Wildcat Nr. 87, Sommer 2010 [Autoindustrie]



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Wir sind nicht am Ende...

Bereits 2006 raste die Autoindustrie in die Sackgasse aus weiter steigenden Produktionskapazitäten und allgemein sinkendem Inlandsabsatz. Sinkende Einkommen machten es vielen schwerer, ein (neues) Auto zu kaufen und zu unterhalten. Und immer weniger wollten überhaupt noch eins. Auf ein Auto angewiesen zu sein, um auf Arbeit zu kommen und gleichzeitig ständig im Stau zu stehen, hatte wenig mit dem einst damit verknüpften Freiheitsgefühl gemein. Die Autoindustrie schien ins Bodenlose zu stürzen: Im Durchschnitt 46 Euro pro Auto verdienten die deutschen Automultis 2008; 2009 zahlten sie 1500 Euro pro Auto drauf. Dazu kamen teure Rückrufaktionen. Das archetypische kapitalistische Produkt Auto kommt ans Ende und mit ihm das drum rum gebaute Gesellschaftsmodell.

Aber wieder einmal hielt der Staat die Unternehmen mit Milliarden am Überleben – die wieder einmal tiefe Einschnitte und Milliardeneinsparungen vornahmen. Und schneller als gedacht fuhren sie die Produktion wieder hoch und schreiben inzwischen sogar schwarze Zahlen (Toyota, Daimler, gm, bmw…).

Jedem Autoarbeiter ist klar, dass die Autokonzerne ohne gewaltigen Kapazitätsabbau unmöglich längerfristig Gewinne machen können. Krisenabsturz, Kurzarbeit, Betriebsschließungen in der Zulieferindustrie, das rabiate Raushauen der Leiharbeiter im Absturz, die massive Ausweitung der Leiharbeit seither… zeigen, dass wir rauen Zeiten entgegen gehen. Trotzdem bilden sich viele ein, selber nicht betroffen zu sein, denken sogar, vielleicht zahle sich am Ende die massiv intensivierte Arbeit sogar für sie aus… 177 Millionen von 265 Millionen Euro pro Jahr dürfen die Opel Arbeiter in der brd zum Retuschieren der roten Zahlen beitragen. Die Hälfte vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld plus die vereinbarte Tariferhöhung macht durchschnittlich 5500 Euro im Jahr weniger Lohn. Dafür fallen von den über 8000 Stellen nur die Hälfte in der brd weg. Allerdings nun mit weiteren Staatsgarantien. Thüringen beginnt und legt 27 Millionen Euro auf den Tisch. Kein Wunder, dass Mama gm »zuversichtlich« in die Zukunft schaut. Allerhöchste Zeit, diese Zuversicht zu zerreißen! Dazu ein paar Fakten.

Wie machen die überhaupt noch Profite?

Absatzmärkte: einzelne Sparten und Modelle waren vom Einbruch weniger betroffen; bei Daimler z.B. die Busse und ein Teil der Nutzfahrzeuge, bei vw die Kleinwagen… Zudem konnte gerade vw von den Produktionsstandorten in den usa und China profitieren. Für die deutschen Fabriken wird der Export immer wesentlicher. Selbst 2009 gingen noch 69 Prozent der Produktion in den Export. Zuwächse gab es allerdings nur in China: die Exporte dorthin stiegen um 37 Prozent. Den dortigen Markt für Premiumfahrzeuge teilen sich praktisch die deutschen Hersteller. 90 000 Fahrzeuge gingen als komplette Autos übers Meer. Verglichen mit den drei Millionen, die allein in den ersten beiden Monaten dort verkauft wurden, wirkt das zwar lächerlich, aber es hat Daimler, Audi und bwm über das Krisenjahr gerettet – neben den Gewinnen aus Unternehmensanteilen an anderen, bspw. chinesischen, Autoherstellern. Seit Dezember 2009 wuchs die Inlandsproduktion bei zurückgehendem Inlandsabsatz um 20 Prozent, der Export stieg dagegen um 50 Prozent.

Finanzgeschäfte: Leasing wird zur Absatzförderung immer wichtiger. Bei Daimler macht Leasing etwa 52 Prozent vom Gesamtabsatz aus, bei vw und bmw sieht es ähnlich aus. Bei den Geschäftswagen war der Leasinganteil schon immer sehr hoch; nun kommen aber auch immer mehr Privatkunden dazu, vor allem im Ausland. Daneben trägt das allgemeine Bankgeschäft wieder zum Gewinn bei – bei Daimler z.B. mit knapp zehn Prozent Gewinn im Jahr 2009.

Subventionen haben den größten Anteil an der Rettung der Autoindustrie. Neben günstigen KfW- Programmen, Krediten und Bürgschaften gab es die Abwrackprämie. Die Kurzarbeit hat Millionen eingespart für Kündigungsfristen, Abfindungen, Sozialprogramme – vor allem für die absehbaren Auseinandersetzungen in den Werken. So konnte fast ohne Streiks nach Bedarf produziert werden. Oft wurde Kurzarbeit gezahlt, während die Leute an anderen Tagen Überstunden machten.

Produktion: Hier ist vor allem von Kostensenkungen zu berichten: Leute flogen raus, die Arbeit wurde verdichtet, zeitlich ausgedehnt und noch weiter flexibilisiert. Sonderzahlungen wurden gestrichen. Allgemein wurde in den Kantinen, den werksinternen Dienstleistungen oder den ausgelagerten Bereichen gespart. Die Zulieferer mussten ein Programm nach dem anderen akzeptieren, andernfalls wurden Verträge gekündigt. Zusätzlicher Druck entstand durch die Fusionierungen der Automultis. So konnten leichter Bereiche optimiert und »überflüssige« Produktionstätten und Produktionsschritte abgestoßen werden.

Insgesamt also ein Polster, von dem einzelne Hersteller auch 2010 zehren können. Dass nun alle großen Automultis ihre Gewinnprognose nach oben korrigieren, ist aber schlicht albern.

Breit aufgestellt?

Der breite Abriss der überflüssigen Autoindustrie verläuft über den Konkurrenzkampf. Und der geht so: noch mehr, noch billiger, noch schneller, noch bunter. Die Konzerne prahlen mit ihren Erfolgen in diesem Überlebenskampf, die sich in zwei Schlagworten zusammenfassen lassen: mehr Märkte, mehr Modelle. Beides führt aber dazu, dass die Profitmargen noch weiter sinken. »Mehr Modelle« ist eine reine Defensivstrategie, die sehr viel Geld für Teilebevorratung, teurere Fabrikanlagen, niedrigere Stückzahlen… kostet. »Mehr Märkte« werden nicht nur durch den Export, sondern durch neue Fabriken und vor allem neue Vertriebsnetze erschlossen. Hier werden also Millionen in Transportwege gesteckt. Allerdings stellt sich dabei die Autoindustrie auch geographisch neu auf:

Die meisten Fahrzeuge in der eu kommen aus den neuen Fabriken in Polen, Rumänien, Tschechien und der Slowakei. Ähnlich in den usa, wo die Billigstandorte im Süden und in Mexiko hochgefahren wurden. In Asien werden Lohnunterschiede, Produktionsketten und Märkte innerhalb der Asean neu zusammengesetzt. Durch den Beitritt Chinas 2010 profitieren auch die deutschen Autobauer, weil sie im Rahmen des Freihandelsabkommens Marktzugänge erlangen und Produktionsstätten besser verteilen können. Zulieferer und reine Montagefabriken können je nach Kosten und Absatzchancen verlagert werden. Somit können deutsche Autokonzerne mit ckd-Standorten kurzfristige Absatzchancen nutzen, ohne große Investitionen tätigen zu müssen.

Das Ende alter Gewissheiten

Wer sagt denn, dass sich AutoarbeiterInnen die Autos, die sie bauen, auch kaufen können? … das war einmal. Und für neuen Standorte gilt diese Perspektive schon gar nicht. Für China z.B. geht die Autolobby selbst von einer baldigen und abrupten Implosion aus.

In der brd sorgte die Abwrackprämie 2009 für einen Absatzanstieg um 20 Prozent. Ein Lichtblick für die Hersteller nach 20 Jahren Stagnation. Aber viele Käufe waren nur vorgezogen, im Februar 2010 rutschten die Absätze folglich um 30 Prozent ab – was etwa dem weltweiten Durchschnitt entsprach. Nur in Teilen Westeuropas (Niederlande, Luxemburg, Spanien, Portugal, Frankreich, Irland, Großbritanien) führen weiter verlängerte Abwrackprogramme noch immer zu zaghaften Anstiegen bei den Neuzulassungen im Jahresvergleich. Ohne solche Prämien fallen die Absätze sofort. In Osteuropa sinken sie hingegen trotz Prämien. Mit der Ausnahme von Tschechien klafft die Schere zwischen Produktion und Inlandsabsatz überall weit auseinander. Allen voran Rumänien: hier wurde die Produktion 2009 um 20 Prozent gesteigert, die Absätze fielen 2010 um bisher 80 Prozent.

Vom Groß(t)raummobil zum günstigsten Nutzmobil

Weltweit steigen die Leute auf kleinere Autos um. In der brd verschiebt sich seit Jahren der Markt von der Mittelklasse zu den Mini- und Kleinwagen. Die Kleinwagenabsätze sind gut für die Statistik, aber nicht für die Gewinnmargen.

Was das heißt, zeigt China bereits jetzt. Während die Deutschen noch glücklich sind, die Oberklasse zu versorgen, beweisen die chinesischen Hersteller, dass der momentan größte Automarkt der Welt aus »Opensource-Autos« besteht. Die Masse kauft gute Kopien des heutigen Stands der Technik für umgerechnet 3000 bis 5000 Euro. Soviel mussten die westlichen Autobauer 2009 im Schnitt an Rabatt auf ihre Marken geben!

Leasingverträge werden zum Minusgeschäft, wenn die Rückläufer nicht als »junger Gebrauchter« verkauft werden können. Während gerade die deutschen Hersteller seit Jahren mit 20 Prozent Zuwachsraten in den usa prahlen, stapeln sich die Rückläufer bei den Händlern und werden über Dumpingpreise in den Export gedrückt.

Noch befriedigen hohe Absatzzahlen und nicht hohe Gewinne die Aktionäre. In Wirklichkeit sind »deutsche Premiumhersteller« genauso überbewertet wie der »Freiheitstraum der individuellen Mobilität«.

Die Produktionsketten sind ein Hindernis beim drastischen Abbau von Überkapazitäten. Die aktuelle Fusion Behr/Mahle und die Auseinander-setzungen um den damit einhergehenden Arbeitsplatzabbau zeigt dies erneut. Nicht nur die Montagefabriken sind auf die Zulieferer, auch die Zulieferer sind aufeinander angewiesen. Mit dem Zusammenbrechen eines Teils der Produktionskette droht der Kollaps einer ganzen Region. Die Stuttgarter Familienunternehmen stützen sich gegenseitig. Aber während sie ihre Krisenherde über den Gartenzaun hinweg löschen, weitet sich der damit einhergehende Arbeitsplatzabbau zum regionalen Flächenbrand aus. Aber auch in der Krise wurde immer wieder erkennbar, welche Macht einzelne Belegschaften in den Händen halten, um ganz andersgeartete Flächenbrände auszulösen: Streiks wie in Aschaffenburg oder in Tschechien haben bewiesen, wie schnell dann europaweit Bänder stillstehen.

Solche Beispiele brauchen wir in den nächsten Wochen und Monaten viel mehr! Denn wir werden in die Zange genommen. Die neuen Kapazitäten im Osten der eu, Russland, Amerika, Indien, China stellen eine Verdopplung der Modellpaletten dar. Die in der Phase der Kurzarbeit durchgesetzten Arbeitsverdichtungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen werden nun bei ausgereizter Produktion zum Standard. Wenn jetzt nichts passiert, werden diese neuen Standards in den nächsten Jahren wieder industrie- und landesweit durchgesetzt, genauso wie nach den Umstrukturierungen im Kriseneinbruch Anfang der 90er!

Dass nun die Kurzarbeit eingestellt und zusätzliche Schichten geplant werden, ist einerseits eine riskante Wette, andererseits ein strategischer Zug, der den zweiten Nackenschlag vorbereitet.

In der Kurzarbeit sind Auftragslücken entstanden, die nun abgearbeitet werden (Die Krise wurde vielfach genutzt, um neue Modelle aufzulegen und Produktionsschritte zu optimieren, somit stand die Produktion zeitweise auch deshalb still). Zweitens werden die Läger vollgefahren. Vor der Krise musste man bis zu sechs Monate auf seinen Neuwagen warten. Die Unternehmen haben also sechs Monate Spielraum, in denen sie die Läger füllen. Dass die Wette nicht allzu riskant wird, dafür sorgt der Staat: Wenn die Konjunktur bis dahin nicht wieder brummt, können sie die nächste Kurzarbeitsphase beantragen (nach dreimonatigem Aussetzen stehen Unternehmen bis 2012 weitere 18 Monate Kurzarbeitsunterstützung zu). Der strategische Zug besteht darin, dass sie dann die doppelten Kapazitäten auflösen – und zwar hier und nicht an den Billigstandorten. Welche Hebel hätten dann die alten Belegschaften noch in der Hand? …

In der Kurzarbeitsphase haben wir es verpennt, was zu unternehmen. Nun folgt ein Sommer, in dem wir entweder vom Aufschwung und Samstagsschichten träumen können – oder wir schauen den Tatsachen ins Auge und nutzen die vor uns liegenden Monate, um gemeinsam Hand anzulegen. Opel hat gezeigt, dass Abwarten nix bringt. Die Faust gehört nicht in die Tasche, sondern ins Gesicht des Klassenfeinds! ■


...wir fangen an!


Siehe auch:
Hybridmotor oder Klassenkampf, Wildcat 86
»Diesmal müssen die im Westen anfangen!« – Gedanken und Versuche eines ostdeutschen Autoarbeiters, Wildcat 85.

Fußnoten:

[1] Takara Petri/Aschaffenburg: als die Arbeiter nach wochenlangem Hinhalten die Tore zuschweißten, um Klarheit über die angedrohten Kündigungen zu bekommen, bekamen nicht nur die Aschaffenburger die sich vor dem Tor kilometerlang stauenden LKWs vor Augen geführt, auch die vw Arbeiter merkten bereits nach Stunden vom Streik, da Lenkräder ausblieben.

[2] Hyundai, Dymos, Grammer/ Tschechien: Die Arbeiter bei den Zulieferern konnten sich zwar nicht lange durchsetzen, dafür sorgten die fast parallel laufenden Streiks Dezember 2009 und Januar 2010 wegen ausbleibender Teile europaweit an den Bändern für Diskussionsstoff und wirkten sich auf weite Teile der tschechischen Industrie (Traktorenfabrik, Luftfahrtindustrie, Maschinenbau) aus. Vor-allem aber machten die Arbeitsniederlegungen wegen zurückgehaltener und gesenkter Löhne offensichtlich, wie angreifbar die gerade von Hyundai/Kia ausgereizte just in time-Produktion ist. (siehe: http://libcom.org/library/i-love-yellow-monitors-wildcat-strike-hyundai-factory-czech



aus: Wildcat 87, Sommer 2010



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