Wildcat Nr. 69, Frühjahr 2004, S. 19 [w69prekaerbus.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: [Wildcat #69 - Inhalt] [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]


Prekär am Steuer

Streiks und Aktionen der Busfahrer

Im Dezember 2003 haben die FahrerInnen des Öffentlichen Personennahverkehrs in Italien mit insgesamt sechs wilden Streiks die Unternehmer zu einem Tarifabschluß gezwungen, den diese seit über drei Jahren verschleppt hatten. Insgesamt 11 Warnstreiks der Gewerkschaften im Jahr 2003 hatten vorher zu nichts geführt. Die wilden Streiks waren bis zum Druckbeginn der letzten Wildcat weitergegangen. Wir haben nochmal nachgefragt, wie die Streiks und ihre Ergebnisse einzuschätzen sind (link).

In Italien sind die Bewegungen der ArbeiterInnen größer und selbständiger, aber die Bedingungen und Entwicklungen in der Branche sehen hier nicht viel anders aus. Wir haben einen Kölner Busfahrer zu den veränderten Arbeitsbedingungen befragt (link) und berichten über den Streik von BusfahrerInnen eines Subunternehmers in Leverkusen (link).


Busfahren war einmal ein gut bezahlter Job von fast auschließlich deutschen Männern. Mittlerweile fährt eine multinationale und zunehmend weibliche Belegschaft zu schlechteren und immer unterschiedlicheren Bedingungen. Nach wie vor wird der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland zum großen Teil über öffentliche Verkehrsbetriebe organisiert. Innerhalb dieser Betriebe wurden die Bedingungen im Lauf der Jahre massiv verschlechtert. Durchgesetzt wurde dies, indem die neuen Bedingungen nur für die Neueingestellten galten und die der »Alten« nicht angetastet wurden. Ein Teil der Arbeit wird an private Unternehmen ausgelagert. Dies sind oft eigens zu diesem Zweck gegründete Tochterfirmen der öffentlichen Betriebe. Die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes gelten für sie nicht.

Der Spartentarifvertrag:
Vereinheitlichung auf sinkendem Niveau

Angesichts der zunehmenden Prekarisierung funktioniert die alte Gewerkschaftsstrategie, die Kernbereiche zu verteidigen und die Randbelegschaften zu ignorieren, nicht mehr. Der »Rand« ist zu groß geworden. Die Gewerkschaft versucht jetzt einerseits ohne viel Erfolg, Verbesserungen der Tarifverträge für die privaten Busunternehmen auszuhandeln. In Schleswig–Holstein, d.h. für die Tochterfirmen der Hamburger HHA, fordert ver.di z.B. eine Erhöhung der Grundlöhne um 16 bis 18 Prozent auf ca. 11 Euro brutto. Der Arbeitgeberverband SHO bietet aber nur 2,5 Prozent. Andererseits schlägt die Gewerkschaft sogenannte Spartentarifverträge vor. Damit will ver.di die Bedingungen zwischen öffentlichen und privaten Betrieben vereinheitlichen und die Vertretung im wachsenden Privatsektor übernehmen.

Für die schon länger im Öffentlichen Sektor Beschäftigten bringt der Spartentarifvertrag zum Teil erhebliche Verschlechterungen. Ein Vertreter von ver.di beim HBB–Streik meinte, die bisherigen besseren Tarifverträge bei den Kommunen seien auf Dauer sowieso nicht zu halten, deshalb hätte man gleich einen einheitlichen Tarifvertrag angestrebt. Tatsächlich verhandelt die Berliner BVG mit ver.di über Lohnsenkungen und Personalabbau. Ver.di hat schon 10 Prozent Lohnsenkung bei verringerter Arbeitszeit angeboten, aber der BVG–Vorstand fordert 30 Prozent. »Kürzere Pausen, weniger Leerzeiten, andere Dienstregelungen: Die Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) leisten mehr für ihr Geld als noch vor wenigen Jahren«, schreibt die Berliner Zeitung vom 23.01.2004

Die rasante Talfahrt der Bedingungen ist in ganz Europa ein Problem, und es kommt immer wieder zu Konflikten. Selbst in der BRD flackern hin und wieder Kämpfe auf, aber sie bleiben bislang isoliert. Es ist nicht gelungen – wie z.B. in Italien –, dass eine Stadt wirklich lahm gelegt wird und andere Städte sich anschließen. Gewerkschaften und Arbeitsgerichte haben die Situation noch besser im Griff.



aus: Wildcat 69, Frühjahr 2004


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: [Wildcat #69 - Inhalt] [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]