Wildcat Nr. 70, Sommer 2004, S. 9-12 [w70_steve.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: [Wildcat #70 - Inhalt] [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]

»Storming Heaven« – Part one –

Interview mit Steve Wright


Was hast Du vor dem Buch gemacht? Wovon lebst Du?

Als Teenager interessierte ich mich für Anarchismus und dann Rätekommunismus, Ende der Siebziger entdeckte ich den Operaismus. Da war ich Student an der Uni Melbourne in Australien, wo ich immer noch lebe. Später wurde ich in der Anti-Atomkraftbewegung aktiv, danach als Gewerkschaftsdelegierter im Öffentlichen Dienst. Ende der Neunziger wurde ich Mitglied bei einer Ortsgruppe der IWW (Industrial Workers of the World). Als die sich vor einigen Jahren auflöste, war ich wieder ein »herrenloser Hund« ohne politische Heimat.

Während der Neunziger und Anfang der Nuller Jahre hatte ich eine Reihe von befristeten Uni-Jobs, erst seit diesem Jahr habe ich eine unbefristete Stelle als Dozent für Informationsmanagement (z.B. Theorie der Klassifizierung und Informationsrecherche) an der Monash University.

Was willst Du mit Deinem Buch »Storming Heaven« politisch erreichen?

Hauptsächlich zwei Sachen: ich will GenossInnen, die mehr über die Tradition des italienischen Operaismus wissen möchten, eine Art historischen Kontext liefern (der Operaismus ist heute, wenn überhaupt, als der politische Hintergrund der Autoren von Empire bekannt). Zum anderen möchte ich die Entwicklung des Begriffs Klassenzusammensetzung dokumentieren, denn das ist der besondere Beitrag des Operaismus zu unserem Verständnis der Klassendynamik.

Das Buch ist eine aktualisierte Version meiner Dissertation (Dr. phil.), abgeschlossen gegen Ende der 80er Jahre. Damals bestand in der englischsprachigen Welt anscheinend kein Interesse am Operaismus, trotz der Bemühungen von Red Notes oder ZeroWork. Erst im vergangenen Jahrzehnt hat sich eine wachsende Wissbegier auf die italienische Bewegung gerichtet, parallel zu der Aufmerksamkeit, die Negri erregte (was wohl teilweise seinem Zusammengehen mit gewissen Strömungen des französischen Denkens geschuldet war).

Welche Reaktionen hast Du auf das Buch erhalten?

Der Verkauf läuft bescheiden, aber immerhin hat jemand eine gescannte Kopie des Buchs ins Netz gestellt, was mir doch schmeichelt. Ich hätte mir nur gewünscht, das Scannen wäre besser gelungen.

Dieses Jahr soll eine deutsche Ausgabe herauskommen, das freut mich sehr. Auch haben GenossInnen angefragt wegen Übersetzungen ins Türkische und Französische.

Einige Freunde und deren Freunde haben das Buch gelesen und anscheinend für nützlich befunden. Die Rezensionen, die mir am wichtigsten waren, kamen von Leuten wie Sergio Bologna, Damiano Palano und Patrick Cuninghame, Leuten, die den Operaismus kennen wie ihre Westentasche und somit beurteilen können, ob Storming Heaven wirklich als Einführung in diese Geschichte taugt.

Sergio Bologna und Damiano Palano haben Dir dafür gedankt, dass Du die »Komplexität« des Operaismus erkannt »und dadurch mit der vorherrschenden Tendenz gebrochen ha[s]t, den Operaismus entweder zu diskreditieren oder zu idealisieren.« Wie macht man das bei einer Strömung, die sich einerseits immer völlig radikal gegen Institutionen wie Staat und Gewerkschaften positionierte, während viele ihrer Exponenten Teil dieser Institutionen waren? Bei einer Denkrichtung, die berühmt war für die Einsicht, die Strategie liege in der Arbeiterklasse – und das nach nur wenigen Jahren umdrehte in: 'Die Strategie liegt in der Partei?'

Zur Antwort gehört wohl, dass viele Operaisten ein wahrhaft radikales Gespür hatten und dann davor zurückschreckten, das durchzubuchstabieren, und stattdessen Abkürzungen versuchten. Das ist eines der Themen meines Buchs: dass so viele, die ursprünglich eine systematische Herangehensweise an die Klassenzusammensetzung suchten, unfähig waren, das konsequent durchzuziehen, was sie begonnen hatten. Ich hatte keinen Zugang zu den Dutzenden von Interviews mit Operaisten, die dem Buch Futuro Anteriore zugrundeliegen, das auch Anfang 2002 herauskam. Vielleicht bringen uns diese Interviews einen Schritt weiter …

Du packst das Problem so, dass du verschiedene Tendenzen innerhalb des Operaismus ausmachst, eine nennst Du die »rationale« Komponente« …

Für mich waren die »Rationalen« (ein Begriff von Primo Moroni?) diejenigen, die in den Siebzigern weiterhin versuchten, »innerhalb der Klassenzusammensetzung nach dem politischen Inhalt und der politischen Strategie zu suchen« – im Gegensatz zu Negri und Konsorten, die »ihre Träume für die Wirklichkeit hielten«. Natürlich liegen meine Sympathien bei Sergio Bologna u.a. und der selbstgeformten »Schule der Klassenzusammensetzung«, sowie bei Zirkeln jüngeren Datums wie Collegamenti, die von ihnen beeinflußt wurden (wer Collegamenti kennt, sieht sofort, wie deren Arbeit wiederum mein eigenes Verständnis beeinflusst hat). Ich habe Respekt vor den »Rationalen«, weil sie versuchten, die schwierigen Fragen zu stellen, zu sagen »Ja, aber…«, statt triumphalistische Phrasen zu dreschen, wie man sie auf den Seiten von Rosso findet. In diesem Sinne schienen die »Rationalen« weiterhin die eher spielerische, ironische und sich selbst infrage stellende Stimme innerhalb des Operaismus zu verkörpern …

Auch in bezug auf das »Wertgesetz« könnte man unter den Operaisten verschiedene Schulen ausmachen – Negri, Marazzi, Montano usw. haben den Begriff des »Werts« eindeutig fallengelassen, auch wenn Negri immer wieder behauptet, dass seine jeweiligen »Arbeiterfiguren« Mehrwert produzierten! In ihrer großen Mehrheit halten die »Irrationalen« den Wert nicht mehr für zentral für das Kapitalverhältnis.

Ich bin nicht so sicher, ob die Differenzierungen in dieser Frage so klar sind, am wenigsten in den Siebzigern. Ich selber kann mir ohne Wertgesetz keine Kritik der politischen Ökonomie vorstellen. Wenn das Kapital nicht mehr mit dem Wertgesetz verbunden wäre, dann hätte es sich per Definition in eine ganz andere Art gesellschaftlicher Herrschaft verwandelt. Einige Leute hat die Tatsache, dass das Kapital immer noch Wege findet, gewisse Auswirkungen des Wertgesetzes (für immer längere Zeit) vor sich her zu schieben, zu dem falschen Schluss geführt, das Kapital hätte sich irgendwie von seiner Verankerung gelöst.

Heute haben wir so eine Art déjà-vu: Wie in den Siebzigern übertönen die »Irrationalen« alles andere. Zwar ist »der Operaismus« in aller Munde – aber die meisten scheinen nicht zu verstehen, dass Operaismus »etwas« mit Arbeitern zu tun hatte. Eine Mischung aus Operaismus und »französischem Denken« ist in Mode … Wie können wir da eingreifen? Was können wir »Empire« entgegensetzen?

Bei aller Kritik an Empire denke ich, es war ganz nützlich gegen diejenigen, denen es reicht, Lenin nachzudrucken. Ich bin nicht sicher, wieviel wir - also diejenigen von uns, die die Arbeit der »Schule der Klassenzusammensetzung« der Siebziger fortführen wollen – im Moment tatsächlich am Start haben, um es Empire entgegen zu setzen. Ich kann kein Deutsch, aber mir scheint, dass einige bei Wildcat in letzter Zeit genau wie ich die Beiträge der Weltsystemanalyse, z.B. von Arrighi und Silver, wieder schätzen. Vielleicht ergibt eine kritische Lektüre dieser Arbeiten etwas, was wir selbst bisher nicht entwickeln konnten.

Ich halte Beverly Silvers Buch Forces of Labor aus verschiedenen Gründen für sehr wichtig: Es geht darin um die gesamte Welt; es arbeitet heraus, wie sich Kampfzyklen über Raum und Zeit schieben; aus den zentralen Argumenten erwächst ein vorsichtiger Optimismus. Es ist kein erschöpfendes Werk, und es gibt einiges an dem auszusetzen, was Silver behandelt und was nicht. Wenn wir es aber als einen Satz von Hypothesen nehmen, bietet es viel Stoff für eine neuerliche Diskussion dessen, was Neuzusammensetzung in einem weltweiten Maßstab bedeuten könnte. Zudem ist es sehr klar geschrieben und auch für Leute verständlich, denen die Weltsystemanalyse neu ist, die einen oft doch recht komplexen Satz von Sichtweisen darstellt. So gesehen erinnert es mich an ein Zitat von Sergio Bologna: »Klarheit ist wichtiger als Optimismus oder Pessimismus«.

Lass uns zum zentralen Argument deines Buchs kommen. Indem Du den Begriff »Klassenzusammensetzung« als zentrale Errungenschaft des Operaismus herausstellst, bürstest Du seine Geschichte gegen die Verballhornungen eines Negri. Was ist der Kern der Arbeiteruntersuchung? Das Verhältnis von »technischer Zusammensetzung des Kapitals« zu »politischer Zusammensetzung der Klasse«? Oder die Feststellung, dass es »Spontaneität« gar nicht gibt (denn wenn wir uns die Vorgeschichte »spontaner Kämpfe« ansehen, finden wir immer die geduldige Arbeit von Basismilitanten)? Ich denke, dass beides in den Sechzigern in eins fiel und sich in den Siebzigern in zwei Fraktionen trennte: die eine war davon besessen, die »zentrale Klassenzusammensetzung« zu finden, die andere wandte sich der »oral history« zu, der mündlichen Geschichtsschreibung, verlor dabei aber ihren Bezug auf »Revolution«.

Die Erfahrung der Quaderni Rossi war insofern faszinierend, als es für eine kurze Zeit an den Rändern der offiziellen Arbeiterbewegung eine Offenheit für Argumente gab, die in Richtung der Sichtweisen von Socialisme ou Barbarie oder Correspondence gingen. Ich denke, wir sollten die Bedeutung dieser Begegnung für eine Generation von Genossen, die damals im PSI oder PCI waren, nicht unterschätzen. So gesehen waren die Umstände damals sehr spezifisch. So etwas kann man woanders nicht so leicht kopieren.

Als Bologna und andere in den Siebzigern die kulturelle Dimension der Neuzusammensetzung der Klasse thematisierten, meinten sie unter anderem dies: Formen der Selbstorganisation der Klasse haben ihre eigene Geschichte, und die Basismilitanten spielen dabei eine wesentliche Rolle. Das hat sicher auch Alquati in den Sechzigern fasziniert. Die »Wende« hin zur oral history um die Zeitschrift Primo Maggio sehe ich nicht so negativ. Im besten Fall war das ein sehr wirkungsvolles Instrument zum Verständnis der Prozesse von Neuzusammensetzung und Zersetzung bis zu einer Genauigkeit, die ein Studium der technischen Zusammensetzung nicht liefern kann.

Was »Primo Maggio« angeht, hast du zum großen Teil recht - aber die letzte Ausgabe erschien 1988, und von da an gibt es sehr schematisch zwei »Äste«: Negri und Konsorten mit ihrer Besessenheit von der jeweils »hegemonialen Arbeiterfigur«, in jedem Buch eine »Neuzusammensetzung«! Auf der anderen Seite Leute, die wirklich Untersuchung machen, aber den »revolutionären« Impuls verloren haben oder an Institutionen gebunden sind wie z.B. an Rifondazione Comunista. Der politische Kern der »conricerca«, wie die Quaderni Rossi sie vorgeschlagen hatte, ging verloren. »Conricerca« ohne Begriff von Zentralität, geht das? Kann man von Klassenzusammensetzung sprechen, ohne die Vorstellung von einem »zentralen Sektor« des Kapitals? Hier bleibt Dein Buch meiner Ansicht nach unklar.

Diesbezüglich gefällt mir Dario Lanzardos Aussage gut, Mit-Untersuchung verkörpere »eine Methode der politischen Arbeit, die in der Kritik der politischen Ökonomie stillschweigend inbegriffen ist«, namentlich wo sie sich als Selbstemanzipation der Arbeiterklasse versteht. Das soll keineswegs heißen, dass konventionelle soziologische Studien keine brauchbaren Einblicke liefern können oder umgekehrt jede »selbstorganisierte« Untersuchung von Haus aus »überlegene« Ergebnisse produziert. Wir brauchen eine kritische Geschichte der verschiedenen Versuche von Mit-Untersuchung, die es über die Jahre in Italien oder anderswo gab.

Nocheinmal: Kann es Mit-Untersuchung geben ohne den Begriff der Zentralität? Kann man von Klassenzusammensetzung sprechen ohne die Idee, es gäbe einen »zentralen Sektor« des Kapitals?

Mein Problem mit dem Begriff der Zentralität besteht darin, dass einige Operaisten darunter die Dominanz einer bestimmten Schicht von Arbeitern über andere verstanden. In den Sechzigern hieß es oft, der Massenarbeiter müsse die gesamte Klasse »führen«. Kein Zweifel, dass die Verhaltensweisen des italienischen Massenarbeiters damals eine bestimmte Hegemonie erreichten – teils durch die Wirkung des Beispiels, teils weil die Ausweitung der tayloristischen und fordistischen Prinzipien auf Sektoren außerhalb der Massenproduktion von langlebigen Konsumgütern dazu führte, dass die Taktiken des Massenarbeiters oft für andere Arbeiter eine praktische Bedeutung hatten. Daraus folgt aber nicht, dass man dieser Schicht andere Schichten der Klassenzusammensetzung subsumieren könnte, was viele bei Potere Operaio dachten.

Für mich ist es eine Verzerrung, wenn man sagt, eine bestimmte Schicht Arbeiter »müsse« führen! Im vorhinein kann »Zentralität« nur als Problem formuliert werden. Auch die Quaderni Rossi lagen falsch, als sie behaupteten, die »neuen Kräfte«, die Techniker bei Fiat, würden die Avantgarde bilden. Dass eine bestimmte Schicht »zentral« wird, können wir wahrscheinlich erst sehen, wenn die Kämpfe sich entwickeln. Aber das führt zur nächsten Frage: Kann man das Instrument der »Klassenzusammensetzung« nur im nachhinein anwenden? An einigen Stellen in deinem Buch scheinst Du genau das zu sagen.

Ich denke, eine Analyse der Klassenzusammensetzung kann manchmal etwas vorwegnehmen. Vielleicht nicht in dem großartigen Sinn, dass wir komplette Neuzusammensetzungen vorhersagen – obwohl natürlich zu jedem Zeitpunkt eine Bandbreite wahrscheinlicher zukünftiger Szenarien skizziert werden kann – , sondern eher im engeren Sinn, wie es Alquati zu Beginn der sechziger Jahre mit den »neuen Kräften« machte, als er darlegte, dass bei Fiat wahrscheinlich bald Massenkämpfe ausbrechen würden – eine Behauptung, die viele in der italienischen Linken ziemlich frevelhaft fanden.

Was ich am wenigsten erträglich finde, sind Rechthabereien über Veränderungen in der Klassenzusammensetzung im nachhinein, z.B. Negris Versicherung, die er in den letzten 20, 25 Jahren diverse Male wiederholt hat, er habe schon zu Beginn der siebziger Jahre gesehen, dass es mit dem Massenarbeiter abwärts ging. Im Buch versuche ich zu zeigen, dass die Haltungen von Potere-Operaio-Mitgliedern gegenüber dem Massenarbeiter durchaus komplexer – und widersprüchlicher – waren. Und ich habe den Verdacht, dass viele Zweifel über den Massenarbeiter, die ab 1970 in diesen Zirkeln herrschten, weniger von Voraussicht herrührten als von Frustration darüber, wie viele dieser Protagonisten Dinge taten, die sie nicht hätten tun sollen.

Auf Seite 208 erwähnst Du Lapo Bertis Kritik an »Der Stamm der Maulwürfe« von Sergio Bologna: »Seiner Ansicht nach (…) stellte die Krise der Fabrik als Prüfstein der Klassenpolitik die weitere Bedeutung dieser Verknüpfung zwischen technischer und politischer Zusammensetzung infrage, die der Operaismus traditionell behauptet hatte.« Ist das eine grundlegende Kritik oder hinken da die Begriffe einer sich verändernden Wirklichkeit hinterher? In Deinem Fazit sagst Du auf Seite 225: »Eine Schwäche[n] des italienischen Operaismus (…) ist eine zu enge Konzentration auf das, was Marx den unmittelbaren Produktionsprozess nannte…«. Das stimmt doch nicht! Das versuchten die Operaisten doch nur ganz am Anfang. Seit Potere Operaio waren die meisten von ihnen damit beschäftigt, »die Partei aufzubauen«, sie wandten sich an die Linke und nicht mehr an die Arbeiter. Es gab einige Ausnahmen (»Primo Maggio« hast Du bereits genannt, im Buch nennst Du meiner Ansicht nach zurecht auch einige Kollektive der »Volsci«…), Genossen, die in den Siebzigern die Untersuchung weiterführten, aber gerade auf die trifft Deine Kritik nicht zu. Und die bekannteren Strömungen des Operaismus (Negri, die Paduaner…) scherten sich doch gar nicht um Untersuchung geschweige denn um den Produktionsprozess!

Du hast recht: Was Lapo Berti betrifft, schüttete er (und viele andere nach ihm) das Kind mit dem Bade aus, indem er den Ansatz der Klassenzusammensetzung komplett verwarf. Zu deinem anderen Kritikpunkt: Ich habe, glaube ich, in derselben Passage, die du zitierst, klargestellt, dass die »zu enge« Konzentration der Operaisten auf den unmittelbaren Produktionsprozess nur für die sechziger Jahre zutraf.

Aber schon in den allerersten Texten von Alquati findet man Überlegungen zur Reproduktion der Arbeiter (Familie, Schulbildung der Kinder, das Auto, welche Zeitung lesen sie …).

Ja, Alquati reißt diese Fragen an, doch das Hauptaugenmerk liegt auf dem, was das für die Subjektivität der Arbeiter am Arbeitsplatz bedeutet. Sein Text zu Olivetti endet genau an diesem Punkt, wo er die Frage nach dem weiter gefaßten sozialen Geflecht der Arbeiter stellt, aber nicht durchhält. Und ich habe nicht den Eindruck, als wären viele von Alquatis Gefährten bei Quaderni Rossi oder Classe Operaia an diesen Fragen so interessiert gewesen wie er.

In welchem Sinn kann »Storming Heaven« dazu dienen – wie du es ausdrückst – »über die Hindernisse nachzudenken, die der Neuzusammensetzung der Klasse entgegenstehen, und auf welche Weise diese überwunden werden können, ohne dass die Effektivität oder die gesellschaftliche Selbstorganisation Schaden nehmen«?

Weil es einige erfolgreiche Bemühungen dokumentiert, auch wenn diese auf die jeweilige Situation in Raum und Zeit beschränkt sind und daher nicht als leicht nachahmbare Modelle für heute dienen können. Außerdem bietet es einige Hinweise darauf, was besser unterbleiben sollte. Möglicherweise stellen die Volsci eine Ausnahme dar, aber im Übrigen ist die Erfahrungsgeschichte der Autonomia Organizzata als »Wegbereiter der Neuzusammensetzung der Klasse« kaum nachahmenswert – und selbst einige der erfolgreicheren früheren Versuche von »Intervention« wie etwa bei Fiat 1969 müssen wir kritisch unter die Lupe nehmen.


Das Interview mit dem Autor des Buches wurde über zwei Wochen per e-mail geführt.




Erscheint im Herbst auf Deutsch. Wir hatten im Wildcat Zirkular 40 bereits ein Kapitel (Kritik an Negris »gesellschaftlichem Arbeiter«) veröffentlicht.

Sergio Bologna, Der Operaismus als Objekt der historischen Forschung; in:Sozial.Geschichte, Heft 3, 2003, S.132-147. Leider nicht online verfügbar

Michael Hardt/Toni Negri, Empire. Die neue Weltordnung. Ffm 2002. (USA 2000)

Red Notes Ed Emery machte als erster seit den 70er Jahren in seinen vervielfältigten Blättern Red Notes italienische operaistische Texte in englischer Übersetzung verfügbar.

ZeroWork Operaistische Zeitschrift in den USA. Nr. 1 (1974) und Nr. 2 (1977). Vollständig ins Deutsche übersetzt von Wildcat als Thekla10 (noch erhältlich!!)

Primo Moroni gründete 1971 den ersten Buchladen der Bewegung, die Calusca in Mailand. Von allen (untereinander zerstrittenen) Fraktionen der radikalen Linken respektierter Genosse. War in der Redaktion von Primo Maggio. Hat zusammen mit Nanni Balestrini Die Goldene Horde verfasst, die Geschichte der 60/70er Jahre in Italien. Leider viel zu früh gestorben.

Collegamenti linkskommunistisch-libertäre Zeitschrift, in der ersten Hälfte der 70er Jahre in Mailand zunächst als Bulletin zur Koordinierung vieler autonomer Fabrik- und Stadtteilkomitees erschienen. In der zweiten Hälfte der 70er Zeitschrift mit Kontakten in ganz Italien und international. In den 80ern Zusatztitel Wobbly, um die Bedeutung der Dezentralisierung der Produktion, der Prekarisierung und der Kämpfe, die sich darin entwickelten, herauszustellen. Trotz mehrerer redaktioneller Mißerfolge (es dürfte inzwischen die dritte [?] »Neue Folge« sein) ist es nach wie vor der wichtigste Ausdruck einer Untersuchungsrichtung, die man als libertären Operaismus bezeichnen könnte.

Christian Marazzi (Primo Maggio) und Mario Montano veröffentlichten Artikel in ZeroWork. Während Montano sich danach aus der Politik zurückzog, veröffentlicht Marazzi weiterhin krude Theorien zum Geld, die teilweise sogar ÜbersetzerInnen ins Deutsche finden (»Der Platz für die Socken«, »Fetisch Geld«).

Beverly Silver/Giovanni Arrighi, Forces of Labour.
Ausführliche Besprechung in der Wildcat 67. Das Buch erscheint im Herbst auf Deutsch.

conricerca Von der Zeitschrift Quaderni Rossi (wahrscheinlich von Romano Alquati) geprägter Begriff für den Versuch, eine Arbeiteruntersuchung gemeinsam mit den ArbeiterInnen durchzuführen.
Siehe auch »Die Renaissance des Operaismus«

Correspondence war in den 50er Jahren die Zeitschrift der Johnson/Forest-Tendency, 1941aus der trotzkistischen Socialist Workers Party in den USA abgespalten. Sie suchten den Kontakt mit den ArbeiterInnen, arbeiteten auch selber in Fabriken und hatten sehr offene Augen für die reale Klassenzusammensetzung (schwarze Arbeiter, Frauen, Fließbandarbeiter). Kritik an Gewerkschaften und traditionellen Avantgarde-Vorstellungen: »Der Arbeiter braucht keine revolutionären Parteien, die ihn (…) lehren. Der Arbeitsprozess ist seine revolutionäre Erziehung.« (CLR James, 1946)

Socialisme ou Barbarie (Sozialismus oder Barbarei) entsteht Anfang der 50er Jahre in Frankreich aus einer trotzkistischen Abspaltung, Die bekanntesten Namen sind Lefort, Castoriadis, Mothé und Henri Simon. Sie nahmen in den 50er Jahren vieles vorweg, was später in Italien als Arbeiteruntersuchung thematisiert wurde. Lefort regte eine Untersuchung an, um die heutigen Formen gesellschaftlicher Zusammenarbeit zu begreifen, die auf eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise anspielen.
Siehe Andrea Gablers Aufsatz in: Archiv zur Geschichte des Widerstands und der Arbeit, Nr. 16.

I Volsci Monatszeitung und Name der Comitati Operai Autonomi in Rom, benannt nach der Straße ihres Sitzes (i volsci war ein Stamm, der früher gegen die Römer gekämpft hatte). Von 1978-81 erschienen 11 Nummern. Themen: Kämpfe im Krankenhaus, Knast, Dienstleistung. Sie organisierten in den 70er Jahren vor allem Arbeiteruntersuchungen und das Reduzieren von Stromrechnungen.

Stamm der Maulwürfe Sergio Bologna: La tribù delle talpe, Feltrinelli 1978, (dt. Der Stamm der Maulwürfe, in: Mai-Gruppe/Theoriefraktion (Hrsg.): Wissenschaft kaputt, Münster 1980, S. 251-301.

Rosso wurde nach dem Ausstieg der volsci die Zeitung der Negri-Strömung in Mailand, mit der sie ihre Parolen in die 1977er Bewegung hinein trug: den Abschied vom Massenarbeiter, den Triumph des Gesellschaftlichen Arbeiters, die Selbstverwertung, Massenillegalität usw. War mit den Verhaftungen 1979 zuende.

Paduaner Eigentlich colletivi politici veneti. Organisierte Struktur der Autonomia, die weiter bestand, als die meisten Gruppen schon im Niedergang waren. Ihre Zeitung Autonomia erschien 1978/9, dann sporadisch bis in die 90er Jahre. Mit Radio Sherwood und ecn.org konnten sie sich erfolgreich in die Anti-AKW-Bewegung, Migrantenorganisierung und die Centri Sociali einmischen. Die Tute Bianche bzw. die Disobbedienti kommen von hier, die Strukturen und die Streitereien mit Linksradikalen und Libertären in Italien sind seit 30 Jahren dieselben.



aus: Wildcat 70, Sommer 2004


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: [Wildcat #70 - Inhalt] [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]