Wildcat-Zirkular Nr. 62 - Februar 2002 - S. 19-22 [z62migra.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 62] [Ausgaben] [Artikel]

Kämpfe von MigrantInnen und die Schwäche der antirassistischen Bewegung

Am 19. Januar 2002 demonstrierten in Rom 200 000 Menschen gegen die Verschärfung der italienischen Einwanderungspolitik, in Bologna wurden am 25. Januar Teile eines Abschiebeknastes »demontiert«. In Bern wurde am 29. Januar ein Sans Papier aus dem Sicherheitsgefängnis befreit, in dem er während des Besuchs einer Parlamentsdebatte gelandet war. In Bremen konnte am 8. Januar eine Abschiebung verhindert werden.

In Australien demonstrierten am 2. Februar mehrere tausend Menschen gegen die brutale »Einwanderungspolitik« der australischen Regierung in den letzten Monaten. Der »Skandal« um den finnischen Tanker Tampere hatte die meist afghanischen und kurdischen Flüchtlinge in die Medien und die öffentliche Diskussion gebracht. Sie sind seit Monaten mit die größte Gruppe von MigrantInnen, die eine Perspektive jenseits der Kriegsfronten in ihren Herkunftsländern suchen. Tausende aus Afghanistan, dem Irak und aus Kurdistan versuchen immer wieder, von Frankreich aus durch den Eisenbahntunnel nach England zu gelangen (kurioserweise wird das direkt am Eingang des Tunnels liegende Lager nicht geschlossen, weil die europäischen Regierungen sich nicht einig sind, was mit den Leuten passieren soll, und weil sie deren Reise bis Frankreich offensichtlich auch nicht verhindern können).

In Tel Aviv hatten im April 2001 chinesische Bauarbeiter mit einem einwöchigen Streik die Auszahlung ihres Lohnes erzwungen. Vor dem Hintergrund der jetzigen Wirtschaftskrise hat das israelische Innenministerium die Abschiebung von monatlich 1000 »Illegalen« verkündet - gleichzeitig fordern die Bauern massiv billige Landarbeiter an. Aus Malaysia werden viele indonesische »Illegale« abgeschoben, nachdem diese in den letzten Wochen gegen ihre Bedingungen in den Fabriken, z.B. gegen Drogentests, revoltiert hatten. Die Abschiebungen richten sich auch direkt gegen die Aktivitäten der MigrantInnen. Man hat Angst vor der Ausbreitung solcher Kämpfe, d.h. Angst vor dem Klassenkampf.

1.) Diese Aufzählung an Mobilisierungen von MigrantInnen ließe sich mit Beispielen aus der ganzen Welt verlängern. Nur selten tauchen sie in den großen Nachrichten auf, wie z.B. der Hungerstreik im australischen Lager Woomera; und wenn, dann wird vor allem die Verzweiflung der Menschen in den Vordergrund gerückt. Geographisch weit voneinander entfernt, haben diese vielen kleinen Kämpfe scheinbar nichts miteinander zu tun, und es gibt auch wenig bis keine Kommunikation zwischen den verschiedenen Orten. Unmittelbar geht es dabei um die Legalisierung des Aufenthalts. Allgemeiner um die Bedingungen von Arbeit und Leben, die täglich in den Fabriken, auf den Straßen und in den Wohnvierteln neu ausgefochten werden.

2.) In dem Artikel »Spanien: Regularisierung, Verschärfung des Ausländergesetzes und Widerstand der MigrantInnen« (Zirkular 59/60) wurde die für Spanien relativ neue Entwicklung vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland analysiert: vor allem auf dem Bau und in der Landwirtschaft werden Arbeitskräfte benötigt, gleichzeitig hat der spanische Staat mit einem neuen Gesetz die Einwanderung erschwert. Mit Besetzungsaktionen in den Städten und Streiks, die die Ernte in Gefahr brachten, konnten die MigrantInnen dem spanischen Staat Zugeständnisse abringen. (siehe Zirkular 59/60: »El Ejido - ein Jahr danach«).

3.) Die spanische Entwicklung ist ein Beispiel für einen weltweit stattfindenden Prozeß: Das Kapital braucht Zuwanderung, um die Arbeitsbedingungen weiter aufmischen zu können. Diesem (Kapital-)Interesse entsprechend soll der Staat das Angebot billiger Arbeitskraft garantieren und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung des »sozialen Friedens« sorgen. Er kann dabei aber nur versuchen, nachträglich das zu regulieren, was sowieso passiert: die internationale Migration.

4.) Die Modernisierung der Einwanderungspolitik und die Reform der wohlfahrtsstaatlichen Systeme, wie sie seit Jahren europaweit diskutiert werden, sind zwei parallele Prozesse, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Steigerung der Arbeitsmenge, die das Kapital der Arbeiterklasse abzupressen vermag. Bei der Einwanderungsdebatte in der BRD geht es um die Art und Weise, wie die Mobilisierung von ArbeiterInnen aus dem Ausland kontrolliert und reguliert werden soll [1].

5.) Die auf den ersten Blick paradox erscheinende Gleichzeitigkeit von Abschiebungen und Zuwanderungsdiskussion ist weltweit ein Moment von Krisenregulierung: Die Abschiebungen bereiten die Einwanderung vor. So werden die MigrantInnen eingeschüchtert und die Zusammensetzung der Migration beeinflußt. Sowohl den MigrantInnen wie der hiesigen Bevölkerung soll deutlich gemacht werden, daß der Staat die Situation im Griff hat.

6.) Gleichzeitig sollen die »verkrusteten Arbeitsbeziehungen« aufgebrochen werden (die EU-Kommission spricht ausdrücklich von den zu teuren sozialen Sicherungssystemen der BRD). Auch die alteingesessene, einheimische Arbeitskraft soll billiger und ihr Einkauf risikoloser werden - darum geht es, wenn die Süßmuth-Einwanderungs-Kommission die mangelnde Förderung »nichtintegrierter InländerInnen« (also beschäftigungsloser oder zu teurer ArbeiterInnen) beklagt; und genau deshalb werden jetzt das Kombilohnmodell, das neue job-aqtiv-Gesetz (gegen die »zu hohen Ansprüche« der Arbeitslosen) und die aktuelle Kampagne gegen die Ineffektivität der Arbeitsämter aufgefahren.

7.) Der folgende Artikel wurde wieder von C. aus Barcelona verfaßt. Er stellt vor dem Hintergrund der bisherigen »spanischen Erfahrungen« die Frage nach der Perspektive: für die MigrantInnen und für »uns«, die wir uns nicht an einer Regulierung beteiligen wollen, sondern nach Punkten suchen, an denen wir gemeinsam Teil einer Bewegung sein können, die diese Gesellschaft umwälzt. Am Beispiel der Platzbesetzungen von Migranten im August 2001 in Barcelona werden die Grenzen der antirassistischen Gruppen und Aktivitäten aufgezeigt:

Was mit »den Staatsbürgerpakt brechen« gemeint ist, bleibt im Artikel etwas unklar. Auf unsere Nachfrage beim Autor kam folgende Antwort:

»Mit Bruch des Staatsbürgerpakts meine ich eine Praxis, das bürgerliche Projekt des Staats abzulehnen, das sich in Barcelona in einem Diskurs und einer Praxis von 'Bürgermobilisierung' von seiten der Stadt äußert, z.B. mit Aufrufen zu Fahrraddemos, Förderung von ehrenamtlicher Arbeit, oder mit Solidaritäts-, Toleranz- und Multikultifesten. Es wird eine Art Ideologie des (guten) Bürgers gefördert als Identitätskategorie, die über dem Klassenkonflikt oder Geschlechterkonflikt steht und diese verdeckt. Auf allgemeinerer Ebene entspricht das der alten Idee des Nationalismus und dem Gefühl, zu einer bestimmten Gemeinschaft zu gehören, von der aus wir die anderen (die ImmigrantInnen) von der Staatsbürgerschaft ausschließen. Praktisch kann der Staatsbürgerpakt gebrochen oder wenigstens angeknackst werden, wenn die Spielregeln bei Auseinandersetzungen nicht eingehalten werden: mit Besetzungen, Lahmlegen des Verkehrs durch unangemeldete Demos, der ausdrücklichen Ablehnung der ideologischen Kruste von Identität und durch die Abneigung gegen eine Gemeinschaft, die behauptet, die unsere zu sein. Ich denke, daß dieses selbstkritische Nachdenken über uns als Staatsbürger wichtig ist, wenn es um die restriktive Vergabe der Staatsbürgerrechte geht.«

Und hier folgt nun endlich der Artikel:


Fußnoten:

[1] Zum Zusammenhang von Einwanderungspolitik und Umstrukturierung des Sozialstaats, bzw. der Arbeitsbedingungen der »einheimischen« ArbeiterInnen siehe ausführlich in: Zirkular 59/60.


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 62] [Ausgaben] [Artikel]