aus: Wildcat 95, Winter 2013/2014
Die Forderung von Linken nach einem garantierten Mindesteinkommen scheint mit guten Argumenten nicht tot zu kriegen sein. Ein informativer Artikel dazu erschien aktuell in der jungen Welt. Wir argumentieren in der Wildcat seit über drei Jahrzehnten gegen das Mindesteinkommen und haben im aktuellen Heft unsere Überlegungen dazu nochmal knapp zusammengefasst.
»Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.«
(Bernard Shaw)
In den weltweiten Bewegungen in der Folge von »1968« und »Heißem Herbst 1969« entkoppelten sich tendenziell die Einkommen von der Verausgabung von Arbeitskraft, und die Einkommen wurden insgesamt gleicher. Mit dem Abflauen dieser egalitären Prozesse von unten entstanden Mitte der 70er Jahre in linken Gruppen strategische Überlegungen zu einem »politischen Lohn« bzw. einem »garantierten Grundeinkommen«. In der BRD tauchte die Forderung nach einem Existenzgeld in der Autonomenszene der 80er Jahre in Reaktion auf den Umbau des Sozialstaats auf. Zur selben Zeit (in den 80er Jahren) propagierten auch CDU-Politiker die »negative Einkommenssteuer«, das gilt bis heute (»solidarisches Bürgergeld«). Linke, CDU, Gewerkschaften und Unternehmer stellen die gleiche Forderung. Wie ist das möglich?
Die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen ist Ausdruck einer ungleicher werdenden Gesellschaft – gleichzeitig flankiert sie diesen Prozess. Sie ist nicht nur Reaktion auf den Umbau des Sozialstaats, sondern auch Weg zu seinem Um- bzw. Abbau, sie ist kein Mittel zur gerechteren Verteilung von Einkommen.
Aus der Geschichte wissen wir, dass die Einführung von lohnunabhängigen Einkommen immer zur Absenkung des Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse geführt hat, genau das ist mit den Hartz-Gesetzen in der BRD passiert. Mit ihnen wurde ein Grundeinkommen eingeführt (HartzIV). Das hat sowohl die Einkommen der Arbeitslosen abgesenkt als auch die Ausweitung des Niedriglohnsektors in der BRD flankiert und beschleunigt. Mit der Angleichung eines Teils der Einkommen auf unterstem Niveau wurden letzte Reste der erkämpften Egalität abgeräumt; HartzIV hat zudem die Lohnspreizung der Beschäftigten verschärft. HartzIV ist eine direkte Subventionierung der Unternehmer: eine Million Menschen arbeitet und bezieht aufstockendes HartzIV.
Allerdings ist HartzIV keinesfalls bedingungslos, sondern an Bedingungen und entwürdigende Kontrollen geknüpft. Deshalb betonen Existenzgeldbefürworter, dass bedingungsloses Grundeinkommen die Einkommen der Arbeitslosen anheben würde – wenn auch die Löhne vielleicht weiter sinken (das Problem von Lohnspreizung interessiert die Verfechter des Mindesteikommens nicht, sie sehen sich als Repräsentanten ihrer Klientel).
Die sozialen und machtpolitischen Veränderungen, die es bräuchte, um ein bedingungsloses und ausreichend hohes Grundeinkommen durchzusetzen, das allen die Möglichkeit gäbe, frei zu entscheiden, ob sie zudem noch arbeiten wollen sind allerdings so gewaltig, dass dann auch gleich die Revolution möglich wäre. Die Forderung nach einem Grundeinkommen will allerdings Realpolitik betreiben, und ihre Verfechter wissen ganz genau, dass sie lediglich mitbestimmen können an der Balance zwischen »Fordern und Fördern« oder der zwischen »bedingungslos« und ausreichender Höhe. (Das zeigt auch der nächste Punkt.)
Es gibt auch bürgerliche Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens. Sie wollen das Problem eines stagnierenden Kapitalismus und steigender Staatsverschuldung lösen. (»Neue Jobs trotz Nullwachstum – durch Freiwilligenarbeit und Bürgergeld«; das absehbare Rentenfiasko wird mit einem Grundeinkommen aufgefangen usw.) Das Grundeinkommen soll hierbei in der Regel über eine radikale Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden – und diese Steuer zahlen vor allem die Ärmeren. Linke Modelle wollen das Grundeinkommen u.a. durch eine radikale Erhöhung der Vermögenssteuer finanzieren.
Linke Verfechterinnen eines garantierten Mindesteinkommens sehen im Sozialstaat eine Einrichtung zur Alimentierung der Armen. Historisch war er aber wichtig zur Herausbildung von »Mittelschichten«. Die institutionelle Anerkennung der Arbeiterbewegung war das hauptsächliche Bollwerk gegen die revolutionäre Drohung der Arbeiterklasse. Zusammen mit der individuellen, sozialstaatlichen Absicherung der »arbeitenden Bevölkerung« machte das die Stabilität des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Die aktuelle Erosion der »Mittelschichten« kann als staatliches Problem gesehen und angegangen werden: von oben, mit neuen sozialstaatlichen Modellen, die Prekarisierung und Ungleichheit regulieren und evtl. sogar noch verschärfen. Oder wir können darin einen Prozess von Proletarisierung sehen, der hart ist, der von einigen Proleten aber bereits auch beantwortet wird (siehe die Kämpfe in der Logistik, siehe Hausbesetzungen...).
Linke wie rechte BefürworterInnen eines garantierten Mindesteinkommens gehen von der falschen Behauptung aus, dem Kapitalismus gehe die Arbeit aus. Aber die heutige Zeit zeichnet sich eher durch zuviel (schlecht entlohnte) als durch zu wenig Arbeit aus.
Der wahre Strukturbruch in der BRD war die Unterbrechung der über hundertjährigen Tendenz zur Verkürzung der Arbeitszeit Mitte der 80er Jahre. Die damals gewerkschaftlich erkämpfte »Arbeitszeitverkürzung« hat den Weg frei gemacht zur Verlängerung und Intensivierung des effektiven Arbeitstags. Die Leute müssen heute etwa dreißig Prozent mehr arbeiten, um ungefähr dasselbe herauszubekommen wie vor einem Jahrzehnt. Zusammengenommen mit der Tendenz zur Auslagerung führt das dazu, dass in Europa gleichzeitig die Gesamtarbeitszeit und die Arbeitslosigkeit wachsen und eine strukturelle Langzeit-Arbeitslosigkeit entstanden ist. Ein »Grundeinkommen« wird die Arbeiterklasse noch weiter zersplittern, die Reallöhne noch weiter absenken.
Die Dreifaltigkeit Organizing, Kampagnenpolitik, garantiertes Grundeinkommen ist für die angeblich radikale BRD-Linke auch deshalb attraktiv, weil sie damit im kirchlichen, gewerkschaftlichen und parlamentarischen Bereich bündnisfähig werden. Nicht weil sich ihre Bündnispartner radikalisieren, sondern weil sie gemeinsame top-down-Vorstellungen haben. Seit dem Einbruch der globalen Krise setzen sich insgesamt wieder stärker »top-down«-Politikmodelle durch – die Forderung nach einem staatlich garantierten Grundeinkommen ist Teil davon. (So war es übrigens auch in der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren: New Deal usw. Erst die Bewegungen 1968 ff. schafften es, diese Tendenz wieder umzudrehen).
Inzwischen schließen sich auch (Links-)Gewerkschafter, die traditionell am Zusammenhang zwischen Arbeit und Einkommen festgehalten hatten, der Forderung an. Dass Gewerkschaften über ihr Arbeitsethos springen (»wer nicht arbeitet, lebt von der Arbeit anderer«, »wer arbeitet, soll mehr haben, als wer nicht arbeitet« usw.) mag ideologisch als Fortschritt erscheinen. In Wirklichkeit ist es Ausdruck ihrer Schwäche: Sie sehen sich nicht mehr in der Lage, einen existenzsichernden Lohn für alle durchzusetzen, deshalb soll der Staat für Mindestlöhne und Grundsicherung sorgen.
Es gab bisher keine Bewegung für ein garantiertes Mindesteinkommen. In der BRD der 80er Jahre forderten die (oft staatlich bezuschussten) Arbeitslosen-Inis ein »Existenzgeld« – zu ihrer eigenen sozialen Situation und ihren politischen Aktivitäten passte diese Forderung sehr gut; aber sie waren keine soziale Bewegung. Die Vorstellung eines bedingungslosen Mindesteinkommens fand und findet vor allem Anklang bei Leuten mit guter Schulbildung, die von Prekarisierung betroffen sind. Die aktuellen Bewegungen haben zwei Seelen in ihrer Brust; ihre qualifizierten Teile fordern Mitsprache, Anerkennung ihrer individuellen Qualifikation und betrachten die »vereinheitlichende Forderung« nach Mindesteinkommen als Sprung in die politische Arena. Die proletarischen Teile der Bewegungen haben demgegenüber noch keine Stimme und keine Forderungen – darin liegt das Problem.
Mit der globalen Krise hat sich die Verteilungsfrage weiter zugespitzt (»1 Prozent / 99 Prozent«). Die neoliberale Ideologie von der Effizienz der Märkte hat sich blamiert, das sozialtechnokratische, parlamentarische »Klein-klein« ist am Ende. Die strukturellen Folgen der Sozialstaatsreformen seit Ende der 1990er Jahre (v.a. »Agenda 2010«) sind so massiv, dass selbst IWF und UNO Angst vor den Folgen der weiter wachsenden sozialen Spaltung haben und Modelle von Mindestsicherungen vorschlagen.
Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir uns Kampagnen zur paternalistischen Betreuung der Armen oder zur Stabilisierung des Kapitalismus anschließen! Sogar im Bereich der »Tafeln« hat endlich eine Debatte begonnen, dass man nicht weiter die Absenkung der sozialstaatlichen Leistungen flankieren will!
Auch wenn es schwieriger und langwieriger ist: wenn wir egalitäre, subversive, emanzipatorische Kämpfe voranbringen wollen, müssen wir unten ansetzen. Nur so werden wir einer historischen Situation gerecht, die nach Abschaffung des Kapitalismus schreit. Geschichte ist eine von Klassenkämpfen, und wird von unten gemacht!
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