Wildcat Nr. 66 - Juli 2003 - S. 76-79 [w66markt.htm]


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Best of reloaded

Wir hatten die Wildcat auch deshalb auf Eis gelegt, weil wir uns neue Begriffe erarbeiten wollten. Dazu diente u.a. das Wildcat-Zirkular, von dem zwischen 1994 und 2003 65 Nummern erschienen sind (schätzungsweise 4000 Seiten A5). Wir wollen ausprobieren, daraus hin und wieder Artikel in die Wildcat zu nehmen, um sie mehr Leuten zugänglich zu machen. Das folgende haben wir dazu auf ein Sechstel eingedampft; wer's genauer nachlesen will, kann sich den Artikel von der Website holen (in Wildcat-Zirkular Nr. 24 - Februar/März 1996).

Diesen hier haben wir ausgewählt, weil die Auseinandersetzung über Markt und Marktwirtschaft seit 1990 in vielen Debatten zentral war, weil er den Bogen von der Wildcat 64/65 zur Wildcat 66-6 schlägt und weil die Sache im Moment nach zwei Seiten wieder aktuell wird: von der »Globalisierungsbewegung« werden verstärkt wieder die Butterbrot-Fragen gestellt. Was eine gute Entwicklung sein kann, droht auf der anderen Seite aber in Prolkult und neuaufgelegten identitären Klassenbegriff zu kippen - dann hätte sich das Rad einmal gedreht, ohne einen Meter weitergekommen zu sein ...

Ist der Kapitalismus eine Marktwirtschaft?

Die Vorstellungen, dass Tauschvorgänge und deren Logik im Zentrum der kapitalistischen Gesellschaft stehen, sind heute weit verbreitet. Sie geben den aktuellen Strategien der »Privatisierung« und des »Neoliberalismus« ihre Glaubwürdigkeit - sowohl bei ihren Anhängern wie bei ihren Kritikern. Sie haben zwar wenig mit der Realität der globalen Kapitalakkumulation zu tun, sie haben aber eine soziale Basis in der alltäglichen Atomisierung, die nur die Kehrseite einer Armut an offenen Kämpfen und darin entstehenden kollektiven Beziehungen ist. Dem vereinzelten Individuum erscheinen gesellschaftliche Prozesse wie Tauschvorgänge. Dadurch rationalisiert es einerseits seine Ohnmacht, andererseits behaupten im Tausch(en) vereinzelte Subjekte ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit, ihre individuelle Freiheit ...

Klassendeals?

Fangen wir bei uns selbst an. Im Artikel »Bau - Boom - Basta!« in der Wildcat 64/65 wird die relativ streiklose Situation mit einem »nationalen Deal« zwischen Arbeiterklasse und Kapital erklärt. Im Beitrag »(Ge)schlechter Deal in Rußland« im Zirkular Nr. 20 heißt es: »Beziehungen zwischen Männern und Frauen sahen und sehen in erster Linie wie ein Deal aus...« Auch bei Karl Heinz Roth taucht der Sozialpakt, den das Kapital der Arbeiterklasse in der Nachkriegszeit angeboten hat, auf (»Proletarität« S. 170). Sogar in alltägliche Gespräche hält die »Marktsprache« Einzug. Und individuelle »Kosten-Nutzen-Erwägungen« bei politischer Aktivität fordern Tauschgerechtigkeit auf einem politischen Markt. Angesichts der heutigen Dominanz von Marktideologien müssen wir diese Begriffe kritisch überprüfen. Bei den »Deals« zwischen Arbeiterklasse und Kapital handelt es sich zudem um eine Spätfolge »operaistischer« Theoriebildung - im Wildcat-Umfeld also von besonderer Brisanz.

»Deal« (engl. Geschäft, Handel, Abkommen) wird im Deutschen üblicherweise dann anstelle von Wörtern wie »Tausch« oder »Handel« gebraucht, wenn ein etwas anrüchiger Tausch gekennzeichnet werden soll, z.B. ein politisches Geschäft. Anrüchig, weil Dinge getauscht werden, die eigentlich kein Tauschgegenstand sein sollten, z.B. »Liebe«. Für Linke ist es ein »Deal«, wenn sich die Arbeiterklasse ihren revolutionären Willen mit Sozialreformen »abkaufen« läßt...

Im Kapitalismus sieht alles wie ein Tauschgeschäft aus, oder kann so hingestellt werden. Dieser Eindruck wird dann auf die gesamte Geschichte zurückprojiziert und in alles mögliche hineingedichtet, z.B. in das Zusammenleben bestimmter Tiere oder Pflanzen in sogenannten symbiotischen Formen, das als »Tauschbeziehung« charakterisiert wird. Diese Art und Weise, sich irgendwelche Beziehungen vorzustellen, ist enorm wichtig für den Kapitalismus, auf ihr fußt das ganze Spektrum von Gerechtigkeitsvorstellungen und Legitimationsformen dieser Gesellschaft. Die wirklichen Zusammenhänge werden in ihnen unkenntlich gemacht.

Arbeiterklasse und Kapital können sowenig unabhängig voneinander existieren wie Männer und Frauen (die so wie Arbeiter und Kapitalist nur ein besonderes historisches Produktionsverhältnis - in der Produktion von Menschen - verkörpern). Die Vorstellung, sie träten sich erst auf einem Markt gegenüber und würden dann entscheiden, ob und wie sie bestimmte Dinge oder Verhaltensweisen gegeneinander austauschen, ist offenkundig absurd.

Arbeiterklasse als bürgerliches Individuum?

Die Auffassung der Beziehung zwischen Klassen oder Geschlechtern als »Deal« soll diesen »Subjekten« wenigstens theoretisch ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit lassen. Wenn sich Frauen auf Männer in Form eines Deals einlassen, dann behalten sie der Form nach ihre Unabhängigkeit und Autonomie, verfolgen im Zusammenleben ihr eigenes individuelles Interesse. Das Dasein als »Frau« wird dabei aber als naturgegebener Ausgangspunkt hingenommen, was z.B. in den Debatten über gender um die »gesellschaftliche Konstruktion von Weiblichkeit« hinterfragt wird. Die Vorstellung von einem »Deal« zwischen den Geschlechtern wäre eine nachträgliche Legitimation der so konstruierten Wirklichkeit. Ähnlich ist es mit der Klasse und ihren »Deals«. Die Arbeiterklasse bleibt im »Deal« ein autonomes Subjekt, bestimmt selber, was sie mit dem Kapital zu welchem Preis austauscht.

Klassenbeziehungen als »Deal« zu fassen, kommt aus einer unhistorischen Übernahme operaistischer Theorieansätze, kombiniert mit einem verdinglichten Begriff von Arbeiterklasse, wie er sich historisch als »Arbeiterbewegung« herausgebildet hat. Angesichts der Tatsache, dass der Operaismus als explizite Kritik an dieser Arbeiterbewegung entstand, schlägt seine politische Absicht ins Gegenteil um.

Im Operaismus war der Begriff »Arbeiterautonomie« als Ausdruck des Antagonismus in einer konkreten historischen Situation eingeführt worden. Später ist daraus ein überhistorischer Schlüssel zur Erklärung der gesamten Geschichte gemacht worden, was dazu führte, dass mit ihm auch die nicht-antagonistischen Seiten der Klassenbeziehungen interpretiert werden sollten. »Autonomie« bekam damit eine ganz andere Bedeutung, nicht mehr die antagonistische Autonomie, sondern die Autonomie im Tauschvorgang, was eine reformistische oder gewerkschaftliche Vorstellung ist.

Mit dem »Deal« kommen die mystischen Kräfteverhältnisse in Spiel, die in der traditionellen Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung gepflegt werden und den Klassenkampf als Ringkampf zwischen zwei Individuen ausmalen. »Deals« können nur zwischen Subjekten geschlossen werden. Und hier kommen unvermeidlich die Gewerkschaften ins Spiel, denn sie sind ein solches juristisch anerkanntes Subjekt, das mit anderen Subjekten Verträge abschließen kann (»Tarifautonomie«!). Sprechen wir von einem »Deal« zwischen Arbeiterklasse und Kapital, so ergibt sich zwangsläufig der Eindruck, Gewerkschaften und Unternehmerverbände seien die Verkörperung von Arbeiterklasse und Kapital als historischen Subjekten. Das verbaut den Weg zu einer grundlegenden Kritik von Gewerkschaft - stattdessen wird sich moralisch empört über den »Verrat an der Basis«, »Bürokratisierung«, »Kollaboration mit dem Kapital« usw.. Das gibt außerdem all denen Recht, die unter Berufung auf die verdrehte Erscheinungsform des Klassenkonflikts als Konkurrenz verschiedener Einkommensquellen ein revolutionäres Anknüpfen am Klassenkampf für absurd erklären.

Erst eine dynamische historische Analyse ermöglicht auch die Untersuchung dessen, was wir Arbeiterklasse nennen, statt sie nur dogmatisch zu behaupten. Als Ding oder fixes Subjekt, das dies oder jenes tut, mal kämpft, mal Deals abschließt usw., ist sie nicht zu fassen. Arbeiterklasse ist die andere Seite, der innere Widerspruch der Dynamik, die Kapital genannt wird. In Ableitungszusammenhängen zwischen Kategorien oder als statisches soziologisches Subjekt existiert sie wirklich nicht.

Die Betrachtung der Märkte kann auch die Dynamik des Kapitalismus und seine historische Entwicklung nicht verstehen. Sie geht am entscheidenden Punkt vorbei: die kapitalistische Dynamik innerhalb der Mehrwertproduktion schafft völlig neue Dinge und neue Produktionsverfahren, und revolutioniert von dort aus die Organisation der Produktion und der gesellschaftlichen Beziehungen. In welchem Maße und wie für die Vermittlung dieser Beziehungen Märkte und Tauschvorgänge eine Rolle spielen, wird durch die Organisation der Mehrwertproduktion bestimmt - wobei Organisation alles einschließt, vom Kommando des Kapitals innerhalb der Produktion bis zur Ausübung seiner gesellschaftlichen Macht als Staat und Nationalstaat.

Aufgrund der Übermacht der Marktideologie und des Geredes vom »Neoliberalismus« geht es in der heutigen Zeit vorrangig darum, den »Mythos der Marktwirtschaft« anzugreifen. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts stand die Linke vor dem umgekehrten Problem. Der Kapitalismus bediente sich mehr und mehr wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Planungsinstrumente und verkündete dies auch offen. In den traditionellen Sozialismusvorstellungen war Planung (= links) immer der Gegensatz zum Markt (= rechts) gewesen. Nun schien der Kapitalismus selber die Entwicklung zu planen - zur Absicherung der Ausbeutung! Für die Linke war das ein dramatisches Dilemma, hatte sie doch den Kapitalismus wegen seiner Anarchie auf dem Markt, des blinden Wirkens der ökonomischen Naturgesetze in der Konkurrenz und deren krisenhaften Folgen kritisiert.

Dieses Dilemma, das die Radikalen deprimierte und den kommunistischen Parteien einen theoretisch glaubwürdigen Übergang zur reformistischen Beteiligung an den Staatsgeschäften erlaubte, war ein wichtiger Ausgangspunkt für die operaistische Kritik Anfang der 60er Jahre. Panzieri und seine Genossen stellen die Neutralität und Rationalität von kapitalistischer Maschinerie, Organisation und Planung in Frage, lenken den Blick weg von der Anarchie des Marktes auf den geplanten und organisierten Prozeß der Abpressung von lebendiger Arbeit in der Fabrik als dem eigentlichen Skandal und der wesentlichen Irrationalität des Kapitalismus. Die Ausweitung der Planung auf die gesamte Gesellschaft steht dann nicht im Gegensatz zur kapitalistischen Marktgesellschaft, sondern ist eine Weiterentwicklung der historischen Tendenz des Kapitalismus, die auch Marx schon in der Herausbildung des Kreditwesens und des Aktienkapitals erkannt habe. Indem der »Marxismus« dies nicht sieht, sondern Planung mit Sozialismus gleichsetzt, wird er zum »apologetischen Denken« (Panzieri). Diese Kritik am traditionellen Marxismus und seiner Konzentration auf die Anarchie der Märkte ist von strategischer Bedeutung für die »operaistische Wende«. Die Verhältnisse im unmittelbaren Produktionsprozeß kommen in den Blick und werden zum zentralen Ansatzpunkt der politischen Initiative: »Im Fabriksystem besteht der anarchische Aspekt der kapitalistischen Produktion einzig in der Insubordination der Arbeiterklasse, in ihrer Ablehnung der 'despotischen Rationalität'.« (Panzieri)

Gegen den Parteimarxismus führt Panzieri Marx ins Feld und zeigt, dass es bei ihm kein geschlossenes Schema von Marktanarchie contra geplante Produktion gibt. Aber er ist souverän genug, auf die Zweideutigkeit bei Marx hinzuweisen. Einerseits betone er den despotischen und zutiefst kapitalistischen Charakter der Planung, andererseits ergebe sich aus der »Betonung des Aspektes der gesellschaftlichen Anarchie als charakteristisches Merkmal des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion« doch wieder die Perspektive, »den Plan als solchen als grundlegenden Wert des Sozialismus zu übernehmen«. Aufgrund dieser Zweideutigkeit lasse sich die »Perspektive des Sozialismus« nicht in klarer Weise aus Marx herauslesen.

Allerdings bleibt Panzieri bei der irreführenden historischen Einordnung des von Marx analysierten Kapitalismus als »Epoche der Konkurrenz« und gewisses »Stadium« in der Entwicklung. Die Vorstellung einer Epoche des Konkurrenzkapitalismus läßt sich historisch nicht halten, womit sich auch die theoretischen Probleme in einem neuen Licht zeigen. Polanyi hat gezeigt, dass es in der Geschichte keine den Märkten selber innewohnende Tendenz gibt, sich auszuweiten, dass die Ausweitung von Märkten nur durch gezielte und gewaltsame Eingriffe zustandekam. Auch der »reife« Kapitalismus, den Marx vor Augen hatte, der englische Liberalismus, war keine »Marktwirtschaft«. Sein Setzen auf die »freie Konkurrenz« ergab sich aus der besonderen historischen Stellung des britischen Empire und der innerenglischen Struktur der Produktion.

Märkte setzen immer schon die Existenz und regelnde Gewalt von Staaten voraus. Der Weltmarkt ist keine selbständige Kraft, die sich über den Nationalstaaten erhebt und ihnen etwas Fremdes aufzwingt, wie es in der aktuellen Debatte um »Globalisierung« dargestellt wird.

Märkte und Monopole - die politische Ambivalenz des Marktes

Die Bestimmung des Kapitalismus als »Marktgesellschaft« erfolgte nicht nur in Abgrenzung zum Sozialismus, sondern auch als Unterscheidungsmerkmal zum Feudalismus. Immanuel Wallerstein stützt sich auf historische Befunde von Fernand Braudel, um auch diese Debatte »auf den Kopf« zu stellen. Braudel stellte dem Markt als der Sphäre kleiner Gewinne, der auf eigener Arbeit beruhenden Einkünfte, den Gegen-Markt, die Sphäre des Fernhandels, der Monopole, des gewaltsam erzwungenen Tauschs entgegen und bezeichnete letzteren als »Kapitalismus«. Dort gibt es die großen Gewinne, Konzentration und Akkumulation, dort liegt der Ursprung der kapitalistischen Unternehmen. Das Spiel von Angebot und Nachfrage hat dort keine Rolle, entscheidend sind Monopolstellungen und der Einsatz staatlicher und militärischer Macht zur Durchsetzung der eigenen Position. In Wallersteins Analyse des »kapitalistischen Weltsystems« spielt die gewaltsame Durchsetzung des »ungleichen Tauschs« eine zentrale Rolle. Das besondere im Kapitalismus sei, dass er diesen Vorgang hinter der scheinbaren Trennung zwischen einer ökonomischen und politischen Arena verstecken kann. Die Aufforderung Braudels und Wallersteins (und erst recht Polanyis), nicht pauschal von Märkten zu reden, sondern genauer zu untersuchen, um welche konkreten Strukturen es sich handelt, ist wichtig. Auf den verschiedenen Märkten herrschen unterschiedliche Gesetze, unterschiedliche Einflüsse von Monopolen oder staatlicher Macht.

Theoretisch ist es hilfreich, sich in der Art von Braudel die Unsinnigkeit der liberalistischen Selbstdarstellung des Kapitalismus klarzumachen. Denn schon die scheinbar banalste, als gegeben hingenommene Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, die Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln, ist ein gigantisches Monopol; zunächst gewaltsam durch Einhegungen, Sklaverei usw. geschaffen, dann in einer realen stofflichen Gestalt des Produktionsapparates und damit lautloser befestigt: die Fabrik und Maschinerie als ein Produktionsmittel, das nur noch kollektiv bedient werden kann, dem die ArbeiterInnen aber als atomisierte einzelne Warenverkäufer gegenüberstehen. Diese Atomisierung wird aufrechterhalten durch die Organisation der Produktion, die sich an der fixen Gestalt der Maschinerie, der Abtrennung des Wissens, der verfeinerten Formen des kapitalistischen Kommandos festmacht, und ebenso durch die Organisation der übrigen Lebensumstände in Wohnungsbau, Städteplanung, Gesundheitswesen, Schulen und die Verrechtlichung aller Beziehungen...

Systemkritische Ansätze, die hier und heute eine Übergangsperspektive entwerfen wollen oder nach Befreiungsmöglichkeiten suchen, kommen immer wieder auf die Ambivalenz des Tauschs zurück - einerseits Bestätigung individueller Autonomie, andererseits die mächtigste Legitimation für Ausbeutung und Herrschaft. In der Debatte um »Lohn für Hausarbeit« kritisierte die antikapitalistische Fraktion, dass Lohnabhängigkeit keine befreiende Perspektive sei. Als Möglichkeit des Ausbrechens aus der persönlichen Abhängigkeit des Hausarbeitsverhältnisses war es für die einzelne Frau aber eine praktisch erfahrene Befreiung, ihre Arbeitskraft selber als Ware verkaufen zu können ...

Für Marx ist der Tausch, so wie er existiert, die Basis der Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit, sie sind nur ideelle Widerspiegelungen der bürgerlichen Gesellschaft. Es könne daher nicht darum gehen, die schlechte gesellschaftliche Realität mit ihrer eigenen idealisierten Selbstauffassung zu konfrontieren, sondern um die Überwindung dieser Gesellschaft samt ihren idealisierten Ausdrücken.

Solange das Individuum von der Arbeit abhängig bleibt, solange bleiben Privateigentum und Tausch die einzig mögliche Freiheit in den Beziehungen zwischen den Individuen. Wenn wir Freiheit und materielle Gleichheit zusammenzuführen versuchen, landen wir wieder bei der Abschaffung der Arbeit. Aber es kommt nicht von ungefähr, dass diese Frage in den ansonsten äußerst kritischen politischen Vorschlägen von Wallerstein oder auch von Karl Heinz Roth ausgeklammert bleibt. Wir müssen uns über die Gründe dafür klar werden, statt nur dogmatisch an der »Abschaffung der Arbeit« festzuhalten. Die erste Erschütterung lag im Operaismus selbst. Indem Panzieri betont, dass es bei Marx nicht bloß um die kapitalistische Anwendung von Maschinerie, Technologie und Wissenschaft geht, sondern dass die stoffliche Gestalt der Technologie durch und durch kapitalistisch, die gesamte Rationalität selbst despotisch ist, zerstört er auch jedes naive Hoffen auf die vorhandenen Produktivkräfte als Basis für eine arbeitsfreie Gesellschaft. Durch die sogenannte »Ökologiefrage« gerieten die »Produktivkräfte« erst recht in Verruf.

Es gibt keine einfachen Antworten auf das Problem, aber wir können uns nicht darum herumdrücken, weil sonst alles Gerede von Revolution und Abschaffung der Arbeit frommer Wunsch bleibt, womit die Tendenz einhergeht, den Kampf gegen die Arbeit als anthropologische Naturkonstante »Faulheit« zu verstehen.


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