.wildcat

14.10.2022

aus: Wildcat 58, Februar/März 1992

Debatte:

Eine Antwort zum Text »Drei zu eins für wen?« in Wildcat 57

werte wildcat,

die antwort auf euren brief an mich in der WC 57, in dem ihr das 3:1-papier kritisiert, kann leider nur verärgert ausfallen. ihr haltet euch nicht an euren vorsatz, »den text so zu kritisieren, daß eine weitere diskussion möglich ist«, wenn ihr mir, bzw den 3:1- diskutantlnnen, gleich im vorspann »pomphafte reden« nachsagt, oder leserInnen des papiers als etwas blöde (»ächt total wichtig«) hinstellt, zudem eine denkblase noch mit »aber groß von einer leeren aufgeblasenheit« füllt. die auflagenhöhe der WC, eure anzahl und eure Verankerung in fabriken ist nun doch nicht so, daß ihr euch auf die hohe katze setzen könntet. wie auch andere revolutionäre/ linke projekte lebt ihr in schwierigen zeiten – wahrlich kein anlaß für laute töne.

3:1 soll ein Beitrag zur kritik linker schwächen sein, theoriekritik und praxiskritik. ein diskussionspapier ohne absolute wahrheiten und anspruch auf unwidersprüchlichkeit. also kein »kampf gegen windmühlenflügel« (WC 57), sondern gegen realitäten. wer’s nicht glaubt, sollte 3:1 wirklich in ruhe nochmal lesen. wieso wir gängige klassenbegriffe auseinandernehmen, steht ausführlich im papier; ihr geht nicht darauf ein, zitiert nur ausrißartig. ihr unterstellt, wir seien auf der suche nach einem revolutionären subjekt; in 3:1 steht hingegen, wieso wir diese suche nicht mitmachen. ihr schreibt, das denkmodell einer »netzförmigen herrschaft« sei statisch – grade die veränderungen von herrschaft und »netz« betonen wir tatsächlich. ihr meint, dieses »netz« lasse keinen feind mehr erkennen, den es zu zerstören gilt; im papier wird ganz im gegenteil der feind als mehrfacher identifiziert und genauer bestimmt. herrschaft ist für uns nicht der zentrale begriff, wir ihr falsch zitiert, sondern ein zentraler begriff, der zudem in 3:1 über mehrere absätze noch erläutert wird. eure kritik lebt leider von Unterstellungen, die in 3:1 keine grundlage finden.

das wiederum herausgerissene zitat der günter-sare-gruppe über »klassenzerstückelung« benutzt ihr, uns »objektivistische analyse« zu unterstellen. dabei betont 3:1 die bedeutung des veränderns und sich veränderns von strukturen und verhaltens von revolutionärlnnen, z.B. im exkurs zur kpd-linie oder in der kritik an autonomen binnenstrukturen.

euer hinweis auf italienische diskussionen der 60er Jahre ist neben derzeit. tronti in ehren, aber wieso in den 70er Jahren die italienische frauenbewegung einige linke - auch operaistische – gruppen aufmischte und wieso die italienische militante linke in den letzten zwei jahren von rassistischen ausbrüchen überrascht wurde, erklärt er bestimmt nicht.

sehr einig bin ich mit eurem satz: »… die vielen verstreuten kämpfe in ihrer ganzen widersprüchlichkeit zu entdecken und zu verstehen; um eingreifen zu können. uns bleibt nichts anderes übrig, als uns auf die wirkliche welt mit ihren Widersprüchen einzulassen und dort anknüpfungspunkte für revolutionäre tätigkeit zu suchen.« eben dafür ist der triple-oppression-ansatz besonders gut geeignet!

deswegen sind wir bei der frage nach »objektiv vorhandener macht« (bitte ausführlich nachlesen in »metropolen(gedanken)« seite 30) nicht so einfach bei »der arbeiterklasse« gelandet, wie ihr rasant schließt, sondern ganz bewußt bei den »gesellschaftlichen akteurlnnen, die die objektive macht haben (können), die herrschende ordnung umzuwälzen«. diese »gesellschaftlichen akteurlnnen« umstandslos als geschlechtslose und »rassen«-neutrale »arbeiterklasse« zu verstehen, ist ausdruck eurer »weißen flecken«.

eure behauptung, daß proletarierinnen meist dort die besten kampfbedingungen hätten, wo »das kapital sie zusammengebracht hat« ist die bemerkenswerteste einschätzung von migration auf diesem erdball, die ich bisher gehört habe. »um kämpfen zu können, gehen sie dorthin, wo sie bessere bedingungen erwarten.« (WC 57) die flucht vor krieg, hunger, folternden diktaturen in einen marginalisierten metropolenkampf als eigenen wunsch und nicht als zwang darzustellen, grenzt an zynismus. auch euer satz »viele frauen verlassen das haus und suchen sich eine arbeit ( ... ) sie suchen veränderung« ist eine merkwürdige darstellung, sollte sie frauenspezifische fluchtgründe umschreiben sollen.

abstraktionen wie »die männer« oder »die weißen frauen« usw. die ihr als »quasi-biologische« kategorien sehr richtig benennt, werden in 3:1 konsequent angegriffen, wenn alle diese abstraktionen auf ihre »konkrete zusammensetzung« aus geschlecht, klasse und »rasse« hin untersucht werden. dies ist kein rückzug auf »moral«, denn die triple-oppression-analyse beruht auf materiellen herrschafts-, ausbeutungs- und unterdrückungsverhältnissen. das einzige, was als »moral« zu verstehen sein kann, ist die aufforderung zur solidarität.

ein besonderer schnitzer in eurem brief: den wieder aus zwei längeren absätzen herausgerissenen satz (seite 36 in »metropolen(gedanken)«) »von ›rassenbewußtsein‹ motivierte kämpfe sind als Schwarze kämpfe antirassistisch« kommentiert ihr urkomisch mit: »lass die armen Schwarzen ruhig mal rassistisch sein« (WC 57). Nach 500 jahren weissem rassismus mit millionen Schwarzen opfern müßt ihr ausdrücklich darauf hinweisen, daß auch Schwarze »rassistisch« sein können. das entspricht hinweisen darauf, daß »auch frauen männer schlagen«, »auch kapitalistinnen arbeiten«, »auch jüdinnen deutsche umgebracht haben«. diese drei hinweise wären euch sicher nicht unterlaufen - wieso aber grad jener?

im letzten absatz eurer kritik schreibt ihr, 3:1 würde die tendenz der autonomen linken, sich in lauter »mikrowidersprüche« (da höre ich bei diesem schönen neuen begriff die alten »nebenwidersprüche« aber trapsen!) zu verrennen und sich von jeder sozialen realität abzukoppeln, verstärken. tatsächlich wird partikularismus und atomisierung der linken in individuen in 3:1 kritisiert; verweise auf die klassenlage der autonomen linken, nachdrückliche hinweise auf die notwendigkeit von organisierung entlang authentischer unterdrückungsverhältnisse, bzw auf deren grundlage noch darüberhinaus zu einheiten gegenüber einem vollständiger definierten feind. (seite 51-58 in »metropolen(gedanken)«).

und wie könnt ihr damit leben, daß genau diese autonome linke die masse der WC-Ieserlnnen stellt?

klaus viehmann,
knast werl,
ende dezember 91

p.s. da ich aus knast-technischen gründen die WC nicht mehr im abo, sondern einzeln von nem laden bekomme, habe ich die wc 57 erst spät erhalten und konnte nicht vorher schreiben. falls ihr diese antwort nicht in der WC 58 noch unterbringen könnt- – was ich will! – wird sie noch an die interim geschickt.

 
 
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