wollten. Obwohl sie ständig die Wichtigkeit des Konsens, die Bedeutung der Mitwirkung der Arbeiter, betonten, schufen sie selbst neue Konfliktpunkte und führten damit ihre Versuche ad absurdum. Aber im weiteren Prozeß der bürokratischen Regelung und Institutionalisierung des unmittelbaren Produktionsprozesses nutzte das Kapital diese ersten Versuche. In dem Maße, wie die Produktionsmaschinerie durch eine bürokratische Maschinerie, die detaillierte und objektivierte Reglementierung der Herrschaftsstruktur ergänzt wurde und die Gewerkschaften - getrennt vom unmittelbaren Produktionsprozeß - in Akkordkommissionen usw. am »scientific management« beteiligt wurden, konnten die Taylor'schen Überlegungen ihre Wirksamkeit entfalten. In diesem Sinne mag man heute von »Taylorismus« sprechen.

 

Fortsetzung: 2. Teil in KSZ/wildcat Nr. 34, zur "Humanisierung der Arbeit" in den 70er Jahren als Zersetzung und Neuzusammensetzung der Klasse.


Fußnoten:

[1] Den Widerspruch in der Arbeit selbst zu sehen und von daher den Klassenkampf als Kampf gegen die Arbeit zu begreifen, ist der zentrale Ausgangspunkt revolutionärer Theorie. Darin unterscheidet sie sich auch von den diversen Bemängelungen der kapitalistischen Gesellschaft. Die reformistischen Theoreme lamentieren über die ungerechten Verteilungsverhältnisse - entweder des Reichtums oder wie stets zu Zeiten von Arbeitslosigkeit, der Arbeit. Eine andere Variante ist die Empörung über die Monotonie und Stupidität der Arbeit im Kapitalismus, die Klage über die Zerstörung von Subjektivität und Persönlichkeit. Dem wird dann das Abziehbild einer humanen und sinnvollen Arbeit gegenübergestellt. Während der Reformismus so für Verteilungsgerechtigkeit streitet, um die Produktionsweise und den Arbeitszwang des Kapitals um so besser zu legitimieren, durchsetzen zu können, führt die zweite Position zum »Kampf um die Arbeitsfreude« oder - wie's heute heißt - zur »Humanisierung des Arbeit«. Obwohl hier zunächst auch eine Kritik an der Arbeit geführt wird, schlägt diese Kritik in Motivationsstrategien des Kapitals um, mit denen die Arbeiter zu gesteigerter Beteiligung an ihrer eigenen Ausbeutung getrieben werden sollen. Welche Verdienste sich auf diesem Feld gerade die »linke« Arbeitswissenschaft erworben hat, wollen wir in einem 2. Teil in der nächsten Nummer der SZ zeigen.

[2] Die Entwicklung dieser Methoden bezeichnen wir als »reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital« - im Unterschied zur formellem Subsumtion, die schon im Verkauf der Arbeitskraft an den Kapitalisten enthalten ist. In der Entwicklung der reellen Subsumtion, die Marx in den Kapiteln »Kooperation«, »Teilung der Arbeit und Manufaktur« und »Maschinerie und große Industrie« [in Band 1 des Kapital] untersucht, geht das Kapital zunächst von der vorgefundenen Arbeitsweise aus, kombiniert und zerlegt diese und gestaltet den Produktionsprozeß schließlich ohne alle Rücksichtnahme auf die vorgefundenen Fähigkeiten und Arbeitsweisen. Es entwickelt so die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, aber dergestalt, daß sie jedem einzelnen Arbeiter gegenüber als fremde Macht erscheint.

[3] Austin Lewis hatte diesen Prozeß konkret vor Augen und erkannte darin die Macht der Maschinenarbeiter, denen bis dahin als ungelernten und mobilen Arbeitskräften die Fähigkeit und Möglichkeit des Kampfes abgesprochen worden war: »Die Unternehmer kaufen die Arbeitskraft en gros ... ohne Rücksicht auf individuelle Qualitäten der einzelnen lebenden Gefäße jenes Vermögens, die erst in der Summierung die erforderliche Arbeitskraft bilden« (Wobblies, Bd. 2, S. 130 [Fassung im Internet, Das militante Proletariat, S. 45]).

[4] Wir wollen damit nicht in das alte Mißverständnis abgleiten, in der kapitalistischen Fabrik entstehe bereits die kollektive Subjektivität, wachse gewissermaßen automatisch die Basis kkommunistischer Gesellschaft heran. Das Bestreben, unmittelbar und positiv an der Vergesellschaftungsform des Kapitals anzuknüpfen, beherrschte die gesamte II. und II. Internationale, die damit einer revolutionären Umwälzung der Produktionsverhältnisse im Wege stand: »So wie heute in einem großen industriellen Unternehmen Produktion und Lohnauszahlung wohl überdacht und planmäßig geordnet sind, so wird dies auch in einer sozialistischen Gesellschaft der Fall sein müssen, sie ist nichts als ein einziger, riesiger industrieller Betrieb« (Kautsky).

[5] Es kennzeichnet die schwammige Benutzung der Begriffs »Taylorismus« für alles, was an der Arbeit als kapitalistischer Zwang gesehen wird, wenn Gisela Bock im Streik von 1919 den »Arbeiter der taylorisierten Massenproduktion« ausmacht ([G. Bock, Die andere Arbeiterbewegung in den USA von 1909-1922. Die Industrial Workers of the World, Trikont München 1976], S. 162) - mit den Taylorschen Prinzipien hatte die Struktur bei U.S. Steel wenig zu tun, auch wenn es mechanisierte Massenproduktion war. [Zur Darstellung des Taylorismus als reale Managementpraxis und seinem historischen Scheitern - im Unterschied zum Taylorismus als Managementtheorie - siehe: Richard Edwards, Herrschaft im modernen Produktionsprozeß, Frankfurt/New York 1981.]


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