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08.11.2023

Wilder Streik im Hamburger Hafen

Gestern, am 6. November 2023, haben sich Vorstand und Aufsichtsrat der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) offiziell für den Teilverkauf an die aktuell größte Reederei der Welt, die Mediterranean Shipping Company (MSC), ausgesprochen. Dieser Verkauf richtet sich gegen die Macht der Hafenarbeiter und verschlechtert ihre Arbeitsbedingungen. Eine Privatisierung soll die Mitbestimmung aushöhlen und den Widerstand gegen Automatisierung, Arbeitsplatzabbau und Kostensenkung brechen.

Dagegen trat gestern Nachmittag fast die ganze Spätschicht des Containerterminals Burchardkai in den wilden Streik, etwa 200 Arbeiter. Die folgende Nachtschicht und die Frühschicht führten den Streik weiter – mit Stand 7. November 18 Uhr geht der Streik in die vierte Schicht. In den anderen zwei Terminals (Tollerort und Altenwerder) wird langsamer gearbeitet.

Schichtwechsel sind um 6:45, 14:45 und 22:45 Uhr.
Unterstützt den Streik! Geht hin!

Update 8. November 2023, 12 Uhr:

Gestern wurde in der Versammlung mit der Nachtschicht entschieden, den Streik zu beenden. Es gab erste Abmahnungen, viele melden sich krank. Mit langsam arbeiten ist man weniger der Repression ausgesetzt...

Am Samstag, 11. November organisiert verdi um 11 Uhr am Rathausmarkt in Hamburg eine Kundgebung gegen den Verkauf.


Hier unser Artikel aus der aktuellen Wildcat 112, Herbst 2023.
Hier das Interview mit Hamburger Hafenarbeitern aus der Wildcat 110 von Mai 2022.

aus: Wildcat 112, Herbst 2023

Automatisierungsangriff im Hamburger Hafen

Einschätzungen eines Hafenarbeiters

Die Tarifrunde 2022

Auf den Versammlungen im letzten Jahr, mit denen die Streik-Mobilisierungen für die Tarifrunde 2022 vorbereitet wurden, war die Stimmung kämpferisch. Einerseits moderate Lohnabschlüsse in den Jahren davor, andererseits gigantische Gewinne der Reeder und die Extra-Gewinne der Terminals in Folge der gestörten Lieferketten. Die Forderung war: Inflationsausgleich plus Lohnerhöhung heißt bis zu 14 Prozent je nach Lohngruppe.

Mit der Bild-Schlagzeile: »Gier am Pier« begann eine Hetzkampagne, die von allen Medien aufgegriffen wurde. All das heizte die Stimmung weiter an. Die Kollegen begannen langsamer zu arbeiten und Überstunden zu verweigern. In den sozialen Medien tauchten kleine Filme dazu auf. Auch die Gewerkschaft hatte mit einem Flugblatt zum besonnenen Arbeiten aufgerufen.

In der Folge konnten ganze Schiffe nicht bearbeitet werden, ein mit 24 000 Containern beladenes COSCO-Schiff lag 24 Stunden am Kai ohne eine Containerbewegung. Das hatte es in dem Ausmaß noch nie gegeben.

Es folgten Warnstreiks. Der erste zeigte die Entschlossenheit. Die Kollegen demonstrierten nicht nur vor den Betrieben, sondern zogen los und blockierten eine zentrale Kreuzung im Hafen. Als die Polizei räumen wollte, kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Auch die zweite Demo hatte einen durchaus militanten Charakter, auch hier gab es Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Das Ganze hatte eine Dynamik bekommen, die die Gewerkschaftsführung sicherlich so nicht wollte.

Völlig überraschend für alle zauberte die Gewerkschaft einen gerichtlichen Vergleich mit den Unternehmern aus dem Hut, der die Warnstreiks erst mal für die Dauer von zwei Wochen mit drei weiteren Verhandlungsrunden aussetzte. Das hat kein Hafenarbeiter verstanden, aber alle haben es irgendwie akzeptiert. Nach den turbulenten Tagen war das Vertrauen in die Gewerkschaft groß, außerdem saßen in der Tarifkommission auch kämpferische Kollegen.

In der Folge flachte die Dynamik ab, immer weniger kamen zu Unterstützerdemos bei den Verhandlungsrunden. Der dritte Verhandlungstag endete mit einem Ergebnis, das in der Summe kaum besser war als der vorige Stand. Aber die überwiegende Mehrheit war mit dem Erreichten zufrieden und wollte zur Normalität zurück. Es gab natürlich viele, die den Abschluss in Frage stellten, auch in den sozialen Medien wurde viel kritisiert, aber es fehlte die treibende Kraft. Es blieb bei den üblichen Diskussionen: man müsste… Ein Problem ist, dass die radikalen Kräfte zu sehr in den Gremien eingebunden sind und nicht eigenständig agieren.
Mehr zum Streik 2022: siehe den Bericht und das Interview in Wildcat 110.

Haben diese Erfahrungen uns für die anstehenden Kämpfe gestärkt?

Seit 15 Jahren arbeitet die HHLA daran, das größte Terminal Burchardkai von Straddle-Carriern (Portalhubwagen) auf ein Blocklager mit Portalkränen umzubauen.1 Die Arbeiten werden 2024 abgeschlossen, und ab dann sollen die von Fahrern bewegten Straddle Carrier durch automatische Fahrzeuge ersetzt werden. So sollen 500 Arbeitsplätze abgebaut und die Lagerfläche für Container erheblich erweitert werden.

Bisher gibt es im Hamburger Hafen neben dem privaten Kai Eurogate drei Terminals, die der HHLA gehören:

  • Burchardkai
  • Tollerort (hieran durfte 2022 COSCO 24,9 Prozent Anteil erwerben)
  • Altenwerder (modernster Containerumschlag)

Zum Umbau gehört, dass die weltgrößte Reederei MSC 49,9 Prozent der Anteile der HHLA, die bisher weitgehend der Stadt Hamburg gehört, erwerben soll. Um dies alles durchzusetzen, sollen die eigenständigen Terminals aufgelöst und in vier neuen Betrieben zusammengelegt werden:

  • Die Hafenarbeiter gehören dann zum Betrieb »Containerumschlag«,
  • die Techniker in den Werkstätten zum Betrieb »Technik«,
  • Schiffsplaner, Disponenten, Einteiler zum Betrieb »Planung und Administration«
  • und im Betrieb »Terminalentwicklung« sitzt dann die IT.

Das heißt, die alten Betriebsräte der einzelnen Terminals werden aufgelöst, alle Vereinbarungen müssen neu verhandelt werden. Das politische Ziel der HHLA ist klar: Sie will neu zusammengesetzte Betriebsräte, in denen die Macht der Burchardkai-Betriebsräte nicht mehr so stark ist und kooperierende Betriebsräte an Einfluss gewinnen. Damit hoffen sie, möglichst viele Vereinbarungen auf dem Niveau des Containerterminals Altenwerder abschließen zu können. Dort gibt es einen neuen, hafenuntypischen Tarifvertrag, die Arbeit ist wegen der vielen automatisierten Prozesse intensiver.

Aber anstelle der Träume der Unternehmensberater könnte hierdurch auch eine in einem Betrieb zusammengefasste, noch stärkere Belegschaft entstehen, die sich schlechte Bedingungen nicht diktieren lässt.

Während dieser Kampf um die Umstrukturierung noch offen ist, befindet sich die HHLA bei der Automatisierung des Burchardkais auf der Zielgeraden. Es gibt Vereinbarungen, um 500 Arbeitsplätze durch Altersteilzeitregelungen abzubauen, d. h. die alten Kampferfahrenen werden rausgekauft.2

Das Projekt »Automatisierung im laufenden Betrieb« verschlingt Unsummen. Keiner der Zeitpläne konnte bisher auch nur annähernd eingehalten werden. Der letzte Test einer jahrelang geplanten Softwareumstellung endete im Desaster.

Durch Automatisierung wird die Containerproduktivität am Schiff nicht erhöht. Aber das Ersetzen der Straddle-Carrier-Fahrer durch automatische Fahrzeuge ermöglicht es, die Kontrolle über die Arbeitsabläufe zurückzugewinnen. Das nimmt den Hafenarbeitern einen wichtigen Machtfaktor. Von den vier Arbeitsplätzen pro Gang mit der meisten Macht gehen so drei (!) verloren. Für selbstorganisierte Go-Slow Aktionen wird der Spielraum sehr klein. Natürlich werden dabei auch die hohen Löhne eingespart und die Maschinenlaufzeiten erhöht.

Die HHLA verspricht sich von der Automatisierung deutliche Mengenzuwächse. Diese Luftblase wird durch keine Wirtschaftsprognose untermauert. Stagniert der Containerumschlag weiter wie in den letzten zehn Jahren, dann müssen bis zu 400 weitere Arbeitsplätze abgebaut werden.

Retuschiert wird das ganze durch die mediale Diskussion über die COSCO- und MSC-Beteiligungen an der HHLA und über die anscheinend so heftige Konkurrenz durch die viel produktiveren, weil viel stärker automatisierten Häfen Rotterdam und Antwerpen. In Wirklichkeit nutzen die Unternehmer die aktuelle Flaute, um mit Privatisierungen die Renitenz der Arbeiter (in den Medien heißt das: nicht konkurrenzfähige Kosten pro Container) abzuräumen und den Boden für weitere Automatisierungen zu bereiten.

Gegen die Privatisierung gab es am 19. September eine wütende Demo mit 2000 Leuten – vorbei an der Deutschlandzentrale von MSC hin zum Rathaus. Die Absperrung der Bullen wurde weggeräumt, mit Böller und Bengalos ging es auf den Rathausplatz. Die Slogans: »Unser Hafen, nicht euer Casino!« und »Mafia Shipping Company«.

Die Gewerkschaft fordert Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, um möglichst viele Hafenarbeitsplätze zu erhalten. Diese Forderung, die sich nicht gegen die Automatisierungspläne stellt, nimmt gerade Fahrt auf. Schon vor 30 Jahren wurde die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Form von zusätzlich 30 freien Tagen erkämpft, sodass die Vier-Tage-Woche mit 15 zusätzlichen freien Tagen erreicht würde.

English version

Fußnoten

[1] Werbefilmchen: https://hhla.de/magazin/blocklager

[2] Mitte der Nuller Jahre kam es im Hamburger Hafen zu größeren Auseinandersetzungen. Wir haben damals kurz davon berichtet: Wildcat 69: Hamburger Hafen – Lohnsenkung per Tarif, Frühjahr 2004

 
 
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