10.05.2004 Brüchige Festungen – Teil 6

 

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6) Die Blasen der kapitalistischen Utopie

Als Marx vor mehr als einem Jahrhundert die Metamorphosen des Kapitals und den Kreislauf Kapital-Geld untersuchte - bei dem der Ausgangspunkt und der Endpunkt der Warenproduktion das reale Geld ist, die anfassbare Form des Werts - , hatte er angemerkt, dass »das Geldmachen« als »treibendes Motiv der kapitalistischen Produktion« gelten könne. »Der Produktionsprozess erscheint nur als unvermeidliches Mittelglied, als notwendiges Übel zum Behuf des Geldmachens.« Deshalb werden einige »von einem Schwindel ergriffen, worin sie ohne Vermittlung des Produktionsprozesses das Geldmachen vollziehen wollen.«

Mit dem Aufschwung der spekulativen Ökonomie in den letzten Jahren wurde das Geld erneut als etwas von der produktiven Sphäre Getrenntes betrachtet. Manche wollten darin sogar die Heraufkunft eines Kapitalismus neuen Typs erblicken, der Wert erzeuge, ohne Lohnarbeit auszubeuten. Durch die Verselbständigung der Finanzsphäre habe sich der Kapitalismus von den Widersprüchen der Ware Arbeitskraft befreit. »Das notwendige Übel« wäre endlich vermieden. Eine Befreiung, die das Resultat der »Bewegung« des Kapitals selbst sei, außerhalb jeder Klassenaktion der Betroffenen. Als neues »revolutionäres Subjekt« entwickle sich das Kapital nunmehr autonom. Somit würden wir in einer Welt leben, wo es nach wie vor Kapital und Proletarier gibt, wo aber die Produktion von Wert geschieht, ohne die Ausbeutung der Arbeit zu durchlaufen. Das gesamte gesellschaftliche Leben werde zur Ware gemacht, nur die Arbeit sei keine mehr.

Das Platzen der spekulativen Blase zeigt, dass die Finanzsphäre nicht abgetrennt von den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen funktioniert. Wenn spekulative Anlagen nicht mehr attraktiv sind für die Profite, die von wenig rentablen Investitionen in die Produktion abgezogen werden, dann führt das zu einem wilden Wettrennen, um die Arbeitskosten immer weiter abzusenken. Bankrotte, Zusammenschlüsse, Entlassungen und Intensivierung der Arbeit liegen ganz vorn. Es ist also nicht so, dass die Verwertung des Kapitals auf die Lohnarbeit verzichten konnte, sondern der Aufschwung der Spekulation war eine erste Konsequenz der fallenden Rentabilität des Kapitalismus. Verbarg die spekulative Blase die Rentabilitätskrise des Kapitals, so zeigt ihr Platzen in aller Deutlichkeit die Brüchigkeit des Systems. Die fallenden Aktien und der unwahrscheinlich gewordene ökonomische Wiederaufschwung rücken die Ausbeutung der Arbeit und die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, wieder in den Vordergrund. Die Vorstellung, das Kapital könne sich verwerten ohne die lebendige Arbeit auszubeuten, ohne Ausbeutungsverhältnisse, bricht im Gleichklang mit den Aktienkursen zusammen.

 

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