05.08.2002 Piqueteros in Argentinien - Materialien

Betriebe der Arbeitslosen der MTD Aníbal Verón

Von Laura Vales, 12. Juni 2002

Original: http://www.rebelion.org/sociales/mtd120602.htm

Seit zwei Jahren baut die MTD Aníbal Verón auf der Grundlage der Beschäftigungsmaßnahmen ein Netz von selbstverwalteten Werkstätten, Bäckereien und Volksküchen auf. [...] Die Organisation benutzt die staatlichen Beschäftigungsmaßnahmen, um eigene Projekte zu entwickeln. Sie verwaltet nicht die Gelder, denn die Regierung überweist die 150 Lecops [= eine der vielen argentinischen Sonderwährungen] den UnterstützungsempfängerInnen auf ihre privaten Konten. Die MTD benutzt aber die vier Arbeitsstunden täglich, die für die Unterstützung geleistet werden müssen, für Initiativen, die von den Arbeitslosen beschlossen wurden und deren Regeln sie selbst aufgestellt haben. Für die MTD haben ihre Produktionswerkstätten ein doppeltes Ziel: das offensichtliche ist die Autonomie, der Aufbau von Wirtschaftsprojekten, die die Chance beinhalten, später ohne Unterstützung selbständig weiterzuarbeiten. Gleichzeitig ist dies aber auch ein Versuch, 'das Menschliche und die Gesellschaftlichkeit zurückzuerobern'.

Grundlage ist die Vorstellung, dass zwischen Organisationsformen und -zielen ein Zusammenhang besteht. Die piqueteros der Aníbal Verón definieren sich als »antikapitalistisch, unabhängig von politischen Parteien, auch von den linken, und von den Gewerkschaftsdachverbänden«. Intern gibt es vier Organisationsprinzipien: horizontale Organisation, Beteiligung, direkte Demokratie und Autonomie.

Ein Peso das Kilo

In der Bäckerei von Solano arbeiten zwanzig Personen, in Schichten rund um die Uhr. Wenn alles funktioniert, produzieren sie pro Tag 200 kg Brot, das für den Eigenbedarf bestimmt ist (in den Volksküchen von drei Stadtvierteln und für 150 Kinder als Zugabe zur täglichen Milchration). Wenn dieser Bedarf gedeckt ist, wird der Rest öffentlich zu einem Soli-Preis verkauft, der unter dem Marktpreis liegt: ein Peso das Kilo. Die Bäckerei wirft Gewinn ab, da die Löhne mit den 150 Pesos Unterstützung als abgedeckt gelten. Die piqueteros haben entschieden, die zusätzlichen Einkünfte nicht unter den zwanzig Personen aufzuteilen, die dort arbeiten, sondern sie in andere Gemeinschaftsprojekte zu stecken. »In den Produktionswerkstätten diskutieren wir darüber, was für Verhältnisse wir untereinander haben wollen, sodass die Art, wie wir uns organisieren, kollektiv entsteht«, sagt Neka (Nélida) Jara.

»Am Anfang hatten wir Vorarbeiter, an jedem Ort jemanden, der die Sachen geregelt hat, aber dann haben wir entschieden, dass wir keine Vorsitzenden haben wollen, weder in der Organisation, noch in den Werkstätten. Wie wir die Arbeit erledigen, das beruht auf Vereinbarungen: bevor wir mit irgendetwas anfangen, beschließen wir gemeinsam, was wir produzieren wollen, wofür und wie. Erst wenn wir alle klar haben, was wir machen wollen, fangen wir an zu arbeiten. Danach überprüfen wir gemeinsam in wöchentlichen Sitzungen, ob die Ziele erfüllt werden«. Die Produktionswerkstätten laufen seit zwei Jahren. Noch 1997 mußten die Mitglieder der MTD, die eine Beschäftigungsmaßnahme bekamen, für die Gemeinde arbeiten, Straßen fegen oder Straßenschilder anbringen.

Danach forderten sie, in ihren eigenen Stadtvierteln arbeiten zu können, »zum Beispiel die Straßengräben sauber machen oder Renovierungsarbeiten«, erzählt Andrés Fernández. Und schließlich setzten sie Projekte für Alltagsbedürfnisse in Gang: Brot, Kleidung, Schuhe. Die ersten Werkstätten wurden 1999 eröffnet, als die Gruppe noch klein war und nur sechzig Mitglieder hatte. Nach der Ausweitung der Beschäftigungsmaßnahmen durch das 'Programm für Haushaltsvorstände' gibt es in Solano heute 1200 UnterstützungsempfängerInnen. »Aber es beteiligen sich immer mehr Leute an den Blockaden als an der Arbeit in den Werkstätten. Nicht alle machen bei diesem Projekt der MTD mit«, sagt Neka. [...]

Die Ziegelei

Zwölf Kilometer weiter, in La Fe, einer Siedlung in Lanús, steht die Ziegelei, eine Fabrik für Ziegel aus Zement. Die Werkshalle ist ein hoher Holzschuppen mit Steinboden. Hier kann man lernen, Ziegel zu machen, aus einer Mischung von Zement und Sand. Die bereits geformten Ziegel werden zum Trocknen und Aushärten ausgelegt. Die Werkshalle hat eine Kapazität von 200 Ziegeln pro Schicht: das heißt, in 48 Stunden kann die Anzahl Ziegel hergestellt werden, die für die Wände eines nicht allzu großen Zimmers gebraucht wird. Hier arbeiten dreissig Personen. Fünfzehn morgens, die Ziegel herstellen, und fünfzehn nachmittags, die die fertigen Ziegel verbauen. So wurden ein Kindergarten und ein Maschinenschuppen gebaut, zur Zeit stellen sie eine Holzwerkstatt fertig und auf der Warteliste steht eine Bücherei. Kriterium war hierbei, zuerst die Gemeinschaftsräume zu bauen. Auch hier gab es mit zunehmender Erfahrung Veränderungen in der Organisation der Werkstätten. Einige Anfangsgruppen haben das Handwerk schnell gelernt, sind abgesprungen und haben ihren Weg alleine fortgesetzt, getrennt von der Organisation der Arbeitslosen. Neben den Werkstätten (es gibt noch andere wie Bäckereien, Gemüsegärten und kleine Fabriken für Bekleidung und Lebensmittel in den verschiedenen Stadtteilen) betreiben die MTD in dieser Gegend noch eine andere Art von Unternehmen, die auf gemeinsamen Geldern aufbauen. Sie haben eine Gemeinschaftsapotheke eingerichtet, die kollektiv finanziert wird, damit alle, die eine Behandlung brauchen, Zugang zu den Basismedikamenten haben. Die Volksküchen funktionieren mit einer Gemeinschaftskasse, in die jedeR UnterstützungsempfängerIn zehn Pesos pro Monat einzahlt. Damit werden die Lebensmittel gekauft, die nicht auf anderen Wegen beschafft werden können, und so wird die Küche unterhalten, wo alle essen, unabhängig davon, ob sie staatliche Unterstützung bekommen, oder nicht. Wenn man nach den größten Problemen bei der Aufrechterhaltung der Werkstätten fragt, werden bei der MTD in erster Linie interne Schwierigkeiten genannt, wie »Individualismus« oder die Tendenz »die eigenen Bedürfnisse über die der anderen zu stellen«.

Die piqueteros sind radikaler als andere Arbeitslosenorganisationen. Sie haben keine Vorsitzenden. Für den Kontakt mit den Medien hat jedes Stadtviertel ein Handy, aber es kommt selten vor, dass man damit zweimal dieselbe Person erreicht. Wenn man mit jemand über ein bestimmtes Thema geredet hat und am nächsten Tag nochmal etwas nachfragen will, wird eine neue Stimme am Telefon sagen: »Nein, der ist nicht da, aber ich bin auch von der MTD. Du kannst mit mir sprechen.« Bei den Blockaden sperren sie sämtliche Fahrbahnen. Wenn sie sich auf Gespräche mit der Regierung einlassen, tun sie das als Gruppe, ohne einen Sprecher zu benennen. Sie hassen alles, was an Vetternwirtschaft erinnert. In ihren Reihen findet sich ein höherer Anteil an Jugendlichen. Diejenigen, die in der Ziegelei von Lanús arbeiten, wollen in den nächsten zwei Monaten Ziegel für die Anwohner herstellen, die sich Steinhäuser bauen wollen und können. Letzte Woche haben sie darüber diskutiert, wie sie das machen. Einige schlugen vor, die Ziegel zu einem Preis unterhalb des Marktpreises zu verkaufen, aber letzten Endes hat die Mehrheit entschieden, sie zum Selbstkostenpreis abzugeben.


Richtigstellung der MTD zu den Produktionskriterien:

In einer Passage des Artikels schreibt die Journalistin, der wir für ihre Arbeit danken: »Wenn dieser Bedarf gedeckt ist, wird der Rest öffentlich zu einem Soli-Preis verkauft, der unter dem Marktpreis liegt: ein Peso das Kilo. Die Bäckerei wirft Gewinn ab, da die Löhne mit den 150 Pesos Unterstützung als abgedeckt gelten. Die piqueteros haben entschieden, die zusätzlichen Einkünfte nicht unter den zwanzig Personen aufzuteilen, die dort arbeiten, sondern sie in andere Gemeinschaftsprojekte zu stecken«.

Wir möchten prinzipiell klarstellen, dass für uns mit den 150 Pesos (oder 40 US$) Unterstützung nicht die 'Löhne abgedeckt' sind. Im Gegenteil, wir kritisieren diese Unterstützungsgelder als Strategie, die Arbeiter im Elend zu halten. Unsere Produktivbetriebe zielen auf eine Wirtschaftsentwicklung, die antagonistisch zu den Kriterien des Kapitalismus steht, deshalb ist das Ziel die Erfüllung sozialer Bedürfnisse und nicht der Gewinn; die Logik, nach der wir uns richten, ist nicht die des Marktes, sondern die Entwicklung der Gemeinschaft. In diesem Sinne unterstützen wir aktiv die Besetzung von Fabriken und die Forderung nach Arbeiterkontrolle über die Produktion, und wir sehen uns als Teil der Kämpfe der ArbeiterInnen und des Volkes mit der Perspektive einer gesellschaftlichen Veränderung.

 

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