Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 122-124 [z59werne.htm]


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Es ist der Kapitalismus, der kriminell ist!

Solidarität mit Werner Braeuner

PRESSEERKLÄRUNG

Besetzung des Informations- und Dokumentationszentrums der Deutschen Botschaft in Paris CIDAL (Centre d'information et de documentation de l'ambassade d'Allemagne)

Heute, am 9. Juli 2001, haben wir das Informations- und Dokumentationszentrum der Deutschen Botschaft in Paris in der rue Maribeau 24, im 16. Arrondissement, für eineinhalb Stunden besetzt, um gegen die übertriebene Medienhetze und die Lügen des Gerichts gegen Werner Braeuner zu protestieren.

Werner Braeuner, 46 Jahre alt, arbeitsloser Ingenieur seit 8 Jahren, wird am 3. August 2001 um neun Uhr im Saal 104 des Gerichtes in Verden / Niedersachsen, Johanneswall 6, vor Gericht gestellt werden. (Weitere Termine: 7., 9., 13. August). Er ist angeklagt, am 6. Februar 2001 den 63-jährigen Verdener Arbeitsamtdirektor Klaus Herzberg getötet zu haben. Letzterer hatte ihm die Arbeitslosenhilfe gestrichen, Werner Braeuners einzige Einnahmequelle.

Vor etwa einem Jahr hat Werner Braeuner eine Weiterqualifizierungsmaßnahme begonnen. Nach fünf Monaten beschließt er, die Maßnahme abzubrechen, da er ungefähr die Hälfte der Zeit der Weiterqualifizierung mit Nichtstun verbringen muß. Enttäuscht über die niedrige Qualität der Ausbildung informiert Werner Braeuner den Arbeitsamtsdirektor Klaus Herzberg über seinen Entschluß mittels zweier Briefe, die er gleichfalls der Öffentlichkeit zugänglich macht. Obwohl Werner Braeuner ausführlich auf die Gründe seiner Entscheidung in den Briefen eingeht, streicht ihm Klaus Herzberg die Arbeitslosenhilfe. Anfang Februar 2001 erhält Werner Braeuner den amtlichen Bescheid, daß ihm die weitere Auszahlung der Arbeitslosenhilfe verwehrt wird. Werner Braeuner denkt über Selbstmord nach, beschließt jedoch letztlich am 6. Februar 2001 Klaus Herzberg vor seinem Haus aufzusuchen. Der Wortwechsel schlägt in eine körperliche Auseinandersetzung um, Werner Braeuner schlägt mit einem am Tatort vorgefundenen Gegenstand auf Klaus Herzberg ein, letzterer stirbt an den Folgen seiner Verletzungen. Erschrocken von den weitreichenden Folgen seines Handelns stellt sich Werner Braeuner sofort nach der Auseinandersetzung der Polizei und gesteht den Tathergang. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozeß.

Seit langem ist Werner Braeuner in der französischen Arbeitslosenbewegung bekannt. Er begreift sich selbst als einen undogmatischen Anarchisten und bezieht sich in seiner politischen Haltung insbesondere auf die Arbeiten Erich Neumanns, Max Webers und Friedrich Nietzsches. Er setzt sich für die soziale und wirtschaftliche Selbstorganisierung, für die Reduzierung der Arbeitszeit, ein Existenzgeld unabhängig von Arbeit, Alter und Geschlecht von monatlich 1000 Euro, für eine Gesellschaft freier Individuen ohne Arbeitszwang ein. Werner Braeuner hat sich in seinem politischen Handeln niemals der Rot-Grünen Regierung in Deutschland angebiedert. Sein kritischer Standpunkt gegenüber den Kompromissen der deutschen Grünen mit der Öllobby und mit dem sozialdemokratischen Entwicklungs- und Akkumulationsmodell vermag die Ruhe zu erklären, die sich um seinen Fall in der Öffentlichkeit entfaltet.

Die Geschichte Werner Braeuners ist die Geschichte vieler Arbeitsloser. Die Machtinstanzen versuchen heute vielfach, den Arbeitslosen Scheinmaßnahmen zur Verringerung der Arbeitslosenstatistiken aufzuzwängen, die oftmals schlimmer als die Arbeitslosigkeit selbst sind: Berufsweiterbildungsmaßnahmen, die nichts mit dem gewünschten und angestrebten Berufswunsch des Arbeitslosen zu tun haben, schlecht-bezahlte Jobs, die nicht dazu ausreichen, menschenwürdig zu leben, lächerliche Weiterbildungen... Diese Logik setzt sich in Frankreich im Namen des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit (in Wahrheit des Kampfes gegen die Arbeitslosen) durch, mittels der massiven Umsetzung von Maßnahmen wie PARE, und nach der gleichen Logik verschärfen in Deutschland die staatlichen Instanzen die Kontrolle und die Repression gegen Arbeitslose.

Die deutschen Justizbehörden geben sich nicht damit zufrieden, Werner Braeuner wegen Totschlags anzuklagen. Sie klagen ihn an, Klaus Herzberg absichtlich getötet zu haben, was die zu erwartende Haftstrafe verdoppeln wird, sie fordern eine Verurteilung zu lebenslänglicher Haft. Diese Anklage von seiten des Staatsanwaltes, gestützt durch die Hetze der Medien, basiert auf einer Lüge. Wenn Werner Braeuner seine Tat geplant hätte, hätte er sie sicherlich auf eine andere Art und Weise durchgeführt! Werner Braeuner hat aus Hoffnungslosigkeit und aus Überlebenswillen gehandelt, er konnte seine Wut nicht im Zaume halten, aber ohne die Absicht gehabt zu haben, Klaus Herzberg töten zu wollen. Die Gründe seiner Wut sind nachvollziehbare Gründe!

Es ist der Kapitalismus, der kriminell ist!

Solidarität mit Werner Braeuner!

GRUPPE UNKONTROLLIERBARE ELEMENTE, Paris

 


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