Taylors Alpträume
2. Teil
Im ersten Teil des Artikels haben wir gezeigt, daß es Taylor und seiner Bande nicht darum ging, aus den Arbeitern dressierte Affen zu machen, sondern darum, die Arbeiter zur Beteiligung an der Organisation ihrer eigenen Ausbeutung zu bewegen. Er hatte erkannt, daß die alten Hierarchien in der Fabrik und die Methoden zur Anstachelung der Arbeiter ihre Wirksamkeit einbüßten, und versuchte davon ausgehend, neue, »progressive« Formen der Arbeitsgestaltung und Betriebsleitung zu entwickeln. Seine Konzepte einer stärker funktional gegliederten Hierarchie, einer objektivierten Arbeitsgestaltung und »gerechteren«, da meß- und objektivierbaren Entlohnungsgrundlage, griffen einzelne Momente aus der damaligen Arbeiterkritik auf. Und zwar in einer Weise, die es dem Kapital ermöglichen sollte, die Auflehnung der Arbeiter gegen die Ausbeutungsverhältnisse im Produktionsprozeß selbst noch »zu einem Mechanismus der Modernisierung und Verwirklichung seines Käfigs« zu machen (Alquati, in: Thekla 5, S. 75 [Organische Zusammensetzung des Kapitals und Arbeitskraft bei Olivetti, PDF, S. 32]).
In vergleichbarer Weise sind die Arbeitswissenschaften auch nach den Fabrikrevolten der 60er und Anfang der 70er Jahre wieder »progressiv« geworden. Das Kapital war und ist gezwungen, neben der repressiven Niederschlagung dieser Revolten, sich mit dem neuen Arbeiterverhalten auseinanderzusetzen, einzelne Momente aus ihm aufzugreifen und in einen Motor der Produktivität zu verwandeln. »Linke« Arbeitswissenschaftler übernahmen dabei zum Teil eine ähnliche Rolle wie Taylor damals, indem sie Konzepte und Experimente zur erneuten Integration der Arbeiter in den Verwertungsprozeß entwickelten, die das Kapital auf breiter Ebene zunächst kalt ließen. Das »progressive« Management konnte aber an diesen Erfahrungen anknüpfen und tut dies insbesondere im Zusammenhang mit der Umstrukturierung, die landläufig als neue »industrielle Revolution« bezeichnet wird. Daß die Linke dieser erneuten Integration in den kapitalistischen Verwertungsprozeß derart hilflos bzw. mitmachend gegenüber stand, beruhte zumindestens theoretisch auf der mystifizierten Auffassung vom Taylorismus, wie sie im 1. Teil kritisiert haben. Selbst in den Schriften der »Proletarischen Front« finden wir nur die Kritik an der »stumpfsinnigen und geisttötenden Arbeitsqual« und die Auffassung, die Mehrwertproduktion brauche den Arbeiter als »hirnloses und beschränktes Anhängel der mechanisierten Produktion« (Arbeiterkampf in Deutschland, PF 10 [Trikont Verlag München 1973]). Den Linken erschien die damalige Mehrwertabpressung in den Montagezentren, die sie als »tayloristisch« charakterisierten, als die Form kapitalistischer Ausbeutung schlechthin - und dementsprechend verunsichert reagierten sie auf die neuen Formen der Arbeitsorganisation. Bis hin zum heutigen Endpunkt, wo sich ehemals sozialistische Theoretiker damit abmühen, uns die neuesten Errungenschaften des Managements als »Weg ins Paradies« zu verkaufen.
Diese Kritikform, die mit dem Maßstab einer individuellen Subjektivität arbeitet (siehe Teil 1), beinhaltet immer die Möglichkeit fürs Kapital, sie für eine Neuzusammensetzung nutzbar zu machen.
Einen ähnlichen Mechanismus finden wir auch in der Fabrik, indem das Kapital versucht, den einzelnen Arbeiter und seine Kritik aus dem kollektiven Klassenzusammenhang und damit aus der Revolte herauszulösen.
Um dies zu verdeutlichen können wir zwei Formen von Arbeiterkritik an ihren Tätigkeiten gegenüberstellen, die sich im realen Arbeiterverhalten durchaus vermischen: Wenn ein einzelner Arbeiter sich bei seinem Meister über den Stumpfsinn und die Langeweile etc. seiner Arbeit beschwert, zeigt das dem Kapital unter Umständen, daß er bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen. Insbesondere dann, wenn er bereits praktisch mehr Verantwortung übernimmt. Der gesamte Produktionsprozeß lebt davon, daß die Arbeiter über die ihnen unmittelbar zugewiesenen Tätigkeiten hinaus sich auch um andere Sachen kümmern; und gerade auf diesem Feld können die Meister ausloten, welche Konsequenzen der Arbeiter aus seiner Kritik an der Arbeit zieht. Übernimmt er hier Verantwortung - womit er die Arbeit auch für sich selbst interessanter zu machen versucht -, so distanziert er sich damit nicht von der Arbeit selbst, sondern von den anderen Arbeitern; er wird selbst für eine Leitungsfunktion brauchbar.
Ganz anders verhält es sich, wenn der Arbeiter sich über die Abwälzung weiterer Aufgaben und Funktionen im Produktionsprozeß auf ihn beschwert und damit ausdrückt, daß er nicht bereit ist, noch mehr Verantwortung für die Produktion zu übernehmen; wenn er damit ausdrückt, daß es ihm scheißegal ist, ob der Produktionsprozeß durch vor- und nachgelagerte Fehler ins Stocken gerät oder zu geringerer Qualität führt. Für das Management ist das bereits ein Ansatz von »Arbeitsverweigerung«, hieran kann es nicht bei der Integration des Arbeiters in den Verwertungsprozeß ansetzen. Es kann nur versuchen, dieses Arbeiterverhalten durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen zu neutralisieren, bzw. unwirksam zu machen.
In den Fabrikrevolten vermischen sich zum Teil beide Kritikformen und sie artikulieren sich nicht gegensätzlich. Die Forderung nach mehr Beteiligung und Mitbestimmung in der Produktion wurde auf dem Hintergrund der massiven Verweigerungshaltung in den Montagezentren vorgetragen. Dem Kapital kam es daher darauf an, die verschiedenen Formen der Arbeiterkritik aus dem Zusammenhang der Revolte und gegeneinander zu isolieren, um entweder ihre politische Wirksamkeit ausschalten zu können oder sie für die Produktivität funktionieren zu lassen. Die Versuche mit neuen Formen der Arbeitsorganisation zielen daher auf eine neue Spaltung der Klasse, die eine politische Artikulation der Arbeiterkritik unterbindet. Das verbirgt sich gerade hinter dem Titel »Humanisierung«, unter dem die Entwicklung neuer Arbeitsstrukturen als reformistische Strategie zur Verbesserung der »Arbeitswelt« insgesamt dargestellt wurde. Richtig an dem Begriff »Humanisierung« ist nur, daß sie den Versuch des Managements darstellt, das mystifizierende Humanitätsideal des »freien, mündigen Bürger« in der Fabrik zur Zerschlagung des Klassenbewußtseins einzusetzen!
Die neue Einverleibung der lebendigen Arbeit unter dem Titel ihrer »Humanisierung«
Es geht uns nicht um einen weiteren Aufguß der Humanisierungsdebatte, die heute keinen mehr hinter dem Ofen vorlockt. Selbst bei den Gewerkschaftern und Reformisten ist es um ihr früheres Lieblingskind still geworden. Dabei beginnen die Erfahrungen aus den Humanisierungsexperimenten erst gerade für die Neugestaltung der Klassenbeziehungen wichtig zu werden.
Für des Kapital waren die vereinzelnen Umstrukturierungen in der Arbeitsorganisation - die sich unter dem Titel »Humanisierung« öffentlich wirksam darstellen ließen und später auch staatliche Subventionen einbrachten [1] - in erster Linie Experimente, um herauszufinden, wie sich die verschiedenen Formen von Arbeiterkritik aufspalten und integrieren ließen. Diese Experimente standen von vornherein in dem Dilemma, einerseits mit ihnen die Fähigkeiten und die Kreativität der Arbeiter besser nutzen zu wollen, andererseits verhindern zu müssen, daß die »Aufwertung« der lebendigen Arbeit und die weitere Abwälzung von Verantwortung bei den Arbeitern mit einem neuen Bewußtsein ihrer Macht verbunden ist, das sie antagonistisch ausdrücken. Nur in dem Maße, wie sich das Kapital der Verfügbarkeit (Disponibilität) der Arbeiter für den Verwertungsprozeß sicher ist, kann es auf die Fähigkeiten der Arbeiter im weiteren Rahmen zurückgreifen. Einzelne Experimente mit neuen Arbeitsstrukturen sind daher auch für das Kapital zunächst gescheitert, da sie einem proletarischen Gebrauch anheim fielen. Wo die Investitionen für neue Arbeitsstrukturen durch staatliche Gelder finanziert wurden, konnte das Kapital diese Versuche nach Auslaufen der Förderung ohne Verluste wieder einstampfen - z.B. die Gruppenmontage bei einigen Automobilfirmen.
Trotzdem waren diese Experimente kein blindes Umhertappen des Managements. Wie genau die kapitalistischen Planer den Zusammenhang von Arbeitsgestaltung und Klassenzusammensetzung im Blick hatten, wollen wir an einer Studie zu neuen Arbeitsstrukturen bei Bosch aufzeigen, die sich in wesentlichen Aussagen auf die Untersuchung von Betrieben in einem industriellen Ballungsraum aus dem Jahr 1975 stützt. [2]
Klassenzusammensetzung und Arbeitsmarkt
Die Bosch-Arbeitswissenschaftler gehen von einem »Anpassungsprozeß der betrieblichen Organisation der Arbeit an den Arbeitsmarkt« aus. Das »Arbeitsmarktproblem« besteht für sie darin, daß die Arbeit in der Industrie »unattraktiv« geworden ist. In dem untersuchten Zeitraum 1964 bis 1974 gelingt es den Industriebetrieben kaum noch, »männliche gewerbliche Arbeitnehmer« zur »Regenerierung des Mitarbeiterstamms« dauerhaft zu rekrutieren. Aber auch die in die Industriebetriebe reingedrückten Arbeitsimmigranten versuchen, sich im Zusammenhang mit ihrer Integration der industriellen Arbeit zu entziehen Diese Entwicklung stellen die Arbeitswissenschaftler in folgendem Schaubild dar:
Nicht zufällig liegt der Schnittpunkt zwischen Attraktivitätskurve und der Erwartungskurve der integrierten Ausländer im Jahr 1973, dem Jahr der spontanen Fabrikkämpfe der ausländischen Massenarbeiter in der BRD. [3] Womit auch deutlich wird, was hier mit »Attraktivität« gemeint ist: die Fähigkeit des Kapitals, eine bestimmte Fraktion der Arbeiterklasse seiner Ausbeutungsorganisation unterwerfen zu können.
Diese Skizze zeigt schon, daß es dem Kapital ganz bewußt um die Klassenzusammensetzung geht. Hier wird nicht - wie so oft bei Humanisierungstheoretikern - über »die Arbeit« und »die Arbeiter« geschwafelt, sondern es werden das Verhalten bestimmter Fraktionen der Arbeiterklasse und die verschiedenen Probleme ihrer Integration in den Verwertungsprozeß untersucht. In ihrer Einleitung berichten sie daher auch von einer »Vielzahl an Experimenten, mit zum Teil gegenläufigen Tendenzen, z.B. einer Favorisierung der Gruppenarbeit auf der einen Seite und einer Betonung der Einzelarbeitsplätze auf der anderen Seite«, ohne eine bestimmte Form der Arbeitsorganisation als »die« richtige hinzustellen. Vielmehr betonen sie, daß es um eine »zielgruppenbezogene Arbeitsgestaltung« geht, um die Schaffung eines »differenzierten Angebots an Arbeit«. Damit löst sich auch der oberflächliche Schein auf, das Kapital reagiere auf einen veränderten Arbeitsmarkt. Die technische Zusammensetzung der Arbeiterklasse, vor allem in den Montagezentren, wo das Kapital zehntausende von Arbeitern zusammenballte und einer gleichförmigen Arbeitsorganisation unterwarf, war zur Basis der Fabrikrevolten und eines rigiden, gegen die Ausbeutung gerichteten Arbeiterverhaltens geworden. Diese Klassenzusammensetzung soll nun durch die Aufspaltung der Arbeitsstrukturen im Produktionsprozeß umgewälzt werden. So wird in einem Bericht über ein Experiment mit neuen Arbeitsstrukturen bei Opel Rüsselsheim die Konsequenz gezogen: »Die Erkenntnis, daß offensichtlich nicht alle Mitarbeiter im gleichen Umfang die neuen Entfaltungsspielräume ausschöpfen möchten, hat bei Opel verstärkt zu der Überzeugung geführt, daß eine weitere Differenzierung von Arbeitsplätzen angestrebt werden soll« (ebenfalls im RKW-Band, S. 279). Von dieser Umstrukturierung der Produktion ausgehend, werden dann verschiedenen Arbeitsstrukturen und Produktionsabschnitten so genannte »Zielgruppen auf dem Arbeitsmarkt« zugewiesen. (die Hausfrau Sabine Müller erscheint eben nicht von Natur aus auf dem Arbeitsmarkt als Teilzeitkraft oder Heimarbeiterin, sondern wird von der Ausbeutungspolitik des Kapitals dazu gemacht!)
Die von den Bosch-Wissenschaftlern angeführte Auflistung dieser »Zielgruppen«, die die neue Aufspaltung des Arbeitsmarktes verdeutlichen soll, markiert bereits das ganze Spektrum von neuen Ausbeutungsformen, das wir bereits in früheren Nummern der Stadtzeitung als »Prekarisierung« dargestellt haben: [4]
»- ansässige ausländische Arbeitnehmer,
- Schulabgänger,
- Hausfrauen nach der Familientrennung für Teilzeitarbeit oder als Heimarbeiterinnen,
- im Heimatland angeworbene ausländische Arbeitnehmer,
- mobile ausländische Arbeitnehmer,
- durch Strukturwandel freigesetzte Arbeitnehmer.«Bei ihrer abschließenden personalpolitischen Zielvorstellung veranschaulichen die Arbeitswissenschaftler ihre Perspektive einer neuen Klassenzusammensetzung in einem Schaubild, mit der Bemerkung: »Durch das Erschließen der Reserven des inländischen Arbeitsmarktes sollte man auf mobile ausländische Arbeitskräfte nicht mehr angewiesen sein.«
Nochmal zusammenfassend: In den Fabrikkämpfen Anfang der 70er Jahre hatte die Arbeiterklasse begonnen, sich über rassistische Spaltungslinien des Kapitals hinwegzusetzen und die geplante Rotation der Arbeitsimmigranten brach seit Ende der 60er Jahre zusammen, weil die ausländischen Arbeiter ihr Bedürfnis nach Leben hier durch Nachzug der Familie, Auszug aus den Arbeiterwohnheimen etc. einlösten. Die Politik des Kapitals ist daher darauf gerichtet, die Arbeitskraft neu zu spalten und dem Massenarbeiter durch die Aufspaltung der Produktionsabschnitte seine Basis zu entziehen.
Die neuen Arbeitsstrukturen: Qualifikation und die Zerstückelung der Arbeit
Die hier exemplarisch an den Vorschlägen der Bosch-Studie untersuchten neuen Arbeitsstrukturen sollen zum einen die Konfliktualität und die Verweigerungshaltung des Massenarbeiters ins Leere laufen lassen. Gleichzeitig sollen sie dem Kapital ermöglichen, stärker auf die produktiven Fähigkeiten der Arbeiter zurückgreifen zu können und ihnen die Verantwortung und Organisation ihrer Ausbeutung aufzuhalsen.
Bei der folgenden Darstellung dieser neuen Strukturen müssen wir im Auge behalten, daß sie als Spaltungsinstrument immer nur bestimmten Teilen der Klasse zugewiesen werden sollen. Ihre Wirksamkeit besteht darin, daß sie neben anderen, beibehaltenen oder auch neu entwickelten Formen der Arbeitsorganisation existieren, die z.B. dem Arbeiter eine noch höhere Taktbindung als Fließbandarbeit aufzwingen. Die Technik der gezielten Verteilung des vorhandenen Arbeitskraftpotentials auf die verschiedenen Arbeitsstrukturen wurde daher konsequenterweise auch als »Humanisierungsmaßnahme« entwickelt: Bei Audi-NSU wurde ein Personalinformationssystem unter Einbeziehung eines werksärztlichen Informationssystem aufgebaut, das durch die Einlösung des Grundsatzes »der richtige Mann am richtigen Platz« einen »Schritt in Richtung einer humaneren Arbeitswelt« darstellen soll!
Die neuen Arbeitstrukturen in den Montagezentren sind zunächst Puffer, die zwischen die verschiedenen Schritte der Fließfertigung geschaltet werden, um die einzelnen Montageschritte im zeitlichen Ablauf voneinander unabhängig zu machen. Statt dem klassischen Fließband werden Umlaufsysteme eingerichtet, bei denen jeder Arbeiter die einzelnen Montageschritte ausführen kann. Einzelne Montage- oder Fertigungsabschnitte werden von kleinen Arbeitsgruppen ausgeführt - diese Struktur wird auch als Montageinsel oder Montagenest bezeichnet. Entsprechend zu dieser Gruppenstruktur soll auch das Produkt aus einzelnen Bausteinen zusammengesetzt werden, so daß jede Gruppe einen Baustein komplett montieren und auf Qualität prüfen kann. Bei Fiat in Italien wurden z.B. folgende Umstrukturierungen eingeleitet:
- »die Aufgliederung der Gesamtmontage in Vor- und Endmontage,
- die Verkürzung langer Montagelinien durch die Parallelschaltung mehrerer Bänder,
- die Einrichtung von festen Arbeitslinien für einen Komplex von Montageoperationen,
- die Aufgabe von Kreisförderern zugunsten fester Arbeitsstationen.« [5]
Unmittelbar zielen diese Arbeitsstrukturen auf die Ausschaltung und Neutralisierung des Kampf- und Verweigerungsverhaltens der Massenarbeiter. Dazu führen die Bosch-Wissenschaftler aus: Mit den neuen Strukturen wird der Einfluß von Fluktuation und Absentismus auf die Profitabilität eingeschränkt, denn »der Betrieb wird unabhängiger von der Anwesenheit der Arbeitskräfte. Beim herkömmlichen Fließband verursacht schon die Abwesenheit einer Arbeitskraft Schwierigkeiten. Beim Umlaufsystem 'behindern' sich die Arbeitskräfte durch Abwesenheit nicht. Wer anwesend ist kann (und muß d.V.) arbeiten.« Und die Kampfformen, bei denen ausgehend von Streiks, Sabotage etc. in einzelnen Abteilungen das gesamte Betriebssystem lahmgelegt wurde, verlieren ihre Wirksamkeit: »Die technisch-organisatorische Auslegung der Arbeitssysteme wird so flexibel, daß sich Unterbrechungen im Ablauf (Störungen) nicht fortpflanzen, sondern verebben bzw. eliminiert werden.« Diese Arbeitssysteme dämmen aber nicht nur die selbstbestimmte Mobilität der Arbeiter ein, sie ermöglichen es nun dem Kapital, seinerseits flexibel mit den Arbeitskräften umzugehen und einer an seiner Verwertung orientierten Mobilität zu unterwerfen: »Entsprechend der Liefersituation bei einzelnen Erzeugnissen kann am Umlaufsystem die personelle Kapazität variiert werden ... Reduzierte Stückzahlen lassen sich ohne Umstellung der Einrichtungen und ohne Umtaktungen fertigen. Die personelle Kapazität kann entsprechend den Auftragsbeständen schrittweise auf- beziehungsweise abgebaut werden.« [6]
Dies ist die eine Seite: Ausschaltung von Kampfmöglichkeiten, Isolierung der Arbeiter gegeneinander, Zersetzung bisheriger Kampfstrukturen. Dieser gesamte Prozeß der Zersetzung und Dezentralisierung ist unmittelbar repressiv, setzt den ökonomischen Druck der Lohnsklaverei mit neuen Beschäftigungsformen, Arbeitslosigkeit und Weltmarktkonkurrenz gegen die Arbeiter durch. Aber an die Seite dieser Repression muß das Kapital auch neue Formen der Integration, der Anerkennung des Kapitalverhältnisses durch die Arbeiter setzen. Bei allen Redeweisen wie »Zersetzung der Klasse« etc. sollten wir daher auch klarhaben: Zersetzung heißt immer Neu-Zusammen-Setzung und zwar soziale Neuzusammensetzung. [7] Das Kapital zielt nicht auf die Zerschlagung von sozialen Zusammenhängen unter den Arbeitern schlechthin, sondern auf eine produktive Kooperation der Arbeiter in der Fabrik untereinander, die ausschließlich für den Verwertungsprozeß funktioniert. Dazu muß erstens die Bindung der Ausgebeuteten an die Arbeit - in differenzierter Weise - neu befestigt und zweitens die produktive Kooperation in vom Kapital kontrollierten Formen neu aufgebaut werden.
1. Die subjektive Anbindung an die Arbeit erörtern die Bosch-Wissenschaftler, indem sie eine »personelle« von einer »technischen Produktivität der Arbeitskraft« abgrenzen und die Entwicklung der ersteren eigenständig betrachten. Dahinter steckt das reale Problem, daß das bisherige technische Instrumentarium der Montagezentren, das Fließband, das produktive Verhalten der Arbeiter nicht mehr sichert.
Schon unter den Bedingungen der Fließbandproduktion waren den Arbeitern immer mehr Funktionen der Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses und damit für die Organisation ihrer eigenen Ausbeutung übertragen worden. Und um diese weiteren Funktionen erfüllen zu können, sind sie gezwungen, über die einzelne, ihnen als Maschinenanhängsel zugewiesene Arbeit hinauszugehen und Dinge zu tun, zu denen sie nicht verpflichtet sind. Diese Widersprüchlichkeit zwischen der den Arbeitern faktisch übertragenen Verantwortung und ihrer gleichzeitigen Atomisierung, ihrer starren Ankettung an den Maschinenakt, versuchen die Arbeitswissenschaftler nach den Massenarbeiterrevolten bewußt aufzugreifen: »Die Artteilung führt bei manuell ausgeführten Prozessen zu einem höheren Einübungsgrad der Arbeitskraft aufgrund der Arbeitsteilung und damit zu einer höheren 'technischen' Produktivität der Arbeitskraft. Wird der Einsatz einer Arbeitskraft aber nur unter diesem Gesichtspunkt gesehen, werden die Ressourcen der Arbeitskraft nicht erschlossen; die sogenannte personelle Produktivität bleibt zurück« (Bosch-Studie).
Um diese personelle Produktivität gezielter mobilisieren zu können, betonen die Bosch-Wissenschaftler den Unterschied zwischen technischen Abläufen und lebendiger Arbeit: während technische Abläufe seriell, algorithmisch vonstatten gehen, weist die Arbeit eine »ganzheitliche innere Organisation« auf. Nachdem die Subjektivität der Arbeiter dem Kapital gegenüber antagonistisch aufgetreten ist, muß es sich nun darauf konzentrieren, diese Subjektivität wieder in den Verwertungsprozeß zu integrieren. Die Einsicht, dass sich diese Subjektivität allein mit Refa-Stoppuhren und Bewegungsaufnahmen nicht fassen und instrumentalisieren läßt, steckt hinter ihrer Forderung nach einer Weiterentwicklung der Arbeitswissenschaften. Hinter der ganzen Debatte um »sinnvolle Arbeit« und Humanisierung steckt das dem Kapital auf den Nägeln brennende Problem, wie die Arbeiter dazu gebracht werden können, die Organisation ihrer eigenen Verwertungsarbeit zu übernehmen: »Inhaltlich wird die Arbeit dann, wenn die Arbeitskraft in der Arbeit einen Sinnzusammenhang erkennt und sich die Ausführung zur Aufgabe machen kann.« (Bosch-Studie)
Zur Entwicklung der personellen Produktivität fordern die Arbeitswissenschaftler eine »Entkopplung« der Arbeit vom technischen Produktionszusammenhang. Diese Redeweise ist bereits mystifizierend, denn konkret geht es ihnen um die Entkopplung von der Taktgebundenheit der Arbeit in der Fließfertigung, um so technisch-organisatorische Voraussetzungen für neue soziale Strukturen in de Fabrik zu schaffen (s.u. Gruppenarbeit) und um einen größeren Spielraum für die Organisation der Ausbeutung durch die Arbeiter selbst zu schaffen. In diesem Sinne hat die »Entkopplung« auch experimentellen Charakter, da sie das Beteiligungspotential bei den Arbeitern auslotet - und daher auch von vornherein selektiv, auf bestimmte Arbeitergruppen zielend eingesetzt wurde.
Diese spezifische Entkopplung vom Fließband als technischem Zusammenhang der Fabrik enthält zugleich eine neue »Zerstückelung« der Arbeit - allerdings eine ganz andere als die von der üblichen Taylorismuskritik angesprochene. Zerstückelt wird hier der produktive Gesamtarbeiter, der seine Kooperation gerade entlang der Linie des Fließbandes erkannt hatte. Er hatte die Mystifizierung durchbrochen, nach der erst durch den technischen Zusammenhang die Detailtätigkeiten der atomisierten Arbeiter zusammengebracht werden. An die Stelle der großen, zusammenhängenden Produktionslinien sollen daher nun die »Inseln«, »Nester« oder Gruppen treten, die in sich einen geschlossenen Produktionsgang durchführen und deren Verbindung zu den anderen Produktionsabschnitten in neuer Weise als »Wunder der Technik« verdeckt wird. Hinter der Redeweise von der »Entkopplung von Mensch und Technik« lauern bereits die neuen Informationstechnologien, die die Funktionen der Arbeiter für die Kooperation zwischen den verschiedenen Inseln mystifizieren und damit die lebendige Arbeit unter die Maschinerie subsumieren - ohne daß dadurch die Erweiterung des Tätigkeitsfelds und Qualifizierung der Arbeiter aufgegeben werden muß.
2. Natürlich bildet die Auflösung der Produktionslinien zugunsten der Produktionsinseln nur die technische Voraussetzung, um die solchermaßen isolierten Arbeiter zu neuen, besser kontrollierbaren Formen der Kooperation zu zwingen. Die Bosch-Studie appelliert an die Arbeitswissenschaftler, in ihre Planungen arbeitsorganisatorische Maßnahmen miteinzubeziehen; daß dadurch »Sozialsysteme beeinflußt, wenn nicht gar erst geschaffen werden«. Sie schlagen dann die Bildung »kleiner, überschaubarer Systeme« vor, wie sie sich bei Gruppenarbeit oder »Partnerarbeitsplätzen« ergeben. In den Großbetrieben war die Wirksamkeit der ständigen sozialen Kontrolle von den Arbeitern durchbrochen worden, und diese soll in festen Kleingruppen wieder wirksam werden: »Dort wo z.B. durch die räumliche Anordnung 'Blickkontakt' unter den 'Gliedern der Gruppe' (d.h. eine permanente wechselseitige Überwachung d.V.) möglich wird, liegen besonders günstige Voraussetzungen für Kommunikation und damit für Interaktion vor, die auch das Entstehen einer entsprechenden (d.h. antreibenden, d.V.) Arbeitsatmosphäre fördern.« (Bosch-Studie). In einem anderen Bericht über ein Gruppenexperiment in dem RKW-Band heißt es: »Hier wird eine Selbststeuerung der Gruppe angestrebt, indem die Verantwortung für die eigene Tätigkeit und deren Organisation auf die Beschäftigten verlagert wird«.
Umgekehrt sieht das Kapital aber auch die Möglichkeit, und wurde damit konfrontiert, daß die Arbeiter die neuen Gruppenstrukturen als Grundlage ihrer Kollektivität gegen die Mehrwertproduktion einsetzen. In vielen Fällen erwiesen sich Gruppenstrukturen auch als unproduktiver. Um solche Solidarisierungseffekte zu verhindern, sollen die Sozialstrukturen »nach oben offen sein«, um so den Mythos der individuellen Karriere im Rahmen von Gruppenstrukturen aufrecht zu erhalten. Entsprechend wird von den Bosch-Wissenschaftlern die Fähigkeit zur Kooperation als Durchgangsstufe auf dem Weg zum Kapo definiert: »Über das Prüfen der Erzeugnisse, das Umstellen der Einrichtungen, die Wahrnehmung dispositiver Fähigkeiten und der Kooperation führt der Weg zur Übernahme von Führungsaufgaben.« Eine reale Bestätigung kann der Karriere-Mythos gerade aufgrund der weiteren Abwälzung der Verantwortung für Produktion und Qualität auf die Arbeiter und der neuen Mobilität innerhalb der Fabrik erhalten: jede neue Funktion im Produktionsprozeß, die auf den Arbeiter abgewälzt wird, läßt sich als individueller Aufstieg verkaufen - was mit dem entsprechenden Aufbau einer neuen Lohnhierarchie verbunden sein muß. So sind auch die neuen Arbeitsstrukturen bei ihrer Einführung mit Lohnanreizen verbunden worden. In dem Bericht über VW heißt es: »Alle Arbeitnehmer erhofften sich durch die gestiegenen Anforderungen, die sie beim Zusammenbau eines ganzen Motors erfüllen müssen ... eine nachhaltige Verbesserung ihres Einkommens.«
Ähnlich setzte Fiat die neuen Arbeitsstrukturen durch: »Für die an den Experimenten beteiligten Arbeitnehmer sind zwei Vergünstigungen vereinbart worden:
- um ein besonders gutes Ergebnis zu erreichen, erhalten die in den Montageinseln beschäftigten Arbeitnehmer eine Sonderzahlung Sie wird nach den gleichen Grundsätzen und in gleicher Höhe gewährt wie in den entsprechenden Abteilungen mit Fließbandfertigung; und
- angesichts der durch die neue Form der Arbeitsgestaltung erzielten Anreicherung der beruflichen Fertigkeiten werden die in den Montageinseln eingesetzten Arbeitnehmer nach 30tägiger tatsächlicher Tätigkeit in Lohngruppe 3 umgestuft.
Dadurch dürfte die Bereitschaft, sich den Anforderungen eines neuen unbekannten Arbeitsverfahrens zu unterwerfen, gefördert werden.« (IfaA) Humanisierung der Arbeit als Unterwerfung unter neue Anforderungen - damit ist der Kern dieser Experimente deutlich bezeichnet.
... und wieder die alte Mystifizierung: Technik
Die neue Struktur der Arbeit und der produktiven Kooperation besitzt bei den rein arbeitsorganisatorischen Experimenten in den 70er Jahren noch einen zufälligen Charakter für die Arbeiter. Sie betrachten solche Maßnahmen als den neuesten Humanisierungsgag aus dem Management oder verweigern sich der Einbeziehung, da sie sich nicht noch mehr drangsalieren lassen wollen.
Unsere These ist, daß mit den neuen Technologien (computergesteuerte Bearbeitungs- und Montagemaschinen) die mit den Humanisierungsexperimenten angestrebte Beteiligung der Arbeiter an der Organisation der Verwertungsarbeit eine objektive Gestalt erhält, die diese Beteiligung und verwertungsorientierte Kooperationen der Arbeiter untereinander »sachlich« erfordert. Daher tauchen nun unter dem Begriff »quality circle« oder »Werkstattkreise« die Bemühungen aus den Humanisierungsexperimenten in einem scheinbar ganz neuen Zusammenhang wieder auf.
Die neuen Technologien entwickeln in gleichem Maße die Gesellschaftlichkeit der Arbeit wie sie diese Gesellschaftlichkeit als »technische Intelligenz«, »technische Kommunikation« etc. fetischisieren. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die die Arbeiter jeden Tag im Umgang mit diesen Technologien eingehen und damit selbst produzieren, treten ihnen als die fertige Gestalt der »automatisierten« Produktion des Kapitals gegenüber. Dies ist allgemein die Bedeutung der Maschinerie, der toten Arbeit im Kapitalismus: »In der Manufaktur ist die Gliederung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses rein subjektiv, Kombination von Detailarbeiten; im Maschinensystem besitzt die große Industrie einen ganz objektiven Produktionsorganismus, den der Arbeiter als fertige materielle Produktionsbedingung vorfindet. In der einfachen und selbst in der durch Teilung der Arbeit spezifizierten Kooperation erscheint die Verdrängung des vereinzelten Arbeiters durch den vergesellschafteten immer noch mehr oder minder zufällig. Die Maschinerie ... funktioniert nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsamer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte technische Notwendigkeit.« (Marx, Kapital Bd. 1, S. 407)
Ganz unmittelbar wird diese technische Mystifizierung, die dem Kapital eine selbstständige Produktivität andichtet, repressiv gegen die Arbeiter eingesetzt. Mit seinen Utopien der »menschenleeren Fabrik« proklamiert das Kapital die Überflüssigkeit der Arbeiter für seinen Verwertungsprozeß (worauf die IG-Metall mit einem neuen Programm Technik »Der Mensch muß bleiben« antwortet!) Wie soll auch die Automation durch Computer und Chips als eigene produktive Kooperation des Gesamtarbeiters erfahren werden, wenn diese Automation unmittelbar und ganz handfest einem Teil der Klasse als Raub an ihren Lebensbedingungen erscheinen muß.
Dabei ist sich das Kapital des wirklichen Problems, nämlich der Notwendigkeit einer erneuten Unterwerfung der Arbeiter unter seine Produktionsbedingungen, sehr wohl bewußt. Bezeichnend der zweiteilige Artikel über die »Fabrik der Zukunft« in der Wirtschaftswoche (Nr. 42 und 43/1984). Wird im ersten Teil lapidar erklärt: »Der Mensch ist überflüssig«, so besinnt er sich im zweiten Teil auf die realen Probleme: »Der Mensch wird zum Restfaktor, freilich zu einem nicht zu vernachlässigenden, immerhin hängt die Qualität der Produktion auch in einem flexiblen Fertigungssystem noch immer vom Mann an der Maschine ab. Er muß auf Besonderheiten des Fertigungsmaterials achten, um bei Bedarf in den Prozeß eingreifen. Er muß jede Störung des Ablaufes erkennen und ausschalten. Kommt er diesen Aufgaben nicht nach, sinkt die Nutzungszeit - und damit die Wirtschaftlichkeit des Systems. Je automatisierter - und damit teurer - also die Fertigung, desto höher die Bedeutung des Menschen.« Entsprechend wird in den einschlägigen Management-Zeitschriften auch seit einigen Jahren die Personalpolitik als der entscheidende Engpaß bei der weiteren Rationalisierung diskutiert. Neben der immer wieder auftauchenden Frage, wie die »Technik-Ängste« in der Belegschaft zu überwinden seien, geht es im Kern darum, wie die Arbeiter als eigentliche Träger der Rationalisierung gewonnen werden können.
Unsere Aufgabe kann es nicht sein, in die allgemeine Jammerei über die Überflüssigkeit der Arbeiter einzustimmen, sondern wir müssen die produktive Kooperation der Arbeiter in den neuen Produktionszusammenhängen entschlüsseln. Das Kapital setzt auf die Verbreitung der Chips quer durch alle Sektoren und Betriebsgrößen. Indem das Kapital so immer mehr Arbeiter seinem technologisch revolutioniertem Produktionsprozeß unterwirft, zwingt es sie zur produktiven Kooperation, obwohl es die sozialen Zusammenhänge zugleich und zur Zeit erfolgreich in die Automatisierungsinseln, Klitschen und Heimarbeit einzusperren sucht. Nur von dieser Widersprüchlichkeit aus werden die Arbeiter ein Bewußtsein ihrer antagonistischen Macht wiedergewinnen können. Untersuchungen, die vom Arbeiterstandpunkt her die Tätigkeit und die Kooperation der Arbeiter in den automatisierten Produktionszyklen untersuchen, gibt es nicht. Sie müssen ein zentraler Bestandteil unseres Projektes »militante Untersuchung« sein.
Fußnoten:
[1] Mit der staatlichen Förderung durch das Humanisierungsprogramm des BMFT wurde auch die Durchführung sozialwissenschaftlicher Begleitforschung finanziert. Diese drückt zwar nicht den Arbeiterstandpunkt gegenüber diesen Versuchen aus - schließlich ist das Interesse dieser Soziologen an der weiteren Durchführung solcher Maßnahmen schon ganz materiell gegeben! -, hat aber einen gewissen Überblick über die einzelnen Versuche im Rahmen des HdA-Programms des Staates geschaffen. Nur da liegt auch der Haken: Was in anderen Fabriken ohne staatliche Zuschüsse an Umstrukturierungen durchgeführt worden ist und daher auch gar nicht des Etiketts der »Humanisierung« bedurfte, sondern als schlichte Effektivierung der Produktion daherkam, läßt sich anhand dieser Begleitforschung nicht ausmachen. Konkrete Untersuchungen von Arbeiterseite zu den arbeitsorganisatorischen Strukturen stehen noch aus.
[2] Die Bosch-Studie ist abgedruckt in: »Menschengerechte Arbeit - Erfahrungsaustausch zwischen Forschung und betrieblicher Praxis«, herausgegeben 1976 vom Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft (RKW), S. 197-239; im selben Buch finden sich eine Reihe weiterer Beispiele, auf die wir Bezug nehmen.
[3] In der gesamten Studie wird die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit als Nachfrage-Angebots-Verhältnis auf dem Arbeitsmarkt dargestellt, obwohl den Autoren nicht entgangen sein dürfte, daß die Arbeiter in kollektiven Aktionen gegen das Kapital ankämpften, sich also gerade nicht marktförmig verhielten. Aber auf diese Art und Weise wird die hier entwickelte Strategie des Kapitals von vornherein entpolitisiert; der politische Konflikt zwischen Kapital und Arbeit darf an keiner Stelle auftauchen. Die Arbeiter existieren hier im Ausgangspunkt nur als atomisierte, vereinzelte Besitzer ihrer Arbeitskraft. Dem widerspricht auch nicht, daß sie später die betrieblichen Sozialsysteme untersuchen, denn im Produktionsprozeß gehören die Arbeiter nicht mehr sich selbst, sie sind ein Kapitalbestandteil. Die Arbeitswissenschaftler unterstellen so in ihrer Theorie immer schon das, was Ziel ihrer praktischen Anstrengungen ist: die politische Atomisierung der Klasse!
[4] Nochmal zur Klarstellung: der Arbeitsmarkt spiegelt die neue technische Zusammensetzung der Klasse im Produktionsprozeß nur wider. Der Arbeitsmarkt ist nicht Ausgangspunkt der Umstrukturierung, wie es die bürgerlichen Segmentationsanalysen behaupten und damit den wirklichen Zusammenhang auf den Kopf stellen.
[5] Aus einem Aufsatz des unternehmereigenen »Institut für angewandte Arbeitswissenschaften«: »Die Veränderung der Arbeitswelt bei Fiat« von 1975. Zur Umstrukturierung bei Fiat siehe auch Autonomie/NF Nr. 9.
[6] Anhand der Bosch-Studie stellen wir hier die Vorschläge der Arbeitswissenschaftler zur Dezentralisierung der großen Produktionslinien im Innern der Fabrik dar. Dies ist aber nur ein Moment der Aufsplitterung der Produktionszyklen auf allen Ebenen: die internationale Aufsplitterung in der sogenannten »Neuen internationalen Arbeitsteilung«, d.h. die Verteilung der Produktion einzelner Komponenten über die ganze Erde; die Zerlegung der Großfabriken in kleinere Einheiten; die Auslagerung bestimmter Arbeitsgänge in Subunternehmen und Klitschen; und die Ausweitung der neuen Heimarbeit, die informationstechnologisch an die Produktionszentralen angekoppelt wird.
Daß diese Strategien der Dezentralisierung eine direkte Antwort des Kapitals auf das aufsässige Arbeiterverhalten sind, belegt ein Artikel über die Verkleinerung der Betriebsgrößen in den USA, der kürzlich in Business Week erschien (Small is beautifull now in manufacturing, BW 22.10.1984). Dort wird der Vize-Präsident von Hewlett-Packard dafür angeführt, daß die Probleme mit der Arbeitskraft (people related factors) der Hauptgrund für den Übergang zu kleineren Fabriken waren. In den USA und Großbritannien sei der Verlust an Arbeitstagen durch Streiks und Absentismus praktisch parallel zum Wachstum der Fabrikgrößen angestiegen.
Nach neueren Untersuchungen zeige sich, daß die Produktivität in Fabriken unter 600 Arbeitern um bis zu 50% höher sei als in denen über 4500. Folgende Gründe werden für diesen Effekt angeführt: Die Arbeiter werden Teil des betrieblichen Ideenflusses und die betriebliche Kommunikation wird dichter; die Identifizierung der Arbeiter mit den Zielen der Produktion bewirken einen »dramatischen« Effekt auf die Produktivität und die Arbeiter beginnen, sich als Eigentümer zu fühlen. »Große Organisationen haben keinen großen Erfolg damit, die latenten Fähigkeiten aus den Leuten herauszusaugen und zu benutzen.«
Bei Fiat in Italien wurde der Dezentralisierungsprozeß unmittelbar nach der Massenarbeiterevolte eingeleitet. Der bereits angeführte Artikel aus dem Institut für angewandte Arbeitswissenschaften dazu: »Seitdem verfolgt die Firmenleitung das Ziel, Mirafiori nicht mehr weiter auszubauen, sondern dessen Schwergewicht durch den Bau neuer Betriebe in Süditalien zu vermindern. Wie neu diese Überlegungen und Entscheidungen sind, geht daraus hervor, daß nach 1967 das zweitgrößte Werk, Rivalta, nicht weit vor den Toren von Turin in Betrieb genommen wurde. Eine zeitliche Wendemarke in der Entwicklung dürfte das Jahr 1968 darstellen. In diesem Jahr gab es - fast gleichzeitig mit den Mai-Ereignissen in Paris - auch in Turin einen Mai voller sozialer Unruhen, den 'Maggio-FIAT'. Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Vorgänge haben die Pläne des Unternehmens zu Investitionen im Süden konkrete Gestalt angenommen. Dabei denkt man nach den so negativen Erfahrungen mit Mirafiori an den Bau kleinerer Werke für etwa 3000-4000 Arbeitnehmer. Die Dezentralisierung soll also mit dem Aufbau von kleineren Werkseinheiten verbunden werden, in denen die Entfaltung menschlicher Beziehungen größere Chancen hat.« Entscheidend in der italienischen Entwicklung war darüber hinaus, daß sich die Gewerkschaften unter dem humanitären Motto »Investitionen für den unterentwickelten Süden« von Anfang an an dieser Zersetzung der norditalienischen Massenarbeiterzentren beteiligten.
Und dies noch einmal zur Klarstellung: Das Kapital hatte die Produktivität der kleinen, überschaubaren und vernetzten Strukturen entdeckt und für seine Mehrwertabpressung nutzbar gemacht, lange bevor diese als Ideologie der Alternativen in der »Linken« salonfähig wurden![7] Die Vorstellung, das Kapital könne auf die sozialen Zusammenhänge vollständig verzichten und eine »totale« zersetzte Gesellschaftlichkeit mit Computern und Informationstechnologie rein von oben synthetisieren - »Welt am Draht«! -, sitzt eben dem Mythos der Technik auf, den das Kapital in seinem Angriff auf die bestehende Zusammensetzung der Klasse einsetzt. (Nur soviel zu der These von der »Verdopplung der Welt« in der Autonomie/NF Nr. 13.)