Wer hat Angst vor Cob(r)as?
Die Streiks in Italien 1987 und die »Basiskomitees« (Cobas)
Interview mit einem Genossen von Wobbly / Collegamenti, der selbst in der Cobas-Bewegung an den Schulen aktiv ist.
In der bürgerlichen Presse, vor allem bei uns kam ja kaum rüber, daß 1987 in Italien ein Jahr voller Kämpfe und Streiks war. Kannst Du uns zunächst einen groben Überblick darüber geben?
A.: Die großen Konflikte in diesem Jahr waren einmal im Hafen von Genua [siehe »Die Hafenfront« in der wildcat 41], außerdem haben die Lehrer, die Busfahrer und die Eisenbahner gestreikt. Diese »großen« Konflikte verdecken ein wenig, daß es noch andere Kämpfe gibt. Auch in Italien hat die Presse viele der kleineren Auseinandersetzungen unterschlagen. Und da wir kein militantes Kommunikationsnetz mit all diesen Situationen haben, kann ich Euch auch nur aus meiner Sicht darüber berichten. Durch einige Kontakte weiß ich, daß sich solche Konflikte auch in der Industrie und in anderen Sektoren der Arbeit verbreitet haben, wo jeder einzelne dieser Konflikte für sich vielleicht unbedeutend erscheinen mag, alle zusammen aber zeigen sie, daß der soziale Frieden weit weniger durchgesetzt ist, als man gemeinhin annimmt. Im Flugzeugbau bei FIAT lief zum Beispiel ein sehr lebendiger und siegreicher Arbeiterwiderstand gegen den Versuch des Unternehmens, die Arbeitsbelastung zu erhöhen. Ein Beispiel außerhalb der traditionellen Arbeitersektoren war die Bewegung nach dem Tod eines Fahrers des Pony-Express in Mailand [Mofa-Eilboten auf Subunternehmerbasis]. Es gab Streiks und Demonstrationen, und die bestialischen Arbeitsbedingungen dieser Arbeiter, die eigentlich Schwarzarbeiter sind, wurden öffentlich gemacht. Man hat zum Beispiel aufgedeckt, daß es schon öfter Tote gab.
Und ob es uns gefällt oder nicht: auch die Gewerkschaft hat sich an dieser Mobilisierung der Prekären beteiligt. Es gibt eine Tendenz, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und sei es auch nur, um bestimmte Rechte zu genießen, z.B. Rechtsschutz vor Gericht. Aber das ist immerhin ein Übergang von einer individualistischen Logik als Freiberufler hin zu einer kollektiven Logik, und sei sie auch erstmal reformistisch. Auch bei den Gewerkschaftsstreiks bei Fiat in diesem Frühjahr war die Beteiligung stärker als sonst. Es gibt eine Reihe solcher Beispiele.
Was sind deiner Ansicht nach die Auslöser? Warum kam es in einem Jahr zu vier »großen« Konflikten?
A.: Da wäre zunächst die öffentliche Verschuldung zu erwähnen. Der italienische Staat lebt wie andere Staaten auch, wenn auch etwas stärker, mit einem großen Defizit. Das hat die klassischen zwei Seiten Einnahmen und Ausgaben: auf der einen Seite braucht er Geld, auf der anderen Seite muß er das Defizit in den öffentlichen Ausgaben reduzieren. Mit seinen Anstrengungen, die Einnahmen zu erhöhen, hat der italienische Staat überall Widerstand provoziert: bei den Kaufleuten, als die neuen Registrierkassen eingeführt wurden, die die Einnahmen kontrollieren, im Süden hat die neue Steuer auf die schwarzgebauten Häuser regelrechte Volksaufstände ausgelöst, dort, wo 90 Prozent der Ortschaften schwarz gebaut sind. Auf der Einnahmenseite etwas zu verändern, scheint also schwierig zu sein. Auf der Ausgabenseite gibt es zwei unterschiedliche Maßnahmen: zum einen Lohnkürzungen bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, zum anderen Einschnitte bei den Sozialleistungen. Aber Gebührenerhöhungen bei Telefon, im öffentlichen Nahverkehr, Kindergärten etc. wirken als Senkung des Lohns. D.h. die Senkung der öffentlichen Ausgaben ist im Effekt eine Blockierung der Löhne und Gehälter. Für einige haben sich diese Maßnahmen überkreuzt: Bei den Beschäftigten an den Schulen sind zum Beispiel die Ermäßigungen für die Eisenbahn, die vorgezogene Pensionierung und andere kleine Privilegien gestrichen worden, die einen Teil des Gehalts ausmachen. Ein in der Schule Beschäftigter hat summa summarum in den letzten 15 Jahren etwa 30 Prozent seines Gehalts eingebüßt.
Bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist das Vorgehen des Staates widersprüchlich: auf der einen Seite soll eine Hierarchie aufgebaut werden, auf der anderen Seite fehlt das Geld dazu. Einige kleine Berufsgruppen, z.B. Richter, Universitätsdozenten, hohe Staatsbeamte, Polizisten die sind keine kleine Gruppe, aber sie haben nicht zufällig mehr bekommen sollte es große Gehaltserhöhungen geben. Die bürgerliche Presse, Staat und Parteien haben eine große Kampagne gemacht, daß die »qualifizierte geistige Arbeit« besser bezahlt werden müsse, um eine soziale Hierarchie zu rekonstruieren. Das hat in diesen Sektoren große Erwartungen ausgelöst. Auf der anderen Seite ist aber kein Geld dafür da; also sind die Tarifverträge so abgeschlossen worden, daß mehr oder weniger alle eine kleine Gehaltserhöhung bekommen haben. Außerdem sind in bescheidenem Maß einige hierarchische Mechanismen rekonstruiert worden, die in den kommenden Tarifverträgen ausgeweitet werden sollen. Das heißt, die Rektoren bekommen eine ansehnliche Gehaltserhöhung, die Aushilfen und Hausmeister kriegen nichts, die Oberschullehrer etwas mehr, die Elementarschullehrer etwas weniger. Bisher sind diese Unterschiede lächerlich, betragen einige zehntausend Lire, wenn es aber von Tarifvertrag zu Tarifvertrag so weitergeht, werden die Unterschiede beachtlich. Dies war möglich, weil nicht nur die Scala Mobile blockiert worden ist, sondern auch zumindest für die Dauer des Tarifvertrags das Senioritätsprinzip, das heißt die automatischen und für alle gleichen Gehaltserhöhungen mit steigendem Dienstalter. Diese Zuschläge, die ursprünglich für alle gleich waren, sind nun leicht abgestuft.
Es gab also vier große Kämpfe mit folgenden gemeinsamen Merkmalen: Gekämpft haben erstens Arbeiter mit bestimmten Beschäftigungsgarantien, die nicht vom Problem der Arbeitslosigkeit berührt sind. (Man redet zwar von Entlassungen im öffentlichen Dienst, aber das bleiben Drohungen.) Zweitens Beschäftigte mit höherer Schulbildung oder Uniabschluß oder Beschäftigte in strategischen Sektoren. Die einen kriegen den Druck der Gewerkschaft zu spüren, die sie daran hindert, ihre Macht auszuspielen. Die anderen stecken in einem Widerspruch zwischen Status und tatsächlicher sozialer Stellung. Auch diese Sektoren haben Lohneinbußen erlebt, die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert durch einige Initiativen, die Bedingungen der Privatindustrie hier einzuführen.
Bei der Eisenbahn soll es künftig nur noch einen Lokführer pro Zug geben, was in England, Frankreich und der BRD längst durchgesetzt ist, es geht also um die Anpassung an die europäische Norm. Um die Restrukturierung zu beschleunigen, sind die Eisenbahnen in diesem Jahr von einem Staatsunternehmen in ein autonomes Unternehmen umgewandelt worden, womit die Direktion mehr Macht und mehr Elastizität im Umgang mit der Privatinitiative bekommt. Unrentable Strecken werden stillgelegt oder aber den Regionen, Provinzen oder der Kommunalverwaltung unterstellt, was im kapitalistischen Sinn absolut notwendig ist.
Vor allem in den Großstädten lädt man auf die Schule die ganze Verschlechterung der Lebensbedingungen ab. Die Arbeit wird schwerer, der Lehrer wird immer mehr zu einer Mischung aus Polizist, Sozialarbeiter und Pfarrer. Er weiß selbst nicht mehr, was er eigentlich ist. Die Leute sind gegen ihn, weil er seine Arbeit nicht gut macht, er wird zerquetscht zwischen den Feindlichkeiten, er fühlt sich von der Institution nicht geschützt. Vor allem in den unteren Klassen besteht die Arbeit immer mehr aus bürokratischen Aufgaben, Arbeitsorganisationsmodellen und Beurteilungsmodellen. Oft macht sich dann noch der linke Gewerkschaftskader im Namen der guten Dienstleistungen zum Träger dieser Vorstellungen.
Beim öffentlichen Nahverkehr geht die Auseinandersetzung um den Niedergang der Stadt, die Zunahme der Arbeitsbelastung, der Umweltvergiftung, um die Kürzung der Gehälter usw.
In dieser Situation waren die Tarifverträge in diesem Frühjahr etwas seltsam. Einerseits folgten sie der Logik der Effizienz, andererseits konnten sie aus Mangel an Geld nicht einmal den belohnen, der in dieser Logik hoffte. Die Gehaltserhöhungen waren zu wenig differenziert, um den qualifizierten Arbeiter zufriedenzustellen, der sich die neue Philosophie zu eigen gemacht hat und sie waren zu niedrig, um egalitäre Lohnforderungen zu befriedigen.
Und was hat das nun alles mit den Cobas zu tun?
A.: In Wirklichkeit waren die Cobas [comitati di base] am Anfang eine Erfindung der Presse. Als Position entstehen sie nicht zufällig in Rom. Zum einen liegt Rom im Süden, zum anderen ist es eine Metropole mit allen Problemen: Stadtzerstörung, miese Arbeit, schlechte Wohnverhältnisse; andererseits fehlt das Gewicht der Industriekultur. Diese beiden Elemente sind in der Bewegung enthalten: ein absolut modernes, der Niedergang der Stadt, und ein absolut archaisches: das Überleben der Mittelschichtsideologie. In der Position der Cobas gehört beides zusammen, wenn man eins davon wegläßt, versteht man die Sache nicht richtig. Diese Position wird zum Bezugspunkt für die ganze nationale Opposition.
Der Zensurenstreik in den Provinzen Rom, Neapel und Bari am Ende des Schulhalbjahrs, der mit sehr großer Kampfkraft durchgezogen wird, weitet sich auf das ganze Land aus. Das ist eine typische Kampfform der Lehrer, die vor allem symbolischen Charakter hat: das Zeugnis muß von der Lehrerversammlung beschlossen werden, wenn einer fehlt, ist die ganze Sache blockiert. Das hat zwar real keinen Einfluß, weil die Schüler selber wissen, welche Noten sie haben, aber es stellt die Rolle des Lehrers als Staatsfunktionär, die Selektionsfunktion der Schule zur Diskussion. Dieser Kampf wird von Januar bis Juni ganz hart durchgehalten während der normale Schulbetrieb völlig ungestört weitergeht!
Es kommt zu einer Spaltung innerhalb der Gewerkschaften an der Schule, und überall entstehen Basiskomitees. Der Tarifvertrag wird abgeschlossen, aber der Streik geht weiter. Im Tarifvertrag der Schulbeschäftigen werden alle gewerkschaftlichen Forderungen erfüllt, er ist der beste im gesamten öffentlichen Dienst, vielleicht allgemein der beste mit Ausnahme der Bankangestellten und der Arbeiter der Privatindustrie. Trotzdem geht die Bewegung weiter, was die Gewerkschaften natürlich diskreditiert, sie sind innerlich zerrissen, nicht tot, aber schwer krank. Substantiell getroffen werden zwei der vier Gewerkschaften an der Schule: die autonome Gewerkschaft SNALS und die CGIL; also einerseits die »rechte«, andererseits die »linke«, progressive, der Logik der Effizienz verpflichtete Gewerkschaft. Vor allem die CGIL wird in Stücke gerissen, weil hier die ganzen Linken austreten, die bisher immer drinnen geblieben waren; die haben zwar immer die offizielle Linie kritisiert, es aber nie zum Bruch kommen lassen. Viele sind auch vorsichtig, sie gehen in die Cobas, behalten aber den Gewerkschaftsausweis. Einige bekannte Exponenten der Turiner Cobas, wo die Bewegung schwach ist, haben leitende Funktionen in der CGIL, das zeigt die Zwiespältigkeit der Sache. Es hat aber auch Austritte ganzer Gruppen gegeben, vor allem in Mittelitalien und im Süden, aber auch im Norden.
Bei den Eisenbahnen gibt es eine sehr komplexe Dynamik. Dieses Jahr gab es Kämpfe für die Versetzung in den Süden, also wegen eines Widerspruchs, der nicht unmittelbar ein Arbeiterwiderspruch ist. Die Eisenbahner kommen alle aus dem Süden und wollen deshalb nach ein paar Jahren in den Süden versetzt werden. Vom kapitalistischen Standpunkt oder vom gesunden Menschenverstand aus ist diese Forderung natürlich unvertretbar, denn das hieße, vier Leuten in Sizilien Arbeit zu geben und regulär in Mailand einzustellen. Trotzdem drückt sie ein reales Bedürfnis aus. Bis vor kurzem hat dies über Klientelmechanismen auch funktioniert, d.h. man wurde nach 6, 7 oder 8 Jahren im Norden in den Süden versetzt. Durch die Kürzung der öffentlichen Ausgaben und der Sozialausgaben ist das blockiert worden, so hat es eine Reihe von Kämpfen gegeben, es sind antigewerkschaftliche Kollektive entstanden, die Situation hat sich belebt. Einige dieser Kollektive nennen sich Wohnungs- und Versetzungs-Kollektive, thematisieren also außer dieser einen, etwas ambivalenten Forderung, auch die miserablen Lebensbedingungen, den Mangel an Wohnungen und Sozialleistungen. Die sagen, wenn die Eisenbahn uns im Norden haben will, dann müssen aber auch die Wohnung und die Reproduktion in den Lohn einbezogen werden. Das ist ein qualitativer Sprung in der Bewegung, auch wenn das Ziel bescheidener scheinen mag. Als politische Zielsetzung ist diese Forderung jedoch verallgemeinerbar.
Ein anderes wichtiges Element der Eisenbahnerkämpfe in den letzten Jahren sind die Kämpfe gegen die Gesundheitsschädlichkeit, den Umgang mit Unkrautvernichtungsmitteln und krebserregenden Substanzen, die ein kollektives Netz von Genossen organisiert hat. Dieses zwar minoritäre, aber sehr lebendige Kontaktnetz traf zusammen mit der Zeitschrift der Lokführer »Ancora in Marcia« (Anspielung auf den Namen der alten syndikalistischen revolutionären Zeitschrift vom Anfang des Jahrhunderts »In Marcia«). Die wird von 'ner Art linker Gewerkschafter gemacht, die aber nicht so sehr die institutionelle Version darstellen, sondern eher die Form des Arbeiterpotentaten, wie sie auch bei dem Kampf der Hafenarbeiter in Genua in Erscheinung getreten ist. An die insgesamt 24 000 Lokführer verkaufen sie 10 000 Exemplare, 7000 davon als Abonnements. Das ist ein Politikum, ein großer Teil einer Berufsgruppe identifiziert sich damit.
Die haben eine Koordination der Vereinten Lokführer (Macchinisti Uniti) ins Leben gerufen. Sie nennen sich selbst übrigens nicht Cobas, das hat die Presse gemacht. Ihre Kampf- und Aktionsformen sind entgegen der Kriminalisierung in der Presse sehr gemäßigt. Sie kündigen die Streiks vorher an, streiken nur, wenn 80 Prozent zustimmen. Aber gerade in dieser gemäßigten Form entwickeln sie eine ungeheure Macht. Es ist ein Stück Arbeiterklasse mit einer starken Identität und sehr komplexen Beziehungen zur reformistischen Linken, die zerbrechen, aber ähnlich wie im Hafen von Genua erhalten sie diese Logik aufrecht: wir sind eine Macht, die mit einer anderen Macht verhandelt. Wir sind nicht so sehr die radikalen Arbeiter, die mit dem Reformismus brechen, wir sind eine Macht. Wenn ihr uns deckt, können wir äußerstenfalls zusammengehen, wenn nicht, könnt ihr uns am Arsch lecken.
Die Erfahrung der Cobas in Turin ist begrenzter. Auch hier kommt eine politische Subjektivität aus dem alten Kampfkomitee zusammen mit einer gewerkschaftlichen Subjektivität: PCI-CGIL-Kadern, die mit der Gewerkschaft brechen und die Zeitschrift »Bel Tram« herausgeben. Das ist keine politische Zeitung, da gibt es Anzeigen drin, Wohnungsgesuche, Glückwünsche an Kollegen, eine Zeitung für die Straßenbahner eben. Die Cobas Tramvieri haben sich mit dem ersten autonomen Streik gebildet, der alle verblüffte, dann haben sie einen zweiten gemacht, die Gewerkschaft hatte schon vorausgesagt, daß er mißlingt, er war jedoch erfolgreich.
Der Tarifvertrag sieht eine Lohnerhöhung von 75 000 Lire für alle vor, das ist keine große Summe. Die Verkehrsgesellschaft hatte die Verhandlungen gestoppt, in diesem Augenblick haben die Gewerkschaften, um dem Streik der Cobas zu schaden, der für den darauffolgenden Freitag angesagt war, einen wilden Streik am Mittwoch veranstaltet und zwar für 6000 Lire. Denn die Gesellschaft hatte 69 000 Lire vorgeschlagen, die Gewerkschaft fordert 75 000. So beschließen sie, für 6000 Lire im Monat mehr zu streiken. Es ist leicht auszurechnen, daß mit einem Tag Streik die Lohnerhöhung für das ganze Jahr verbraucht ist. Es ist also irgendwo ein absurder Streik, aber er soll eben ein Gegenfeuer sein. Die Gewerkschafter intervenieren mit großer Härte, die Gesellschaft tut nichts, um den Streik zu blockieren, die Gewerkschaft stellt die Busse vor die Depots, die Polizei greift nicht ein, und der Streik gelingt, denn eine Reihe von Straßenbahnern folgt dem Aufruf der Gewerkschaft. Unmittelbar danach verbietet der Präfekt den für Freitag angesetzten Cobas-Streik. Die Arbeiter setzen den Streik neu an für den darauffolgenden Montag. Was macht nun die Verkehrsgesellschaft? Sie ruft alle, die für Montag Urlaub beantragt hatten, zur Arbeit, sie verfügt also über mehr Personal. Die Gewerkschaftskader verpflichten sich zu Überstunden, um die Busse fahren zu lassen. Die Leute haben natürlich durch den vorigen Streik Geld verloren. So ist der Streik kein reiner Erfolg, sondern mißlingt in gewisser Hinsicht, es beteiligen sich 35, 40 Prozent. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß es ein Cobas ATM gibt, mit 400 Mitgliedern von insgesamt 2000 bis 2500 Beschäftigten. Die Verkehrsgesellschaft hat ein zwieschlächtiges Verhältnis dazu, technokratisch wie sie ist, scheint sie auch disponibel zu sein, Gewerkschaft und Cobas gegeneinander auszuspielen.
Auch durch den Impuls der Presse, die sie benutzte in der Diskussion um die Reglementierung des Streikrechts, sind die Cobas unglaublich schnell gewachsen. An den Schulen sind sie wie Pilze aus dem Boden geschossen, ebenso Koordinationen auf Provinzial- und Regionalebene und dann die nationale Koordination. Ein Cobas als Organisationsform zu bezeichnen, ist problematisch. Der Sache nach sind die Cobas eine Bewegung, d.h. sie haben keine starre Struktur. Es gibt Tendenzen darin, die eine Mitgliedschaft einführen wollen, eine formale Organisierung wollen, als fünfte Gewerkschaft sozusagen. Bisher wurde der Druck in diese Richtung immer niedergeschlagen, aber das große Problem bleibt natürlich: wie wird ein so großer Organismus beschlußfähig? Jetzt hat jede Provinzialkoordination Delegierte mit Stimmrecht für die Nationale Koordination gewählt. Das ist eine Mischform, denn wen diese Delegierten eigentlich vertreten, ist schwer zu sagen.
Die Cobas an der Schule sind ein sehr komplexes Phänomen in der Mitte zwischen Bewegung und Gewerkschaft. Es gibt zwar eine sehr große Bewegung von unten, doch mit jedem Schritt nach oben: von der Provinzialkoordination zur Regionalkoordination, von der nationalen zur Inter-Cobas, verändern sich ähnlich wie auf einer aztekischen Pyramide die Figuren, zum Beispiel das Verhältnis der Geschlechter: in den Schulen arbeiten mehrheitlich Frauen, in den Versammlungen sind beide Geschlechter höchstens gleich stark vertreten. Schon auf den Provinzialversammlungen überwiegen die Männer, noch stärker im Ausschuß und erst recht auf der nationalen Versammlung. Das mag eine etwas verblüffende Nebensache sein, ist aber doch sehr bezeichnend. Auf der politische Ebene gibt es natürlich ein Gerangel der Linksradikalen um die verantwortlichen Posten, z.B. in den Provinzialausschuß gewählt zu werden, in die Delegationen für die nationale Versammlung, in den nationalen Ausschuß, insbesondere seitens der Trotzkisten, aber nicht allein. Es gibt natürlich eine starke Präsenz politischer Kader, guter und schlechter, auch einige aufrechte Genossen sind darunter, die aus der früheren Nationalen Koordination der Schulbeschäftigten kommen, die es vor den Cobas gab und die trotz all ihrer Defekte eine radikalere Praxis betrieb. Gerade im Vergleich mit ihr wird oft vor allem seitens anarchistischer Genossen die »Bürokratisierung« der Cobas kritisiert. Darüber hatten wir schon eine harte Auseinandersetzung, zwar sind einige Kritiken gerechtfertigt, aber dieser Purismus, sich nicht in diese Schlacht einmischen zu wollen, ist meiner nach Ansicht übertrieben. Es geht darum, drinnen zu sein und von innen andere Erfahrungen voranzutreiben. Es ist eben eine so große Bewegung aus allen möglichen Komponenten, Identitäten. Die Organisationsform an den Schulen ist noch »flüssig«. Ein Cobas wie z.B. bei der ATM-Verkehrsgesellschaft auf Stadtebene und bei einer einzigen Gesellschaft funktioniert natürlich nach einer anderen Logik. Die ziehenden Kräfte sind alte Gewerkschaftskader, die zwar mit der Gewerkschaft gebrochen haben, die aber einen harten Klassen-Syndikalismus vertreten. Die Vereinten Lokführer sind nochmal was anderes, als Berufsorganisation sind sie quasi physisch verbunden, die Organisation hat eine eigene Identität, sie identifizieren sich mit einer präzisen Figur. Um diese Erfahrungen herum sind aber überall im öffentlichen Dienst und sogar in der Industrie Basisgruppen nach diesem Modell entstanden, Gruppen und Grüppchen am Arbeitsplatz, manche davon bestehen nur aus vier Genossen. Für sich allein genommen ist keine besonders wichtig, aber insgesamt ist es eine sehr interessante Geschichte.
Der Knoten bei den Cobas ist ihre doppelte Seele. Es sind Bewegungen einer Berufsgruppe oder einer Untergruppe, bei den Vereinten Lokführern sind es eben die Cobas des fahrenden Personals, während es bei den auf den Bahnhöfen und Büros Beschäftigten zwar auch Gruppen gibt, die haben jedoch keine so wichtigen nationalen Koordinationen.
Die große Frage ist: welche Richtung wird die Sache nehmen? Bei den Lokführern ist die Sache klar: ihre Weigerung, sich mit den anderen Arbeitern bei der Eisenbahn zu koordinieren beruht auf zwei Überlegungen. Erstens, wenn wir eine Lohnerhöhung für uns fordern, können wir mehr bekommen, wenn es sich ausweitet, wird es teurer. Zweitens, dieselben Gewerkschaften, die offiziell den Berufskorporatismus verurteilen, haben recht deutlich gesagt: solange Ihr Berufsorganisationen seid, kritisieren wir Euch bis zu einem gewissen Punkt, aber wenn ihr etwa davon träumt, eine Alternative zur Gewerkschaft im allgemeinen zu sein, wird es einen Kampf bis aufs Messer geben.
Gerade so verläuft die Auseinandersetzung an den Schulen. Da gibt es eine Tendenz, die die Schule an die Universität anlehnen will. Ihr Ausgangspunkt ist nicht: »wir Beschäftigten an den Schulen«, sondern: »wir Lehrer«. Nach ihrer Logik stehen sie den Professoren näher, weil sie auch einen Uniabschluß haben, sie wollen sich von den Elementarschullehrern abheben, die nur Abitur haben. Nicht zufällig wollen sie eine Gilde bilden nach dem Vorbild der mittelalterlichen Berufsvereinigungen. Sie wollen mit der Gewerkschaft brechen, aber um dann eine Berufsvereinigung, eine ständische Assoziation zu bilden. In den Cobas gibt es also einmal eine Dimension in Richtung Bewegung, eine in Richtung Alternativgewerkschaft und dann eine in Richtung Berufsorganisation. Und all diese drei Dinge sind wahr, man kann nicht sagen: die eine gibt es und die andere nicht.
Es ist klar, was nun geschieht. Seit dem Sommer hat es keine Kämpfe mehr gegeben, sondern diese ununterbrochene Folge von Versammlungen mit 1500, 2000 Leuten auf nationaler Ebene. Eine furchtbare Debatte, in der die ganzen Positionen aufeinanderprallen und an deren Ende dann eine Plattform herauskommt. Es sind zwei herausgekommen, eine der Mehrheit, die egalitär ausgerichtet ist, 400 000 Lire mehr für alle fordert, vom Hausmeister bis zum Rektor, eine fast extremistische Plattform. Die andere fordert hingegen Anlehnung an die Universität, differenzierte Gehaltserhöhungen usw. Die Debatte darüber wurde zwei Monate ausgesetzt, weil die nationale Leitung keine Spaltung wollte. Sie hielt nur noch Versammlungen ab zu Organisierung, Inter-Cobas usw. Aber diese beiden Seelen vereinigen sich nicht, gestern war die Versammlung der Minderheit, und es scheint zu einer Spaltung gekommen sein in zwei Strömungen: eine Arbeiterbewegung und eine Mittelschichtsbewegung.
Kannst Du erklären, was Inter-Cobas ist?
A.: Das Inter-Cobas entstand unter der Drohung der Regierung, ein Anti-Streik-Gesetz zu machen. Die Versammlung am 15. November war der Versuch, Lehrer, Eisenbahner und andere Kategorien zusammenzubringen. Dort waren eine Menge Leute, es war eine Versammlung der Bewegung, der Opposition. Um die Wahrheit zu sagen, das Inter-Cobas ist eine Forcierung. Denn sie wird vor allem von den politischen Kadern vorangetrieben, deren linke Version im Inter-Cobas eine neue Gewerkschaft sieht, deren rechte Version darin ein Instrument sieht, um Druck auf die Gewerkschaft auszuüben. Ihr politischer Vorschlag war die Demonstration am 12. Dezember, mit der der korporative Mittelschichtsflügel nicht einverstanden war.
Mit Forcierung meine ich, daß sie zu sehr von oben kam, es zwischen den Berufsgruppen untereinander keine Debatte gibt, die diese Schranken überschreitet, zerbricht. Außerdem berücksichtigt sie nicht die Eigenarten der einzelnen Kategorien. Die Lokführer haben es z.B. auf der Versammlung vom 15. 11. zurückgewiesen, den Vorsitz der Versammlung zu übernehmen. Sie sind dabei und sind nicht dabei, sie nahmen an der Demonstration vom 12. nicht teil, hier haben nicht mal die Cobas des fahrenden Personals teilgenommen. Die Demonstration haben wir von der Schule gemacht und Gruppen von Genossen. So ist es eine politische Demonstration geworden. Das ist sehr gut gelaufen, aber das was es sein sollte, ein Sprung nach vorn, war es eben nicht.
Sind die Cobas bereits eine Form neuer Arbeiterkämpfe? Oder bleiben sie in ihrer Ambivalenz Kämpfe einer überholten Arbeiteraristokratie?
A.: Diese Bewegung ist meiner Ansicht nach weder alt noch neu. Daß viele Militante aus dem vorigen Kampfzyklus dabei sind, scheint mir normal. In der Substanz sind es Kämpfe um Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, nichts Außergewöhnliches. Neu daran ist, daß das Bewußtsein der Leute den Kämpfen und ihren Forderungen gegenüber in den letzten Jahren gewachsen ist. Sie diskutieren darüber, auch wenn sie manchmal große Scheiße erzählen; sie sagen nicht mehr einfach: Kampf ja oder nein, sondern: wir müssen uns was überlegen, schauen wir, was möglich ist. Viele haben diese ganzen Erfahrungen wie Studentenbewegung usw. hinter sich:
Eine zweite Sache ist ihre Haltung zur Gewerkschaft. Diese neuen Bewegungen sind keine nicht-gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, im Sinn von noch nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitern oder einfach wilden Arbeitern, hier hat der Artikel über den Streik der französischen Eisenbahnarbeiter völlig recht. Die Leute gehen elastischer mit den Gewerkschaften um. Sie sehen in ihnen eine Institution, die sie nicht als »Verräter« oder »Schweine« beschimpfen, sondern sie glauben nicht an sie. Ein materialistischeres, ruhigeres Verhältnis.
Und was ist mit den Begrenztheiten der Ziele und der Inhalte?
A.: Die größte Beschränkung an der Schule ist, daß man gegen eine imaginäre Schule kämpft. Es gibt kaum ernsthafte Überlegungen zu den Initiativen der Industrie bezüglich der Schule. Die Leute benutzen großteils die Sprache der Linken, reden von der »Verteidigung der öffentlichen Schule gegen die Privatisierung«, was eine Scheißparole ist, weil die Unternehmer nicht die Privatisierung der Schule wollen. Oder: »Verteidigung der sozial Schwachen«, was soll das heißen? Machen wir gute Arbeiter aus ihnen? Das ist eine Sprache, eine Kultur, die zwischen dem Katholischen und dem Marxismus, Marxismus im italienischen Sinn, also PCI, DP etc., liegt, aber nicht darüber hinausgeht. Die Sprache triffst du überall, auf Flugblättern, Plakaten: »Arbeiter und Benutzer«, der Begriff des Benutzers, oder: die Qualität der Dienstleistungen verbessern. All das wird nicht kritisiert, und das ist auch schwierig, denn da gibt es Probleme, die sich dir schon stellen, auch wenn du nicht in einer Logik von sozialer Revolution denkst, sondern nur von sinnvoller Veränderung des Bestehenden, zum Beispiel: In einer gewerkschaftlichen Logik forderst du mehr Krankenhäuser und mehr Arbeitsplätze für die Krankenhausarbeiter. In der Logik einer besseren Gesellschaft brauchen wir weniger Kranke und weniger Krankenhäuser. Die beiden Sachen bringst du nicht so einfach zusammen.
Es gibt doch noch andere Beschränkungen bezüglich der Klassenzusammensetzung. Es gibt diese Spaltung zwischen Lokführern und normalen Bahnarbeitern
A.: Das ist ein großes Problem. Die Bewegungen sind nie so, wie du sie gerne hättest. Der Reformismus bestimmt in gewisser Hinsicht immer einen mittleren Punkt, teilt nach dem alten Schema zwischen rechts und links. Wenn ich mit diesem Schema breche, kommt nicht gleich notwendigerweise dabei raus, daß alle Revolutionäre werden. Wenn der Vereinte Lokführer mit ihm bricht, indem er seine Interessen verteidigt, dann macht er das, weil es ihm möglich ist. Es geht nur um »unsere Arbeit«, »wir wollen mehr Geld«, was kümmern uns die anderen. Aber da beginnen auch andere Schichten von Eisenbahnern zu schreien »wir auch«. Die Auseinandersetzung geht also sowohl um Quantität wie um Verbreitung. Ich möchte etwas scheinbar Paradoxes behaupten: je mehr die Bewegung sich ausweitet, desto weniger erreicht sie, desto weniger kann sie gewinnen. Vom rein gewerkschaftlichen Standpunkt aus hat die Mittelschichtskomponente der Lehrer recht, wenn sie sagt: »Tragen wir allein unsere Forderungen als Lehrer vor und nicht die der Schulbeschäftigten, und dabei für die Oberstufenlehrer mehr und die Unterstufenlehrer weniger«, denn dann kann die Sache laufen. Wenn du aber sagst: »Verbrüdern wir uns alle«, gehst du entweder unter, oder du führst einen schrecklichen Kampf was willst du erreichen?
Die Cobas können nicht Träger einer neuen politischen Klassenzusammensetzung sein, sie können aber die Tür öffnen für eine Debatte?
A.: Genau, die Cobas können eine Gelegenheit zum Nachdenken auf der untersten Ebene eröffnen: über Ausbildung, Erziehung, über das Wissen, über den Sinn einiger Tätigkeiten, das wäre dann ein qualitativer Sprung. Die Diskussion kann stattfinden in Gruppen, die enger oder weiter als die Cobas sind, Gruppen von Arbeitern der Schule z.B., die sich nicht unbedingt mit den Cobas identifizieren müssen, die aber beispielsweise über die Rolle der Schule diskutieren. Die Schule in Italien funktioniert wie ein Trichter: 60 Prozent der Schüler der Scuola Media Inferiore gehen an die Superiore, im ersten Jahr fällt die Hälfte durch, an diesem Punkt gibt es eine soziale Selektion, die einem Massaker gleichkommt. Eine Bewegung gibt Gelegenheit, über diese Sachen zu diskutieren, über den Sinn einer Arbeit, deren Ziel es ist, die Schüler im ersten Jahr durchfallen zu lassen. Hier herrscht die Logik des Unternehmers. Wohlgemerkt, es sind nicht die Cobas, die diese Fragen aufwerfen, sondern die Beschäftigten selbst, die sie aufwerfen können, vor allem, wenn es wieder zu einer Schüler- und Studentenbewegung kommt
Collegamenti / Wobbly, Nr. 20, Winter 1987
Artikel und Diskussionsbeiträge über die Cobas, die Vereinten Lokführer, die »neuen Bewegungen«. Arbeitergeschichte: Zirkulation der Kämpfe: Emigranten aus dem Biellese im Paterson-Streik / USA 1913.