Wildcat-Zirkular Nr. 39 – September 1997 – S. 31-44 [z39zuhol.htm]


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Offener Brief an John Holloway

Englische Fassung

Lieber John,

in den letzten zwei Jahren haben wir Texte von Dir übersetzt und im Wildcat-Zirkular veröffentlicht. [1] Im Frühjahr hast Du uns deinen Text »Dignity's Revolt« geschickt und gefragt, ob wir ihn übersetzen und veröffentlichen wollen. [2] Wir wollen nun erläutern, warum wir mit diesem Text unzufrieden sind, und damit eine öffentliche Diskussion einleiten. Deine Anfrage zu »Dignity's Revolt« war ein Anlaß für uns, einige Kritikpunkte an Deinem theoretischen Konzept schriftlich zu formulieren. Der Brief besteht aus drei Teilen: zuerst werden wir den Hintergrund unserer Gruppe erläutern, insofern dies für das Verständnis unserer Einwände wichtig ist (A). Dann wollen wir auf einen zentralen Kritikpunkt am Text »Dignity's Revolt« eingehen, ohne den gesamten Text zu diskutieren, und ohne in eine Debatte über die EZLN selber einzusteigen (B). Am Schluß wollen wir am Begriff der Arbeit erläutern, in welche Richtung wir uns eine weitere Diskussion vorstellen könnten (C).

A. Wie entstand Wildcat und was sind unsere Probleme

Vom Jobberansatz zur Militanten Untersuchung

Anfang der 80er Jahre war der Zyklus der Fabrikarbeiterkämpfe vorbei, aber für viele junge Menschen war es unvorstellbar, sich in der Lohnarbeit einzurichten und bis zur Rente an einem Arbeitsplatz zu schuften. Wir selber lehnten es außerdem ab, über eine berufliche Karriere individuell einen besseren Tribünenplatz in der kapitalistischen Hierarchie zu erreichen. Daraus speiste sich die Verhaltensweise des Jobbens: für kurze Zeit irgendeine beschissene Arbeit machen, um dann wieder Zeit für sich selber, für den politischen Kampf und das Vergnügen zu haben. Formal betrachtet arbeiteten wir unter Bedingungen, die von der Soziologie später als »prekär« im Sinne einer einseitigen Maßnahme des Kapitals bezeichnet wurden. Aber damals war es noch leichter möglich, die Regelungen des Arbeitsrechts und den Sozialstaat für unsere Bedürfnisse zu nutzen.

Aus dem Versuch, diese Verhaltensweisen zu politisieren und sie gezielt als Kampf gegen die Arbeit und für eine revolutionäre Perspektive ins Spiel zu bringen, entstanden »Jobbergruppen«. Sie waren eine Form von Selbstorganisation, bei der es um gegenseitige Unterstützung, Solidarität gegen die Chefs und Verbreitung von Erfahrungen ging. Eine Gruppe in Karlsruhe griff dabei theoretische Diskussionen aus Italien auf, in denen diese »Figur« des Jobbers als ziehendes proletarisches Subjekt betrachtet wurde: Durch ihre Ablehnung der Arbeit und die tendenzielle Ausweitung dieser Verhaltensweisen stehe diese Figur im Zentrum eines Prozesses der Klassenneuzusammensetzung. Sie verkörpere durch ihre Mobilität auf dem Arbeitsmarkt, ihre umfassende Qualifikation bei gleichzeitiger Ablehnung des kapitalistischen Kommandos die Tendenz zum Kommunismus. Aufgrund ihrer Beweglichkeit entwickele sie an keinem Punkt mehr eine Identifikation mit dem Kapital und praktiziere daher in zugespitzem Maße Kampfformen wie Sabotage und wilde Streiks.

Das deckte sich mit Erfahrungen, die wir in Fabriken, auf Baustellen oder bei Leiharbeitsfirmen machten. Aber wir merkten auch, daß die »Jobber« eine äußerst heterogene und marginale Gruppe innerhalb der Arbeiterklasse blieben, und viele nur eine individualistische Verweigerung der Arbeit praktizierten. Während einige der Jobbergruppen daraus den Schluß zogen, sich zu institutionalisieren und zu Beratungsstellen für sozialstaatliche Leistungen zu werden (was dann als »Arbeitslosenbewegung« bezeichnet wurde), schlug die Gruppe in Karlsruhe - aus der später die Zeitschrift »Wildcat« entstand - eine umfassende Diskussion über die Arbeiterklasse als Ganze vor. Für das theoretische Verständnis von Kapitalismus und Klassenkampf wurde dabei vor allem der italienische »Operaismus« bedeutsam. [3] Insbesondere die frühen Texte aus dieser Strömung (u.a. von Romano Alquati) halfen uns dabei, die Mystifizierungen des Kapitals im unmittelbaren Produktionsprozesses zu entschlüsseln. Die operaistische Kritik bot nicht nur die Grundlage für eine theoretisch revolutionäre Auseinandersetzung mit der Welt, sondern zugleich ein praktisches Instrumentarium. In Anlehnung an Untersuchungskonzepte des Operaismus schlugen wir der undogmatischen und nicht-leninistischen Linken eine breit angelegte »Militante Untersuchung« innerhalb der Arbeiterklasse vor. Der Vorschlag blieb aber minoritär. Die einzigen, die sich damals noch für die Arbeiterklasse interessierten, waren leninistische und stalinistische »Parteien«, mit denen wir nichts zu tun haben wollten.

Mit dem Projekt der »Militanten Untersuchung« wollten wir aus der Kritik des Produktionsprozesses als widersprüchlicher Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozeß heraus eine revolutionäre Kritik des Kapitalismus entwickeln. Die fetischhafte Macht des Kapitals, die uns in der Produktion als Technologie, Arbeitsteilung und entfremdete Kooperation feindlich entgegentritt, versuchten wir in Diskussionen, Befragungen und gemeinsamen Kampfinitiativen zusammen mit unseren KollegInnen zu entmystifiziern. Wir wollten mitkriegen, wo und wie die ArbeiterInnen in ihren Kämpfen diese Mystifizierungen selber durchbrechen und damit ihre produktive Kooperation als Macht gegenüber dem Kapital und als Möglichkeit des Kommunismus erkennen.

Mit diesem Ansatz war eine Auffassung von »Klasse« und »Klassenkampf« verbunden, die im völligen Gegensatz zum traditionellen Verständnis in der marxistischen Theorie und in der Arbeiterbewegung stand. Die Reduktion des Klassenkampfs auf eine ökonomische Frage der Verteilung und des Lohns kritisierten wir als Ideologie der Arbeiterbewegung, und diese selbst als ein wesentliches Moment der Vermittlung und politischen Abschwächung des Klassenantagonismus. Dabei war es wichtig, daß schon in den 70er Jahren eine Reihe von Gruppen sich am Operaismus orientiert und davon ausgehend eigene Untersuchungen durchgeführt hatten (siehe z.B. das 1974 erschienene Buch »Die 'andere' Arbeiterbewegung« von Karl Heinz Roth).

Unsere Erfahrungen Anfang und Mitte der 80er Jahre in Fabriken, bei Leiharbeitsfirmen oder auf Baustellen machten uns klar, daß der alltägliche Klassenantagonismus keineswegs verschwunden war, wie viele Linke behaupteten. Wir stießen auf vielfältige untergründige Konflikte und sahen, welch enorme Probleme das Kapital bei der Einführung neuer Produktionstechnologien oder arbeitsorganisatorischer Modelle hatte. Also genau das, was Du am Ende Deiner Analyse des Keynesianismus' feststellst: »Die gesellschaftlichen Kräfte, die dem Kapital die Anerkennung der Arbeitermacht aufgezwungen hatten, existierten noch immer, und zwar stärker denn je, und durch bloße Erklärungen von Politikern ließen sie sich nicht abschaffen.« (»Der Abgrund tut sich auf...«, Wildcat-Zirkular 28/29, S. 47)

Ab Mitte der 80er Jahre tauchten in Europa neue Klassenkämpfe auf, die sich aus der traditionellen Umklammerung durch die Gewerkschaften lösten. ArbeiterInnen traten selber als Subjekte ihrer Kämpfe auf, und ihre Radikalität verkörperte ein neues offensives Moment. Diese Kämpfe fanden überwiegend in »neuen« Sektoren (öffentlicher Dienst, Transport, Krankenhaus, Schulen, Banken, aber auch in einigen »modernisierten« Fabriken) statt und schienen daher eine neue Klassenzusammensetzung zu repräsentieren. Wir dachten, daß in ihnen eine revolutionäre Perspektive wieder praktisch greifbar werden könnte. Im Unterschied zu den Kämpfen der Gewerkschaften für ein friedliches Sich-Einrichten in der Ausbeutung war hier wieder eine umfassende Feindschaft gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft zu spüren. An der Bewegung der Krankenschwestern 1989 waren wir selbst aktiv beteiligt und erlebten, welche Initiativen ohne den hindernden Einfluß der Gewerkschaften möglich waren.

Deshalb schenkten wir den theoretischen Debatten in den 80er Jahren keine besondere Aufmerksamkeit. Wir registrierten das Überwechseln der allermeisten intellektuellen Linken auf die Seite des Kapitals, dachten aber, daß sich im Zusammenhang mit den neuen Klassenkämpfen die theoretischen Fragen aus dem Innern der Kämpfe heraus angehen lassen. Anders gesagt, wir hielten unser theoretisches Fundament für ausreichend, um aus der Arbeiterklasse heraus zu einem revolutionären Projekt zu kommen.

Der Umbruch '89 und die Folgen

Anfang der 90er Jahre schlugen wir einem Kreis der revolutionären Linken in Europa vor, ein gemeinsames Untersuchungsprojekt über die Situation in der Arbeiterklasse anzugehen. (Dieser Vorschlag wurde später in Eurer Zeitschrift »Common Sense« noch einmal aufgegriffen, siehe Ed Emery, No Politics without Inquiry: A Proposal for a Class Composition Inquiry Projekt 1996-7, in: Common Sense, Nr. 18.) Einige GenossInnen aus anderen Ländern hielten es aber für vordringlicher, angesichts der welthistorischen Umbrüche unsere theoretischen Konzepte zu überprüfen. Damals gingen wir selber noch sehr optimistisch an den Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus heran.

1988/89 hatte sich in Westdeutschland eine Intensivierung der Klassenkämpfe abgezeichnet, im Verlauf des Umbruchs in der DDR kam es - zu heute längst vergessenen - Massendiskussionen in den dortigen Betrieben über eine gesellschaftliche Perspektive jenseits von Kapitalismus und DDR-Sozialismus, und mit der wirtschaflichen Ruinierung der ehemaligen DDR entwickelte sich dort eine breite Kampfbewegung gegen Fabrikschließungen und soziale Verschlechterungen. Trotzdem gelang es uns nicht mehr, aus diesen zahlenmäßig zunehmenden Kämpfen eine kommunistische Perspektive herauszulesen. Mit dem Massaker des Golfkriegs 1991 und der Wirtschaftskrise, die in Deutschland nach dem Vereinigungsboom etwas verspätet 1993 einsetzte und zur Hinnahme von Arbeitsintensivierung und sozialen Verschlechterungen auf breiter Front führte, konnte unser anfänglicher Optimismus nicht mehr überzeugen.

Bisherige revolutionäre Konzepte und Gewißheiten wurden nachhaltig erschüttert. Kampfinitiativen in den Betrieben hatten nur noch einen defensiven Charakter bis hin zum Betteln um Arbeitsplätze. Die Linke konzentrierte sich auf die Fragen von Rassismus, Faschismus und Nationalismus, ohne diese noch in einen Zusammenhang zum Klassencharakter des Kapitalismus und dessen revolutionärer Überwindung stellen zu können oder zu wollen. Daher gewannen in der politischen Diskussion verstärkt Theorien an Einfluß, die sich schon seit den 80er Jahren von der radikalen Kritik der Klassengesellschaft verabschiedet hatten (was Ihr z.B. an den Theorien von Hirsch im einzelnen nachgezeichnet und kritisiert habt). Unser Problem war es dabei nicht, zu Anhängern solcher Theoreme zu werden und den Klassencharakter dieser Gesellschaft zu vergessen. Ein großer Teil der Arbeit an der Zeitschrift »Wildcat« bestand darin, die Klassenkämpfe auf der Welt darzustellen und zu analysieren, die nach '89 keineswegs verschwunden waren. Aber es brachen auch Kämpfe und Kriege aus (Golfkrieg, Jugoslawien, Tschetschenien, Somalia, Rwanda ...), die eher die Tendenz zur Barbarei anzudeuten schienen, als zur Befreiung von der Kapitalherrschaft.

Die Bedeutung Eurer theoretischen Bemühungen für unsere Diskussion

In dieser Situation hielten wir es für uns notwendig, unsere theoretischen Grundlagen zu überprüfen, bzw. neu zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit den »neuen« linken Theorien, die sich von einer radikalen Feindschaft gegenüber dem Kapitalismus verabschiedet hatten, erwies sich als notwendiger, als wir gedacht hatten. Sie boten plausible Erklärungen für die neuen Entwicklungen, denen wir wenig entgegenzusetzen hatten.Die operaistische These »die Arbeiter produzieren die Krise« wurde nichtssagend, da die offensichtliche Krise des Kapitals in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu offensiven Arbeiterkämpfen stand. Wie ließ sich diese Krise dann begreifen, ohne Zuflucht zu den »objektiven Gesetzmäßigkeiten« der marxistischen Lehrbücher oder der in Mode gekommenen regulationstheoretischen Interpretation zu nehmen? Wie ist es zu erklären, daß die Arbeiterklasse gravierende Verschlechterungen hinnehmen muß, ohne daß sich radikale Kämpfe entwickeln? Und warum kommt das Kapital trotz dieser scheinbaren Schwäche der Arbeiterklasse nicht aus seiner Krise heraus?

Wir haben daher mit einer intensiven theoretischen Diskussion über diese Fragen begonnen und uns dazu alle möglichen Theorien zur aktuellen Krise angeguckt (von den Regulationisten bis zur Weltsystemtheorie von Wallerstein). Es war ein besonderer Glücksfall, daß wir dabei auf Eure Texte gestoßen sind, die im Unterschied zu den meisten anderen Theorien von derselben Fragestellung wie wir ausgehen. Ihr kritisiert in radikaler Weise die neuen linken Theorien als Kapitulation vor den Aufgaben der revolutionären Theorie. Gegen die scheinbare Übermacht des Kapitals wird daran festgehalten, daß es sich nicht um eigenständige »Dinge« oder »Strukturen« handelt, sondern um ein gesellschaftliches Verhältnis, dem der Antagonismus eingeschrieben ist. Von der Konstituiertheit der gesellschaftlichen Verhältnisse ausgehend versucht Ihr, eine andere Erklärung der aktuellen Entwicklung zu entwerfen.

Gerade weil wir uns in der Fragestellung mit Euch einig sind, halten wir eine genauere Diskussion um Deine Thesen für wichtig und produktiv. Es geht uns darum, zu einer revolutionären Theorie zu kommen, die praktische Bedeutung hat. Dazu muß sie sich auf die Realtität der heutigen Arbeiterklasse beziehen. Wir können uns ein solches Projekt nur als ein kollektives, also als Diskussion und Zusammenarbeit von vielen vorstellen. Es geht uns nicht darum, sofort Antworten zu bekommen, sondern einen Prozeß des Fragens und Untersuchens in Gang zu bringen. Um es vorwegzunehmen: das Hauptproblem, das wir mit Deinen Texten haben, besteht darin, daß sie an vielen Punkten den revolutionären und entmystifizierenden Ansatz nicht radikal genug durchführen. Dies mag daran liegen, daß Du oft zu schnell allgemeingültige Antworten geben willst, wo es heute wichtiger wäre, unsere Fragen und Probleme offenzuhalten, um einen kollektiven theoretischen Prozeß einzuleiten.

B. »Würde« und »Humanismus« - eine Flucht ins Unhistorische?

Im Text »Dignity's Revolt« willst Du die EZLN und den Aufstand in Chiapas gegen Kritik von linker Seite in Schutz nehmen. Dazu entwickelst Du einen umfassenden Begriff der »Würde« (»dignity«), der in den Texten der Zapatisten immer wieder auftaucht.

Der Aufstand in Chiapas war auch für uns eine der wichtigsten Bewegungen nach 1989 und nach dem Golfkrieg. Er setzte die weltweite Revolution wieder auf die Tagesordnung. Hier wie überall in der Welt verkörperte er ein neues Gefühl von Revolte, von Mut und revolutionärer Hoffnung. Er setzte der Stimmung etwas entgegen, der Kapitalismus habe endgültig gesiegt und Revolution sei unmöglich geworden. Wir hofften daher, daß mit dem Aufstand in Chiapas eine neue revolutionäre Debatte in Gang kommen könnte. Dies umso mehr, als die Zapatisten dies selbst anzuregen schienen, indem sie zu den internationalen Versammlungen »gegen den Neoliberalismus« einluden.

Dreierlei mußten wir aber bald feststellen:

1. Die Unterstützungsbewegung mit den Zapatisten blieb auf die klassische Form von Solidaritätsarbeit beschränkt. Es gelang in diesem Rahmen nicht, eine umfassende revolutionäre Diskussion zu führen. Der Aufstand in Chiapas war »toll« und »wichtig«, aber er war weit weg und hatte mit den Verhältnissen hier nichts zu tun.

2. Hinter der Parole »gegen den Neoliberalismus« versammelte sich schnell ein breites Spektrum von politischen Strömungen, von denen der größte Teil keineswegs revolutionär ist. Es gibt eine starke bürgerliche Kritik am »Neoliberalismus« (zum Beispiel unter dem Schlagwort »Turbokapitalismus«, das von dem rechtskonservativen Militärstrategen Edward Luttwak in den USA in Umlauf gebracht wurde), der es nicht um den Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse, sondern um ihre Rettung geht. Der »ungezügelte Kapitalismus« müsse vor seiner eigenen Selbstzerstörung bewahrt werden. Die Epoche des »Keynesianismus« wird dabei zu einem »goldenen Zeitalter« verklärt. Gerade wegen dieser Position, die von vielen Linken geteilt wird, fanden wir Deine Kritik am Keynesianismus wichtig und hilfreich.

3. Von der EZLN selber kamen keine Hinweise, daß sie diesen Verlauf kritisieren würde. Ihre Position - sowohl zu den Fragen der Entwicklung in Mexiko, wie auf der Welt - wurden dabei nicht nur von orthodox-marxistischen Gruppen in Frage gestellt, auf die Du Dich in »Dignity's Revolt« beziehst. Sie wurde auch von Leuten kritisiert, die sich ausdrücklich als Teil einer antileninistischen und undogmatischen Tendenz verstehen. [4]

Es genügt uns nicht, aus den Erklärungen der Zapatisten ein neues Modell der Revolution herauszulesen und alle Probleme damit wegzuinterpretieren. Es reicht auch nicht aus, nur die Erklärungen der Zapatisten zu nehmen und daraus etwas über den Charakter dieses Kampfes und Aufstands zu sagen, sondern wir müssen uns damit befassen, wie die Menschen dort leben, produzieren und kämpfen; wie sich ihr Kampf ganz materiell in den internationalen Klassenkonflikt einordnet. Gerade dazu findet sich in dem Text »Dignity's Revolt« kaum etwas. In seiner unhistorischen Allgemeinheit könnte er genausogut dazu dienen, den Befreiungskampf der Sandinisten oder irgendeiner anderen Befreiungsbewegung in irgendeiner anderen Zeit zu verteidigen.

Unser Hauptproblem mit deinem Text »Dignity's Revolt« läßt sich an der Überschrift des VI. Abschnitts verdeutlichen: »Dignity is the revolutionary subject. Dignity is a class concept, not a humanistic one.« (Diese und alle folgenden nicht ausgewiesenen Zitate stammen aus »Dignity's Revolt«.) Dem darin enthaltenen Anspruch würden wir zustimmen: es gibt eine unüberwindbare Trennung zwischen humanistischen und revolutionären Konzepten. Während sich humanistische Ansätze auf ein ideales, philosophisches Menschsein und eine abstrakte, unhistorische »Menschlichkeit« beziehen, geht die revolutionäre Theorie von den historisch wirklichen Menschen aus. Sie sieht nicht »den Menschen« als das revolutionäre Subjekt, sondern die wirklichen Menschen, die in allen bisherigen Gesellschaften in antagonistische Klassen gespalten sind. Subjekt der revolutionären Veränderung ist damit die Klasse der Produzenten, die von der herrschenden Klasse ausgebeutet wird. Die bestimmten historischen Formen der Herrschaft und des Klassenkampfs ergeben sich aus der »spezifischen Form, in der Mehrarbeit ausgepumpt« wird (wie Du in Anlehnung an Marx z.B. in dem Aufsatz »Krise, Fetischismus, Klassenzusammensetzung« betonst).

Die Zapatisten sprechen nicht von Klasse, sondern von »Zivilgesellschaft«. Du rechtfertigst das damit, daß die »alten Wörter« so »abgedroschen« seien, daß sie mehr Unheil anstiften als klären. Der Klassenbegriff sei im orthodoxen Marxismus als »definitorischer Begriff« verwandt worden, bei dem es nur um die Frage der Zugehörigkeit zu einer Klasse gehe. Üblicherweise sei die Klasse so definiert worden: »diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben«, oder: »diejenigen, die Mehrwert produzieren und unmittelbar ausgebeutet werden«. Damit sei die Arbeiterklasse zu einer Frage der Definition geworden und zwar einer Definition, die von der »Unterordnung unter das Kapital« ausgeht. Die Kämpfe der Menschen seien danach beurteilt worden, zu welcher Klassifikation sie gehören. Dies habe z.B. dazu geführt, den Klassenkampf aufgrund des Rückgangs der städtischen Fabrikarbeiter als unwichtig für die sozialen Veränderungen zu betrachten. Oder es sei damit unmöglich geworden, sich auf neue Formen des Kampfes wie Studentenbewegung, Feminismus und Ökologie zu beziehen. Daher willst Du diesem definitorischen, klassifizierenden Begriff von Klasse einen anderen entgegensetzen, der vom Antagonismus und nicht von der Klassenzugehörigkeit (Klassifikation) ausgeht.

Das Problem eines definitorischen Klassenbegriffs sehen wir genauso, es ist ein Problem von Subjekt und Objekt: die Klasse über Zugehörigkeit aufgrund objektiv zuschreibbarer Merkmale zu definieren, führt zu politischen Konzepten, die sich die Klasse zum Objekt ihrer Politik machen. Es geht dann nicht um Selbstbefreiung und Selbstveränderung der Klasse, sondern sie wird zum Objekt einer politischen Partei (wie es im Leninismus der Fall ist). Im »revolutionären Prozeß« ist dann nicht die Klasse das Subjekt, sondern eine Partei, die sie führt oder vertritt. Gegen diese Auffassung des Parteikommunismus haben auch wir eingewandt, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur die Tat der Arbeiterklasse selber sein kann.

Zunächst bestimmst Du den Charakter des Antagonismus zwischen den Klassen über die Fetischtheorie: »Obwohl dieser Antagonismus als eine enorme Fülle verschiedener Konflikte erscheint, kann gezeigt werden (und wurde von Marx gezeigt), daß der Schlüssel zum Verständnis dieses Antagonismus und seiner Entwicklung in der Tatsache liegt, daß die gegenwärtige Gesellschaft auf einem Antagonismus beruht, dergestalt, daß das unterscheidende Merkmal der Menschlichkeit, nämlich kreative Aktivität (Arbeit im umfassendsten Sinne), organisiert wird. In der kapitalistischen Gesellschaft wird die Arbeit sich selbst entgegenstellt, von ihr selbst entfremdet; wir verlieren die Kontrolle über unsere eigene kreative Aktivität.« Dieser Gegensatz zwischen der Kreativität und ihrer eigenen Negation sei der Antagonismus zwischen Arbeit (labour) und Kapital. Daher sei es kein Konflikt zwischen zwei sich äußerlichen Kräften, »sondern zwischen Arbeit (menschliche Kreativität) und entfremdeter Arbeit«. Auf den Arbeitsbegriff, den Du hier verwendest, werden wir gleich noch eingehen. Hier wollen wir nur festhalten, daß es auch uns darum geht, den Klassenkonflikt als ein dialektisches und nicht äußerliches Verhältnis zu bestimmen. Die Menschen produzieren die Verhältnisse selbst, in denen sie leben, und doch werden sie von ihnen beherrscht. Es ist keineswegs einfach, sich dieses ver-rückte Verhältnis theoretisch klar zu machen.

Es stellt sich sofort die Frage, warum wir unsere eigene Welt in dieser verrückten Weise produzieren. Zu sagen, daß diese Negation durch die »Unterordnung der menschlichen Aktivität unter den Markt« geschieht, erklärt es nicht, sondern bezeichnet nur die Form. Und diese Form muß aus dem spezifischen Inhalt, dem spezifischen historischen Charakter der Arbeit erklärt werden. Du weichst diesem Problem aus, indem Du die Subjektivität, die sich selbst gegenüber eine entfremdete Objektivität erschafft, zu einer immer dünneren, abstrakteren und unhistorischen Restgröße machst: »Menschlichkeit (die unterdrückte und kämpfende Würde) gegen den Neoliberalismus« (die gegenwärtige, wild zerstörerische Phase des Kapitalismus)«[5] Das Subjekt des Kampfes wird zu einer anthropologischen Kategorie: »das unzerstörbare (oder vielleicht noch nicht zerstörte) NEIN, das uns zu Menschen macht«, »wir sind entfremdet, aber noch haben wir genügend Menschlichkeit, gegen die Entfremdung und für eine nicht-entfremdete Welt zu kämpfen«. In anderen Texten hast Du diese Restgröße in Anlehnung an Hegel als die »reine Unruhe des Lebens« bezeichnet. Hier gibt es nichts mehr, was spezifisch für den antagonistischen Kampf in der kapitalistischen Gesellschaft ist. Solche Aussagen könnten wir auf alle geschichtlichen Epochen anwenden und als allgemeine Charakterisierung aller Kämpfe gegen Unterdrückung verwenden, die es jemals gegeben hat. Du landest auf diese Weise bei eben dem »Humanismus«, den Du mit der Überschrift zurückweisen wolltest: »Menschlichkeit gegen Neoliberalismus«. Dies ist nicht nur ein theoretisches, sondern ein politisches Problem. Diese Parole kann auch jeder Vertreter der Sozialistischen Internationale unterschreiben, oder er kann als Werbeslogan einer sozialistischen Regierung in Frankreich dienen.

Dein (und unser) Ausgangsproblem war ein anderes: Du wolltest die linken Strömungen kritisieren, die an die Stelle der Selbst-Emanzipation der Arbeiterklasse die Aktivität und Machtergreifung einer politischen Partei setzen. Aber bei dem Versuch, dem objektivistischen, definitorischen und klassifizierenden Klassenbegriff etwas entgegenzusetzen, schüttest Du das Kind mit dem Bade aus. Wenn wir den Klassenbegriff auf einen allgemeinmenschlichen und in jedem Menschen vorhandenen Widerspruch zwischen Entfremdung und Nichtentfremdung, zwischen Kreativität und ihrer Unterwerfung unter den Markt, zwischen Menschlichkeit und Negation der Menschlichkeit reduzieren, dann verliert der Klassenbegriff jegliche Bedeutung. Er kann beliebig auf alles mögliche angewendet werden. Er taugt dann nur zu einer moralischen Charakterisierung, die wir allen möglichen Bewegungen anheften können, ohne über sie selber, ihren Charakter und ihre Bedeutung für einen weltweiten revolutionären Prozeß irgendetwas auszusagen. Entsprechend zeitlos wirkt bei Dir der Antagonismus: er existiert immer, wird mal schwächer, mal stärker - ein Ende ist nicht abzusehen. »Die Revolution ist einfach der beständige, kompromißlose Kampf für das, was im Kapitalismus nicht erreicht werden kann: Würde, Kontrolle über unser eigenes Leben.«

Revolutionäre Theorie müßte herausarbeiten, wie in den Kämpfen trotz ihrer Zersplitterung eine konkrete Perspektive zu Emanzipation und Befreiung enthalten ist, und dies wieder in sie einbringen. Der Nachweis, daß in all diesen vereinzelten Kämpfen ein allgemeinmenschlicher Inhalt vorhanden ist, leistet diese Verbindung nicht, sondern flüchtet vor dem realen politischen Problem auf eine philosophische Ebene. Wir haben in unseren Diskussionen festgestellt, daß wir eine theoretische Präzisierung des Klassenbegriffs brauchen, aber dazu müssen wir an der Frage festhalten, statt ihr mit philosophischen Antworten aus dem Weg zu gehen.

In der operaistischen Theorie war die »Klassenzusammensetzung« eine Kategorie und ein analytisches Instrumentarium, das sowohl dem verdinglichten und objektivistischen Klassenbegriff des Parteimarxismus wie dem soziologischen Klassenbegriff entgegengesetzt wurde. Nach der Niederlage der Klassenkämpfe in Italien wurde diskutiert, wie und ob sich dieser Begriff losgelöst von seinen konkreten historischen Entstehungsbedingungen als abstraktes Schema fortführen ließe. Die Verallgemeinerung der »Klassenzusammensetzung« vom Massenarbeiter zum »gesellschaftlichen Arbeiter«, die Negri vornahm, konnte weder damals noch heute überzeugen. [6] Ähnlich wie die »reine Unruhe des Lebens« ist der »gesellschaftliche Arbeiter« eine Art Universalschlüssel, der auf alles paßt und damit für die Praxis bedeutungslos bleibt. Gerade weil uns die Frage nach Auffassung und Bedeutung des Klassenbegriffs wichtig ist, müssen wir sie zunächst einmal richtig stellen. [7]

C. Die Arbeit ist zentral - aber was bedeutet das?

Die verschiedenen Konflikte innerhalb der Gesellschaft werden heute meistens beziehungslos nebeneinandergestellt. Daraus ergibt sich das Bild einer Vielzahl von Kämpfen, in dem die »Totalität« der kapitalistischen Gesellschaft und damit eine revolutionäre Zielsetzung nicht mehr auftaucht. In Deinem Aufsatz »Vom Schrei der Verweigerung zum Schrei der Macht: Die Zentralität der Arbeit« betonst Du deshalb die Rolle der »Totalität« für eine »Theorie gegen die Gesellschaft«. Du kritisierst die mystifizierende Abtrennung des Kampfs um die Ausbeutung in einen »ökonomischen« Bereich. Dieser Kampf stehe im Zentrum der gesellschaftlichen Reproduktion und ihrer Veränderung, weil in ihm die grundlegende Dialektik und Instabilität des gesellschaftlichen Zusammenhangs enthalten sei.

Das Kapital beruht auf Arbeit, es ist nichts anderes als die verdinglichte Erscheinungsform der geronnenen Arbeit. »So absolut und terroristisch die Herrschaft des Kapitals auch ist: Es kann sich niemals aus seiner Abhängigkeit von der Arbeit befreien. Die Abhängigkeit des Kapitals von der Arbeit existiert als Widerspruch innerhalb des Kapitals.« (Zirkular 34/35, S. 64) Das heißt, die Herrschaft des Kapitals ist die Herrschaft unserer eigenen Produkte über uns. Und damit ist es ein revolutionierbares, überwindbares Verhältnis, weil es von uns selbst konstituiert wird. Auf dieser grundlegenden Dialektik der Fetischisierung zu bestehen und sie zum Ausgangspunkt jeder Untersuchung zu machen, erscheint uns heute äußerst wichtig.

Wie schon gesagt taucht damit aber die Frage auf, warum wir uns in dieses historisch spezifische Verhältnis zu den Produkten unserer Arbeit setzen. Marx wendet gegen die Klassiker der politischen Ökonomie ein, daß sie diese Frage niemals gestellt hätten, sondern die fetischisierten Formen unserer Produkte - Waren, Geld, Kapital - als das normale und historisch Unveränderliche hinnähmen. Sie hätten sich nie die Frage gestellt, warum dieser Inhalt (menschliche Arbeit) jene Form (Ware) annimmt. Marx führt den Warencharakter unserer Produkte auf die spezifische historische Gestalt der Arbeit zurück: abstrakte Arbeit. Damit meint er nicht eine gedankliche Abstraktheit, sondern den wirklich abstrakten Charakter, den Arbeit im Kapitalismus für uns hat: wir arbeiten nicht, um ein bestimmtes Produkt herzustellen; das Produkt, das wir herstellen, ist nicht für uns, sondern für andere; wir sind nicht durch besondere persönliche Qualitäten mit dieser oder jener Tätigkeit verbunden; ein Unternehmer kann heute diese hundert, morgen jene hundert ArbeiterInnen einstellen und wird beidesmal dieselbe durchschnittliche Arbeitsmenge erhalten. Diese Abstraktheit ist mit der kapitalistischen Weise des Produzierens verbunden und entwickelt sich historisch erst mit der Durchsetzung einer fabrikförmigen Organisation der Arbeit, ob sie nun im Krankenhaus, im Büro, im LKW-Transport, in der Landwirtschaft oder in der Fabrik stattfindet. Auf dieser »spezifisch kapitalistischen Produktionsweise« beruht der Warencharakter unserer Produkte. Arbeit ist in ihr die tätige Entfremdung, die uns in der Ware und im Privateigentum als Ding gegenübertritt.

In diesem Sinne stimmen wir mit Dir überein, daß die Arbeit zentral ist. Weil die von der Arbeit konstituierte Form des Werts der »Faden« ist, »der die Welt zusammenhält, der die scheinbar völlig getrennten Produktionsprozesse voneinander abhängig macht, der die Kämpfe der Bergarbeiter in Großbritannien mit den Arbeitsbedingungen der Autoarbeiter in Mexiko verbindet und umgekehrt« (wie Du in »Krise, Fetischismus, Klassenzusammensetzung« schreibst, Zirkular 34/35, S. 77). Wir könnten es auch so formulieren: im Wert tritt uns unser gesellschaftlicher Zusammenhang in der Produktion als Ding gegenüber, weil wir ihn nicht selbstbewußt und aus freien Stücken konstituieren. Wir suchen uns nicht die Menschen aus, für die wir und mit denen wir zusammen produzieren, sondern dies scheint uns durch das Kommando des Kapitals vorgegeben. Im Kapital verselbständigt sich der im Wert verdinglichte gesellschaftliche Zusammenhang und kommandiert uns.

Das heißt aber nicht, daß aller Reichtum und alle gesellschaftlichen Erscheinungen die Produkte von Arbeit sind, wie es bei Dir anklingt (»Die Arbeit konstituiert alles«, oder: »Da die Arbeit die einzig schöpferische Kraft der (jeder) Gesellschaft ist ...«, in: »Vom Schrei...« S. 56) Es gibt jede Menge Tätigkeiten, die kein Mensch als »Arbeit« bezeichnen würde: seien es freie künstlerische Betätigungen, Spielen oder Kämpfe innerhalb der Gesellschaft. Und es gibt eine Fülle von Reichtümern, die keine Produkte von Arbeit sind, angefangen bei Luft und Sonnenstrahlen. Alles auf Arbeit zurückzuführen, gerät leicht in die Nähe zur klassischen Verherrlichung der Arbeit durch die Arbeiterparteien (Marx hat dies schon am ersten Programmentwurf der deutschen Sozialdemokratie kritisiert). Wenn der Reichtum allein von Arbeit abhängt - Arbeit, wie sie heute von jedem verstanden wird -, dann bleibt die biblische Verdammnis des »im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen« ein unentrinnbarer Fluch. Marx hat im Kapital davon gesprochen, daß das »Reich der Freiheit« erst jenseits der Arbeit beginnen könne. [8]

Wir wissen, daß es Dir nicht um eine solche Verherrlichung der Arbeit geht, sondern um die Kritik der verdinglichten Welt. In allen Texten betonst Du, daß es sich um Formen handelt, die von uns selbst konstituiert werden, und nicht um ewig gültige »Strukturen« oder »Gesetzmäßigkeiten«. Aber »Arbeit, Schöpfung und Praxis« als »austauschbare Begriffe« zu verwenden (»Vom Schrei...«, S. 56), nimmt der entmystifizierenden Kritik an den Formen Ware, Geld und Kapital ihre historische Sprengkraft. Die Entmystifikation kann nicht darin bestehen, diese Formen auf menschliche Tätigkeit schlechthin zurückzuführen, sondern auf eine historisch bestimmte und sich verändernde Art zu produzieren. Dazu bedarf es aber der Untersuchung des Formwandels und der Veränderungen im Produktionsprozeß. Wenn »Arbeit« als menschliche Tätigkeit schlechthin bestimmt wird, werden Aussagen über die Zentralität der Arbeit tautologisch, weil schon per definitionem alle Praxis zur Arbeit erklärt worden ist. Die Zentralität der Arbeit, d.h. des Produktions- und Ausbeutungsprozesses, für eine revolutionäre Perspektive wird so behauptet, aber der Nachweis nicht erbracht. Außerdem wird damit die Perspektive realer Befreiung verbaut. Kommunismus als eine Überwindung der Vergesellschaftung durch Arbeit ist dann nicht mehr denkbar.

Einen Grund für die überhistorische Allgemeinheit des Arbeitsbegriffs in Deinen Texten sehen wir darin, daß der »unmittelbare Produktionsprozeß« selten auftaucht und wenn, dann verkürzt. Im Artikel »Krise, Fetischismus, Klassenzusammensetzung« betonst Du: »Im Mittelpunkt steht die Form, 'in der unbezahlte Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten ausgepumpt wird'«. Das spezifisch Kapitalistische dieser Form wird am Warentausch festgemacht: »Was die kapitalistische Form der Ausbeutung von anderen Formen der Ausbeutung unterscheidet, ist ihre Vermittlung durch den Tausch.« (Wildcat-Zirkular, S. 74/75) Aber damit würden wir uns im Kreis bewegen, denn der Tausch- und Warencharakter ist das Erklärungsbedürftige. Wir denken, daß dies nur über die Analyse des spezifisch kapitalistischen Produktionsprozesses selber gelingen kann. Das wesentliche Merkmal dieser Produktionsweise besteht darin, daß sie nur noch als gesellschaftliche Produktion, als das Zusammenwirken von Millionen Menschen möglich ist. Aber da diese Vergesellschaftung als eine uns aufgezwungene und vorgegebene Kooperation, Arbeitsteilung und Maschinerie existiert, erscheint sie als fremde Macht. Diese materielle, dingliche Gestalt des Produktionsprozesses ist der harte Kern des kapitalistischen Kommandos über unser Leben.

Die stoffliche Gestalt des Produktionsprozesses, also Maschinerie und Technologie, sind untrennbar mit dem sozialen Herrschaftsverhältnis, mit dem Kapitalkommando verbunden. In Deinen Texten betonst Du, daß der Antagonismus nicht auf der Ebene der Verteilung und der Lohnfrage, sondern im unmittelbaren Produktionsprozeß, in dem Konflikt um das »Auspumpen von Mehrarbeit« existiert. Es fehlt aber die Analyse und Bestimmung der spezifischen Formen dieses Auspumpens. Nur wenn wir die Grundlage des kapitalistischen Kommandos in den konkreten Strukturen des Produktionsprozesses entschlüsseln, können wir auch verstehen, warum dieses verrückte Kapitalverhältnis der Entfremdung und Verdinglichung fortbesteht - und wie sich in ihm die Arbeiterklasse als antagonistisches Subjekt entwickelt.

Daher wird es besonders wichtig sein, über die Ausführungen zum Produktionsprozeß in Deinen Texten zu diskutieren. An der Darstellung der »fordistischen Produktion« in den Texten »The Red Rose of Nissan« (in: Capital & Class 32, Summer 1987) und »Der Abgrund tut sich auf...« ist uns aufgefallen, daß der spezifische Charakter der Arbeit dort nur an ihrer Monotonie, Langeweile, Dequalifikation usw. festgemacht wird. Dies sind alles Charakterisierungen, wie sie durch die übliche linke Kritik am Taylorismus (z.B. Braverman) vorgegeben sind und die immer schon vom vereinzelten, atomisierten Arbeiter ausgehen. Sie machen also das, was erst Resultat und Erscheinungsform der kapitalistischen Produktionsweise ist - nämlich die Zersplitterung und Atomisierung der Arbeiterklasse -, zu ihrem theoretischen Ausgangspunkt. In diesem Sinne stehen sie im unmittelbaren Widerspruch zu Deinem Ansatz der Entmystifizierung. In der linken soziologischen Kritik wird die widersprüchliche Einheit von Atomisierung und Vergesellschaftung im kapitalistischen Produktionsprozeß unterschlagen. Das Kapital ist nicht nur immer von der lebendigen Arbeit abhängig, sondern diese Arbeit entwickelt einen zunehmend gesellschaftlichen Charakter. Die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, d.h. die produktive Kooperation der Arbeitenden, ist ein historischer Prozeß. Das Kapital flieht vor der »aufständischen Macht der Arbeit«, aber es kann nur in die Richtung ihrer weiteren Vergesellschaftung fliehen, die es den ArbeiterInnen gegenüber wieder als neue »soziale Mächte« aufbauen muß, so wie der River-Rouge-Komplex von Ford eine »soziale Macht« war. Ein Hauptproblem der revolutionären Politik besteht unserer Ansicht nach heute darin, daß es ihr nicht gelingt, den weltweiten Produktionsprozeß in einer solchen, radikal entmystifizierenden Weise theoretisch und praktisch zu kritisieren.

Soweit erst einmal unsere Anmerkungen, als Einstieg in einen Prozeß der theoretischen Klärung, von dem wir hoffen, daß er den Weg zur Praxis freimacht.

Deine ÜbersetzerInnen


Fußnoten:

[1] Folgende Texte von John Holloway haben wir übersetzt und im Wildcat-Zirkular veröffentlicht: »Capital Moves« in Nr. 21; »Der Abgrund tut sich auf: Aufstieg und Fall des Keynesianismus« und »Globales Kapital und Nationalstaat« in Nr. 28/29; Einleitung und Schlußfolgerung des Buchs »Global Capital, National State and the Politics of Money« in Nr. 30/31; »Vom Schrei der Verweigerung zum Schrei der Macht: Zur Zentralität der Arbeit« und »Krise, Fetischismus, Klassenzusammensetzung« in Nr. 34/35.

[2] Der Text soll in einem Buch mit dem vorläufigen Titel »The International of Hope: Reflections on the Zapatista Uprising« (Pluto Press, London) erscheinen. Er kann über das Wildcat-Zirkular (Adresse in Köln) als Kopie oder e-mail bestellt werden.

[3] Wichtige Texte wurden von uns erneut veröffentlicht oder zum ersten Mal übersetzt, in Thekla 5, 6, 7, 9; zur Entstehungsgeschichte des »Operaismus« siehe den Artikel »Renaissance des Operaismus« in: Wildcat Nr. 64/65.

[4] Im Wildcat-Zirkular Nr. 22 haben wir z.B. Texte von Sylvie Deneuve/Charles Reeve aus Frankreich und von Katerina aus Griechenland übersetzt.

[5] Wolltest Du nicht in »Der Abgrund tut sich auf...« gerade zeigen, daß der Keynesianismus keineswegs weniger zerstörerisch war, sondern erst nach dem millionenfachen Mord von Weltkrieg und Faschismus »aufblühen« konnte?

[6] Siehe »Massenarbeiter und gesellschaftlicher Arbeiter - einige Bemerkungen« von Roberto Battaggia, übersetzt in Wildcat-Zirkular Nr. 36/37.

[7] Als Ergänzung zu »Dignity's Revolt« hast Du uns den Text »Zapatismo: Recomposition of Labour, Radical Democracy and Revolutionary Project« von Luis Lorenzano empfohlen. Er ist ein zugespitzer Ausdruck dieses »neuen« Operaismus, der »Klassenzusammensetzung« in der Art eines Univeralschlüssels verwendet, ohne auch nur mit einem Satz darauf einzugehen, wie die materiellen Produktionsbedingungen und die sozialen Verhältnisse in Chiapas aussehen. (Der englische Text ist ebenfalls als Kopie oder e-mail bei uns erhältlich.)

[8] »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der eigentlichen materiellen Produktion ... Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen... Aber es bleibt immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.« MEW 25, S. 828. Damit widerspricht Marx auch den üblichen Vorstellungen in der Linken, es ginge um eine »Humanisierung« der Arbeit oder »Befreiung in der Arbeit«. Da die Arbeit selbst die tätige Entfremdung ist, kann das Ziel nicht die Befreiung der Arbeit, sondern nur die Befreiung von der Arbeit sein. Demzufolge wäre es auch falsch, eine »entfremdete« Arbeit der »nicht-enfremdeten« Arbeit gegenüberzustellen, wie es in »Dignity's Revolt« anklingt.


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