Wildcat Nr. 72, Januar 2005, S. 63 [w72_dead_men.htm]



[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: [Wildcat #72 - Inhalt] [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]


Tot oder
  doch lebendig?


Dead Men Working
Lohoff, Trenkle, Wölflingseder, Lewed (Hg.)

Unrast-Verlag; Münster Juni 2004
300 Seiten, 18 Euro

Vgl. unsere Kritik am Manifest gegen die Arbeit


Neben den grundsätzlicheren Aufsätzen von Lohoff (»Neue soziale Frage im entsicherten Kapitalismus«) und Trenkle (»Thesen zur neoliberalen Krisenverwaltung und den Perspektiven sozialer Emanzipation«) bietet das Buch u.a. Beiträge zur »Zeitverschwendung Marktwirtschaft«, den »Auswirkungen des ›Forderns und Förderns‹« sowie eine ATTAC-Kritik. Feuilletonistische Einsprengsel z.B. zu Schlafmanagement, Schönheitschirurgie und Schließmuskeltraining im CallCenter runden das Bild ab – die individuellen Besitzer der Ware Arbeitskraft tun angeblich alles, um in der Konkurrenz besser dazustehen.

Die »Toten bei der Arbeit« hinterlassen Ratlosigkeit und Depression. Welche »Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs« (Untertitel) können wir dem Buch entnehmen, wenn sich »diese Gesellschaft« an die Arbeit klammert, obwohl »die rasante Produktivitätsentwicklung immer mehr Arbeit überflüssig macht«?

Sozialer Widerstand gegen die »offen terroristische Phase« der »auf Arbeit und Warenproduktion basierenden Gesellschaft« regt sich kaum, »hierzulande noch weniger als anderswo«, schreiben die Herausgeber der Zeitschriften Krisis und Streifzüge in ihrem Vorwort im Mai 2004. Kurze Zeit später gingen die Montagsdemonstrationen los und Tausende AutoarbeiterInnen streikten bei DaimlerChrysler und Opel, z.T. gegen die Krisenverwalter der Gewerkschaft. Wie konnte das passieren, wo doch Arbeiter, Arbeitslose, Manager und Politiker unterschiedslos der »Arbeitskirche« hinterherlaufen?

Zur Selbstbestätigung der Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen lesen wir in einem Beitrag der Geisteswissenschaftlerin Maria Wölflingseder, dass sie vom österreichischen Arbeitsamt von Kurs zu Kurs gepeitscht wird, von ihren Bekannten dumme Sprüche zu hören bekommt und schließlich erkrankt. Achim Bellgart, der sich laut Autorenverzeichnis nach »lustvoller Rödelei im Kommunistischen Bund zur Wertkritik empor geackert« hat, beschreibt die Absurditäten von Zwangsveranstaltungen bei Bremer Arbeitsvermittlern. Den heftigen Unmut der Teilnehmer über diese Behandlung kommentiert er so: »Dass sich darin jedoch die Krise der Arbeitsgesellschaft ausdrückt und weniger die der Arbeitsverwaltung, schien wenig zu interessieren.« (102) Er ist nicht auf die Idee gekommen, sich gemeinsam mit seinen KollegInnen gegen diese neuesten Zumutungen der Arbeitsgesellschaft zu wehren. Lieber schreibt er über sie.

Für Norbert Trenkle sind »Kampferfahrungen selbst und die damit einhergehenden Effekte der Selbstorganisation und der Solidarisierung … gar nicht hoch genug einzuschätzen« (63). Leider wird im gesamten Buch nur eine einzige solche Erfahrung geschildert – aus besetzten Betrieben in Argentinien. Ernst Lohoff stellt »die Frage nach dem ›Gebrauchswert‹ eines arbeitskritisch neufundierten Antikapitalismus für die dringend gebotene kollektive Notwehr gegen den arbeitsgesellschaftlichen Amoklauf« und weiß, dass die Antwort »nicht im Rahmen von auf sich selbst gestellter gesellschaftskritischer Theorie, sondern nur von einer Emanzipationsbewegung« gegeben werden kann (41).

In seinem Aufsatz zur »Durchkapitalisierung der Krankenhäuser« analysiert der Personalrat eines Großklinikums, wie diese immer noch teilweise »verwertungsfreien Zonen« durch »Qualitätsmanagement« (Verkürzung der Liegezeiten, Fallpauschalen, Kundenorientierung usw) vollkommen den Kapitalerfordernissen unterworfen werden sollen. »Sind wir dieser Entwicklung ausgeliefert« (57), fragt er und ruft nach einer »Doppelstrategie«: einerseits Schadensbegrenzung und Bildung breiter Netzwerke von Betroffenen, andererseits Aneignung der Gesundheitsversorgung jenseits von Wert-, Waren- und Geldbeziehungen. Als einer der wenigen Autoren des Buches hat er noch die Menschen als Subjekte des Prozesses im Blick, was zumindest die Frage nach den Trägern der Überwindung des Kapitalismus aufwirft.

nina



aus: Wildcat 72, Januar 2005



[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: [Wildcat #72 - Inhalt] [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]