Wildcat Nr. 38 - Frühling 1986 - S. 23-26 [w38sozw1.htm]


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Zwei Jahre Erfahrungen mit der kommunalen Zwangsarbeit in Köln

Teil I: 1984 - Angriff auf die Sozi-Zwangsarbeit

Im Mai '84 schlossen wir uns, eine Handvoll Leute aus dem autonomen und Hausbesetzerspektrum in Köln zur Initiative »Weg mit der Zwangsarbeit« zusammen. Seitdem die Sozialämter in vielen Städten der BRD damit angefangen haben, massenhaft AsylantInnen in Zwangsarbeit einzuweisen, war das Thema ein Dauerbrenner. Und anders als der tägliche und verschärfte Arbeitszwang in der Fabrik war diese Zwangsarbeit, die allzusehr an die Nazi-Praxis des Reichsarbeitsdienstes erinnerte, öffentlich angreifbar, bewegte auch einige liberale Gemüter. In anderen Städten hatte es bereits zum Teil erfolgreiche Aktionen gegen die Zwangsarbeit gegeben, auf dem Hamburger Workshop von Jobber- und Erwerbslosen-Inis im März '84 gab's einen Arbeitskreis Zwangsarbeit. In Köln hatten eine Reihe von GenossInnen schon die Erfahrung mit dieser Maloche hinter sich und über türkische Genossen hatten wir Asylanten kennengelernt, die zum Laub kehren und Anstreichen abkommandiert waren.

Es lag also nahe, zunächst an dieser Form von Zwangsarbeit anzusetzen, Unruhe auf Ämtern und Einsatzstellen zu organisieren und Leute aus der Zwangsarbeit rauszuholen, um Beispiele einer erfolgreichen Verweigerung dann propagieren zu können. Damit griffen wir nur die bereits entwickelten Verhaltensweisen der Sozi-EmpfängerInnen auf. Wie wir aus internen Statistiken des Sozialamts erfahren hatten, war die individuelle Verweigerung - allerdings auch mit der häufigen Streichung der Sozialhilfe verbunden - weit verbreitet. Von über dreitausend, die zur Zwangsarbeitsstelle vorgeladen wurden, erschienen 1300 erst gar nicht dort, und weitere 1000 nahmen die zugewiesene Arbeit nicht auf oder brachen sie vor Ableistung der drei Monate ab. Nach eigenen Schätzungen des Sozialamts konnten über 5 Prozent aller SozialhilfeempfängerInnen mit dieser Zwangsarbeitspraxis für längere Zeit aus der Sozialhilfe herausgeschmissen oder abgeschreckt werden. Es kam für uns also darauf an, die Streichung der Sozialhilfe bei Arbeitsverweigerung zu verhindern.

Unruhe auf den Ämtern und Verrechtlichung als Antwort

Da es keine Basis für eine massenhafte politische Bewegung unter den Sozialhilfeempfängern gab, konnten wir zunächst nur rechtliche Regelungen zu benutzen versuchen. Wir propagierten auf den ersten Flugblättern solche Möglichkeiten, wie schriftliche Bescheide zu verlangen, Widerspruch einzulegen, bis hin zur Klage vorm Verwaltungsgericht (solche Klagen hatten einzelne Sozialhilfeempfänger in den vorangehenden Jahren bereits erfolgreich eingelegt), um die Einweisung in Zwangsarbeit zumindest hinauszuzögern. Bei den Leuten, die das mit uns zusammen machten, war diese Praxis sehr effektiv. Auf den Ämtern waren die rechtlichen Vorschriften fast unbekannt, eingewiesen wurde per mündlicher Verfügung, und es kostete die Verwaltung einige Zeit, um den rechtlichen Erfordernissen zu entsprechen, neue Formblätter zu entwerfen usw..

Das wichtigste war aber, daß wir von Anfang an versuchten, auf den Ämtern präsent zu sein. Wir erklärten den Leuten, daß wir sie in ihrer Auseinandersetzung mit den Sachbearbeitern unterstützen würden. Wenn wir mit Leuten, die eingewiesen werden sollten, zum Amt turnten, gingen wir immer mit einer Reihe von Leuten rein, machten die Auseinandersetzung auch für andere im Warteraum öffentlich. Der Versuch der Amtsärsche, uns daran mit Bullengewalt zu hindern, war auch nicht sehr effektiv für sie, da uns solche Rangeleien nur noch mehr Publizität einbrachten. Das Sozialamt versuchte daher, die Einweisungspraxis rechtlich wasserdicht zu machen und wenn Leute mit uns zusammen auftauchten, verzichteten sie auch schon mal auf die Einweisung.

Durch unsere Präsenz auf den Ämtern, in geringerem Maß auch durch Leute, die zu unserem wöchentlichen offenen Treff kamen, erfuhren wir zum einen von den versteckten Sauereien (»Sie können ja auch bei McDonalds arbeiten«), zum anderen vom täglichen Verhalten der Leute gegen die Arbeit: viele ließen sich krankschreiben, erzählten, sie würden gerade eine Lehrstelle suchen usw.. Einige berichteten auch von dem Verweigerungsverhalten in der Arbeit, das wir dann propagierten: »Langsam arbeiten, bummeln, sich um die Vorarbeiter nicht scheren. Oder ständig Mist bauen, alles falsch machen. Dann biste schneller aus der Arbeit raus, als du denkst. Ohne daß sie dir was anhaben oder Leistungen kürzen können.«

Intervention von außen oder Selbstorganisation

Von unserer Zielsetzung her ging es uns in erster Linie darum, daß sich die ZwangsarbeiterInnen selbst gegen die Arbeit zusammenschließen, daß sie es schaffen, durch ihre kollektive Aktion - »STREIK!« - die Arbeit zu kippen. Über die Ämter ließ sich das aber nicht organisieren, da wir ständig auf neue Leute stießen, es immer bei einzelnen Aktionen blieb und die Leute nach erfolgreicher Freistellung von der Arbeit das Interesse an der Initiative verloren. Der nächste Schritt war daher, die Aktionen auf die Arbeitsstellen zu tragen. Nur auf größeren Einsatzstellen wie den Friedhöfen hatten wir, allerdings recht erfolglos, unsere Flugis verteilt, einige hundert Zwangsarbeiter sind über zig Arbeitsstellen im ganzen Stadtgebiet verteilt und meistens fehlte die Hälfte der Leute sowieso schon: krank geschrieben, für Ämterbesuche usw. freigestellt.

Um innerhalb der Arbeit den Widerstand entwickeln zu können, versuchten wir mit Leuten, die eingewiesen werden sollten, andere Aktionen zu machen: erstmal nichts gegen die Einweisung unternehmen, die Arbeit antreten, um Kontakt mit den anderen Arbeitern zu kriegen und dort den Wirbel veranstalten! In diese Richtung haben wir nur ganz wenige Aktionen hingekriegt, da die meisten Leute, die zu uns kamen, von uns nur die Freistellung von der Arbeit erwarteten. Ein anderes Mal flog eine Zwangsarbeiterin in den ersten paar Stunden aus der Arbeit, weil sie ihren Kolleginnen ein Flugblatt verteilt hatte. Dort, wo wir größere Aktionen auf den Arbeitsstellen machten, wie eine Demo auf dem Friedhof, war es der stärkste Druck aufs Sozialamt. Die Leiter der Einsatzstellen bangten um die Arbeitsbereitschaft einer ganzen Kolonne, schickten die Leute sofort weg, und die Kritik wurde an eine größere Öffentlichkeit getragen. Zunächst wurden solche Leute auch sofort vom Sozialamt aus der Arbeit herausgenommen. In einer späteren Phase versuchten sie dann aber, den Leuten, die Aktionen auf der Arbeit machten, die Hilfe auf Grund von »Arbeitsverweigerung« zu kürzen oder zu streichen. In einem Fall schickten sie einen Sozialhilfeempfänger nach der ersten Aktion noch zu zwei anderen Arbeitsstellen. Nachdem wir ihn auch dort wieder in seinem Protest unterstützt hatten, konnten wir die anschließende Streichung der Sozialhilfe erst durch Klage vorm Verwaltungsgericht wegkriegen.

Es ist uns aber nie gelungen, ein kollektives Verhalten der Leute auf den Arbeitsstellen zu erreichen, was sicher auch an der Durchmischung der Kolonnen und der extremen Fluktuation lag: fest eingestellte städtische Arbeiter, ABM-Kräfte, deutsche Soziempfänger und Asylanten. Fast alle Leute, mit denen wir Aktionen machten, kannten wir über die besetzten Häuser, den SSK oder die politische Szene. So richtig unser Anspruch war und ist, daß es um den kollektiven Widerstand der Leute selbst geht, erst in zweiter Linie um die Wirksamkeit in der bürgerlichen Öffentlichkeit, so illusorisch ist die Vorstellung, sie würden sich als SozialhilfeempfängerInnen organisieren. Gerade hinter der stark ansteigenden Zahl von SozialhilfeempfängerInnen verbirgt sich eine ständige Fluktuation. Sozialhilfe in Kombination mit Zwangsarbeit ist nur eine von vielen Formen, wie wir uns mit dem Arbeitszwang auseinandersetzen müssen: ABM, Sklavenhändler, Sperrzeiten usw.. Das Sozialamt ist zwar als zentrale Institution des Arbeitszwangs leicht angreifbar, aber entlang einzelner institutioneller Formen wird sich der Haß auf die Arbeit nicht kollektiv organisieren.

Die Entwicklung der Zwangsarbeit in Köln

Die Zwangsverpflichtung von Soziallhilfeempfängern zur gemeinen und nützlichen Arbeit wird in Köln von der SPD schon seit 25 Jahren betrieben. Aber in den letzten Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders wurde sie kein Thema, weil es nur »Randgruppen« wie Penner, Obdachlose, Haftentlassene betraf. Das änderte sich mit dem Krisenangriff des Kapitals seit 1973, der immer mehr Arbeitslose zum Sozialamt trieb. Sozikohle wurde in den folgenden Jahren massenhaft benutzt, um die Arbeit und die steigenden Ausbeutungsansprüche des Kapitals verweigern zu können. In den Jahren '74-'76 wurde die Einweisung in Zwangsarbeit in Köln massiv ausgedehnt: bereits 1976 wurden 750 zur Arbeit auf den Friedhof oder Grünflächen geschickt. Von Anfang an verhielten sich die SoziempfängerInnen extrem ablehnend: nur 280 nahmen die Arbeit auf, und von denen organisierten einige sich im Mai als »Interessengemeinschaft der Pflichtarbeiter«, starteten eine erste Kampagne gegen den »Arbeitsdienst«, sorgten für Presseöffentlichkeit (Stern: »Ausbeutung per Gesetz«) und verteilten Flugblätter auf den Einsatzstellen. Die zentrale Zwangsarbeitsstelle (Abt. »Hilfe zur Arbeit«) reagierte hektisch. Sie verfaßte eine ausführliche interne Stellungnahme und sah sich schließlich genötigt, über 200 ZwangsarbeiterInnen aus der Arbeit herauszunehmen - nur um später ungestörter weitermachen zu können. Die »Interessengemeinschaft« fiel bald danach wieder auseinander.

In den Jahren 77/78 wurden aber jährlich nur etwa 300 Leute in Zwangsarbeit eingewiesen, wohl auch wegen der nun größeren Möglichkeiten, sie auf den »freien« Arbeitsmarkt abzudrängen. Seit '79 wird die Zwangsarbeit wieder ausgedehnt. Wie in der ganzen BRD beginnt mit dem Kriseneinbruch die massive Terrorisierung der AsylantInnen mit Zwangsarbeit, wobei diese in Köln täglich 8 Stunden arbeiten müssen, während deutsche SoziempfängerInnen nur vier Stunden arbeiten müssen (außer den nach § 72 BSHG eingewiesenen Pennern, die auch zu 8 Stunden gezwungen werden). 1981 wird diese rassistische Spaltung nach einem Urteil unhaltbar. Auf Grund der rechtlichen Verunsicherung stellt das Sozialamt die Einweisungen für einige Monate ganz ein, um sie dann mit der einheitlichen Regelung fünfeinhalb Stunden täglich auf jährlich etwa 2000 in den Jahren '82 bis '84 auszuweiten.

Supermarkt der Billiglohnarbeit

Als wir mit der Initiativenarbeit begannen, wollten wir uns nicht ausschließlich gegen die Sozi-Zwangsarbeit wenden, sondern gegen alle anderen Formen des staatlich vermittelten Arbeitszwangs: die Ausbeutung in Klapsen, Heimen und Knästen, die Verwertung der Penner in Asylen und Arbeiterkolonien. Zum Teil werden die Penner auf denselben Arbeitsstellen wie die Soziempfänger eingesetzt, organisiert von der selben Stelle »Hilfe zur Arbeit«, aber mit dem Repressionsmittel, daß sie bei Arbeitsverweigerung ihre Unterkunft verlieren. Über die Situation der Penner haben wir hauptsächlich darüber etwas erfahren, daß zeitweise ein Genosse in der Initiative war, der 1981 in Stuttgart zusammen mit Berbern ein Haus besetzt hatte, später mit ihnen zusammen Platte machte und sie auf den Ämtern unterstützte. Einen Zugang zu der Ausbeutungssituation in der Klapse hatten wir durch personelle Überschneidungen der Initiative mit dem Kölner »Beschwerdezentrum Psychiatrie«.

In all diesen Bereichen ist es aber viel schwerer, Widerstand gegen den Arbeitszwang zu organisieren. Einmal, weil es nicht so leicht wie bei der Sozi-Zwangsarbeit ist, den Kontakt zu diesen Arbeiterinnen zu halten, zum anderen, weil diese »klassischen« Ausbeutungsformen von »Randgruppen« bei den Leuten selbst wie in der Öffentlichkeit als »normal« gelten. Abgesehen von einigen Versuchen, blieb es daher bei der Propaganda gegen diese Ausbeutungsformen.

»Neue Armut« - die Spaltungslinie der Armutsverwalter!

In unserem Kampf gegen die Zwangsarbeit in Köln mußten wir uns auch ständig mit der linken und bürgerlichen Öffentlichkeit auseinandersetzen. Das war zum einen die Benutzbarkeit der Öko- und Alternativbewegung für die Durchsetzung der Zwangsarbeit. Während sich zig Kölner Gruppen um Verkehrsberuhigung und Fahrradfreundlichkeit sorgten, lernten wir Asylanten kennen, die als Zwangsarbeiter die Radwege rot anstreichen mußten. Aus der Langenfelder Psychiatrie erfuhren wir, daß dort Gefangene von »fortschrittlichen« Arbeitstherapeuten zum Anbau von Biogemüse verdonnert wurden. Und einige Initiativen im Sozialbereich ließen bereits SozialhilfeempfängerInnen die Zwangsarbeit bei ihnen ableisten. Hier machte das Sozialamt die ersten Versuche, alternative Gruppen in die Organisation der Zwangsarbeit einzubeziehen, woran es mit dem neuen Programm 1985 anknüpfen konnte (s. Teil 2 im nächsten Heft).

Zum zweiten mußten wir uns mit Gruppen aus dem Spektrum Kirche, Gewerkschaften, Grüne, DKP auseinandersetzen, die mit ihrer Kritik an der Zwangsarbeit das öffentliche Interesse an diesem Thema bestimmten. Dieser Kritik ging es darum, die Ablehnung der Zwangsarbeit mit der Forderung nach »besseren« Arbeitsgelegenheiten zu verbinden, Mit dem Begriff Neue Armut, der zu dieser Zeit aufkam, wurde die linksliberale Empörung über die Entgarantierung ausgedrückt - aber gerade nicht als Kritik der im Kapitalismus systematischen Armut. Als das Kölner Arbeitslosenzentrum (Evang. Sozialwerk) im Juni eine Veranstaltung zur »Neuen Armut« machte, griffen wir dort neben der Zwangsarbeit auch die Ausbeutung in Klapsen oder Arbeiterkolonien an, wobei in Gestalt der anwesenden Kirchenverteter auch die Betreiber dieser Kolonien auf dem Podium saßen. In einem internen Kritikpapier am Ablauf der Veranstaltung beschwert sich der Zuständige vom Evangelischen Sozialwerk darüber, daß die »Neue Armut« nicht säuberlich genug von der »alten«, den »Randgruppen« abgegrenzt worden sei:

»Die Probleme von Nichtseßhaften, Inhaftierten, Hausbesetzern usw. sind nicht kennzeichnend für die neue Armut.« Und ebenso konzentrierte sich das Interesse der Medien allein auf die Entgarantierung. Eine Rundfunkreporterin, die zu unserem Treff kam, wandte sich enttäuscht ab, als wir ihr nicht mit einem zur Zwangsarbeit geschickten Akademiker als Sensationsfall dienen konnten (»hätten Sie nicht was Passendes für mich?«), sondern sie nur Leute antraf, die es noch nie zu Amt und Würden gebracht hatten.

Die Spaltungslinie in der späteren Umstellung der generellen Pflichtarbeit für 1,50 DM auf ein differenzierteres Arbeitsprogramm war hier schon angelegt: für diejenigen, die sich auf Grund ihrer Ausbildung und der ihnen im System versprochenen sozialen Stellung gegen die Zwangsarbeit empörten, wurden verbesserte und für sie attraktive Arbeitsgelegenheiten geschaffen, während der Druck auf die »alte« Armut nach Abflauen der öffentlichen Kritik in einem neuen Anlauf gesteigert werden konnte.

Im Teil 2 werden wir diese Weiterentwicklung der Zwangsarbeit zum zweiten Arbeitsmarkt in der ständigen Auseinandersetzung der Stadtverwaltung mit den verschiedenen Verhaltensweisen gegen die Arbeit darstellen und unsere Entwicklung zur »Initiative gegen den Arbeitszwang« begründen.

Fortsetzung, Teil 2, in Wildcat Nr. 39.


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