Schafft eins, zwei, drei...
viele Arbeitsmärkte ...
ab!Seit der letzten weltweiten Krise '81/'83 wird in den Sozialverwaltungen der Großstädte an Konzepten für einen »zweiten Arbeitsmarkt« gebastelt. Durch ein Bündel staatlicher Beschäftigungsmaßmahmen sollen vor allem die sogenannten »Problemgruppen« unter den Arbeitslosen wieder ans Arbeiten gebracht werden. Im Mittelpunkt steht dabei die drastische Ausweitung der Sozialhilfe, die finanziell für die Kommunen nicht mehr tragbar sei.
Was hinter dem Gefasel von Beschäftigungspolitik und dem Gejammere über die kommunale Verschuldung tatsächlich steckt, ist die Absicht, die verschiedenen sozialstaatlichen Einkommensquellen präziser zur politischen Spaltung der Klasse einzusetzen. Bei seinen Versuchen, den Soziallohn wieder enger an die Arbeit zu binden und seinen verbreiteten Gebrauch gegen den Arbeitszwang einzudämmen, stößt der Staat auf Probleme. Nur aus diesen Auseinandersetzungen heraus lassen sich die neuen Programme begreifen.Staatlicher Arbeitszwang als Prekarisierungspolitik
Mit dem Ausbau der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, der Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger und einem Wust von Fördermaßnahmen und Kursen flankiert der Staat die allgemeine Prekarisierung. Wer versucht, sich den neuen Zumutungen des Kapitals durch den Gebrauch von Arbeitslosenkohle oder Sozialhilfe zu entziehen, wird nun über die sozialstaatlichen Institutionen zu Billiglohnarbeit, befristeten oder Teilzeitjobs gezwungen. Unter dem Mythos von staatlicher Arbeitsförderung werden in diesem Bereich Ausbeutungsbedingungen entwickelt, die erst später gesetzlich für den »freien Arbeitsmarkt« freigegeben werden. Aber genauso wie für die Unternehmer haben die neuen, entgarantierten Ausbeutungsbedingungen auch für den Staat einen widersprüchlichen Charakter. Sie funktionieren nur solange als politisches Spaltungsinstrument gegen die Klasse, wie es nicht in neuen Bereichen durch ihre Verbreitung zu Ansätzen von Vereinheitlichung und damit kollektivem Kampf kommt.
Politische Spaltung und 2. Arbeitsmarkt
Was hinter den Sorgen der Kommunen um die steigenden Sozialhilfeausgaben steckt, ist die steigende Zahl von Menschen, insbesondere Jugendlichen auf dieser untersten Einkommensebene. Bei den Versuchen, die klassische Zwangsarbeit, die in den Jahren der Vollbeschäftigung den sogenannten »Randgruppen« aufgedrückt werden konnte, entsprechend der Zunahme der SozialhilfempfängerInnen auszuweiten, stießen die Ämter auf ein brisantes neues Gemisch: entgarantierte Facharbeiter und Akademiker, die ihre Zwangsverpflichtung als »Skandal« empfanden; Jugendliche, denen Arbeit, egal in welcher Form, gleichgültig war und die verstärkt nach der Revolte '81 das Sozi »entdeckt« hatten; AsylantInnen, die aus der imperialistischen Politik die Konsequenz gezogen hatten, sich die sozialen Möglichkeiten eben in den Ursprungsländern der von ihnen erfahrenen politischen und ökonomischen Gewalt anzueignen, worunter sie alles andere als Zwangsarbeit verstanden... Gegenüber der Einheitlichkeit des Arbeitszwangs konnte von diesen verschiedenen Subjekten eine gemeinsamen Verweigerung ausgehen, auch wenn hier bereits die unterschiedlichsten Interessen und Forderungen sichtbar wurden, wie im 1. Teil des Kölner Berichts beschrieben wurde.
Landesprogramm NRW: neue Arbeit für neue Armut
Um dieser Vereinheitlichung zu begegnen, begann das Land Nordrhein-Westfalen 1984 mit einem Programm, das auf jugendliche Sozialhilfeempfänger und insbesondere auf qualifizierte zielte. Die kommunalen Sozialämter erhalten einen Zuschuß, wenn sie solchen SozialhilfeempfängerInnen, statt sie in die übliche Zwangsarbeit zu schicken, das »Angebot« von ein- bis zweijährigen Arbeitsverträgen machen. Neben der Differenzierung des Arbeitszwangs in diesem Bereich sollten die Leute durch den anschließenden Bezug von Arbeitslosengeld oder -hilfe auch in einen anderen institutionellen Bereich abgeschoben werden. 1984 wurden in NRW mehr als 2000 solcher Verträge abgeschlossen, 1985 nochmals 2800. In einer Studie zur Wirksamkeit dieses Programms wird die Initialfunktion herausgestellt: das Programm wurde in Kommunen angewendet, die bislang überhaupt keine Form der Zwangsarbeit benutzt hatten. Zweitens nimmt die Variante der vertraglich geregelten Zwangsarbeit von '83 auf '84 stark zu. Die alte Zwangsarbeit, die '84 noch stark angestiegen war, wird dabei wieder auf das Ausmaß von '83 zurückgefahren, aber sie macht weiterhin zwei Drittel aller Arbeitsformen beim Sozi aus! Im Gegensatz zur alten Zwangsarbeit sind im neuen Programm über ein Drittel der Leute »qualifiziert« (Berufsausbildung oder Uniabschluß) und ein Fünftel wird auch »qualifiziert« eingestellt. Die Abbruchquote liegt unter 15 Prozent, also im Vergleich zur 1,50 DM-Arbeit sehr niedrig. Bemängelt wird von der Studie das unzureichende Wissen der Ämter über die Qualifikation und Geschichte der SozialhilfeempfängerInnen, was eine gezielte »Arbeitsvermittlung« erschwere, d.h. die politische Aufspaltung kann nicht genau genug erfolgen, was aber durch »wichtige Aufbauarbeit« angegangen werde. Es wird für möglich gehalten, diese Form auf 20 Prozent der SozialhilfeempfängerInnen auszudehnen. Ein Problem sehen sie in der Stellenvermittlung für ehemalige IndustriearbeiterInnen und schlagen damit indirekt die Ausweitung dieser Arbeitsform in den industriellen Bereich vor.
Von den Beschreibungen einzelner kommunaler Ausgestaltungen der verschiedenen Arbeitsformen ist vor allem das Essener interessant, weil es die verschiedenen Varianten gezielter als in anderen Städten verknüpft: erst nach einer sechsmonatigen Arbeitserprobung in der alten Zwangsarbeit wurde ein Vertrag nach dem Landesprogramm gemacht. Entgegen dem Landestrend wurde daher in Essen auch die alte Zwangsarbeit 1985 ausgeweitet. Aus solchen Studien läßt sich nicht der Arbeiterwiderstand entschlüsseln, aber Probleme hat auch die Stadt Essen. Von 544 Verträgen wurden 100 abgebrochen, die meisten wegen Unpünktlichkeit und Fernbleiben von der Arbeit!
Mythos des Arbeitsmarktes
Mit der Zusammenfassung verschiedener Maßnahmen des Sozial- und Arbeitsmarkts in einem »Zweiten Arbeitsmarkt« ändert sich an den einzelnen Formen des Arbeitszwangs nicht viel. Aber durch ihre Verkopplung können Illusionen an die einzelnen Maßnahmen geknüpft werden, die möglichen Widerstand aufspalten. Genauso wie ein Lehrling seine jahrelange Billiglohnarbeit mit der Hoffnung auf einen Facharbeiterjob auf sich nimmt, soll ein städtischer Zwangsarbeiter auf weitere Möglichkeiten im 2. Arbeitsmarkt setzen: »Die Arbeitsverträge sollen so offen konzipiert werden, daß ein Einbeziehen in einen zu schaffenden 2. Arbeitsmarkt möglich ist.« (aus dem SPD-Antrag zur Neuordnung der Zwangsarbeit in Köln.) Nur wenn dies gelingt, könnten auch die Einsatzplätze vermehrt werden, was zur Zeit trotz ständiger Nachfragen der Stadtverwaltung an der bekannten Arbeitsverweigerung dieser ArbeiterInnen scheitert. Der Begriff des »2. Arbeitsmarkts« ist daher nicht zufällig gewählt. Im Unterschied zur früheren Betonung der Besonderheit staatlicher »Beschäftigungsmaßnahmen« soll nun die Vergleichbarkeit zum normalen, marktförmig organisierten Arbeitszwang herausgestellt werden. Damit wird die Bezeichnung auch der in der bürgerlichen Öffentlichkeit lautgewordenen Kritik an der Zwangsarbeit gerecht. Denn diese entzündete sich nicht an der Funktion der Zwangsarbeit für den allgemeinen Arbeitszwang des Kapitals, sondern ausschließlich an dem fehlenden Mythos der Freiwilligkeit, wie er dem Arbeitsmarkt anhaftet. Damit fällt für unsere Aktivität die Unterstützung aus dieser Ecke weg, was wir aber als Vorteil begreifen: wir können deutlicher sagen, daß wir uns gegen die Arbeit richten, ohne ständig den Verfälschungen einer liberal-reformistischen Kritik entgegnen zu müssen.
Zwei Jahre Erfahrungen mit der kommunalen Zwangsarbeit in Köln
Teil II
[Teil I in Wildcat Nr. 38]
Ende 1984 wurde immer deutlicher, daß sich die Stadtverwaltung eine neue Form des Arbeitszwangs für Sozialhilfeempfänger einfallen lassen mußte. Hatte die SPD schon in ihrem Kommunalwahlprogramm für '84 von »Zwangsarbeit« gesprochen (!), so nahmen sich auch die bürgerlichen Medien des Themas an. Der Kölner Stadtanzeiger brachte z.B. im November eine ganzseitige Reportage, mit Bildern von einer Demonstration auf der Einsatzstelle Friedhof. Als wir für Anfang November zu einem Go-in beim Sozialdezernenten mobilisierten, kamen etwa 70 Leute aus einem breiten Spektrum von Selbsthilfegruppen über DKP bis hin zu den Autonomen. Die 1,50 DM-Zwangsarbeit war gerade deswegen angreifbar geworden, weil sie unterschiedslos allen Sozialhilfeempfängern aufgedrückt wird - dem nichtseßhaften Berber wie dem arbeitslosen Diplompädagogen. Vor diesem Hintergrund gelang es dem Sozialamt auch immer weniger, bei der Stadt selbst neue Arbeitsstellen aufzutreiben, da es für die städtischen Betriebe einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete, die unmotivierten Zwangsarbeiter zu kontrollieren. In »sensiblen« Bereichen wie z.B. Kindertagesstätten war die »Freiwilligkeit« des Arbeitseinsatzes Voraussetzung. Um die Arbeitsstellen im selben Umfang ausweiten zu können, wie die Zahl der Sozialhilfeempfänger - gerade der jungen - stieg, und um deren Arbeitseinsatz auch produktiv gestalten zu können, war ein neues Instrumentarium erforderlich. Durch die massive Ausweitung des Gebrauchs von Sozialhilfe konnte diese Form von Zwangsarbeit nicht mehr als Repression gegen eine kleine »Randgruppe« wirken, sondern wurde zu einem Ansatzpunkt von kollektiven Aktionen dieses Teils der Klasse.
Die große Koalition der Arbeitsbeschaffer
Genau das meinte die SPD, als sie im Sozialausschuß vom Dezember '84 ihren Antrag zur Neuordnung wie folgt begründete: Die Maßnahme »Hilfe zur Arbeit« wird »zunehmend als Arbeitspflicht empfunden, als Zwangsarbeit charakterisiert und verfehlt damit den angestrebten Rehabilitationseffekt.« Eine neue Gestaltung des Arbeitszwangs für Sozialhilfeempfänger wird gebraucht, um den Ansätzen von Widerstand das Wasser abgraben und um den Arbeitszwang weiter ausweiten zu können. »Aus diesem Grunde muß die Hilfe zur Arbeit in Köln neu geordnet werden. Sozialhilfeempfänger sollen befristete versicherungspflichtige Arbeitsverträge bekommen. Neben den von der Verwaltung bereits eingeleiteten Initiativen sollen mit weiteren Maßnahmen zunächst bis zu 500 entsprechende Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Arbeitsverträge sollen so offen konzipiert werden, daß ein Einbeziehen in einen zu schaffenden zweiten Arbeitsmarkt möglich ist.«
Auf zwei Ansätze konnte dieser Vorschlag zurückgreifen: erstens hatte das Sozialamt bereits im Herbst knapp 40 Jahresverträge mit Sozialhilfeempfängern abgeschlossen, zweitens waren in Köln 98 Zweijahresverträge aus einem NRW-Landesprogramm vergeben worden. (Zur politischen Bedeutung dieses Landesprogramms siehe den nebenstehenden Kasten.) Bereits vor dem SPD-Vorschlag, 500 Stellen einzurichten, war die Diskussion über ein Gesamtkonzept für den 2. Arbeitsmarkt in Gang gekommen, wobei Hamburg oder Bremen eine Vorbildrolle spielten. Um den zunehmenden Aktionen gegen die Zwangsarbeit ein Ende zu bereiten, war es der SPD aber wichtig, sofort eine erste Neuordnung durchzuführen.
Die Grünen, nun als Ratsmitglieder, hatten in ihrem eigenen Antrag den Ersatz der Pflichtarbeit durch »normale Arbeitsverhältnisse auf freiwilliger Basis« gefordert. In der Begründung lassen sie auch keinen Zweifel daran, daß es um die Durchsetzung des Arbeitszwangs geht - nur mit grünen Vorzeichen: »Die 'Sonderbehandlung' als städtische Zwangsarbeiter, eine 'Entlohnung', die in keinem Verhältnis zu Leistung steht, Arbeit unter unwürdigsten Bedingungen, stellen den sichersten Weg dar, um zu der Erkenntnis zu kommen, auf keinen Fall arbeiten zu wollen. Sozialhilfeempfänger brauchen nicht Sozialhilfe und Zwangsarbeit, sondern sinnvolle und nützliche Arbeit statt Sozialhilfe.«
Das Einschwenken der Grünen auf den SPD-Vorschlag war damit vorgezeichnet. Obwohl wir keine Illusionen in das Verhalten der Grünen setzten, versuchten wir, ihnen die Bedeutung des SPD-Vorschlags klarzumachen: die neuen Verträge werden weiterhin mit der Drohung der Sozialhilfestreichung (§ 25 BSHG) erzwungen, Nichtseßhafte müssen weiter die alte Zwangsarbeit machen, der Arbeitseinsatz wird nur im Hinblick auf den Stellenabbau bei der Stadt effektiviert, mit der Befristung treibt die Stadt das voran, was Blüm mit seinem Gesetzesvorschlag grade in die Diskussion gebracht hatte usw. Die Haltung der Grünen war aber schon durch ihr Streben nach parlamentarischer Etablierung bestimmt, so daß der neue Arbeitsdienst gemeinsam von Grünen, SPD und CDU verabschiedet wurde.
Die Spaltung funktioniert politisch
Nach dem Beschluß des neuen Programms war uns klar, daß es nun nicht mehr so einfach sein würde, Aktionen gegen die Zwangsarbeit zu machen, bzw. damit etwas auszulösen. Die Spaltungslinien waren bereits '84 vorgezeichnet. Selbsthilfegruppen oder soziale Projekte würden sich auf die Stellen stürzen, arbeitslose Sozialarbeiter sich um die Stellen rangeln, während die klassischen Sozialhilfeempfänger zu den Arbeiten im Grünflächenbereich gezwungen würden, ohne dafür wesentlich mehr Geld zu bekommen (ein Familienvater kommt mit Miete auch bei der Sozialhilfe auf 1.300,- netto!). So kam's dann auch.
Zunächst versuchten wir, mit Artikeln und Flugblättern den Charakter der neuen Zwangsarbeit herauszuarbeiten und hatten unsere liebe Not, uns diese »Abschaffung der Zwangsarbeit« nicht als »Erfolg« in die Schuhe schieben zu lassen! Im Januar machten wir eine Veranstaltung, zu der sowohl einige Leute aus Projekten, wie ein Teil der autonomen Szene erschienen. Wir gaben zunächst einen Rückblick auf die Entwicklung der Zwangsarbeit in der Weimarer Republik zum Reicharbeitsdienst. Wichtig für diese Entwicklung und im Vergleich zu heute war zum einen das Bestreben, die Zwangsarbeit produktiv zu machen, auch in der Industrie zu etablieren; zum anderen die Mitwirkung von Teilen der damaligen Alternativbewegung, z.B. der bündischen Jugend, die im Rahmen des Freiwilligen Arbeitsdienstes Arbeitslager im Grünen organisierte, um so »neue Lebensformen« mit Arbeit »für das gesellschaftliche Ganze« zu verbinden. Genauso beteiligten sich SPD und ADGB durch einen eigenen, 1932 gegründeten Trägerverein am FAD. Zur aktuellen Situation stellen wir den Zusammenhang der neuen Arbeitsprogramme für Sozialhilfeempfänger mit der gesamten Prekarisierung dar. Die Formen des staatlichen Arbeitszwangs flankieren die auf dem »freien« Arbeitsmarkt durchgesetzten Veränderung des normalen kapitalistischen Arbeitszwangs. Wir schlugen daher vor, die Aktionen und den praktischen Widerstand auf andere Formen des staatlichen wie des 'freien' Arbeitszwangs auszudehnen: ABM, Jugendförderungsprogramme, wie sie in Köln bei FORD und KHD durchgeführt werden, Sklavenhändler und Drückerjobs. Die Diskussion, hauptsächlich von den Projektvertretern bestimmt, blieb von Anfang an bei der Frage hängen, ob das neue Arbeitsprogramm der Stadt nicht doch sein Gutes hätte; daß sie als Projekte auf ABM angewiesen sind usw. Eine Basis, um unsere Initiative auszuweiten oder nur ein weiteres Vorgehen gegen das Arbeitsprogramm zu besprechen, war hier nicht vorhanden.
Die Neuorganisation der Zwangsarbeit brachte daher uns selbst zunächst in eine Krise. Wir verteilten noch ein paarmal Flugblätter auf den Ämtern, brachten eines in türkischer Sprache in den türkischen und kurdischen Kreisen in Umlauf - aber wir erhielten keine Reaktionen. Es dauerte auch noch einige Monate, bis die Stadt das Programm endgültig ausgearbeitet hatte, auch wenn bereits die ersten Verträge abgeschlossen wurden. Was wir mitkriegten, waren aber die Antragsflut der Projekte oder Probleme von Szene-Leuten, an einen Vertrag als Lockere Einkommensquelle (Krankfeiern etc.) heranzukommen. Zeitweilig überlegten wir auch, ein Treffen mit den Leuten mit Verträgen aus den Projekten zu machen - die wären am leichtesten einzuladen, einige Argumente würden sie vielleicht akzeptieren, aber praktisch wäre es folgenlos geblieben.
Die neuen (proletarischen) Kolonnen im Grünflächenbereich
Die politische Spaltung, die mit den neuen Verträgen einsetzte, ist in der Struktur der Sozialhilfeempfänger angelegt. Klar wurde uns daran nochmal, daß es »den Sozialhilfeempfänger« als soziale Figur nicht gibt, daher auch alle Initiativen, die von »dem« Sozialhilfeempfänger oder »dem« Erwerbslosen ausgehen, die tatsächliche Zusammensetzung der Klasse ignorieren, die sozialen Subjekte entlang der jeweiligen Einkommensquelle definieren. Auf dem Sozi gibt es politisch ganz verschiedene Figuren: immer zahlreicher die Jugendlichen, die mit Arbeit nichts am Hut haben; prekarisierte ArbeiterInnen, die Sozialhilfe, Schwarzarbeit und kurzfristige Jobs kombinieren; arbeitslose Akademiker, die zum Qualifikationserhalt auch die 1,50 DM-Arbeit machten, sofern sie fachspezifisch eingesetzt werden konnten.
Erst im Sommer bekamen wir Kontakt zu Leuten, die über die Verträge in Kolonnen des Grünflächenamts gesteckt wurden. Über die gesamte Durchführung des Programms waren sie stinksauer, was sich zunächst an zig Details festmachte: falsche Abrechnungen vom städtischen Personalamt, das die neuen Verträge organisatorisch nicht im Griff hatte; fehlende Zuschläge für bestimmte Arbeiten; Schikanierung auf der Arbeit durch Vorarbeiter, die selbst auf ABM-Basis da waren; Mißachtung von Sicherheitsbestimmungen und fehlende Sicherheitsbekleidung; das ständige Rumschicken von einer Arbeitsstelle zur anderen, quer durch Köln. Wir besuchten die Leute auf den Arbeitsstellen und verabredeten uns schließlich zu einem gemeinsamen Auftauchen bei der zentralen Zwangsarbeitsstelle.
Die geballte Wut der Zwangsarbeiter konnte sich da Luft machen und unser Flugi mit dem Schlußsatz: »Auf Nimmerwiedersehen, Herr Pietzsch...« (der zuständige Sachbearbeiter) sorgte für Heiterkeit. Aber der politische Konflikt ging letztlich im Dschungel der BAT-Tarifbestimmungen und des Organisationschaos zwischen Sozialamt, Grünflächenamt und Personalamt der Stadt unter. Hier schaltete sich die ÖTV, besser gesagt ein engagierter Personalrat ein, der einerseits die tariflich korrekte Durchführung der Verträge durchsetzte und darüber jammerte, daß sie die Zunahme von ABM und Sozialhilfeverträgen bei der Stadt nicht verhindern könnten, andererseits aber den armen Sachbearbeiter Pietzsch, der nur seinen Job tut, vor uns in Schutz nahm.
An den einzelnen Auseinandersetzungspunkten drückte sich bei den Arbeitern die bleibende Wut auch auf die neue Zwangsarbeit aus. Bei Abschluß der Verträge wurden sie massiv auf die Möglichkeit der Sozialhilfestreichung hingewiesen; was auch nötig war, da viele von ihnen durch die 40 Stunden Arbeit (»Straßenbegleitgrün« = Wühlen in der Hundescheiße) kaum mehr Geld als vorher hatten. Und selbst wenn sie nach einem Jahr Arbeitslosengeld oder -hilfe bekommen, müßten sie wieder ergänzende Sozialhilfe beantragen. Die Auseinandersetzungen um einzelne Regelungen wurden daher benutzt, um die Arbeit verweigern zu können. Nachdem sie z.B. nach ihren Hinweisen auf die Gefährlichkeit der Arbeit auf der Straße leuchtendrote Schutzkleidung bekommen hatten, warfen sie diese schnell wieder in die Ecke. Denn mit den Dingern kann der Vorarbeiter dich selbst hinter irgendwelchen Büschen, die als Pausenversteck dienen, ausmachen, und wenn du dich verdrücken willst, fällst du sofort auf.
Genauso wird gegen übereifrige Vorarbeiter vorgegangen. Einer, der einen Behinderten aus der Kolonne mißhandelt, bekommt von anderen eins aufs Maul, eine Abreibung, die sowieso fällig war. Krankfeiern oder einfach wegbleiben ist in diesen Kolonnen verbreitet. Sie funktionieren sowieso nur, indem sie ständig neu zusammengesetzt werden, als Antwort auf Konflikte werden einzelne Leute in ganz andere Stadtteile geschickt. Das Grünflächenamt möchte die Leute am liebsten wieder loswerden (siehe Artikel aus dem Stadtanzeiger). Die Hoffnung auf Übernahme in einen festen Job verfängt bei diesen, meist älteren Arbeitern im Unterschied zu proletarischen Jugendlichen, die sich auch um Verträge bemühen, nicht mehr.
Zur Entwicklung in diesen Kolonnen konnten wir von außen nicht viel beitragen, weil die Arbeiter ihre tägliche Verweigerung selbst organisierten. Zu einer offeneren Aktion, wie z.B. einem Streik kam es wohl aus zwei Gründen nicht: 1. war die Fluktuation sehr hoch, durch Umsetzungen, Entlassungen und das schnelle Hinschmeißen des Jobs grade seitens der kämpferischsten Arbeitern; 2. waren diese proletarischen Kolonnen innerhalb des gesamten Zwangsarbeitsprogramms völlig isoliert.
Aus den vom Sozialamt mitgeteilten Zahlen läßt sich eine grobe Einschätzung der Zusammensetzung im Gesamtprogramm gewinnen: Etwa ein Drittel der Stellen befinden sich bei der Stadt, zwei Drittel bei gemeinnützigen Verbänden und in der freien Wohlfahrtspflege (AWO, DRK, Caritas etc., d.h. in Heimen und Anstalten). Da bei den ZwangsarbeiterInnen im Bereich der Stadt wohl die höchste Abbruchquote ist und kaum neue Stellen eingerichtet werden, versucht das Sozialamt vor allem im freien Bereich neue Stellen aufzutreiben. Ein Großteil der Stellen wird über das Landesprogramm mit seiner spezifischen Ausrichtung finanziert.
Im Gesamtprogramm bleibt die Abbruchquote hoch. Im September waren von 412 abgeschlossenen Verträgen bereits 67 aufgehoben, wegen Kündigung, Verweigerung des Arbeitsantritts oder Wegbleiben nach kurzer Zeit. Dem stehen drei (!) Festeinstellungen und zwölf Umwandlungen in ABM gegenüber. Für die kollektiven Widerstandsmöglichkeiten ist es entscheidend, daß nur im Grünflächenbereich in Kolonnen gearbeitet wird. Die Putzfrauen und -männer in den Anstalten der Wohlfahrtsverbände sind dagegen isoliert.
Gebrauch des neuen Programms von unten und Gegenmaßnahmen
Die einzige Möglichkeit, das neue Zwangsarbeitsprogramm von ArbeiterInnenseite zu gebrauchen, lag in dessen verringerter Abschreckungswirkung. Die Leute wurden natürlich vom Sozialamt nicht über die Neuorganisation der Zwangsarbeit informiert, aber langsam sprach es sich herum, daß die 1,50 DM-Arbeit zumindest den seßhaften SozialhilfeempfängerInnen nicht mehr aufgebrummt wurde. Durch ein Plakat, das auf diese Umstellung und die damit verringerte Möglichkeit des Sozialamts, möglichst viele Leute zur Arbeit zu zwingen, informierte und zur Antragstellung aufrief, unterstützten wir diesen Gebrauch. Mit ihren Einladungsbriefen hatte die Stadt auch nicht den gewünschten Erfolg: »Zu erheblichem Verwaltungsaufwand kommt es dadurch, daß die Hilfeempfänger den Einladungen nur unzureichend nachkommen. So sind im Monat Juli von 811 Einladungen nur 390 befolgt worden...« Der neue Arbeitszwang läßt sich leichter umgehen und der Gebrauch von Sozialhilfe weitet sich auch deshalb weiter aus.
Mit verschiedenen, zum Teil improvisierten Maßnahmen versuchen die Sozialämter, dem zu begegnen. Einzelne Sachbearbeiter drohen den Antragstellern weiter mit der 1,50 DM-Zwangsarbeit. Bei Sperrzeiten vom Arbeitsamt wird nun rigoroser die Kürzung der Sozialhilfe um 20 Prozent durchgeführt. Das Sozialamt versucht, den Arbeitszwang des »freien« Arbeitsmarktes im Zuge der zunehmenden Neueinstellungen in der Industrie besser zu nutzen. Reichte es bisher, sich als SozialhilfeempfängerIn jedes Vierteljahr auf dem Arbeitsamt zu melden, so wird nun von einzelnen Leuten verlangt, jeden Monat eine Anzahl von eigenen Bewerbungen samt Absagen vorzulegen. Nachdem wir dies mit Aktionen öffentlich gemacht haben, läßt das Sozialamt diese Maßnahme zunächst fallen.
Die Wiedereinführung der 1,50-DM-Arbeit
Um den Zwangscharakter des neuen Arbeitsprogramms offen angreifen zu können, propagierten wir die völlige Ablehnung dieser Arbeit. Einige Leute aus der Szene holten sich zwar Tips bei uns, wie man individuell der Arbeit ausweichen könnte, waren aber zur direkten Konfrontation nicht bereit. Andere, die dem Sachbearbeiter offen erklärten, sie wollten gar nicht arbeiten, wurden zunächst in Ruhe gelassen. Vor dem Hintergrund der Verbreitung dieses Verhaltens und der Gefahr, daß damit das Ziel des Programms rumgedreht wurde, kehrte das Sozialamt zur offenen Repression zurück - nachdem das neue Programm in der ersten Zeit seiner faktischen Freiwilligkeit wegen gerühmt worden war. Einem Sozialhilfeempfänger, der den Vertrag prinzipiell ablehnte, wurde die Kürzung seiner Hilfe um 20 Prozent mitgeteilt. Als wir daraufhin mit einigen Leuten auf dem Amt auftauchten, war die Kürzung schon wieder hinfällig. Offensichtlich gab es Koordinierungsprobleme zwischen den verschiedenen Sozialamtsstellen. Die neuen Verträge sollten nicht mit einer direkten Kürzung der Hilfe in schlechten Ruf geraten. Stattdessen zwang das Sozialamt ihn zur Arbeit für 1,50 DM - nur mit dem Unterschied, daß sie jetzt den § 20 BSHG (Arbeitsbereitschaftsprüfung bei arbeitsentwöhnten Hilfesuchenden) zur Begründung benutzten. Diese Möglichkeit der Wiedereinführung der alten Zwangsarbeit als therapeutische Maßnahme und Prüfung hatte sich die Stadt bereits beim Beschluß vom Dezember '84 offengehalten. Gegen die Arbeitsverpflichtung machten wir eine Aktion auf der Einsatzstelle Friedhof, die aber ins Leere lief. Der Friedhofschef ließ die Sozialhilfeempfänger stur weiterarbeiten, wir zogen daraufhin mit dem aufgekehrten Laub zum verantwortlichen Sachbearbeiter und machten ein Go-in beim SPD-Büro. Außer der Erbeutung eines noch nicht öffentlichen Papiers der SPD-Pläne zum zweiten Arbeitsmarkt brachte dies aber nicht viel. Die Streichung der Sozialhilfe konnten wir zunächst nicht verhindern. Im Unterschied zu 1984 wurde die 1,50 DM-Zwangsarbeit nur sehr selektiv auf einige der harten Arbeitsverweigerer angewandt, so daß auch keine Unterstützung bei den übrigen, mit Verträgen arbeitenden SozialhilfeempfängerInnen zu erwarten war. Bis Dezember '85 wurde dieser »therapeutische« Arbeitszwang laut Sozialamt nur in sechs Fällen angewandt. Wie es zur Zeit damit steht, wissen wir nicht, da unsere Präsenz auf den Ämtern momentan nachgelassen hat. Eine massivere Wiedereinführung der 1,50 DM-Zwangsarbeit ist aber denkbar: hatte die Stadt zu Beginn ihr Verträge-Modell als »Abschaffung« der Zwangsarbeit darstellen können und damit im breiten Spektrum der Initiativen Wirkung erzielt, so wird nun sichtbar, daß von vorneherein eine Aufspaltung vorgesehen war (vergleichbar dem Essener Modell).
Gezieltere Spaltung durch einen »zweiten Arbeitsmarkt«
Schon bei der Einführung der Verträge lief in der SPD die Diskussion über ein »Gesamtprogramm Zweiter Arbeitsmarkt«, aber das Ganze scheint immer noch organisatorische Schwierigkeiten zu bereiten. Favorisiert wird offensichtlich eine eigenständige »Beschäftigungs GmbH«, die Verträge mit Sozialhilfeempfängern oder ABM-Kräften macht und diese an andere Firmen oder städtische Stellen ausleiht. Außerdem führt sie »Qualifizierungsmaßnahmen« durch und unterstützt Arbeitslose, die sich selbständig machen wollen (!). Die Möglichkeit des Verleihs an Dritte war bereits bei den Verträgen beschlossen worden und die Erfahrungen bei den freien Wohlfahrtsträgern zeigten sehr schnell, daß die personalpolitischen Überschneidungen zwischen den eigentlichen 'Arbeitgebern' und dem Sozialamt, das weiter die Kontrolle behielt, einer Ausweitung des Programms im Wege standen.
Organisatorisch wird daher das Modell eines kommunalen Sklavenhändlers, der alle Bereiche des zweiten Arbeitsmarktes zentral verwaltet, von der SPD bevorzugt. Zur Zeit wird es aber aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten. Das mag an der momentanen Empörung über Leiharbeit liegen, hat aber auch Gründe in der Widersprüchlichkeit dieses Modells, was die politische Wirkung betrifft. Auf der einen Seite soll der 2. Arbeitsmarkt den Arbeitszwang differenzieren und damit weniger leicht angreifbar machen. Mit einer eigenen, privatrechtlich organisierten Firma könnte sich aber ein gemeinsamer Widerstand an diesem Zentrum festmachen. Für unsere Initiative wäre es das ein günstiger Ansatzpunkt. Und auch die Verwaltung äußert in einem Konzeptpapier ihre Befürchtungen: »Für das z.Z. bei der Stadtverwaltung eingesetzte ABM-Personal ist bereits durch seinen Sonderstatus (!) eine subjektive Belastung (!) gegeben, die vermutlich noch verstärkt würde, wenn an die Stelle des Arbeitsvertrages mit der Stadt Köln ein Arbeitsverhältnis bei einer Gesellschaft treten würde.« Das Sozialamt wiederum befürchtet Kontrollprobleme. Eine eigenständige Beschäftigungs GmbH könne aus Datenschutzgründen nicht über ausreichende Informationen über ihre ArbeiterInnen vom Sozialamt verfügen, was angesichts der »beruflichen Qualifikationsstruktur und der Motivationsstruktur (!)« dieser Menschen wichtig sei.
Zur Zeit ist noch alles in der Schwebe, fest steht nur, daß die Stadt diesmal politisch sehr sorgfältig vorgehen will. So wurde die Verwaltung verpflichtet, bei der Entwicklung des Programms neben dem DGB auch das Kölner Arbeitslosenzentrum einzubeziehen, das mittlerweile aus dem städtischen Etat finanziert wird.
... Ausweitung zur INITIATIVE GEGEN ARBEITSZWANG?
Aufgrund der Schwierigkeiten, die wir mit der Umstellung auf die Verträge bei Widerstandsversuchen hatten und weil wir ja auch das ganze Spektrum der Zwangsarbeit thematisieren wollten, beschäftigten wir uns in dieser Zeit mit den verschiedensten Bereichen. Wir überlegten, wie wir Aktionen gegen Drücker-Jobs machen könnten, diskutierten Erfahrungen aus der Psychiatrie, Arbeiterkolonien, dem Knast, versuchten, genauere Informationen über die Behindertenwerkstätten in Köln zu bekommen. Außer ein paar Ansätzen wie einem Flugi vor einem Heim für obdachlose Jugendliche gelang es uns aber nicht, in einem dieser Bereiche Fuß zu fassen. Obwohl uns die Auseinandersetzung mit diesen oft ausgeblendeten Bereichen weiter wichtig ist, fanden wir hier keine Ansatzpunkte, die Praxis der Gruppe weiterzuentwickeln.
Ein anderer Versuch, den Arbeitszwang über den Bereich des Sozi hinaus auszudehnen, ging daher von unseren eigenen Erfahrungen aus. Einige Leute aus der Initiative hatten in der letzten Zeit bei Sklavenhändlern gearbeitet und jeder hatte seinen Streit individuell ausgetragen. Daher entstand die Überlegung, ausgehend von diesen Erfahrungen eine Art »Kampagne« gegen Sklavenhändler zu machen (das Kölner Flugi dürfte ja mittlerweile durch diverse Nachdrucke bekannt sein). Das Problem bleibt aber, daß diese Kampagne weitgehend von außen angegangen wurde, d.h. sie hat kein Standbein innerhalb der Ausbeutungssituation. Und grade damit laufen die Aktionen Gefahr, ins Fahrwasser der reformistischen Kritik an Leiharbeit zu geraten. Sowenig wie es uns auf dem Sozi darum geht, die Besonderheit des staatlichen Arbeitszwangs anzugreifen, sowenig geht es gegenüber Sklavenhändlern darum, den Zwischenhandel mit der Ware Arbeitskraft als den Skandal aufzugreifen. Wir versuchen, die Bedeutung dieser Formen für den allgemeinen Arbeitszwang des Kapitals aufzuzeigen und sie als Angriffspunkte zu nutzen. Wie weit uns dies gelingen wird, hängt davon ab, inwieweit wir unseren eigenen Umgang mit dem Arbeitszwang zum Thema der Initative machen können.